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Kultur und Wissen
Theaterstück "Ich werde nicht hassen"
Gegen die Entmenschlichung der indigenen Palästinenser durch die israelische Besatzung
Von Tanya Ury
Mit vielen, in leuchtenden Farben erzählten Details, einer langen, hauptsächlich in der Ich-Form erzählten Lebensgeschichte, lädt Michael Morgenstern die Zuschauer ein, an den Erlebnissen des Izzeldin Abulaish teilzunehmen. In „Ich werde nicht hassen“, wandelt sich Morgenstern - in 75 Minuten alleine auf der Bühne - Szene für Szene von einem kleinen Jungen, frisch, vor Kraft strotzend und voller Erwartungen an die Zukunft, in einen Mann, der trotz schwierigster Lebensumstände im besetzten Palästina seine Offenheit und Fähigkeit zu staunen nicht verliert.
Aus dem Theaterstück "Ich werde nicht hassen" (Foto: arbeiterfotografie.com)
Die Inszenierung kommt mit minimalistischen Mitteln aus. Der Schauspieler trägt einen schwarzen Anzug, er agiert auf einer spärlich ausgestattenen Bühne, nur gelegentlich unterstützt von einer Video-Projektion. Die Aufführung wird vor allem getragen von der Erzählung und der Überzeugungskraft des Darstellers.
Die Zuschauer sind eingeladen, diesen kleinen hoffnungsvollen, neugierigen und zarten Jungen zu lieben. Mit den Mitteln der Komik, der Zuschaueransprache und des Gesangs zieht Morgenstern als Izzeldin die Zuschauer in seinen Bann: „Habibi, habibi, habibi – I love you“ - seine strahlende Menschenliebe steckt an und gewinnt uns.
Schon als Siebenjähriger, der im Jabaliah Camp in Gaza zur Welt kam, versorgt Izzeldin mit kleinen Jobs, unter anderem als Lebensmittel-Lieferant, die Familie. Er ist sich jedoch sicher, dass er alles erreichen kann, wenn er sein Herz daransetzt. Sein Ziel - schon früh entschieden – ist es, den Menschen zu helfen.
Als Jugendlicher zieht er als Arbeitskraft für vierzig Tage in einen israelischen Haushalt. Dort wird er mit den eigenen Vorurteilen, die er unter seinesgleichen entwickelt hat, konfrontiert. Dort erlebt er, dass diese Familie sich ihm gegenüber herzlich, respektvoll und gerecht verhält – das hatte er nicht erwartet.
Grenzenlose Diskriminierung erlebt er jedoch schon in jungen Jahren und später jedes Mal auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause, wenn israelische Soldaten alle palästinensischen Reisenden an den Check-Points stundenlang grundlos in der Hitze warten lassen. Eine Tortur, die selbst schwangere Frauen in den Wehen über sich ergehen lassen müssen. Trotz aller erlebten Demütigungen, findet die Inszenierung immer wieder Raum für Komik, wie zum Beispiel in der Szene, wo der junge Abuelaish in der Schlange vor der öffentlichen Toilette steht und Wasser lassen muss – das von Michael Morgenstern durchaus lustig dargestellt wird.
Man sieht, wie Izzeldin Abuelaish unermüdlich an sich selbst arbeitet, damit sein Lebenstraum in Erfüllung geht. Aufgrund seines Fleißes erhält er nach dem Abitur ein Medizinstudium in Kairo. Später studiert er Geburtshilfe und Gynäkologie an der Londoner Universität.
Zurück in Palästina bittet Abuelaish den Chefarzt am israelischen Krankenhaus in Beer Sheva, einem der führenden Ärzte für Gynäkologie, um Hilfe bei einem komplizierten Fall. Er ist überrascht, wie aufgeschlossen dieser ist, zu helfen, zu kooperieren. Als dieser Arzt Abuelaish persönlich kennenlernt und erkennt, dass dieser mit seiner ausgeglichenen Sicht der Dinge ein Bindeglied sein kann im israelisch-palästinensischen Konflikt, bietet er ihm einen Job im Krankenhaus an, den Abuelaish annimmt. Wieder muss Abuelaish sich den eigenen Vorurteilen stellen - er wird willkommen geheißen und erhält eine Stelle am Soroka University Krankenhaus.
Es kommt zu einer Auseinandersetzung im Krankenhaus, als eine jüdische Israelin mit schweren Blutungen eingeliefert wird, und ihr Ehemann verhindern will, dass ein Palästinenser seine Frau berührt. Doch immer zeigen seine israelischen Kollegen ihre Solidarität; Vorurteile und Unstimmigkeiten werden überwunden.
Izzeldin Abulaish verliebt sich, heiratet, und bekommt ein Kind nach dem anderen. Er erzählt mitfühlend, wie er Frauen - alle Frauen -, die unter Unfruchtbarkeit leiden, behandeln möchte.
2008 erhält Abuelaish eine Einladung für ein Vorstellungsgespräch in Brüssel. Während seiner Abwesenheit wird bei seiner Frau Leukämie festgestellt. Er veranlasst, dass sie umgehend von Gaza nach Israel, ins Soroka Medical Center verlegt wird.
Er reist dorthin, um ihr beizustehen. Hier zeigt es sich, dass einige seiner Vorurteile den Israelis gegenüber durchaus berechtigt waren. Die Grenzposten lassen ihn lange am Checkpoint warten. Zu allem Überfluss muss Abuelaish einen großen Umweg machen, um zum Krankenhaus zu kommen. Die israelischen Behörden verhalten sich unmenschlich und gehen sogar noch härter gegen ihn vor, als er auf die Dringlichkeit seiner Situation hinweist. Er kommt schließlich bei Nadja, seiner Frau an, die kurze Zeit später stirbt.
Nach diesem Schicksalsschlag entscheidet er sich mit seinen Kindern nach Kanada zu gehen, um an der Universität von Toronto als Professor zu arbeiten.
Schon vor dem Theaterbesuch lesen wir im Flyer, dass die Geschichte schlecht ausgehen wird. Morgenstern führt uns als Abuelaish durch diese Ereignisse, eine Tragödie von biblischem Ausmaß. Wir als Zuschauer hoffen trotz allem, dass es gut für ihn enden wird, denn durch die intensive Erzählung und Darstellung auf der Bühne identifizieren wir uns mit Izzeldin Abuelaish.
Izzeldin Abuelaish überwindet die Trauer, lebt weiter mit seiner großen Familie und dient weiterhin den Menschen. Die auf realen Tatsachen beruhende Handlung mag an Hiobs Chronik erinnern, doch sind es keine willkürlichen Katastrophen, die Izzeldin treffen. Es sind Menschen, die die Schicksalsfäden in der Hand halten, und die besser menschlicher hätten handeln können. Als Izzeldin bis zum Äußersten an seine Grenzen gebracht wird, sind wir als Betrachter mit der Frage konfrontiert: wie würde ich handeln, wie reagieren?
Kurze Zeit bevor die Familie nach Kanada ausreisen darf, spitzt sich der Konflikt in Gaza weiter zu. Ein Panzer nähert sich dem Familienhaus und richtet sein Kanonenrohr direkt auf dieses. Abuelaish erlebt er ein Déjà-vu: schon in seiner Kindheit wurde das Familienhaus von israelischen Soldaten zerstört, damals überlebten alle. Ein anderes Mal flehte er Soldaten erfolgreich um das Leben seiner Familie an. Doch diesmal, am 16. Januar 2009, geschieht das Unvorstellbare: eine Granate schlägt in das Haus Abuelaishs ein und tötet seine Töchter Mayar, Aya und Bessam, sowie seine Nichte Noor. Morgenstern beschreibt als Abuelaish stoisch alle grausamen Details dieses Schreckensbilds. Keine Einzelheit bleibt uns erspart – wir stehen mit Abuelaish vor dem Zimmer, in dem nur Körperteile auf dem Boden liegen – dort wo Minuten zuvor Mädchen unbekümmert miteinander geplaudert haben.
Ich breche den Augenkontakt mit dem Schauspieler ab – doch höre ich gebannt weiter zu, um das Unbegreifliche zu verstehen, während die Aufführung zu Ende geht. Was Abuelaish und seine Geschichte ausmacht, ist, dass er sich auch als entmachteter Mensch nicht ohnmächtig zeigt. Izzeldin Abuelaish entscheidet sich, aus Liebe weiterzumachen. Er wird zum Sprachrohr für alle Entmachteten in Palästina und engagiert sich, um Versöhnung und Frieden zwischen Palästinensern und Israelis Wirklich werden zu lassen.
Izzeldin Abuelaish praktiziert „Parrhesia“ – was im Griechischen „Redefreiheit“ bedeutet. Nicht ohne Risiko spricht er über das Problem bezüglich der Besatzung. Indem er diese heikle Thema in der Öffentlichkeit anspricht, regt er damit Diskussion und Austausch an. Wir, wir alle haben die Wahl, zu entscheiden, was wir damit machen, mit dieser Geschichte von Vorurteilen und deren Widerlegung, die auf brutale Weise aufzeigt, wozu Menschen imstande sind. Die Geschichte eines Mannes der letztendlich in all dem Leid mit überraschender Menschlichkeit handelt.
Ich habe dieses Stück in einem Bonner Theater, der „Zentrifuge“, gesehen, wo einige Palästinenser, die vielleicht ähnliches erfahren haben, unter uns saßen. Als deutsch-englische Jüdin, deren Vorfahren, in der Shoah auch Furchtbares erlebt haben, bin ich hellhörig und akzeptiere nicht die Entmenschlichung der indigenen Palästinenser durch die israelische Besatzung.
Tanya Ury ist Mitglied der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Deutschland
Theaterstück: Ich werde nicht hassen
Buch: Izzeldin Abuelaish
Bühnenbearbeitung: Silvia Armbruster und Ernst Konarek
Regie: Ali Jalaly
Darsteller: Michael Morgenstern
Anhang (Englische Fassung)
Michael Morgenstern invites spectators to participate in the experience - told in vibrant detail, mostly in the first person – of Izzeldin Abulaish’s life story. For 75 minutes in “I will not hate”, Morgenstern - alone on the stage, scene for scene - transforms himself from a small boy, tender, gushing with energy and with great hopes for the future, into a man who, in spite of the most difficult life situation in Palestine, does not lose his openness and ability to wonder.
The production employs minimal resources - the performer is only to be seen wearing a black suit, on a sparsely furnished stage, only occasionally supported by a video projection. The presentation is sustained by the narrative and the persuasive power of the actor.
Spectators are prompted to love this small, hopeful, curious and tender boy. Morgenstern, as Izzeldin draws spectators in by means of comedy, audience participation and with song: “Habibi, habibi, habibi – I love you“ – his incandescent love for humanity infects and captivates us.
As a youth he moves to work in an Israeli household for forty days. There, he is confronted with his own prejudices, passed on to him from his own people. He receives a warm welcome and is treated justly and with respect, however – something that he was not expecting.
Already as a seven-year-old, born in Jabaliah Camp in Gaza Izzeldin provides for his family with small jobs – among others as a grocer’s delivery boy – is however sure that he can achieve everything that his heart is set on. His goal, determined in young years, is to help people.
Early on he does nonetheless, experience limitless discrimination, each time on his travels to work or going home - when Israeli soldiers at checkpoints make all Palestinian travellers wait for hours in line - a torture that even pregnant women in labour are submitted to. In spite of all the humiliations, the enactment time and again gives way to comical situations, when the young Abuelaish, who needs to pass water, has to wait in line near a public toilette, for instance, which in the event was humorously depicted by Michael Morgenstern.
One learns how Izzeldin Abuelaish tirelessly works on himself, so that his life dreams might become fulfilled. Following A Levels, by virtue of his studiousness, he is able study medicine in Egypt, later studying obstetrics and gynaecology at The University of London.
Returning to Palestine, Abuelaish asks the Chief Physician - one of the leading doctors in gynaecology at the Israeli Hospital in Beer Sheva - to help in a complicated case. He is surprised how open-minded and willing to co-operate the doctor is. As he gets to know Abuelaish personally - the physician realises that with his balanced approach he could become an important connecting link for the Israel-Palestine conflict – and offers him a job at the hospital, which Abuelaish accepts. Again Abuelaish is confronted by personal prejudices, for he is welcomed and appointed with a doctor’s residency at the Soroka University Hospital.
An unpleasant situation arises in the hospital, as a Jewish Israeli is brought in with heavy blood loss and her husband does not wish his wife to be handled by a Palestinian. But Israeli colleagues always demonstrate their solidarity: prejudices and frictions are overcome.
Izzeldin Abulaish falls in love, marries and has one child after another. He explains with much empathy how he would like to treat women – all women – who suffer from infertility.
In 2008 Abuelaish receives an invitation for a job interview in Brussels. During his absence his wife is diagnosed with leukaemia. He arranges for her to be moved from Gaza to the Soroka Medical Center in Israel.
He travels to the Center to be with her. And at this point the worst of his prejudices regarding Israeli behaviour turn out to have been justified. Border controls make him wait at a checkpoint far too long. On top of it all Abuelaish is forced to travel a long way round to get to the hospital. The Israeli authorities behave inhumanely and even more brutally when he explains the urgency of the situation. Eventually he arrives, not long before Nadja dies.
Following this great misfortune he decides to move to Canada with his children to work as Associate Professor for Global Health at the University of Toronto.
Even before the play starts we have read in the flyer that this story ends badly. Morgenstern as Abuelaish leads us on through the events, a biblical tragedy. As spectators we hope in spite of everything that it will end well - for during the intense account and performance on stage we have come to identify with Izzeldin Abuelaish.
Izzeldin Abuelaish overcomes his grief, lives on with his large family and continues to serve humanity. The storyline based on real events may remind of the story of Job but these are no random catastrophes that have afflicted Izzeldin. It is people who have the threads of fate in their hands and who should have behaved more humanely. As Izzeldin is tested beyond the borders of his limits, we as spectators are confronted with the question how I would behave, react?
The crisis in Gaza escalates shortly before the family is permitted to travel to Canada. A tank approaches and aims its gun barrel directly at the family home. Abuelaish has a déjà-vu sensation: the family house had already been destroyed by Israeli soldiers in his childhood; at the time all had survived this attack. Another time he successfully appealed to soldiers for the lives of his family. But this time, on 16th January 2009, his worst fears are confirmed when a shell hits Abuelaish’s house and kills his daughters Bessan, Aya and Mayar as well as his niece Noor. As Abuelaish, Morgenstern stoically describes the terrible vision. We are spared no details – we are there, standing with Abuelaish just outside the room, in which only body parts are left to be seen, where girls were chatting unconcerned only minutes earlier.
Eye contact with the actor now falls away, but I continue to listen, mesmerised, in order to comprehend the incomprehensible, as the enactment comes to an end. What makes Abuelaish and his story so singular is that as a disempowered person, he does not present himself as impotent. Izzeldin Abuelaish decides to carry on but with the impulse of love. He becomes a voice for all the disempowered in Palestine and engages himself for reconciliation and peace between Palestinians and Israelis.
In effect Izzeldin Abuelaish practises “Parrhesia“, from the Greek, meaning “freedom of speech”. It is not without risk that he expresses the occupation’s problematic in the public sphere - thereby however prompting discussion and exchange. We - we all have a choice to decide what we make of this story - of prejudice and its invalidation - that brutally demonstrates what people are capable of. Ultimately it is a story about a man who, in the face of suffering, acts with surprising humanity.
I saw this piece in the “Zentrifuge”, a theatre in Bonn, sitting among an audience that included several Palestinians, who may have had similar experiences. As a German-English Jew, whose antecedents had also experienced terrible things during Shoah I am sensitised and do not accept the dehumanising of the indigenous Palestinians by the Israeli occupation.
Tanya Ury, member of The Jewish Voice for a Just Peace in the Middle East, Germany
Stage Play: I will not hate
Screenplay: Izzeldin Abuelaish
Stage Design: Silvia Armbruster and Ernst Konarek
Direction: Ali Jalaly
Actor: Michael Morgenstern
Nächste Termine:
Samstag, 18. November 2017, 20 Uhr, Neubiberg
Haus für Weiterbildung, Großer SaalVorverkauf: Gemeindebibliothek, Buchhandlung Lentner, München
Ticket Info-Tel. 089/600 12-922
Veranstalter: Gemeinde Neubiberg/Kulturamt und vhs SüdOst
Donnerstag, Freitag, 7.,8. Dezember 2017, 20.30 Uhr, Köln
Theater Tiefrot, Dagobertstraße 32Kartenreservierung
normal 18€
ermäßigt 11€
Telefon: 0221 - 46 00 911 - 0172 24 24 336
www.theater-tiefrot.de
Siehe auch:
Filmclip
Die Geschichte von Izzeldin Abuelaish aus Gaza
Ich werde nicht hassen
NRhZ 631 vom 04.10.2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24209
Filmclip
Bonner BDS-Aktionstag anlässlich „50 Jahre Besatzung“
Tanya Ury für Boykott gegen Apartheid
NRhZ 623 vom 26. Juli 2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24002
Online-Flyer Nr. 637 vom 15.11.2017
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Kultur und Wissen
Theaterstück "Ich werde nicht hassen"
Gegen die Entmenschlichung der indigenen Palästinenser durch die israelische Besatzung
Von Tanya Ury
Mit vielen, in leuchtenden Farben erzählten Details, einer langen, hauptsächlich in der Ich-Form erzählten Lebensgeschichte, lädt Michael Morgenstern die Zuschauer ein, an den Erlebnissen des Izzeldin Abulaish teilzunehmen. In „Ich werde nicht hassen“, wandelt sich Morgenstern - in 75 Minuten alleine auf der Bühne - Szene für Szene von einem kleinen Jungen, frisch, vor Kraft strotzend und voller Erwartungen an die Zukunft, in einen Mann, der trotz schwierigster Lebensumstände im besetzten Palästina seine Offenheit und Fähigkeit zu staunen nicht verliert.
Aus dem Theaterstück "Ich werde nicht hassen" (Foto: arbeiterfotografie.com)
Die Inszenierung kommt mit minimalistischen Mitteln aus. Der Schauspieler trägt einen schwarzen Anzug, er agiert auf einer spärlich ausgestattenen Bühne, nur gelegentlich unterstützt von einer Video-Projektion. Die Aufführung wird vor allem getragen von der Erzählung und der Überzeugungskraft des Darstellers.
Die Zuschauer sind eingeladen, diesen kleinen hoffnungsvollen, neugierigen und zarten Jungen zu lieben. Mit den Mitteln der Komik, der Zuschaueransprache und des Gesangs zieht Morgenstern als Izzeldin die Zuschauer in seinen Bann: „Habibi, habibi, habibi – I love you“ - seine strahlende Menschenliebe steckt an und gewinnt uns.
Schon als Siebenjähriger, der im Jabaliah Camp in Gaza zur Welt kam, versorgt Izzeldin mit kleinen Jobs, unter anderem als Lebensmittel-Lieferant, die Familie. Er ist sich jedoch sicher, dass er alles erreichen kann, wenn er sein Herz daransetzt. Sein Ziel - schon früh entschieden – ist es, den Menschen zu helfen.
Als Jugendlicher zieht er als Arbeitskraft für vierzig Tage in einen israelischen Haushalt. Dort wird er mit den eigenen Vorurteilen, die er unter seinesgleichen entwickelt hat, konfrontiert. Dort erlebt er, dass diese Familie sich ihm gegenüber herzlich, respektvoll und gerecht verhält – das hatte er nicht erwartet.
Grenzenlose Diskriminierung erlebt er jedoch schon in jungen Jahren und später jedes Mal auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause, wenn israelische Soldaten alle palästinensischen Reisenden an den Check-Points stundenlang grundlos in der Hitze warten lassen. Eine Tortur, die selbst schwangere Frauen in den Wehen über sich ergehen lassen müssen. Trotz aller erlebten Demütigungen, findet die Inszenierung immer wieder Raum für Komik, wie zum Beispiel in der Szene, wo der junge Abuelaish in der Schlange vor der öffentlichen Toilette steht und Wasser lassen muss – das von Michael Morgenstern durchaus lustig dargestellt wird.
Man sieht, wie Izzeldin Abuelaish unermüdlich an sich selbst arbeitet, damit sein Lebenstraum in Erfüllung geht. Aufgrund seines Fleißes erhält er nach dem Abitur ein Medizinstudium in Kairo. Später studiert er Geburtshilfe und Gynäkologie an der Londoner Universität.
Zurück in Palästina bittet Abuelaish den Chefarzt am israelischen Krankenhaus in Beer Sheva, einem der führenden Ärzte für Gynäkologie, um Hilfe bei einem komplizierten Fall. Er ist überrascht, wie aufgeschlossen dieser ist, zu helfen, zu kooperieren. Als dieser Arzt Abuelaish persönlich kennenlernt und erkennt, dass dieser mit seiner ausgeglichenen Sicht der Dinge ein Bindeglied sein kann im israelisch-palästinensischen Konflikt, bietet er ihm einen Job im Krankenhaus an, den Abuelaish annimmt. Wieder muss Abuelaish sich den eigenen Vorurteilen stellen - er wird willkommen geheißen und erhält eine Stelle am Soroka University Krankenhaus.
Es kommt zu einer Auseinandersetzung im Krankenhaus, als eine jüdische Israelin mit schweren Blutungen eingeliefert wird, und ihr Ehemann verhindern will, dass ein Palästinenser seine Frau berührt. Doch immer zeigen seine israelischen Kollegen ihre Solidarität; Vorurteile und Unstimmigkeiten werden überwunden.
Izzeldin Abulaish verliebt sich, heiratet, und bekommt ein Kind nach dem anderen. Er erzählt mitfühlend, wie er Frauen - alle Frauen -, die unter Unfruchtbarkeit leiden, behandeln möchte.
2008 erhält Abuelaish eine Einladung für ein Vorstellungsgespräch in Brüssel. Während seiner Abwesenheit wird bei seiner Frau Leukämie festgestellt. Er veranlasst, dass sie umgehend von Gaza nach Israel, ins Soroka Medical Center verlegt wird.
Er reist dorthin, um ihr beizustehen. Hier zeigt es sich, dass einige seiner Vorurteile den Israelis gegenüber durchaus berechtigt waren. Die Grenzposten lassen ihn lange am Checkpoint warten. Zu allem Überfluss muss Abuelaish einen großen Umweg machen, um zum Krankenhaus zu kommen. Die israelischen Behörden verhalten sich unmenschlich und gehen sogar noch härter gegen ihn vor, als er auf die Dringlichkeit seiner Situation hinweist. Er kommt schließlich bei Nadja, seiner Frau an, die kurze Zeit später stirbt.
Nach diesem Schicksalsschlag entscheidet er sich mit seinen Kindern nach Kanada zu gehen, um an der Universität von Toronto als Professor zu arbeiten.
Schon vor dem Theaterbesuch lesen wir im Flyer, dass die Geschichte schlecht ausgehen wird. Morgenstern führt uns als Abuelaish durch diese Ereignisse, eine Tragödie von biblischem Ausmaß. Wir als Zuschauer hoffen trotz allem, dass es gut für ihn enden wird, denn durch die intensive Erzählung und Darstellung auf der Bühne identifizieren wir uns mit Izzeldin Abuelaish.
Izzeldin Abuelaish überwindet die Trauer, lebt weiter mit seiner großen Familie und dient weiterhin den Menschen. Die auf realen Tatsachen beruhende Handlung mag an Hiobs Chronik erinnern, doch sind es keine willkürlichen Katastrophen, die Izzeldin treffen. Es sind Menschen, die die Schicksalsfäden in der Hand halten, und die besser menschlicher hätten handeln können. Als Izzeldin bis zum Äußersten an seine Grenzen gebracht wird, sind wir als Betrachter mit der Frage konfrontiert: wie würde ich handeln, wie reagieren?
Kurze Zeit bevor die Familie nach Kanada ausreisen darf, spitzt sich der Konflikt in Gaza weiter zu. Ein Panzer nähert sich dem Familienhaus und richtet sein Kanonenrohr direkt auf dieses. Abuelaish erlebt er ein Déjà-vu: schon in seiner Kindheit wurde das Familienhaus von israelischen Soldaten zerstört, damals überlebten alle. Ein anderes Mal flehte er Soldaten erfolgreich um das Leben seiner Familie an. Doch diesmal, am 16. Januar 2009, geschieht das Unvorstellbare: eine Granate schlägt in das Haus Abuelaishs ein und tötet seine Töchter Mayar, Aya und Bessam, sowie seine Nichte Noor. Morgenstern beschreibt als Abuelaish stoisch alle grausamen Details dieses Schreckensbilds. Keine Einzelheit bleibt uns erspart – wir stehen mit Abuelaish vor dem Zimmer, in dem nur Körperteile auf dem Boden liegen – dort wo Minuten zuvor Mädchen unbekümmert miteinander geplaudert haben.
Ich breche den Augenkontakt mit dem Schauspieler ab – doch höre ich gebannt weiter zu, um das Unbegreifliche zu verstehen, während die Aufführung zu Ende geht. Was Abuelaish und seine Geschichte ausmacht, ist, dass er sich auch als entmachteter Mensch nicht ohnmächtig zeigt. Izzeldin Abuelaish entscheidet sich, aus Liebe weiterzumachen. Er wird zum Sprachrohr für alle Entmachteten in Palästina und engagiert sich, um Versöhnung und Frieden zwischen Palästinensern und Israelis Wirklich werden zu lassen.
Izzeldin Abuelaish praktiziert „Parrhesia“ – was im Griechischen „Redefreiheit“ bedeutet. Nicht ohne Risiko spricht er über das Problem bezüglich der Besatzung. Indem er diese heikle Thema in der Öffentlichkeit anspricht, regt er damit Diskussion und Austausch an. Wir, wir alle haben die Wahl, zu entscheiden, was wir damit machen, mit dieser Geschichte von Vorurteilen und deren Widerlegung, die auf brutale Weise aufzeigt, wozu Menschen imstande sind. Die Geschichte eines Mannes der letztendlich in all dem Leid mit überraschender Menschlichkeit handelt.
Ich habe dieses Stück in einem Bonner Theater, der „Zentrifuge“, gesehen, wo einige Palästinenser, die vielleicht ähnliches erfahren haben, unter uns saßen. Als deutsch-englische Jüdin, deren Vorfahren, in der Shoah auch Furchtbares erlebt haben, bin ich hellhörig und akzeptiere nicht die Entmenschlichung der indigenen Palästinenser durch die israelische Besatzung.
Tanya Ury ist Mitglied der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Deutschland
Theaterstück: Ich werde nicht hassen
Buch: Izzeldin Abuelaish
Bühnenbearbeitung: Silvia Armbruster und Ernst Konarek
Regie: Ali Jalaly
Darsteller: Michael Morgenstern
Anhang (Englische Fassung)
Michael Morgenstern invites spectators to participate in the experience - told in vibrant detail, mostly in the first person – of Izzeldin Abulaish’s life story. For 75 minutes in “I will not hate”, Morgenstern - alone on the stage, scene for scene - transforms himself from a small boy, tender, gushing with energy and with great hopes for the future, into a man who, in spite of the most difficult life situation in Palestine, does not lose his openness and ability to wonder.
The production employs minimal resources - the performer is only to be seen wearing a black suit, on a sparsely furnished stage, only occasionally supported by a video projection. The presentation is sustained by the narrative and the persuasive power of the actor.
Spectators are prompted to love this small, hopeful, curious and tender boy. Morgenstern, as Izzeldin draws spectators in by means of comedy, audience participation and with song: “Habibi, habibi, habibi – I love you“ – his incandescent love for humanity infects and captivates us.
As a youth he moves to work in an Israeli household for forty days. There, he is confronted with his own prejudices, passed on to him from his own people. He receives a warm welcome and is treated justly and with respect, however – something that he was not expecting.
Already as a seven-year-old, born in Jabaliah Camp in Gaza Izzeldin provides for his family with small jobs – among others as a grocer’s delivery boy – is however sure that he can achieve everything that his heart is set on. His goal, determined in young years, is to help people.
Early on he does nonetheless, experience limitless discrimination, each time on his travels to work or going home - when Israeli soldiers at checkpoints make all Palestinian travellers wait for hours in line - a torture that even pregnant women in labour are submitted to. In spite of all the humiliations, the enactment time and again gives way to comical situations, when the young Abuelaish, who needs to pass water, has to wait in line near a public toilette, for instance, which in the event was humorously depicted by Michael Morgenstern.
One learns how Izzeldin Abuelaish tirelessly works on himself, so that his life dreams might become fulfilled. Following A Levels, by virtue of his studiousness, he is able study medicine in Egypt, later studying obstetrics and gynaecology at The University of London.
Returning to Palestine, Abuelaish asks the Chief Physician - one of the leading doctors in gynaecology at the Israeli Hospital in Beer Sheva - to help in a complicated case. He is surprised how open-minded and willing to co-operate the doctor is. As he gets to know Abuelaish personally - the physician realises that with his balanced approach he could become an important connecting link for the Israel-Palestine conflict – and offers him a job at the hospital, which Abuelaish accepts. Again Abuelaish is confronted by personal prejudices, for he is welcomed and appointed with a doctor’s residency at the Soroka University Hospital.
An unpleasant situation arises in the hospital, as a Jewish Israeli is brought in with heavy blood loss and her husband does not wish his wife to be handled by a Palestinian. But Israeli colleagues always demonstrate their solidarity: prejudices and frictions are overcome.
Izzeldin Abulaish falls in love, marries and has one child after another. He explains with much empathy how he would like to treat women – all women – who suffer from infertility.
In 2008 Abuelaish receives an invitation for a job interview in Brussels. During his absence his wife is diagnosed with leukaemia. He arranges for her to be moved from Gaza to the Soroka Medical Center in Israel.
He travels to the Center to be with her. And at this point the worst of his prejudices regarding Israeli behaviour turn out to have been justified. Border controls make him wait at a checkpoint far too long. On top of it all Abuelaish is forced to travel a long way round to get to the hospital. The Israeli authorities behave inhumanely and even more brutally when he explains the urgency of the situation. Eventually he arrives, not long before Nadja dies.
Following this great misfortune he decides to move to Canada with his children to work as Associate Professor for Global Health at the University of Toronto.
Even before the play starts we have read in the flyer that this story ends badly. Morgenstern as Abuelaish leads us on through the events, a biblical tragedy. As spectators we hope in spite of everything that it will end well - for during the intense account and performance on stage we have come to identify with Izzeldin Abuelaish.
Izzeldin Abuelaish overcomes his grief, lives on with his large family and continues to serve humanity. The storyline based on real events may remind of the story of Job but these are no random catastrophes that have afflicted Izzeldin. It is people who have the threads of fate in their hands and who should have behaved more humanely. As Izzeldin is tested beyond the borders of his limits, we as spectators are confronted with the question how I would behave, react?
The crisis in Gaza escalates shortly before the family is permitted to travel to Canada. A tank approaches and aims its gun barrel directly at the family home. Abuelaish has a déjà-vu sensation: the family house had already been destroyed by Israeli soldiers in his childhood; at the time all had survived this attack. Another time he successfully appealed to soldiers for the lives of his family. But this time, on 16th January 2009, his worst fears are confirmed when a shell hits Abuelaish’s house and kills his daughters Bessan, Aya and Mayar as well as his niece Noor. As Abuelaish, Morgenstern stoically describes the terrible vision. We are spared no details – we are there, standing with Abuelaish just outside the room, in which only body parts are left to be seen, where girls were chatting unconcerned only minutes earlier.
Eye contact with the actor now falls away, but I continue to listen, mesmerised, in order to comprehend the incomprehensible, as the enactment comes to an end. What makes Abuelaish and his story so singular is that as a disempowered person, he does not present himself as impotent. Izzeldin Abuelaish decides to carry on but with the impulse of love. He becomes a voice for all the disempowered in Palestine and engages himself for reconciliation and peace between Palestinians and Israelis.
In effect Izzeldin Abuelaish practises “Parrhesia“, from the Greek, meaning “freedom of speech”. It is not without risk that he expresses the occupation’s problematic in the public sphere - thereby however prompting discussion and exchange. We - we all have a choice to decide what we make of this story - of prejudice and its invalidation - that brutally demonstrates what people are capable of. Ultimately it is a story about a man who, in the face of suffering, acts with surprising humanity.
I saw this piece in the “Zentrifuge”, a theatre in Bonn, sitting among an audience that included several Palestinians, who may have had similar experiences. As a German-English Jew, whose antecedents had also experienced terrible things during Shoah I am sensitised and do not accept the dehumanising of the indigenous Palestinians by the Israeli occupation.
Tanya Ury, member of The Jewish Voice for a Just Peace in the Middle East, Germany
Stage Play: I will not hate
Screenplay: Izzeldin Abuelaish
Stage Design: Silvia Armbruster and Ernst Konarek
Direction: Ali Jalaly
Actor: Michael Morgenstern
Nächste Termine:
Samstag, 18. November 2017, 20 Uhr, Neubiberg
Haus für Weiterbildung, Großer SaalVorverkauf: Gemeindebibliothek, Buchhandlung Lentner, München
Ticket Info-Tel. 089/600 12-922
Veranstalter: Gemeinde Neubiberg/Kulturamt und vhs SüdOst
Donnerstag, Freitag, 7.,8. Dezember 2017, 20.30 Uhr, Köln
Theater Tiefrot, Dagobertstraße 32Kartenreservierung
normal 18€
ermäßigt 11€
Telefon: 0221 - 46 00 911 - 0172 24 24 336
www.theater-tiefrot.de
Siehe auch:
Filmclip
Die Geschichte von Izzeldin Abuelaish aus Gaza
Ich werde nicht hassen
NRhZ 631 vom 04.10.2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24209
Filmclip
Bonner BDS-Aktionstag anlässlich „50 Jahre Besatzung“
Tanya Ury für Boykott gegen Apartheid
NRhZ 623 vom 26. Juli 2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24002
Online-Flyer Nr. 637 vom 15.11.2017
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