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Globales
Russland gedachte am 2. Februar 2018 des Sieges der Roten Armee über die Hitler-Wehrmacht in Stalingrad
Kein deutscher Kniefall in Wolgograd
Von Rudolf Hänsel

Am 2. Februar 2018 gedachte ganz Russland des Sieges der Roten Armee über die Hitler-Wehrmacht in Stalingrad vor 75 Jahren. Allein in Wolgograd (dem ehemaligen Stalingrad) fanden an diesem Tag 200 Gedenkveranstaltungen statt, eine Militärparade und abends ein Gedenkkonzert für alle gefallenen Soldaten und Zivilisten – russische wie deutsche. Doch die deutsche Regierung sandte zu diesem Stalingrad-Jahrestag keine Delegation nach Wolgograd, weil man den Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion mit insgesamt 27 Millionen Toten nicht insgesamt als verbrecherisch bezeichnen könne, so die unglaubliche Antwort auf eine Parlamentsanfrage. Dabei wäre ein Kniefall des deutschen Bundespräsidenten oder der deutschen Bundeskanzlerin vor dem Mahnmal in Wolgograd eine Demuts-Geste gegenüber dem russischen Volk, die Schuldbewusstsein bekundet, um Vergebung bittet und den Weg zur Versöhnung ebnet. Zugleich wäre er ein Zeichen des Gedenkens an die unermesslichen Opfer der Schlacht um Stalingrad.


Arbeiterfotografie-Fotomontage

Die Schlacht um Stalingrad vom 17. Juli 1942 bis 2. Februar 1943

Diese Schlacht um Stalingrad war die größte und blutigste während des Zweiten Weltkrieges. 500.000 bis eine Million Opfer auf jeder Seite forderte diese Schlächterei zwischen Rotarmisten und deutschen Soldaten. Genaue Zahlen gibt es nicht. Nahezu 100.000 Soldaten der Wehrmacht und ihrer Verbündeten gerieten in Kriegsgefangenschaft. Da viele deutsche Soldaten in der Gefangenschaft in Folge von Krankheiten starben, kehrten nur 6.000 von ihnen von Stalingrad in die Heimat zurück. Mein Vater hatte Glück und wurde wegen einer Schussverletzung mit dem letzten Flugzeug aus Stalingrad ausgeflogen. Die erlebten Gräuel belasteten ihn schwer – sprechen konnte er darüber nicht.

Die Inschrift im Betonquader des Mahn- und Denkmals von Pestschanka in Wolgograd lautet: „Dieses Denkmal ist allen Opfern der Schlacht (1942/43) gewidmet. Es erinnert an die Leiden der hier gefallenen Soldaten und die der Zivilbevölkerung. Für die gefallenen Soldaten und die in Gefangenschaft Verstorbenen aus allen Ländern erbitten wir den ewigen Frieden in russischer Erde.“

Ich selbst wurde auf den Stalingrad-Jahrestag erst aufmerksam durch einen Artikel des Moskau-Korrespondenten Ulrich Heyden vom 24.01.2018 im „RUBIKON“: „Angriff auf die Sowjetunion kein Verbrechen mehr?“ Ich kann ihn jedem Interessierten nur empfehlen. Ebenso eine Artikelserie der „Süddeutschen Zeitung“ zum Zweiten Weltkrieg im Osten mit Themenschwerpunkten wie „Erinnerungen an einen bestialischen Krieg“ oder „Das furchtbare Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen“.

Die durchsichtige Rolle der deutschen Politik und ihrer „Kriegstrommler“

Wird die deutsche Regierung nicht müde, jedes Jahr von Neuem in Bundestags-Sondersitzungen der Verbrechen von Hitler-Deutschland an den Juden feierlich zu gedenken, so hat sie den 75. Stalingrad-Jahrestag bewusst verstreichen lassen, ohne ihn für eine umfassende Aufklärung vor allem der jüngeren deutschen Bevölkerung und für ein Zeichen des Mitgefühls mit den noch lebenden ca. zwei Millionen russischen Kriegsveteranen sowie als Gedenken an die unzähligen Opfer zu nutzen. Das hat natürlich seinen Sinn. Wie kann eine Regierung der Opfer eines über 75 Jahre zurückliegenden verbrecherischen Angriffs- und Vernichtungskrieges gegen die ehemalige Sowjetunion würdig gedenken und sich vielleicht noch schuldig bekennen – und gleichzeitig wieder deutsche Soldaten im Verbund mit der US-NATO-Kriegs-Allianz an der russischen Ostgrenze aufmarschieren lassen? Also verweigert man das Gedenken und lässt den Jahrestag möglichst geräuschlos verstreichen.

Dieses durchsichtige Gebaren der deutschen Politik registriert das russische Volk natürlich sehr genau. Der bereits zitierte Moskau-Korrespondent Ulrich Heyden schreibt in einem RUBIKON-Artikel vom 16.01.2018 „Woher dieser Hochmut?“ unter dem Zwischen-Titel „Warum habt ihr Mitleid mit den Juden, aber nicht mit uns?“: „Aus persönlichen Gesprächen weiß ich, wie die Russen (auch die jüdischen Russen) es schmerzt, dass wir Deutsche viel Mitgefühl für die Juden und Israel haben, die Leiden der Russen und anderer Sowjetvölker im Zweiten Weltkrieg aber nicht kennen oder vergessen haben.“

Welche Rolle die regierungsnahen Konzern-Medien dabei spielen, dokumentieren die ausführlichen Berichte von RT Deutsch und RUBIKON von der Tagung „Krieg und Frieden in den Medien“ Ende Januar in Kassel. Ein Zitat aus dem Referat der freien Korrespondentin zum Mittleren Osten, Karin Leukefeld „Was unseren Blick auf den Syrien-Krieg trübt“ im RUBIKON vom 01.02.2018 als Beispiel: „Wir leben in einer gefährlichen Zeit. Anstatt die politische Macht und ihren Apparat zu kontrollieren, anstatt Unrecht, Heuchelei und Lüge aufzuzeigen und alle Seiten zu Wort kommen zu lassen, damit die Öffentlichkeit sich ein Bild machen und verstehen kann, begleiten die Medien wie die Kriegstrommler und Trompeter früherer Heere die neuen Beutezüge der westlichen Welt.“

Die bedenkliche Rolle deutscher Bildungspolitik

Wie haben es wohl die weiterführenden deutschen Schulen mit dem Stalingrad-Jahrestag gehalten? Mein Augenmerk richtet sich dabei nicht so sehr auf die Lehrer-Kollegen, sondern mehr auf die Bildungspolitik in den jeweiligen Bundesländern. Seit Jahren betreiben sie eine Entwertung des Faches Geschichte. Es werden Stunden gekürzt oder das Fach wird mit Politik und Geografie verschmolzen, was zwangsläufig zum Verlust historischer Inhalte führt und fachfremdes Unterrichten fördert. Die Konsequenz: Jugendliche wissen laut Umfragen immer weniger über Geschichte und verwechseln Prozesse und Personen.

Geschichtsvergessenheit als Einfallstor für neue Kriege

Demnach ist die Geschichtsvergessenheit der jungen Generation wohl über Jahrzehnte hinweg gezielt herbeigeführt worden, weil man keine geschichtsbewusste Jugend will und nicht die Folge bedauerlicher Versäumnisse von Bildungspolitikern.

Denn nur wenn die junge Generation aus der Geschichte gelernt hat, dass Kriege allein deshalb geführt werden, weil sie ein gutes Geschäft sind, dass der potentielle Feind zuvor jahrelang dämonisiert werden muss, um die Bevölkerung für einen Waffengang zu gewinnen und dass jeder Krieg mit einer Lüge beginnt und unermessliches Leid mit sich bringt, nur dann lässt sie sich nicht mehr so leicht für ein Kriegsabendteuer gewinnen. Nur dann gelingt es auch Redaktionen von Konzern-Medien nicht mehr, jüngere Journalisten als Kriegstrommler einzuspannen.

Kann sich die junge Generation dieses geschichtliche Bewusstsein nicht erwerben, ist sie viel leichter zu manipulieren und eventuell bereit, sich in neue verheerende Kriege hineinlügen zu lassen.




Dr. Rudolf Hänsel ist Erziehungswissenschaftler und Diplom-Psychologe. Weitere Informationen unter www.psychologische-menschenkenntnis.de


Online-Flyer Nr. 646  vom 07.02.2018

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