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Literatur
Die Zeit als eines der spannendsten Rätsel der Wissenschaft
Chronos und Kairos
Von Renate Schoof

Datum und Uhrzeit geben uns eine selbstverständliche Orientierung im Alltag. Das Phänomen Zeit wird jedoch rätselhaft und spannend, wenn man beginnt, darüber nachzudenken und nachzulesen. „Faszinosum Zeit“ heißt ein Buch, in dem gut lesbar und prägnant ein halbes Hundert Denkansätze zum Thema vorgestellt werden: Von Plato bis Hawking, von Zeitkristallen über das „Antitelefon“ bis zum Ende der Zeit. Die ganz verschiedenartigen Theorien gesammelt, zusammengestellt und auf jeweils drei bis sieben Seiten kompakt und recht verständlich zusammengefasst, hat der pensionierte Physik- und Mathematiklehrer Klaus Scharff, dessen Spezialgebiet unorthodoxe Abhandlungen über die Zeit sind. Im Nachwort nennt er als seine größte Leidenschaft die Beschäftigung mit Zeitmaschinen und Zeitreisen.

Beim Lesen fliegen wir mit der Zeit, lernen ihre Relativität verstehen und fragen uns ein paar Seiten lang mit einem Autor, ob die Fehlentwicklung der Menschheit ihren Ursprung in der Einführung des Gregorianischen Kalenders haben könnte, weil der natürliche Rhythmen außer Acht lässt und zu einer willkürliche Zerstückelung der Zeit führt.

Im Mittelalter wurde aus dem griechischen Titanengott Kronos der Zeitgott Chronos. Auf Bildern wird er als alter Mann mit Sichel und Stundenglas dargestellt, der an den unbarmherzigen Lauf der Zeit und damit an den Tod erinnert. Chronos betont den quantitativen Aspekt der Zeit, während Kairos, Kronos’ Enkel, den passenden Zeitpunkt oder die Gunst der Stunde verkörpert. Mit ihm gilt es, die Einzigartigkeit des Moments, die Qualität des Jetzt zu spüren, die Gelegenheit „beim Schopfe zu fassen“. Chronischer Zeitmangel lässt den von Kairos geschenkten Augenblick verpassen und kann zu chronischer Müdigkeit, wenn nicht gar zu chronischer Krankheit führen. Der Autor hebt die Bedeutung der Erforschung der flexiblen, humanen Kairos-Zeit hervor, „denn subjektiv fühlen wir alle von der Zeit mehr, als wir von ihr wissen.“

Ein wunderbar geordnetes Zeitgestöber

„50 und mehr Denkansätze zu einem der spannendsten Rätsel der Wissenschaft“ lautet der Untertitel. Naturwissenschaftlich-mathematische und physikalische Sichtweisen renommierte Wissenschaftler aus Ost und West werden dem Leser ebenso nahe gebracht wie philosophische, psychologische und metaphysische. Ein wunderbar geordnetes Zeitgestöber. Während der Leser in einigen Artikeln zum logisch-mathematischen Mitdenken herausgefordert wird, laden andere Artikel zum Staunen und zum Träumen ein oder dazu, ganz aus der Zeit zu fallen, die Sicherheiten des Zeitgerüstst infrage zu stellen oder ins Übersinnliche auszubauen.

Manchmal werden auch die Lachmuskel gereizt, etwa wenn Stephen Hawking Zeitreisende zu einer Party am 28. Juni 2009 einlädt. Zu dem Experiment verschickte er die Einladungen erst nach diesem Datum - um dann am 28. Juni tatsächlich keine Gäste zu begrüßen. Das Experiment läuft noch. Für den Fall dass jemand - jenseits unserer bisherigen Logik - an der Party teilnehmen möchte, sozusagen im Rückwärtsgang unterwegs ist, machte er die Raum-Zeit-Koordinaten der Party öffentlich...

Aus der Fiktion, aus Märchen, Geschichten, Romanen und aus Filmen ist uns die freie Beweglichkeit in Raum und Zeit nicht fremd. Ewig grüßt das Murmeltier denjenigen der in einer Zeitschleife festhängt. Oder Harry Potters Freundin Hermine dreht einfach mal am Medaillon ihrer Halskette, um die Vergangenheit noch einmal zur Gegenwart werden zu lassen, in der neue Handlungsoptionen möglich sind. Auch Max Frisch spielt in seinem Theaterstück „Biografie: Ein Spiel“ mit dieser reizvollen Idee. Jedem werden Beispiele aus Literatur und Film dazu einfallen. Im Buch wird der Erinnerung mit der Liste „Erlesene Romane über Zeitreisen, Zeitschleifen, Zeitanomalien und parallele Zeiten“ auf die Sprünge geholfen. Eine „(signifikante) Auswahl von Filmen zum Faszinosum Zeit“ schließt sich an. Von „Was kommen wird“ (Großbritannien 1936) bis „Wenn du stirbst, zieht dein Leben an dir vorbei, sagen sie“ (USA 2017).

Fotos der zitierten Wissenschaftler aus verschiedenen Zeiten und Ländern sowie Grafiken und Bilder, die Theorien anschaulicher und verständlicher machen, ergänzen viele der Aufsätze. Liebevoll mit einem kleinen Glossar für Fachbegriffe und einem Verzeichnis der verwendeten Literatur und anderer Quellen ausgestattet, umfasst das Buch 352 Seiten. Dem Autor ist ein vielseitiger Blick in den Zeitkosmos gelungen.




Klaus Scharff: „Faszinosum Zeit, 50 und mehr Denkansätze zu einem der spannendsten Rätsel der Wissenschaft“, zeitgeist 2017, 352 S., 17,90 Euro

Online-Flyer Nr. 647  vom 14.02.2018

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