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Kommentar
Kommentar vom Hochblauen
Die EU und die freie Meinungsäußerung?
Von Evelyn Hecht-Galinski

Am 5.Juli  schrieb die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, einen denkwürdigen Brief an den israelischen Minister für Sicherheit und Strategische Angelegenheiten, Gilad Erdan, in dem sie ihm Falschinformationen vorwarf. Nachdem Erdans Ministerium im Mai einen Bericht veröffentlicht hatte, demzufolge der EU vorgeworfen wird, mit Millionengeldern Terror oder Hetze gegen Israel und Nichtregierungsorganisationen, die Verbindungen zu palästinensischen Terrorgruppen haben oder einen Boykott Israels unterstützen, finanzieren würde, wehrte sich Mogherini im Namen der EU und schoss zurück. Mogherini vermutete zu Recht eine bewusste Täuschung und nannte diese Anschuldigungen „haltlos und inakzeptabel“. Der Bericht sei fehlerhaft und schüre bewusst Terrorismus gegen Israel und Boykotte gegen die Besatzung Palästinas über einen Kamm, um so gezielte Desinformationen zu verbreiten. Die EU unterscheide aber klar zwischen israelischem Staatsgebiet und israelisch besetzten Territorien, und die EU lehne jeglichen Versuch ab, Israel zu isolieren und unterstütze die Boykottaufrufe nicht.  Allerdings bestätigt sie das Recht auf BDS als legitime Meinungsäußerung. Mogherini schloss ihren Brief mit einer Einladung an Erdan, um „Beweise“ zu präsentieren, die sie für ihre Anschuldigungen möglicherweise haben. Bis dahin wünsche sie sich eine „offene und transparente Kooperation“ anstatt eines Dialogs durch haltloses Material, das ohne vorherige Absprache veröffentlicht wird.

Soviel mir bekannt ist, ist der Einladung Mogherinis nach Brüssel noch niemand gefolgt. Ganz nach dem altbekannten Motto: „nichts fürchten die Zionisten mehr als die Wahrheit“. Allerdings reagierte Erdan auf den Brief mit der Feststellung, „es ist traurig dass die EU-Außenbeauftragte den Kopf in den Sand steckt“. Wer hier den Kopf in den Sand steckt, lassen wir einmal dahingestellt. (1)(2)

Steht die EU wirklich noch fest zum Schutz der freien Meinungsäußerung und der Versammlungsfreiheit in Übereinstimmung mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und dem Fallrecht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte? Meinungsfreiheit ist auch bei Informationen und Ideen anzuwenden, die den Staat oder irgendeinen Sektor der Bevölkerung verärgern, schockieren oder beunruhigen. Jede Aktion, die dazu führt, den Raum, in welchem Organisationen der Zivilgesellschaft operieren, durch übermäßige Einschränkung der Versammlungsfreiheit einzuschränken, sollte vermieden werden.

Mir scheint allerdings, dass die deutsche Politik alle diese Grundsätze missachtet, wenn es um den „Jüdischen Staat“ geht. Warum sonst ist es möglich, dass quer durch Deutschland undemokratische Beschlüsse von offizieller Seite gegen die Unterstützer der BDS-Kampagne gefasst werden, denen öffentliche Räume für Veranstaltungen verweigert und Diskussionen darüber verhindert werden? Schlimmer noch, die BDS-Bewegung und ihre Unterstützer werden als antisemitisch diffamiert, einem mit nichts zu rechtfertigenden Vorwurf, der nur darauf zielt, BDS den Todesstoß zu versetzen. Ein mehr als durchsichtiges Manöver der  Israel-Lobby, die sich anscheinend stark genug fühlt, dass sie meint, sich in alle Belange der Politik, der Wissenschaft und  Kunst einmischen zu müssen.

Gerade die kürzlich eröffnete  Ruhrtriennale ist ein trauriges Beispiel dafür, wie sich Politik und Israel-Lobby in die Hände spielen. Da wird eine neue Intendantin, Stefanie Carp, mit dem Vorwurf konfrontiert, sie biete Antisemiten ein Forum, nur weil sie es wagte die angesehene schottische Band, die Young Fathers, einzuladen, die die BDS-Kampagne unterstützt. Noch grotesker wurde es dann allerdings, als die Band von Carp auf Druck wieder ausgeladen wurde, obwohl sie den Vorwurf, die Band sei antisemitisch, absurd fand. Als sich Frau Carp dann entschloss, die Band erneut einzuladen, sagte die Band endgültig ab. Eine Band übrigens, die in München beim Eröffnungsfest der Kammerspiele auftrat, ebenso in Köln, und niemand störte sich daran. Frau Carp äußerte in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung zu Recht den Verdacht, dass hier etwas populistisch am Zündeln gehalten wird. Zumal dann noch als peinliche Steigerung der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, seine Teilnahme an der Ruhrtriennale absagte.

Ein Schelm, der Böses dabei denkt, plant Laschet doch seinen Antrittsbesuch als Ministerpräsident im „Jüdischen Staat“ im September und will diesen Besuch sicherlich in großer Harmonie absolvieren, wie schon so viele deutsche Politiker vor ihm.

Man gab der Intendantin noch mal eine „Gnadenfrist“, so dass sie vorerst bleiben darf! Nachdem sich Carp in einem Brief an die Mitglieder des Kulturausschusses im Landtag gewandt hatte, um „Verstörung und Missverständnisse“ auszuräumen, die während ihres Auftritts im Ausschuss vergangene Woche entstanden seien. Carp hatte sich dort auch auf mehrfache Nachfrage der Abgeordneten nicht zum Existenzrecht Israels bekennen wollen. In ihrem knappen Schreiben holte Carp dieses Bekenntnis nun zwar nach, distanzierte sich allerdings auch weiterhin nicht wie gefordert von der (nicht!) „umstrittenen“ BDS-Kampagne.

Schon nannte der NRW-CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen das Verhalten der Intendantin „beschämend“ und „unglaubwürdig“. CDU- Abgeordnete würden deshalb das Festival nicht wie geplant besuchen. Nicht nur diese Formulierung des einflussreichen Chefs der größten Regierungsfraktion deutet daraufhin, dass Stefanie Carp nach der diesjährigen Spielzeit im Herbst abgelöst werden soll.

Das ist, wie ich meine, ein unglaublicher Vorgang, der sich dort abspielt. Da wird eine Intendantin inquisitorisch vor einen Ausschuss gebeten und soll Abbitte leisten, sich von BDS distanzieren und ein Existenzrecht eines „jüdischen Apartheidstaates“, ohne feste Grenzen und ohne eine Verfassung bestätigen. Weil sie nicht sofort parierte, muss sie nun mit Konsequenzen rechnen. Hier haben wir es mit einem so offensichtlichen Skandal zu tun, der in erschreckender Weise zeigt, wie viel Macht die Israel-Lobby in Wirklichkeit hat. Es ist zwar nicht der erste Fall und wird sicher nicht der letzte sein, aber in diesem Fall sollte es einen Aufschrei geben, der sich ob solcher Willkür solidarisch widersetzt! Wir alle sind BDS und unterstützen sicher kein Existenzrechts eines Besatzerstaates, dessen Parlament gerade beschlossen hat, ein Nationalstaat der Juden zu sein, und nicht der Staat aller seiner Bürger, und der sich damit der Demokratie endgültig entzogen und zu einem Besatzungs- und Apartheidstaat entwickelt hat, dessen Unterstützung alle unsere auf dem Grundgesetz existierenden Werte, die immer wieder und gerade von CDU/CSU Politikern so vollmundig gefordert werden, mit Füßen getreten werden.

Rückendeckung bekam die Ruhrtriennale-Chefin dankenswerter Weise von einem der berühmtesten Musiktheater-Regisseure, dem Schweizer Christoph Marthaler, der in einem offenen Brief an Laschet sein Fernbleiben kritisiert und ihm vorgeworfen hat, sich der Debatte zu entziehen und durch die „Verweigerung eine Symbolik betreibt, die alle kritischen Auseinandersetzungen verunmöglicht“, außerdem werde Stefanie Carp durch die Antisemitismusvorwürfe zu Unrecht diskreditiert. Da muss also erst ein berühmter Schweizer kommen, um sich vor die Intendantin zu stellen. Ganz typisch dabei, dass sich wieder einmal kein deutscher Künstler dazu bereitfand, die nur immer den Mund aufmachen, wenn es heißt, den „Jüdischen Staat“ zu unterstützen. (3)

So muss es endlich zu einer Umkehr kommen, und die Mehrheit der Deutschen sollte sich nicht mehr einschüchtern lassen von abwegigen Vergleichen, die historisch völlig unbegründet sind und nur dazu dienen, die BDS-Bewegung als antisemitisch zu verunglimpfen. Es heißt eben nicht, wie uns vorgegaukelt wird „Kauft nicht beim Juden“, sondern es heißt „Kauft nicht beim jüdischen Besatzer“. Immer mehr jüdische Bürger, Intellektuelle und Künstler weltweit schließen sich der BDS-Kampagne an, das lässt hoffen. Schließlich ist es gerade in Zeiten von Gaza-Massakern, der immer weiter gehenden illegalen Besatzung Palästinas und dem Versuch der endgültigen Annexion und Judaisierung geboten, geschlossen für die Freiheit Palästinas einzustehen. Wir brauchen hier Politiker wie den aufrechten britischen Labour-Vorsitzenden Corbyn, den viele Künstler unterstützen, die sich für den kulturellen Boykott des „Jüdischen Staates“ einsetzen. Dass jüdische Zeitungen in Großbritannien beginnen, ihn mit zu Schmutz bewerfen, war nur eine Frage der Zeit.

Wer die Brutalität und Kriminalität der illegalen Besatzung Palästinas so hilflos mitansehen muss wie wir alle, dank der Unterstützung der sogenannten „Wertegemeinschaft“, die ja diese Besatzung erst ermöglicht, der muss die BDS-Bewegung unterstützen. Der bekannte israelische Haaretz-Journalist Gideon Levy drückte es in einem Alaraby-Interview so treffend aus: „Ich kenne kein besseres Werkzeug als die BDS-Bewegung, um die israelische Gesellschaft zu erschüttern. Ich war jahrelang gegen BDS, aber wenn ich sehe, dass es in der israelischen Gesellschaft keine Hoffnung gibt, ist die BDS-Bewegung das einzig wirksame Instrument; zumindest ist es ein gewaltfreies Instrument. Es hat nichts mit Blutvergießen zu tun. Ich glaube wirklich, dass es einen Einfluss wie in der Apartheid in Südafrika haben könnte. Es ist unmöglich, Israel von seiner Besatzung zu trennen. Israel hat es mit dem System der Gehirnwäsche geschafft, die Vorstellung zu verbreiten, dass jede Kritik an Israel von antisemitischen Emotionen kommt, was offensichtlich eine Lüge ist. Aber das System der Gehirnwäsche in Israel, zu dem auch die Medien gehören, ist sehr effektiv bei der Verbreitung dieses Begriffs“.  So Gideon Levy. (4)

Diese Art der Gehirnwäsche ist inzwischen auch sehr erfolgreich in Deutschland und wird medial unterstützt. Lassen wir uns nicht für dumm verkaufen und leisten wir keine Unterstützung des „Jüdischen Apartheidstaates“. Gerade in Deutschland sollten wir das „Nie wieder“ sehr ernst nehmen. Nicht die muslimischen Flüchtlinge sollten für dieses  „Nie wieder“ in Haftung genommen werden, sondern die Unterstützer der illegalen jüdischen Besatzer Palästinas, die das Andenken an den Holocaust instrumentalisieren und neues Unrecht mit begangenem rechtfertigen wollen. Da kann ich immer wieder nur meinen Vater Heinz Galinski und sein Lebensmotto nach dem überlebten Holocaust zitieren: „Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen“!

Schweigen wir nicht, wenn uns das Recht auf freie Meinungsäußerung versagt werden soll.


Fußnoten:

(1) https://aawsat.com/english/home/article/1335421/mogherini-accuses-israeli-minister-making-%E2%80%98unfounded%E2%80%99-allegations-against-eu
(2) http://bds-kampagne.de/hintergrund/europische-union/
(3) https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/ruhrtriennale-carp-laschet-100.html
(4) https://www.alaraby.co.uk/english/indepth/2018/2/15/gideon-levy-on-hamas-bds-and-the-israeli-occupation


Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, ist Publizistin und Autorin. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom "Hochblauen", dem 1165 m hohen "Hausberg" im Badischen, wo sie mit ihrem Ehemann Benjamin Hecht lebt. (http://sicht-vom-hochblauen.de/) 2012 kam ihr Buch "Das elfte Gebot: Israel darf alles" heraus. Erschienen im tz-Verlag, ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. Am 28. September 2014 wurde sie von der NRhZ mit dem vierten "Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik" ausgezeichnet.


Siehe auch:

Erklärung der Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden (PPF)
Solidarität mit Stefanie Carp und der Ruhrtriennale 2018
Von Bernhard Nolz
NRhZ 670 vom 22.08.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25105

Online-Flyer Nr. 670  vom 22.08.2018

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