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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Globales
Aufklärungsdebatte
Lektion über Freiheit und Demokratie
Von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait

Der Leitartikel von Heribert Prantl „Grundgesetz – Vergessene Helden“ (SZ, 4.8.2018) ist hochinteressant, denn er sollte eine Aufklärungsdebatte veranlassen darüber, wie und unter welchen Umständen das Grundgesetz zustande kam. So wertvoll auch das Grundgesetz im Vergleich mit vorhergehenden Verfassungen und denen anderer Länder ist, genügt es jedoch nicht, um eine funktionierende rechtsstaatliche Demokratie mit respektierten Menschenrechten hierzulande sicherzustellen. Deutschland hat keine demokratische Tradition, keine demokratische Friedensgeschichte, sondern eine lange miese Tradition an Gewalttätigkeiten, geprägt von dominanter Willkür und Intoleranz, also alles andere als eine geistige, intellektuelle Basis für eine Demokratie, die selbstverständlich nicht improvisiert, nicht diktiert, nicht verschrieben werden kann.

Es ist bekannt, dass Nazi-Deutschland nur militärisch besiegt war, aber nicht politisch. Der Faschismus blieb lebendig an der Spitze der westdeutschen Gesellschaft und in ihrer Mitte verankert. Diese hässliche Wirklichkeit entblößte sich vor allem in den sechziger Jahren, als ein NSDAP-Mitglied, nämlich Georg Kiesinger, Kanzler der westdeutschen Bundesrepublik wurde, ein früherer leitender Ribbentrop-Mitarbeiter und Goebbels-Journalist, der maßgeblichen Einfluss auf die nazistische Propaganda ausübte, nachweislich die Pogromhetze gegen Juden im Ausland lenkte und die 5. Kolonne Hitlers über den Äther organisieren half. Dieser Mann wurde Bundeskanzler ohne Proteste außer die öffentliche Ohrfeige von Beate Klarsfeld, die entschieden gegen diesen verderblichen politischen Zustand in der Bundesrepublik kämpfte.

"Zu den Stützen der Hitlerdiktatur, den Wegbereitern und Nutznießern der Judenverfolgung, den Organisatoren und Kommandeuren der Überfälle auf fast alle Länder Europas, zu den überführten Mördern von Antifaschisten und Widerstandskämpfern, die bis in die 60iger Jahre in Westdeutschland wieder tätig waren, zählen:
  • der Bundespräsident Heinrich Lübke,
  • 20 Angehörige des Bundeskabinetts und Staatssekretäre,
  • 189 Generale, Admirale und Offiziere in der Bundeswehr oder in den NATO-Führungsstäben sowie Beamte im Kriegsministerium,
  • 1118 hohe Justizbeamte, Staatsanwälte und Richter,
  • 244 leitende Beamte des Auswärtigen Amtes, der Bonner Botschaften und Konsulate,
  • 300 Beamte der Polizei und des Verfassungsschutzes sowie anderer Bundesministerien."
(„Braunbuch“, Herausgeber: Nationalrat der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland und Dokumentationszentrum der Staatlichen Archivverwaltung der DDR, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1968 - arbrufbar unter archive.org, Wortwahl leicht abgeändert d.A.)

Unaufgeklärte deutsche Wählerschaft

Eine tadellose solide demokratische Persönlichkeit wie Hildegard Hamm-Brücher wurde nicht von den kleinkarierten politischen Post-Nazi-Herrschaftskreisen wertgeschätzt und anerkannt, um sie als Bundespräsidentin zu wählen. Auch Beate Klarsfeld hatte keine Chance, Bundespräsidentin zu werden. (1) Die an der westdeutschen Macht befindlichen Parteien und ihre Medien blieben Nachfolger des besiegten Nazi-Faschismus, untauglich als Anwälte für eine gut funktionierende Demokratie zu kämpfen. Die CDU ist immer noch die stärkste Kraft und wird immer wieder von einer unaufgeklärten deutschen Wählerschaft gewählt. Auch wenn das Grundgesetz beispielhaft ist, was die Menschenrechte angeht, hilft es aber gar nicht bei einem Volk, bei einer Masse, die ungebildet, gleichgültig und ignorant bleibt, was Werte bedeuten. Eine Masse, die sich hauptsächlich für Konsum und Sensationalismus bewegen lässt, hat kein Interesse an geistiger Bildung. Wie kann eine Demokratie in einer solcher Massen-Gesellschaft funktionieren? Viel wirksamer und fortschrittlicher wäre eine autoritäre deutsche Regierung, eine Regierung mit einer starken Führung. Eine starke Führung bedeutet nicht, die Freiheit auszuschließen, sondern die Unterlassung erforderlicher Maßnahmen und die Ineffizienz zu beenden.

Grundgesetz nach Verordnung der westlichen Alliierten, Konstitution der DDR aus eigener Initiative


Was das Grundgesetz betrifft, entstand es aus keiner Initiative der Deutschen, sondern nach Verordnung der westlichen Alliierten, die Westdeutschland unter ihrer Besatzung kontrollierten. Sie bestimmten die Personen, die die Verfassung eines Staates auf dem Gebiet der westlichen Besatzungszonen zu erarbeiten hatten. Dagegen konstituierte sich der erste sozialistische deutsche Staat, die Deutsche Demokratische Republik, aus eigener Initiative, als dezidierte Reaktion auf die Erfahrung mit dem deutschen Faschismus und als Antwort auf das fremde Herauslösen der westlichen Besatzungszonen aus dem deutschen Nationalverbund zur Gründung eines westdeutschen Staates. Bei welchem der beiden deutschen Staaten die Staatsgründung, seine Konstituierung als legitim anzuerkennen ist, kann der Leser selbst überlegen, nachforschen und diskutieren.

Erbärmliches Demokratie-Verständnis der Berliner Regierung

Politiker und Journalisten posaunen hierzulande wiederholt „Freiheit“ und „Demokratie“ hoch hinaus und stellen die Freiheit ganz oben hin als etwas besonderes, als allen anderen Werten überlegen. Das Demokratie-Verständnis der Berliner Regierung ist aber erbärmlich prekär. Dieser erbärmliche Zustand zeigt sich vor allem an der deutschen Außenpolitik, an ihrer fehlenden Kritik an Unrechtsregimen wie Saudi-Arabien, eine absolutistische Monarchie, die menschenverachtend handelt und seit 2015 einen grausamen Krieg gegen den Jemen führt. Saudi-Arabien ist eine Monarchie mit einem Allein-Herrscher. Das Land ist nach der herrschenden Familie Saud benannt. Im Gegensatz zum Iran gibt es hier keine politische Kultur, keine Pluralität im politischen System. Iran ist viel weiter als Saudi-Arabien an den Westen angenähert. Saudi-Arabien hat immer wieder gedroht, den Krieg in den Iran zu tragen. Seit Jahren führt es einen erbarmungslosen Krieg gegen den Jemen und unterstützt offiziell Terroristen in Syrien. Dieses Regime erhält aber keine Kritik aus Berlin.

Auch Israel bleibt von jeder Berliner Kritik verschont, ein diskriminierender so genannter „jüdischer Staat“, der ein Teil seiner Bevölkerung ausschließt und ebenso einen unverhältnismäßigen willkürlichen Angriffskrieg führt, nämlich wiederholt gegen Gaza wie jetzt erneut und damit die Spannungen im Nahen Osten weiter eskaliert. Dass diese „Rüpel- und Rempel-Politik“ (so Moritz Baumstieger in SZ am 10.8.2018) beider illegitimen Regimes, Saudi-Arabien und Israel, nicht groß verurteilt wird, ist erschreckend und offenkundigt die undemokratische Gesinnung bei der CDU/CSU/SPD-Herrschaft hierzulande. Israel ist nicht als Demokratie zu bezeichnen: Auf Wegen des Unrechts ist keine rechtmäßige Gesellschaft, kein funktionierender demokratischer Rechtsstaat aufzubauen.

Staat als juristische Personifizierung einer Nation weder jüdisch, noch moslemisch noch christlich

Der SZ-Leitartikel vom 2.8.2018: „Israel – Illiberale Demokratie“ von Alexandra Föderl-Schmid ist der erste in der Süddeutschen Zeitung, der den Unrechtsstaat Israel als Besatzungsmacht an den Pranger stellt, als konstruierter Staat, ohne definierte endgültige Staatsgrenzen. Ein Staat kann weder jüdisch, noch moslemisch noch christlich sein. Der Staat als juristische Personifizierung einer Nation ist lediglich die politische Organisation einer solchen Nation, die im Fall Israels einen großen Teil von moslemischen Arabern und Christen einschließt.

Die gerechtfertigte, erforderliche Kritik an der Apartheidpolitik der israelischen Regierung und weite Teile der dortigen Gesellschaft als „antisemitisch“ medial zu disqualifizieren, signalisiert das erheblich verkümmerte menschliche Mitgefühl in Deutschland mit den vielen Menschen, die in Israel diskriminiert werden und in einer Art Apartheid gezwungen sind zu leben. Ein illegaler Besatzer wie Israel verdient keine Anerkennung. „Sicherheitskooperation“ mit einem wiederholten Aggressor ist der größte Humbug. Eine UN-Resolution vom November 1975 bezeichnet den Zionismus als eine Form des Rassismus und der Rassendiskriminierung.

Nicht jedes Gesetz ist legitim: Legalisation nicht gleich Legitimation


Mit einem diskriminierenden unsinnigen Nationalstaatsgesetz legalisiert die Netanjahu-Regierung eine Apartheid, die das Unrechtsregime Israels kennzeichnet und Anlass für mehr Gewalt und Unruhe innerhalb der israelischen Gesellschaft gibt. In der Tat hat sich die Spaltung der Gesellschaft weiter vertieft. 60 Prozent wünschen die Gleichheit aller Bürger, ungeachtet von Religion oder Herkunft, wie die Unabhängigkeitserklärung 1948 festlegte. Das diskriminierende Nationalstaatsgesetz legitimiert überhaupt nicht die Ungleichbehandlung und Ausgrenzung der Palästinenser. Es legalisiert sie nur skandalöserweise, wie schon die Gesetze im Dritten Reich von Nazi-Deutschland die Handlungen eines verbrecherischen Regimes legalisierten, aber keineswegs die faschistischen Unrechtshandlungen legitimierten. Aus den so genannten „demokratischen“ EU-Regierungen, die ihre angeblichen Werte immer marktschreierisch vor sich hertragen, hört man keine Ablehnung, keine Kritik, keine Reaktion auf diese inakzeptable neue menschenverachtende Machtdemonstration des Netanjahu-Regimes. Nicht einmal Sanktionen gegen Tel-Aviv, die jetzt wirklich erforderlich wären, werden in Brüssel erwähnt. Dagegen "äußert die Abschlusserklärung des Arabisch-Internationalen Gerechtigkeitsforum für Palästina in Beirut Ende Juli klare Kritik am 'Jahrhundertdeal', am Nationalstaatsgesetz Israels und an der offenkundigen Apartheidpolitik als gegen die Selbstbestimmung gerichtete Gefahr für die Region." („Gegen die Dämonisierung der Opfer“ von Günter Pohl, UZ, 10.8.2018) Redaktionen der öffentlich-rechtlichen Sender und der großen Tageszeitungen – bezeichnend für die undemokratischen Zustände in Deutschland - verschweigen diese Konferenz, die in Beirut Ende Juli stattfand, bei der "Organisationen aus dem gesamten arabischen Raum und unter anderem Vertreter aus Irland, Griechenland und den USA anwesend waren. Aus Palästina kamen die demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP), die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), Al-Fatah und Hamas." („Gegen die Dämonisierung der Opfer“ von Günter Pohl, UZ, 10.8.2018)

Freiheit impliziert Unabhängigkeit


Nun, kann es Freiheit in einem Vasallen-Staat geben? Freiheit impliziert die Unabhängigkeit von dem willkürlichen Willen eines anderen. Als solche, ist die Freiheit primär die Freiheit von Individuen, die keine Sklaven sind und deshalb nicht einem willkürlichen Zwang unterworfen sind. Die Sklaven besaßen keine Freiheit: Sie waren dem Willen anderer unterworfen. Die ursprüngliche Bedeutung von Freiheit beschreibt ein einziges Merkmal: Die Abwesenheit von Zwang und Domination. Eine freie Person hat kein Dominus, hängt nicht von einem fremden Willen ab, um ihr Leben selbst zu bestimmen.

Deutsche Staatsbürger noch nicht über ihren freien Weg fern von NATO-Zwang geäußert


Ist dies der Zustand der heutigen Bundesrepublik Deutschland? War dies der Zustand von Westdeutschland, als das Grundgesetz verabschiedet wurde? Siebzig Jahre danach, 2018, haben sich die deutschen Staatsbürger noch nicht über ihren freien Weg fern von NATO-Zwang geäußert. Der Grundgesetz-Art. 146 bleibt letra muerta, unausgeführt. Selbst die Einheit Deutschlands 1990 kam unter fremden Zwang zustande, nämlich die Mitgliedschaft von Gesamtdeutschland in der NATO, eine US-Bedingung für die US-amerikanische Zustimmung zur deutschen Einheit.

Deutsche Anmaßung in Syrien kläglich gescheitert – Lektion in Sachen Freiheit


So wenig versteht die Berliner Regierung von Freiheit, dass sie es sogar wagt, anderen Staatsbürgern auf anderem Territorium deren Verfassung zu diktieren. Bei Syrien ist diese deutsche Anmaßung kläglich gescheitert. Das syrische Volk gibt Deutschland eine Lektion in Sachen Freiheit, wenn es an der Seite seiner tapferen Regierung gegen die Intervention von fremden Kräften erfolgreich kämpft und selbst seinen politischen Weg bestimmen will.


Verfasst am 10. August 2018 unter Bezugnahme auf Leitartikel in Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 4.8.2018: „Grundgesetz – Vergessene Helden“ von Heribert Prantl und SZ-Leitartikel vom 2.8.2018: „Israel – Illiberale Demokratie“ von Alexandra Föderl-Schmid


Luz María de Stéfano Zuloaga de Lenkait ist chilenische Rechtsanwältin und Diplomatin (a.D.). Sie war tätig im Außenministerium und wurde unter der Militärdiktatur aus dem Auswärtigen Dienst entlassen. In Deutschland hat sie sich öffentlich engagiert für den friedlichen Übergang der chilenischen Militärdiktatur zum freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat, u.a. mit Erstellen von Gutachten für Mitglieder des Deutschen Bundestages und Pressearbeit, die Einheit beider deutschen Staaten als ein Akt der Souveränität in Selbstbestimmung der beiden UN-Mitglieder frei von fremden Truppen und Militärbündnissen, einen respektvollen rechtmäßigen Umgang mit dem vormaligen Staatsoberhaupt der Deutschen Demokratischen Republik Erich Honecker im vereinten Deutschland, für die deutsche Friedensbewegung, für bessere Kenntnis des Völkerrechts und seine Einhaltung, vor allem bei Politikern, ihren Mitarbeitern und in Redaktionen. Publikationen von ihr sind in chilenischen Tageszeitungen erschienen (El Mercurio, La Epoca), im südamerikanischen Magazin “Perfiles Liberales”, und im Internet, u.a. bei Attac, Portal Amerika 21, Palästina-Portal. Einige ihrer Gutachten (so zum Irak-Krieg 1991) befinden sich in der Bibliothek des Deutschen Bundestages.



Fussnote:


1 Siehe zur Rolle von Beate Klarsfeld:
Nazijägerin Beate Klarsfeld kam nach 40 Jahren nach Essen zurück - Ohrfeige für Sarkozy?
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 340 vom 08.02.2012
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17473

Online-Flyer Nr. 670  vom 22.08.2018

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