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Literatur
Aus dem Buch "Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts" (2)
Wie Angela Merkel und Blackstone den deutschen Kapitalismus veränderten – das war 2006: Erinnert sich jemand?
Von Werner Rügemer

Zur „Agenda 2010“ der SPD/Grünen-Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder gehörte die „Entflechtung der Deutschland AG“. Die Regierung lud mit Steuervorteilen, Niedriglöhnen und geschwächten Gewerkschaften internationale Investoren, insbesondere aus den USA ein, deutsche Unternehmen zu kaufen. Zu den ersten Käufern gehörten die Private Equity-Investoren („Heuschrecken“) Blackstone, KKR, Permira, Carlyle. Ab 2000 kauften sie reihenweise marktführende Mittelstandsunternehmen, die nicht an der Börse gelistet waren auf, überschuldeten sie, weideten sie aus und verkauften sie „verschlankt“ weiter. Eine besonders markante und folgenreiche war der Kauf eines eigentlich ganz kleinen Aktienanteils des privatisierten Telekom-Konzerns durch Blackstone. Dazu veröffentlichen wir ein Kapitel aus dem neuen Buch von Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts.


Blackstone steigt in Deutsche Telekom AG ein

Anfang 2006 kaufte der US-amerikanische Private Equity-Investor Blackstone 4,5 Prozent der Aktien der Deutsche Telekom AG. Dieses kleine Aktienpäckchen löste eine tiefgreifende Veränderung aus.

Nach einem Jahr bilanzierte die englische Ausgabe der Financial Times: Die gegensätzlichen „Kulturen“ des räuberischen US-Kapitalismus neuerer Prägung und die deutsche soziale Marktwirtschaft waren bei der Deutschen Telekom massiv aufeinander geprallt wie bisher nirgends. Ergebnis des Konflikts: Die Bundesregierung, vertreten durch die Schröder-Nachfolgerin Angela Merkel, hatte zusammen mit Blackstone „den deutschen Kapitalismus verändert“. (1)

Das klang für manche unwahrscheinlich: Das ganze System des wichtigsten kapitalistischen Staates in Europa tiefgreifend verändern, durch einen 4,5 Prozent-Anteil an einem einzigen Unternehmen?

Hinter den Kulissen

Seit der Privatisierung der Deutschen Telekom (Ausgliederung aus der Deutschen Bundespost) 1995 hatte der Staat schrittweise Aktien an ausländische Investoren verkauft. „Streubesitz“ hieß das. Nie wurden Namen genannt. Der Start war ja beschönigend mit dem Versprechen einer „Volksaktie“ gemacht worden, die jedermann und jederfrau zugänglich sein sollte und auch eifrig und gläubig gekauft worden war. Das ergab dann zwar nach einiger Zeit Verluste für die neugläubigen Volksaktionäre in der Ära des Bundeskanzlers Kohl, aber das war nun lange her.

Die Große Koalition aus CDU, CSU und SPD unter Angela Merkel suchte 2005 nach einem gewichtigen Aktionär, der aus der Deutschen Telekom endlich einen richtigen Global Player machen sollte. Drei Private Equity-Investoren – Apollo (USA), BC Partners (GB) und General Capital (D) machten zusammen ein nicht-öffentliches Angebot für ein 30 Prozent-Paket. Das hätte mindestens 16 Milliarden Euro in die deutsche Staatskasse gebracht.

Aber Merkel wollte die SPD und die Gewerkschaften nicht aufscheuchen. Zugleich hatte auf der anderen Seite des Atlantiks der Chef des einflussreichsten Private Equity-Investors Blackstone von dem Angebot gehört. Dessen Chef Stephen Schwarzman rief, so einfach geht es in der westlichen Kapital-Demokratie gelegentlich zu, die deutsche Bundeskanzlerin in Berlin an und tauchte einige Tage später in ihrem Büro mit einer bunten Powerpoint-Präsentation auf. (2)

Schon eine Woche später war Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) zur Wall Street in New York „bestellt“. Die Investmentbank Citigroup arrangierte ein Dinner mit wichtigen Bankern, so wie es Citigroup-Chef Sandy Weil einige Jahre zuvor, vor Verabschiedung der Agenda 2010 im deutschen Bundestag, mit Bundeskanzler Schröder auch gemacht hatte. Der Sozialdemokrat Steinbrück und der Blackstone-Chef einigten sich schnell: Aus Rücksicht auf die traditionell starke Position der Gewerkschaft verdi in der Telekom, die zudem ein urdeutsches Juwel sei, müsse der Blackstone-Anteil gering bleiben, sozusagen fast unauffällig. Dafür aber bleibe der deutsche Staat der bei weitem größte Aktionär, behalte die Sperrminorität mit über 25 Prozent und könne damit Blackstone als zweitwichtigsten Aktionär effizient unterstützen. Blackstone bekäme einen Sitz im Aufsichtsrat, und die Bundesregierung werde Blackstones Reformen „im Stillen und hinter der Szene“ unterstützen. Außerdem werde die Bundesregierung Blackstone bei weiteren Investitionen in Deutschland und in der EU behilflich sein – Blackstone hatte sich vorher ergebnislos um einen Einstieg in Telekom-Unternehmen Italiens und Spaniens bemüht.

Die  latente „Heuschrecken“-Frage

Dieser Einstieg bei der Telekom war für Blackstone ganz untypisch: vergleichsweise winziger Aktienanteil, ungewöhnliche Rücksichten auf Gewerkschaften und auch noch auf das Innenleben einer Regierung. Doch Schwarzman sah die Vorteile des Geheimbundes mit der wichtigsten Regierung in der EU. Die staatliche KfW, die die Verhandlungen im Einzelnen führte, ließ die Konkurrenten Blackstones absprachegemäß auflaufen.

Doch die Kennzeichnung der Investoren wie KKR und Blackstone als „Heuschrecken“ durch Müntefering schien den abgebrühten Blackstone-Chef tief getroffen zu haben. Bei einem ihrer Treffen mit internationalen Spitzenmanagern lobte Merkel den Standort Deutschland als vorbildlich. Das fand allgemeine Zustimmung. Aber Schwarzman stand auf und fragte: Wie könne es dann sein, dass ein Mitglied ihrer Regierung ihn als Insekt titulieren dürfe? Merkel beruhigte ihn, wie die Frankfurter Allgemeine aus dem Regierungs- und Investoren-Nähkästchen plaudern durfte. (3) Müntefering hatte die Kritik nicht wiederholt, und die SPD-Linke hielt still.

Gewerkschaft entmachten, Löhne kürzen, Arbeitszeit verlängern

Blackstone kaufte die 4,5 Prozent der Aktien für 2,7 Milliarden Euro. Den größten Teil brachte der Investor auch hier mithilfe eines Kredits auf. Mehr als die Hälfte des Kredits durfte, das war Teil des Deals, die Deutsche Bank vergeben. Um Blackstone nicht ungebührlich mit den 5 Prozent-Zinsen zu belasten, ließ die Bundesregierung 138 Millionen Euro aus der Telekom-Kasse an Blackstone überweisen – für die Zinszahlung an die Deutsche Bank für das ganze Jahr.

Blackstone entsandte Lawrence Guffey in den 20köpfigen Aufsichtsrat der Telekom. Guffey steuerte von London aus die  Telekommunikations-Beteiligungen der Blackstone Group. Im Aufsichtsrat sagte er so wenig wie möglich, bat aber freundlich darum, mit Larry angesprochen zu werden. Dafür stimmte er sich hinter den Kulissen mit Steinbrück und dem Kanzleramt ab. Als erstes verlangte er die Entlassung des Vorstandsvorsitzenden Kai-Uwe Ricke, des Finanzvorstands Karl-Gerhard Eick und des Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Zumwinkel. Vor allem die Gewerkschaftsmitglieder im Aufsichtsrat staunten: Wie konnte ein Minderheitsvertreter so frech sein? Bei diesen Forderungen sprach Guffey plötzlich sehr schnell und unfreundlich, und die Gewerkschafter nestelten an ihren Kopfhörern, um die Übersetzung mitzukriegen. Die Staatssekretäre, die den Bund vertraten, lächelten geheimnisvoll. Ricke und Eick mussten gehen. Zumwinkel durfte bleiben – als gleichzeitiger Chef der privatisierten Deutschen Post, ebenfalls mit dem Bund als Hauptaktionär, wäre seine Entlassung doch zu heftig gewesen.

Guffey und Steinbrück zauberten kurzfristig einen Ricke-Nachfolger aus dem Hut, einen strebsamen jungen Aufsteiger namens René Obermann. Der stellte sich mit einem Restrukturierungsplan vor, den er kaum selbst hatte ausarbeiten können. Zu dem Plan gehörte vor allem eine Lohnsenkung um 12 Prozent für die Stammbelegschaft von 50.000 Mitarbeitern. Die Gewerkschaft verdi organisierte einen wochenlangen Streik. Gegenpart war der Telekom-Personalchef Thomas Sattelberger: Der ehemalige Mitbegründer des Kommunistischen Arbeiterbundes Deutschland (KABD) hatte sich wie manche seinesgleichen zum Blackstone-Fan gewandelt. (4) Ergebnis des Streiks: Die 50.000 Mitarbeiter werden in die Service-Tochter T-Service ausgelagert, der Lohn wird „nur“ um 6,5 Prozent gesenkt, die Arbeitszeit wird um vier Stunden erhöht und flexibilisiert. An der Börse herrschte „helle Freude“. (5)

Damit war die Gewerkschaft in einem der wichtigsten Unternehmen, in dem sie mit hohem Organisationsgrad vertreten war, entscheidend geschwächt. Klarer als zuvor wurde praktisch demonstriert: Der Staat vertritt nicht die Interessen der abhängig Beschäftigten, und ein SPD-Arbeitsminister ist kein Gewerkschafts-Freund. Die sogenannten Volksparteien hatten sich als Vertreter privater Minderheitsinteressen gezeigt.

Exit

Blackstone hatte sich verpflichtet, den Aktienanteil zwei Jahre zu halten. Das war genug. „In kaum einem anderen deutschen Unternehmen lässt sich die Geschichte der Globalisierung so gut verfolgen wie bei der Deutschen Telekom. Internationale Investoren haben den Konzernchef entmachtet,“ berichtete zustimmend das Handelsblatt. (6)

Nach der „Heuschrecken“-Polemik und dem Einstieg von Blackstone in die Deutsche Telekom vergab Steinbrück 2006 den Auftrag, die bisherigen Erfahrungen mit Private Equity auszuwerten. Beauftragt wurde die Professorin Ann-Kristin Achleitner, Ehefrau von Paul Achleitner. Der hatte für Goldman Sachs die Treuhand-Anstalt beraten und war seit 1998 im Vorstand der Allianz, die mit der Tochtergesellschaft Allianz Private Equity Partners (APEP) selbst als einschlägiger Investor tätig war. Frau Achleitner war Direktorin des von der staatlichen KfW-Bank finanzierten Stiftungslehrstuhls für Unternehmensfinanzierung an der TU München. Den Auftrag Steinbrücks führte sie zusammen mit der US-Wirtschaftskanzlei White & Case durch, die Private Equity-Investoren beriet. Ergebnis der Studie: Private Equity ist gut für Deutschland, aber die Regierung sollte den Investoren noch weitere Steuererleichterungen verschaffen. (7)

Die Investoren saßen nun in Deutschland fest im Sattel. Und die Kritik war beendet. Paul Achleitner wurde später Chef des Aufsichtsrates der Deutschen Bank.


Fußnoten:

1 Private Equity. How Merkel and Blackstone changed German capitalism. Financial Times 2.7.2007
2 Die Darstellung folgt, wenn nicht anders vermerkt, der Financial Times vom 2.7.2007
3 Daniel Schäfer: Herrscher der Welt GmbH, FAZ 21.11.2006
4 Rügemer/ Wigand. Die Fertigmacher a.a.O., S. 72f.
5 Telekom-Mitarbeiter fühlen sich von Gewerkschaft verraten, SPON 20.6.2007
6 Amerikanische Verhältnisse, Handelsblatt 24.11.2006
7 Christof Kaserer / Ann-Kristin Achleitner u.a.: Erwerb und Übernahme von Firmen durch Finanzinvestoren, insbesondere Private Equity-Investoren, 2007, hier zitiert nach Jowett, Private Equity a.a.O., S. 502 und 530


Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Gemeinverständlicher Abriss zu den neuen Finanzakteuren




360 Seiten, 19,90 Euro, Papyrossa-Verlag, Köln. Typologie und Praktiken von BlackRock, Blackstone, Hedgefunds und anderer unregulierter Schattenbanken sowie deren Beraterheere (Wirtschaftskanzleien, Wirtschafts"prüfer", Unternehmensberater, Ratingagenturen, PR) bei der Verwertung der aufgekauften Unternehmen, Banken und Krisenstaaten. Regulatory capture, systemische Rechtsverletzungen, prekäre Arbeitsverhältnisse, populistische Politik, Parallelgesellschaft in Finanzoasen. Porträts von Fink/BlackRock, Schwarzman/Blackstone, Thiel/Founders Fund, Dalio/Bridgewater, Bezos/Amazon, Schmidt/Google sowie von Ross, Kornblum, Rohatyn, Macron/Lazard/Rothschild. Kooperation von Google&Co mit Militär. Konflikt USA-EU-China. Vergleich des westlichen Kapitalismus mit China (Menschenrechte, Völkerrecht, erneuerbare Energien, Arbeitseinkommen, Armuts- und Korruptionsbekämpfung, wirtschaftliche Gesamtentwicklung, Globalisierung). Das Buch erscheint in chinesischer Sprache auch in China.


Siehe auch:

Auszug 1
Die neuen Finanzmächtigen im westlichen Kapitalismus
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25292


Veranstaltungshinweis:

Werner Rügemer liest aus "Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts"
Galerie Arbeiterfotografie, Merheimer Str. 107, 50733 Köln
Freitag, 23. November 2018, 20 Uhr

Online-Flyer Nr. 678  vom 17.10.2018

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