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Arbeit und Soziales
Praxistest im Kleinen: Seit 2014 wird in Berlin Menschen ein Jahr lang ein bedingungsloses Grundeinkommen zugelost
Das große Los
Von Harald Schauff
Was würdest du tun, wenn du einfach so jeden Monat 1000 Euro zur freien Verfügung erhieltest? Für über 200 Menschen stellt sich diese Frage ganz praktisch bzw. hat sich bereits gestellt. Seit vier Jahren lost der Verein ‘Mein Grundeinkommen’ regelmäßig unter 200.000 Teilnehmern 10 aus, die ein Jahr lang ein bedingungsloses Grundeinkommen bekommen. Finanziert werden die Gelder rein aus Spenden.
66.000 Spender tragen im Schnitt 4 Euro bei. Inzwischen kommt soviel zusammen, dass die Verlosung monatlich stattfindet. Die Teilnahme ist recht unkompliziert: Man wählt einen Nutzernamen, trägt seine Mailadresse ein und schaltet sich für die Auslosung frei (Informationen: ‘Existenzielle Entspanntheit’- Christin Odoj, Neues Deutschland 4./5. August). Einige fügen an, was sie im Falle des Losglücks mit dem Geld zu tun gedenken. Manche wollen in Urlaub fahren oder das Auto endlich zur Reparatur bringen. Ein Großteil denkt daran, bewusster einzukaufen und soziale Projekte zu unterstützen.
Für Kleingewerbebetreibende kann das Grundeinkommen eine willkommene Entlastung oder Unterstützung sein. Etwa im Falle von Judith Menzl, die 2015 in Rostock eine vegane Eisdiele eröffnete. In demselben Jahr zählte sie zu den Glücklichen, den das Grundeinkommen zugelost wurde. Sie erhielt es ab Januar 2016 und spürte dadurch eine ‘existenzielle Entspanntheit’, auch weil ihr Geschäft im Winter weniger gut lief. Ein Jahr zahlte sie sich kein Gehalt aus und steckte die 1000 Euro Grundeinkommen in ihre private Miete und ihre Krankenversicherung. So konnte sie für ihren Eisladen Rücklagen bilden. Bekäme sie das Grundeinkommen dauerhaft, würde sie nach eigener Aussage weniger arbeiten und noch eine Aushilfe anstellen.
Andere investieren das Geld in Weiterbildung: Sozialarbeiterin Corinna machte eine teure Zusatzausbildung zur Familientherapeutin. Dennoch konnte sie daneben die Mietkaution ihrer Schwester übernehmen. Dabei sei diese gerade nicht vom BGE überzeugt. Hier überwiege der Einfluss der Eltern, die aus einer Generation stammten, welche die Meinung vertrete, Arbeit bedeute Leiden und das müsse man bis zur Rente durchhalten. Das deckt sich voll und ganz mit dem Ursprung des Wortes: ‘Arbeit’ leitet sich vom altgermanischen ‘arbeijo’ ab, was soviel bedeutet wie Leid, Mühsal, Knechtschaft. Nichts Wohltuendes also.
Unser Gesellschaftsbild fuße auf dem Prinzip, 40 Jahre im gleichen Betrieb zu arbeiten, und einem mindestens so veralteten Steuer- und Sozialsystem, das unseren Lebensrealitäten nicht mehr gerecht werde, meint Meera Zaremba vom Verein ‘Mein Grundeinkommen’.
Dies betreffe unser Familienmodell genauso wie unseren Bildungsweg und unser Arbeitsleben. Wer seinen Job von sich aus kündigt, sein Studium abbricht oder zu lange braucht, wird bestraft. Dies schreckt davor ab, etwas Neues auszuprobieren, auch weil die finanzielle Sicherheit fehlt. Das BGE gibt diese Sicherheit. Deshalb wagen viele Projektteilnehmer sich an Aus- und Weiterbildungen, die sie ohne das finanzielle Polster nie begonnen hätten. Sie werden aktiv und bilden, ‘qualifizieren’, sich. Sie tun somit genau das, was Vertreter aus Politik und Wirtschaft seit langem unisono fordern. Deutlicher können die Klischees von Hängematten, Strandurlauben unter Palmen und Schlaraffenländern, wie sie dem BGE bis heute angedichtet werden, nicht Lügen gestraft werden.
Inzwischen tauchen solche Symbolbilder jedoch seltener auf. Auch hier entwickeln sich die Dinge erfreulich. Gleichwohl bleibt das BGE heiß und heftig diskutiert. Starker Gegenwind bläst auch von Links entgegen, angeführt vom bekannten Armutsforscher Christoph Butterwegge. Er hält das Konzept für ungerecht und elitär. Die einflussreichsten Modelle liefen auf eine Zerschlagung des bestehenden Sozial (versicherungs) staates hinaus, der, Achtung, ‘zumindest seinem Anspruch nach Bedarfsgerechtigkeit schafft’. Dem Anspruch nach, ganz hehren, versteht sich. Wann wurde der jemals erfüllt? Wenn überhaupt, dann höchstens zu Zeiten der Vollbeschäftigung. Jene sind spätestens seit den 70ern passé. Und wieso soll für die ‘Bedarfsgerechtigkeit’ 40 Jahre lang gelitten werden? Viele Volksvertreter können schon nach 5 Jahren Pensionsansprüche geltend machen. Verdient dies nicht eher das Attribut ‘elitär’?
Vielleicht geht es den erbitterten Grundeinkommensgegnern und Verteidigern des alten Sozialstaatsmodells in Wahrheit um etwas ganz Anderes: Den Erhalt der Sozial( versicherungs) bürokratie und Armutsindustrie. Immerhin hängen da Hunderttausende Jobs dran. Unbestreitbar ist: Das BGE würde zu umfangreichen Bürokratieabbau führen, weil es verschiedene Unterstützungszweige bündelte. Es würde den Menschen direkt helfen, ohne zeitaufwendige Behördengänge und Antragsstellungen. Was ist daran bitteschön nicht sozial?
Grundeinkommensbefürworterin Zaremba bringt es auf den Punkt: Das BGE solle den Sozialstaat nicht ersetzen, sondern verbessern. Sie sieht es jedoch nicht als Allheilmittel: Probleme wie Mietenexplosion und Armut werde das BGE nicht allein lösen. Allerdings verlangsame es das Hamsterrad, honoriere unbezahlte Beschäftigung und sichere ein Existenzminimum. Allmählich fasst das Konzept Fuß. In Umfragen befindet es sich inzwischen unter den 15 relevantesten Themen, um die sich die Politik kümmern sollte. Über 60 % der Befragten finden seine Einführung sinnvoll. 75 % würden bei einem Betrag von 1000 Euro monatlich weiter arbeiten gehen. Das nährt Zukunftshoffnungen.
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe November 2018, erschienen.
Online-Flyer Nr. 682 vom 14.11.2018
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Arbeit und Soziales
Praxistest im Kleinen: Seit 2014 wird in Berlin Menschen ein Jahr lang ein bedingungsloses Grundeinkommen zugelost
Das große Los
Von Harald Schauff
Was würdest du tun, wenn du einfach so jeden Monat 1000 Euro zur freien Verfügung erhieltest? Für über 200 Menschen stellt sich diese Frage ganz praktisch bzw. hat sich bereits gestellt. Seit vier Jahren lost der Verein ‘Mein Grundeinkommen’ regelmäßig unter 200.000 Teilnehmern 10 aus, die ein Jahr lang ein bedingungsloses Grundeinkommen bekommen. Finanziert werden die Gelder rein aus Spenden.
66.000 Spender tragen im Schnitt 4 Euro bei. Inzwischen kommt soviel zusammen, dass die Verlosung monatlich stattfindet. Die Teilnahme ist recht unkompliziert: Man wählt einen Nutzernamen, trägt seine Mailadresse ein und schaltet sich für die Auslosung frei (Informationen: ‘Existenzielle Entspanntheit’- Christin Odoj, Neues Deutschland 4./5. August). Einige fügen an, was sie im Falle des Losglücks mit dem Geld zu tun gedenken. Manche wollen in Urlaub fahren oder das Auto endlich zur Reparatur bringen. Ein Großteil denkt daran, bewusster einzukaufen und soziale Projekte zu unterstützen.
Für Kleingewerbebetreibende kann das Grundeinkommen eine willkommene Entlastung oder Unterstützung sein. Etwa im Falle von Judith Menzl, die 2015 in Rostock eine vegane Eisdiele eröffnete. In demselben Jahr zählte sie zu den Glücklichen, den das Grundeinkommen zugelost wurde. Sie erhielt es ab Januar 2016 und spürte dadurch eine ‘existenzielle Entspanntheit’, auch weil ihr Geschäft im Winter weniger gut lief. Ein Jahr zahlte sie sich kein Gehalt aus und steckte die 1000 Euro Grundeinkommen in ihre private Miete und ihre Krankenversicherung. So konnte sie für ihren Eisladen Rücklagen bilden. Bekäme sie das Grundeinkommen dauerhaft, würde sie nach eigener Aussage weniger arbeiten und noch eine Aushilfe anstellen.
Andere investieren das Geld in Weiterbildung: Sozialarbeiterin Corinna machte eine teure Zusatzausbildung zur Familientherapeutin. Dennoch konnte sie daneben die Mietkaution ihrer Schwester übernehmen. Dabei sei diese gerade nicht vom BGE überzeugt. Hier überwiege der Einfluss der Eltern, die aus einer Generation stammten, welche die Meinung vertrete, Arbeit bedeute Leiden und das müsse man bis zur Rente durchhalten. Das deckt sich voll und ganz mit dem Ursprung des Wortes: ‘Arbeit’ leitet sich vom altgermanischen ‘arbeijo’ ab, was soviel bedeutet wie Leid, Mühsal, Knechtschaft. Nichts Wohltuendes also.
Unser Gesellschaftsbild fuße auf dem Prinzip, 40 Jahre im gleichen Betrieb zu arbeiten, und einem mindestens so veralteten Steuer- und Sozialsystem, das unseren Lebensrealitäten nicht mehr gerecht werde, meint Meera Zaremba vom Verein ‘Mein Grundeinkommen’.
Dies betreffe unser Familienmodell genauso wie unseren Bildungsweg und unser Arbeitsleben. Wer seinen Job von sich aus kündigt, sein Studium abbricht oder zu lange braucht, wird bestraft. Dies schreckt davor ab, etwas Neues auszuprobieren, auch weil die finanzielle Sicherheit fehlt. Das BGE gibt diese Sicherheit. Deshalb wagen viele Projektteilnehmer sich an Aus- und Weiterbildungen, die sie ohne das finanzielle Polster nie begonnen hätten. Sie werden aktiv und bilden, ‘qualifizieren’, sich. Sie tun somit genau das, was Vertreter aus Politik und Wirtschaft seit langem unisono fordern. Deutlicher können die Klischees von Hängematten, Strandurlauben unter Palmen und Schlaraffenländern, wie sie dem BGE bis heute angedichtet werden, nicht Lügen gestraft werden.
Inzwischen tauchen solche Symbolbilder jedoch seltener auf. Auch hier entwickeln sich die Dinge erfreulich. Gleichwohl bleibt das BGE heiß und heftig diskutiert. Starker Gegenwind bläst auch von Links entgegen, angeführt vom bekannten Armutsforscher Christoph Butterwegge. Er hält das Konzept für ungerecht und elitär. Die einflussreichsten Modelle liefen auf eine Zerschlagung des bestehenden Sozial (versicherungs) staates hinaus, der, Achtung, ‘zumindest seinem Anspruch nach Bedarfsgerechtigkeit schafft’. Dem Anspruch nach, ganz hehren, versteht sich. Wann wurde der jemals erfüllt? Wenn überhaupt, dann höchstens zu Zeiten der Vollbeschäftigung. Jene sind spätestens seit den 70ern passé. Und wieso soll für die ‘Bedarfsgerechtigkeit’ 40 Jahre lang gelitten werden? Viele Volksvertreter können schon nach 5 Jahren Pensionsansprüche geltend machen. Verdient dies nicht eher das Attribut ‘elitär’?
Vielleicht geht es den erbitterten Grundeinkommensgegnern und Verteidigern des alten Sozialstaatsmodells in Wahrheit um etwas ganz Anderes: Den Erhalt der Sozial( versicherungs) bürokratie und Armutsindustrie. Immerhin hängen da Hunderttausende Jobs dran. Unbestreitbar ist: Das BGE würde zu umfangreichen Bürokratieabbau führen, weil es verschiedene Unterstützungszweige bündelte. Es würde den Menschen direkt helfen, ohne zeitaufwendige Behördengänge und Antragsstellungen. Was ist daran bitteschön nicht sozial?
Grundeinkommensbefürworterin Zaremba bringt es auf den Punkt: Das BGE solle den Sozialstaat nicht ersetzen, sondern verbessern. Sie sieht es jedoch nicht als Allheilmittel: Probleme wie Mietenexplosion und Armut werde das BGE nicht allein lösen. Allerdings verlangsame es das Hamsterrad, honoriere unbezahlte Beschäftigung und sichere ein Existenzminimum. Allmählich fasst das Konzept Fuß. In Umfragen befindet es sich inzwischen unter den 15 relevantesten Themen, um die sich die Politik kümmern sollte. Über 60 % der Befragten finden seine Einführung sinnvoll. 75 % würden bei einem Betrag von 1000 Euro monatlich weiter arbeiten gehen. Das nährt Zukunftshoffnungen.
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe November 2018, erschienen.
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