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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Kommentar
Kommentar vom Hochblauen
Leitkultur der Verlogenheit
Von Evelyn Hecht-Galinski

Gerade in der Vorweihnachtszeit werden die christlichen Spendensammler besonders rege. Vor ein paar Tagen begann die Spendenaktion "Brot für die Welt" der evangelischen Kirche. Bei ihrem diesjährigen Motto "Hunger nach Gerechtigkeit", bekam ich auch Appetit. Wurde da doch die Frage gestellt, welchen Beitrag Christen für mehr Gerechtigkeit in der Welt leisten können, auch kleine Schritte seien wichtig, von Menschen in Not zu berichten, um die Herzen der Zuhörer zu öffnen. Nun gut, ich als Nicht-Christin kämpfe mit vielen Mitstreitern schon seit vielen Jahren für Gerechtigkeit in Palästina. Aber waren es nicht immer wieder die Oberen der evangelischen Kirche, die dieses Thema tabuisieren?

Ich selbst wurde einmal vor Jahren in dem kleinen südbadischen Ort Schopfheim von der dortigen evangelischen Kirchengemeinde ausgebremst. Dem Veranstalter wurden kurzerhand die Räume gekündigt, und ich musste daraufhin in ein katholisches Domizil ausweichen.

Was jetzt allerdings Andreas Zumach widerfuhr, einem der mutigsten und wichtigsten Journalisten, der sich nicht scheut, wenn es um Gerechtigkeit für Palästina geht, ist unglaublich und reiht sich ein in die vielen Vorfälle dieser Richtung zuvor. Auf meiner Hochblauen-Seite habe ich darüber berichtet. (1)

Was ein Shitstorm doch bewirken kann!

Hier ein Ausschnitt aus einer Mail von Andreas Zumach zum aktuellen Stand wg. seiner vom Evangelischen Dekan Schalla in Karlsruhe abgesagten Veranstaltung "Israel – seine wahren und falschen Freunde". (2) Findet jetzt an alternativem Ort statt (s. Punkt 4):

  1. Dekan Schalla ist auch gestern Abend bei einer Sitzung mit dem von ihm übergangenen Programmbeirat der Evangelischen Erwachsenenbildung bei seiner Absage meines Vortrages im Evangelischen Gemeindehaus "Zwinger" in Karlsruhe-Durlach geblieben.

  2. Die Leitung der EKIBa hat sich Schallas Begründung für die Absage inzwischen zu eigen gemacht in einer Antwortmail der persönlichen Referentin des Bischofs (Landesbischof Cornelius Bundschuh, Anm. von mir), Annegret Brauch auf Protestbriefe, die an den Bischof gingen.

  3. Zudem missbrauchen sowohl Schalla wie Brauch meine Bereitschaft zu Gesprächen sowie zur Teilnahme an einer künftigen Diskussionsveranstaltung in manipulativer Weise, um das Verbot meines Vortrages zu verharmlosen und zu kaschieren.

  4. Mein Vortrag findet trotzdem statt an einem alternativen Ort: Am Donnerstag (6.12.2018) um 10.30h im "Salon" der Orgelfabrik, Karlsruhe-Durlach, Amtshausstr. 17, ca. fünf Minuten zu Fuß von ev. Gemeindezentrum aus erreichbar. Außerdem werde ich am Donnerstagabend den Vortrag auch in Ettlingen halten unter dem Titel "Kritik an israelischer Politik - gibt es Grenzen des Sagbaren?" um 20:00 Uhr in der Paulusgemeinde Ettlingen, Schlesierstr. 1 (5 Minuten Fußweg von S1/S11-Haltestelle "Wasen")

Weggeschaut, als Juden auf christliche Hilfe angewiesen waren

Wieder einmal hat sich die "christlich-jüdische" Leitkultur vereint und eine Veranstaltung mit Andreas Zumach abgesagt. Hat nicht gerade die Evangelische Kirche schon einmal weggeschaut, als Juden in Deutschland dringend auf christliche Hilfe angewiesen waren? Meinen diese Kirchenvertreter wirklich, dass sie damit das christliche Versagen während der Nazizeit und den Holocaust sühnen können? Entspricht es ihrem christlichen Verständnis von Meinungsfreiheit, die Wahrheit über Palästina zu unterdrücken? Man kann keine alte Schuld mit einer neuen wiedergutmachen, sondern es baut sich inzwischen ein Schuldkonto auf, das nicht mehr abzutragen ist.

Die Dienstaufsicht führende Ebene der Evangelischen Kirche ließ den Vortrag von Andreas Zumach "Israel – seine wahren und falschen Freunde" absagen mit der entlarvenden Begründung, "im Interesse des hier gewachsenen nahen Miteinander im christlich-jüdischen Dialog"! Der Jude Jesus hätte diese unsäglichen „Heuchler vor dem Herrn“ sofort aus dem Tempel gejagt.

Denn dieser „Dialog“ besteht in Wirklichkeit auf einer immensen Druck ausübenden intriganten Wühlarbeit der pro-israelischen Lobby in Deutschland, die alles daransetzt, die furchtbare Wahrheit über die jahrzehntelange Menschen-, Kriegs- und Völkerrechtsverbrechen Israels zu unterdrücken.

Dazu gehört auch die Unterdrückung des bereits 2009 (!) von palästinensischen Christen verabschiedete KAIROS-Dokuments („Die Stunde der Wahrheit – ein Wort des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung aus der Mitte des Leidens der Palästinenser und Palästinenserinnen“), das durch feiges Wegducken der Kirchenoberen bis heute leider keine wünschenswerte Verbreitung und schon gar keine Diskussion in den Gemeinden über die unkritische evangelische Israel-Unterstützung findet. Im Gegenteil gewärtigen die mutigen, dem Frieden verpflichteten Theologinnen und Theologen des Kairos-Netzwerks hier in Deutschland wie üblich unsachliche Anfeindungen und natürlich auch die Antisemitismus-Keule. Wer sich sachlich informieren möchte, dem empfehle ich das Buch der beiden Theologieprofessoren Ulrich Duchrow und Hans G. Ulrich "Religionen für Gerechtigkeit in Palästina-Israel", das ganz sicher kein „zutiefst israelfeindliches Machwerk“ ist, wie es das evangelisch-zionistische Gekeife denunziert. (3)(4)

Ekliges Spinnennetz über Deutschland

Der jahrzehntelange Druck wird immer stärker und hat sich mittlerweile wie ein ekliges Spinnennetz über Deutschland, die Politik und Medien verbreitet. Was ist von deutschen Politikern, Kirchenfürsten und Kommunen zu halten, die schon wieder Zensur gegen die Meinungsfreiheit und die Stigmatisierung von Israel-Kritikern in Gang setzen, die ihresgleichen sucht? Aber das Verwerflichste ist wohl, und daran kann man nicht oft genug erinnern, dass dieser nicht nur kirchliche „Bannstrahl“ schon wieder jüdische Bürger trifft, denen Räume gekündigt oder verweigert werden.

Ich klage den deutschen staatlichen Antisemitismus an, der sich unter dem philosemitischen Mäntelchen versteckt und mit der infamen Instrumentalisierung des Holocaust schon wieder an braune Zeiten erinnert. Wenn sich heute rechtsextreme und rechte Politiker mit dem "Jüdischen Staat" vereinen und diesen als demokratisch und beispielhaft loben, dann gehen wir schlimmen Zeiten in Deutschland entgegen.

Muslime werden fast täglich diskriminiert und des Antisemitismus beschuldigt, um endlich wieder einen Sündenbock zu haben. Antisemitismusbeauftragte, die gegen auch jüdische Israel-Kritiker vorgehen, verbreiten selbst den Antisemitismus, den sie angeblich bekämpfen wollen. Während Islamhasser in Deutschland als angebliche Islam-„Kritiker“ bewacht und geschützt werden und ihr Recht auf „Meinungsfreiheit“, besser gesagt, das Recht auf die Beleidigung der Muslime gelobt wird, werden Kritiker des "jüdischen Staats" mit Hass verfolgt. Eine gefährliche Entwicklung. Während man den islamistischen Terror als Hauptfeind gemeinsam mit dem "Jüdischen Staat" bekämpft, wird der judaistische Terror der illegalen Besatzung Palästinas seit 70 Jahren geduldet und gefeiert.

Endlich mit den Völker- und Menschenrechtsverbrechen Israels befassen!

Anstatt sich endlich mit den Völker- und Menschenrechtsverbrechen Israels zu befassen, wird sich voll und ganz auf dessen Politik eingelassen. Dieser "Jüdische Staat" wird als "einzige" Demokratie im Nahen Osten bezeichnet, seine "mörderischsten" aller Verteidigungsarmeen mit Waffenlieferungen und Kooperation für seine Verbrechen belohnt und die Zusammenarbeit mit diesem Besatzerstaat immer mehr ausgeweitet. Lässt sich das mit den "christlichen Werten " vereinbaren, wenn "jüdische Werte" zur ethnischen Säuberung Palästinas verkommen sind?

Inzwischen hat sich Deutschland zu einem der willigsten Helfer der "Anti-Terror-Kriege" der westlichen "Wertegemeinschaft" entwickelt. Deutschland ist wieder wer und fühlt sich sichtlich wohl im Kreis der vermeintlich „Guten“ des Anti-Terrorkampfes. Die Quittung haben wir bereits, die Flüchtlinge der illegalen Kriege lassen sich auf Dauer auch nicht mit Davidstern-Drohnen verhindern. Vom "jüdischen Staat" lernen, heißt staatlichen Terror und Kriegswillen zur Staatsräson zu machen.

Nie war die Lage der Palästinenser schlimmer und hilfloser als heute und das ist auch die Schuld der EU und speziell von Merkel-Deutschland. Die Palästinenser waren immer Opfer, die seit der Staatsgründung Israels vertrieben, enteignet und ermordet wurden. Sie hatten und haben keine Lobby, die lautstark die Achtung der Menschenrechte von Israel einfordert! Eine Kooperation brachte den Palästinensern nichts außer noch mehr Unterdrückung und Ausrottung. Inzwischen allerdings auch noch mit einem schrecklichen Regierungswechsel in den USA, der den "Jüdischen Staat" und dessen Menschenrechtsverletzungen vehement unterstützt. Trump und seine Kosher Nostra wird die Endlösung der Palästinafrage und der Judaisierung noch beschleunigen und die Palästinenser in eine schreckliche Einsamkeit drängen, und Merkel-Deutschland schaut ungerührt wie immer zu.

Lassen wir uns nicht auch in diese Einsamkeit drängen und von der Israel-Lobby und der deutschen Bundesregierung als Antisemiten stigmatisieren. Mit der Anerkennung der Antisemitismus-Definition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA), die in ihrer pauschalen Erläuterung auch eine pauschale Israel-Kritik als Judenhass definiert, hat sich die Bundesregierung klar von demokratischen Gepflogenheiten verabschiedet. Diese umstrittene Definition ist zwar nicht bindend und sollte uns daher auch nicht wirklich Sorge machen, allerdings wird schon versucht, sie umzusetzen, und dagegen müssen wir uns wehren. Besonders die Formulierung am Schluss dieser mehr als fragwürdigen Definition kann und darf so nicht ernst genommen werden. "Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegen Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“ Zu Israel heißt es: „Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein."

Sich wehren gegen dubiose Antisemitismus-Definition!

Genau da muss man eingreifen und sich wehren, wenn Kritik am "Jüdischen Staat" als Judenhass deklariert wird. Es darf nicht sein, dass diese dubiose Definition auch noch in die Ausbildung von Polizei, Justiz und Bildung einfließen soll, um so demnächst Kritiker ganz einfach als Straftäter verurteilen zu können und so zum Schweigen zu bringen.

Wie nicht anders zu erwarten, begrüßte besonders der Zentralrat der Juden diese dubiose Definition, mit deren Hilfe die Lobbyarbeit im Bundestag in der offiziellen Politik und in den Medien immer weiter fortschreitet. Wir sehen das an der unheilvollen Schwemme von Antisemitismusbeauftragen, eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der besonders delikaten Art und zur Reinwaschung der israelischen Verbrechen am palästinensischen Volk.

Ich kann es immer nur wiederholen: Wir brauchen einen Anti-Rassismus-Beauftragten, der gegen den grassierenden ansteigenden Islamhass, sowie den echten Antisemitismus und die Verleumdung vieler muslimischer Mitbürger und Migranten in Deutschland einschreiten muss. Es ist nicht länger hinzunehmen, dass anständige, den "Jüdischen Staat" kritisierende Juden, Christen und Nichtgläubige ebenso wie pauschal „die Muslime“ als Antisemiten verleumdet werden, während deutsche Politiker und Kirchenvertreter wieder ganz offen einen Antisemitismus gegen kritische Juden betreiben. Das sage ich als unbequeme deutsche Bürgerin mit jüdischen Wurzeln, die Gerechtigkeit und Frieden auch für das palästinensische Volk einfordert.

Ich möchte hier auch an den großen jüdischen Dichter erinnern, der vor dreißig Jahren am 22. November 1988 verstarb, und der das gleiche Verleumdungsschicksal erleiden musste, was ihn aber nicht zum Schweigen brachte: Erich Fried.

Gegen Verlogenheit unserer Regierungsvertreter und Kirchenoberen kämpfen!

Lasst uns dagegen kämpfen, dass die Verlogenheit unserer Regierungsvertreter und Kirchenoberen zu unserer Leitkultur der Verlogenheit wird. Wir wissen mit Erich Fried, worauf es ankommt, und wir werden nicht schweigen, zu dem was geschieht!


«Worauf es ankommt»

«Es kommt nicht darauf an
was man ist
Moslem, Christ, Jude, Freigeist:
Ein Mensch
der ein Mensch ist
Kann nicht schweigen
zu dem was geschieht»


Fußnoten:

(1) http://sicht-vom-hochblauen.de/das-ist-die-christlich-juedische-meinungsfreiheit-und-dialog-wenn-es-um-palaestina-geht-absage-des-vortrags-von-andreas-zumach/
(2) https://bnn.de/lokales/karlsruhe/shitstorm-nach-absage-thomas-schalla-will-verhaeltnis-zur-juedischen-gemeinde-nicht-belasten
(3) http://kairoseuropa.de/kairos-palaestina-solidaritaetsnetz/
(4) https://www.evangelisch.de/inhalte/150225/29-05-2018/zutiefst-israelfeindliches-machwerk


Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, ist Publizistin und Autorin. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom "Hochblauen", dem 1165 m hohen "Hausberg" im Badischen, wo sie mit ihrem Ehemann Benjamin Hecht lebt. (http://sicht-vom-hochblauen.de/) 2012 kam ihr Buch "Das elfte Gebot: Israel darf alles" heraus. Erschienen im tz-Verlag, ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. Am 28. September 2014 wurde sie von der NRhZ mit dem vierten "Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik" ausgezeichnet.


Siehe auch:

Die Evangelische Kirche sagt in Karlsruhe einen Vortrag des Journalisten Andreas Zumach ab – Das Thema „Israel – seine wahren und falschen Freunde“ ist offenbar zu gefährlich für Christen
Wieder ein bedenklicher Fall von Zensur, Intoleranz und Unterdrückung der Meinungsfreiheit
Von Arn Strohmeyer
NRhZ 685 vom 05.12.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25444

Online-Flyer Nr. 685  vom 05.12.2018

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