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Arbeit und Soziales
Beschäftigungen ohne gesellschaftlichen Nutzen
"Bullshit-Jobs"
Von Harald Schauff
Der Kapitalismus verkauft sich gern als fortschrittlich. Nicht von ungefähr werden beträchtliche Summen in Forschung und Technik gesteckt und rasante Entwicklungen angestoßen. Siehe Digitalisierung. Andererseits lutscht das Gewinnstreben alte Wirtschaftszweige bis zum letzten Tropfen aus. Siehe alte Atom- und Kohlemeiler und Verbrennungsmotoren. Sie alle sollen möglichst lange laufen, was den Fortschritt wiederum ausbremst. Er steht eben nicht an erster Stelle, sondern das Geschäft, sprich Profitmachen. Vernunft, Gerechtigkeit, Gesundheit und Umweltbewusstsein dürfen sich dahinter anstellen.
Der Kapitalismus rühmt sich auch seiner Effizienz. Er steigert Produktivität und Rentabilität, vereinfacht und beschleunigt Arbeitsabläufe, schneidet Überflüssiges und Unnötiges weg, z.B. nicht mehr benötigte Arbeitsplätze. Doch gibt es auch hier eine Gegentendenz: Weil er nicht nur von der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft lebt, sondern darüber seine Macht erhält, hat er kein Interesse, diese Arbeitskraft im großen Stil konsequent durch Technik zu ersetzen, obgleich es möglich wäre. Er hängt auf Gedeih und Verderb an der alten Arbeitsgesellschaft, deshalb darf jene nicht aussterben. Aus diesem Grund wird das Automationspotenzial nicht voll ausgeschöpft, sondern, im Gegenteil, Beschäftigung erfunden ohne erkennbaren gesellschaftlichen Nutzen.
David Graeber, amerikanischer Anthropologe, überzeugter Anarchist und Bestseller-Autor, widmet sich dieser Thematik in seinem neuen Buch ‘Bullshit Jobs’. Die so bezeichneten Tätigkeiten erfahren zur Zeit eine erstaunliche Vermehrung, vor allem in den Bereichen Management, Verwaltung, Marketing bzw. Werbung so wie im Finanzsektor. Graeber zufolge werden solche Beschäftigungen einzig zu dem Zweck eingerichtet, ‘damit wir alle ständig arbeiten.’ Er schlussfolgert: ‘Irgendetwas an unserer Zivilisation ist grundlegend falsch.’
Als ‘Bullshit Jobs’ definiert Graeber Beschäftigungen, welche die Welt eigentlich nicht braucht. Keineswegs handelt es sich um schlechte Stellen, wo harte Arbeit gering entlohnt wird. In der Regel sind Bullshit Jobs eher gut bezahlt. Allerdings ist die Tätigkeit sinnlos oder sogar schädlich.
Als Beispiel führt Graeber eine Rezeptionistin an: Für sie gibt es nichts zu tun, weil die Firma keinen Publikumsverkehr hat, jedoch glaubt, sich eine Empfangsdame schuldig zu sein. Als Aushängeschild sozusagen. Zu den möglichen Aufgaben solcher Empfangsdamen gehört, Schalen mit Pfefferminzbonbons aufzufüllen oder alte Uhren in Konferenzräumen aufzuziehen.
Einige Firmen stellen Menschen nur ein, damit Vorgesetzte möglichst viele Untergebene als Statussymbol haben. In der Werbebranche beklagen viele Beschäftigte die Sinnlosigkeit ihres Tuns. Ihren eigenen Worten nach soll es einzig Bedürfnisse nach nutzlosen Dingen wecken. Unzählige Menschen arbeiten an Hauszeitschriften von Unternehmen, die praktisch nie gelesen werden. Das Management liebt solche Blätter jedoch, weil sie das Unternehmen gut aussehen lassen.
Bei aller Kritik maßt Graeber sich nicht an, den gesellschaftlichen Nutzen von Tätigkeiten von oben herab zu beurteilen. Allerdings registriert er Hinweise auf die Nützlichkeit: Ein Streik von Reinigungskräften sorgt für Ärger, weil diese gebraucht werden. Würden Telefonwerber oder Konzern-Lobbyisten streiken, gäbe es weniger Unmut. Graeber orientiert sich nicht am objektiven Nutzen dieser Jobs, sondern am subjektiven Empfinden der Arbeitenden. Ein Job ist genau dann ‘Bullshit’, wenn ihn die Tätigen selbst als sinnlos oder schädlich bezeichnen.
Nach Graebers Überzeugung können Arbeitende ihren Job am besten beurteilen, weil sie tagtäglich mit/in ihm zu tun haben. Außerdem neigen Menschen dazu, einen Sinn in ihrer Arbeit zu sehen, wodurch sie jene rechtfertigen. Dagegen sind Bullshit Jobs so sinnlos, dass nicht einmal die Beschäftigten selbst deren Existenz rechtfertigen können, obwohl ihr Pflichtgefühl sie dazu drängt. Hedgefonds-Manager haben demnach keinen Bullshit-Job, solange sie ihre Tätigkeit nicht für gesellschaftlich schädlich halten, selbst wenn sie Milliardenverluste riskieren.
In seinem Buch zitiert Graeber viele Menschen aus der Werbebranche. Sie finden ihre Arbeit gesellschaftlich nutzlos, weil sie Konsumenten überflüssige Dinge aufschwatzen. Für Graeber belegt dies: Wir alle opfern unsere Lebenszeit ungern, um Unternehmenseigner noch reicher zu machen.
Bullshit-Jobs breiten sich zunehmend aus. Graeber verweist auf eine Umfrage die das Meinungsforschungsinstituts Yougov vor einigen Jahren in Großbritannien durchführte. Immerhin 37 % der Befragten verneinten, dass ihre Arbeit einen sinnvollen Beitrag zur Welt leistet. 13 % waren unschlüssig. Graeber selbst bekam, seit dem er sich mit dem Thema befasst, Hunderte von Zuschriften von Menschen aus aller Welt. Diese zweifeln an ihrer Tätigkeit oder empfinden sie als komplett überflüssig.
Bullshit Jobs nehmen nicht nur zahlenmäßig zu, auch eigentlich sinnvolle Beschäftigungen werden mit immer mehr Bullshit belastet. Z.B. werden Bedienungen in Caféterias angehalten, bereits saubere Tische abzuwischen, um beschäftigt zu wirken.
Aus eigener Erfahrung weiß Graeber: Hochschullehrer verbringen zunehmend Zeit mit Verwaltung und Papierkrieg anstatt zu lehren und zu forschen. Wissenschaftler müssen mehr Zeit aufbringen, ihre Tätigkeit zu beurteilen und zu rechtfertigen, weil die Effizienz von Hochschulen gesteigert werden soll. Sie sollen quasi die gleichen Methoden und Strategien anwenden wie das Management eines Unternehmens. Graeber findet: All dies dient ‘definitiv nicht der Erweiterung des Wissens der Menschheit.’
Nun ließe sich fragen, warum Menschen solche Jobs überhaupt als Problem empfinden, wo wenig tun für viel Geld doch ganz angenehm sein kann. Laut Graeber trifft diese Einstellung nur auf den homo oeconomicus der herrschenden Wirtschaftslehre zu. Jener möchte stets das Verhältnis von Aufwand zu Ertrag maximieren. Deswegen sind Bullshit-Jobs für ihn ein Glücksfall.
In der Realität ticken Menschen jedoch anders: Sie wollen mit ihren Jobs nicht nur Geld verdienen, sondern etwas gesellschaftlich Sinnvolles leisten. Bei vielen Menschen ist dieses Bedürfnis so groß, dass sie ihre Phantasie bemühen, um ihre Arbeit im Endeffekt als nützlich zu bewerten. Oft gelingt das jedoch nicht, weshalb diese Jobs eine seelische Qual sind und seelische Narben hinterlassen.
Graeber zweifelt, ob der Kapitalismus tatsächlich so effizient ist, wie immer behauptet wird. Vielleicht leben wir, näher betrachtet, gar nicht im Kapitalismus, sondern in einer Art Manager-Feudalismus, wo viele Jobs nur den Zweck haben, Macht und Herrlichkeit der Manager oder Unternehmenseigentümer zu repräsentieren. Wie früher bei Hofe.
Zwischen der wachsenden Bedeutung des Finanzsektors, dem Anwachsen der Informationsbranche und der Vermehrung von Bull-shit-Jobs scheint ein Zusammenhang zu bestehen. Die Politik kümmert es nicht, weil ‘Arbeit’ als Wert an sich gilt. ‘Arbeitsplätze schaffen’ – Auf diesen Slogan können sich Rechte und Linke immer einigen. Wozu diese Arbeitsplätze gut sind, interessiert offensichtlich nicht. Hauptsache, sie werden bezahlt. Bereits vor über einem Jahrzehnt meinte dm-Gründer Götz Werner, die meisten Menschen hätten eigentlich keine Arbeits-, sondern Einkommensplätze.
Graeber sieht die arbeitende Bevölkerung von zwei Seiten bedroht: Zum einen durch die Wegautomatisierung ihrer Arbeitsplätze, zum anderen durch die Verrichtung sinnloser Beschäftigung. Wobei er gegen die ‘Abschaffung der Schufterei’ durch Technik nichts einzuwenden hat. Er nimmt die Warnung vor dieser Abschaffung als Indiz, ‘dass wir es mit einem irrationalen Wirtschaftssystem zu tun haben.’
Wenn Maschinen die Arbeit übernehmen, kann das ‘etwas Wunderbares’ sein. Wir können ‘eine Freizeitgesellschaft werden und die 24-Stunden-Woche einführen’. Stattdessen sind wir dazu verdammt, die meiste Zeit bei der Arbeit zu verbringen und Dinge zu tun, die uns für die Welt nutzlos vorkommen. Ansonsten befürchten wir, unsere Jobs zu verlieren.
Gibt es eine Lösung für dieses Dilemma? Graeber schwebt eine rationalere Wirtschaftsweise vor. Eine deutliche Reduzierung der Arbeitszeit oder ein bedingungsloses Grundeinkommen könnten Schritte in diese Richtung sein. Hauptsächlich geht es ihm jedoch zunächst darum, ein gesellschaftliches Problem darzustellen, dessen Existenz die meisten Menschen nicht einmal zugeben.
Mit politischen Empfehlungen ist er dagegen vorsichtig. Seine Kritiker neigen dazu, sich an solchen Vorschlägen aufzuhängen und mit diesen zusammen seine gesamte Analyse abzulehnen. Zweifeln sie beispielsweise die Machbarkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens an, streiten sie zugleich auch die Existenz von Bullshit-Jobs ab.
Generell steht Graeber der Politik misstrauisch gegenüber, weil hier eine kleine elitäre Gruppe für den Rest der Bevölkerung Entscheidungen trifft. Als Anarchist befürwortet er Lösungen, die Menschen in die Lage versetzen, ‘ihre Angelegenheiten selbst zu regeln anstatt Regierungen und Großkonzerne immer mächtiger zu machen.’
So würde es demokratischen Prinzipien entsprechen. Die Existenz von Bullshit-Jobs und die zunehmende soziale Kluft zeigen, dass wir eher in einer real existierenden Finanz- und Wirtschaftsoligarchie leben. Eine der dringlichsten Zukunftsaufgaben ist es, Demokratie konsequent von Schein in Sein zu verwandeln.
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Januar 2019, erschienen.
Online-Flyer Nr. 691 vom 06.02.2019
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Arbeit und Soziales
Beschäftigungen ohne gesellschaftlichen Nutzen
"Bullshit-Jobs"
Von Harald Schauff
Der Kapitalismus verkauft sich gern als fortschrittlich. Nicht von ungefähr werden beträchtliche Summen in Forschung und Technik gesteckt und rasante Entwicklungen angestoßen. Siehe Digitalisierung. Andererseits lutscht das Gewinnstreben alte Wirtschaftszweige bis zum letzten Tropfen aus. Siehe alte Atom- und Kohlemeiler und Verbrennungsmotoren. Sie alle sollen möglichst lange laufen, was den Fortschritt wiederum ausbremst. Er steht eben nicht an erster Stelle, sondern das Geschäft, sprich Profitmachen. Vernunft, Gerechtigkeit, Gesundheit und Umweltbewusstsein dürfen sich dahinter anstellen.
Der Kapitalismus rühmt sich auch seiner Effizienz. Er steigert Produktivität und Rentabilität, vereinfacht und beschleunigt Arbeitsabläufe, schneidet Überflüssiges und Unnötiges weg, z.B. nicht mehr benötigte Arbeitsplätze. Doch gibt es auch hier eine Gegentendenz: Weil er nicht nur von der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft lebt, sondern darüber seine Macht erhält, hat er kein Interesse, diese Arbeitskraft im großen Stil konsequent durch Technik zu ersetzen, obgleich es möglich wäre. Er hängt auf Gedeih und Verderb an der alten Arbeitsgesellschaft, deshalb darf jene nicht aussterben. Aus diesem Grund wird das Automationspotenzial nicht voll ausgeschöpft, sondern, im Gegenteil, Beschäftigung erfunden ohne erkennbaren gesellschaftlichen Nutzen.
David Graeber, amerikanischer Anthropologe, überzeugter Anarchist und Bestseller-Autor, widmet sich dieser Thematik in seinem neuen Buch ‘Bullshit Jobs’. Die so bezeichneten Tätigkeiten erfahren zur Zeit eine erstaunliche Vermehrung, vor allem in den Bereichen Management, Verwaltung, Marketing bzw. Werbung so wie im Finanzsektor. Graeber zufolge werden solche Beschäftigungen einzig zu dem Zweck eingerichtet, ‘damit wir alle ständig arbeiten.’ Er schlussfolgert: ‘Irgendetwas an unserer Zivilisation ist grundlegend falsch.’
Als ‘Bullshit Jobs’ definiert Graeber Beschäftigungen, welche die Welt eigentlich nicht braucht. Keineswegs handelt es sich um schlechte Stellen, wo harte Arbeit gering entlohnt wird. In der Regel sind Bullshit Jobs eher gut bezahlt. Allerdings ist die Tätigkeit sinnlos oder sogar schädlich.
Als Beispiel führt Graeber eine Rezeptionistin an: Für sie gibt es nichts zu tun, weil die Firma keinen Publikumsverkehr hat, jedoch glaubt, sich eine Empfangsdame schuldig zu sein. Als Aushängeschild sozusagen. Zu den möglichen Aufgaben solcher Empfangsdamen gehört, Schalen mit Pfefferminzbonbons aufzufüllen oder alte Uhren in Konferenzräumen aufzuziehen.
Einige Firmen stellen Menschen nur ein, damit Vorgesetzte möglichst viele Untergebene als Statussymbol haben. In der Werbebranche beklagen viele Beschäftigte die Sinnlosigkeit ihres Tuns. Ihren eigenen Worten nach soll es einzig Bedürfnisse nach nutzlosen Dingen wecken. Unzählige Menschen arbeiten an Hauszeitschriften von Unternehmen, die praktisch nie gelesen werden. Das Management liebt solche Blätter jedoch, weil sie das Unternehmen gut aussehen lassen.
Bei aller Kritik maßt Graeber sich nicht an, den gesellschaftlichen Nutzen von Tätigkeiten von oben herab zu beurteilen. Allerdings registriert er Hinweise auf die Nützlichkeit: Ein Streik von Reinigungskräften sorgt für Ärger, weil diese gebraucht werden. Würden Telefonwerber oder Konzern-Lobbyisten streiken, gäbe es weniger Unmut. Graeber orientiert sich nicht am objektiven Nutzen dieser Jobs, sondern am subjektiven Empfinden der Arbeitenden. Ein Job ist genau dann ‘Bullshit’, wenn ihn die Tätigen selbst als sinnlos oder schädlich bezeichnen.
Nach Graebers Überzeugung können Arbeitende ihren Job am besten beurteilen, weil sie tagtäglich mit/in ihm zu tun haben. Außerdem neigen Menschen dazu, einen Sinn in ihrer Arbeit zu sehen, wodurch sie jene rechtfertigen. Dagegen sind Bullshit Jobs so sinnlos, dass nicht einmal die Beschäftigten selbst deren Existenz rechtfertigen können, obwohl ihr Pflichtgefühl sie dazu drängt. Hedgefonds-Manager haben demnach keinen Bullshit-Job, solange sie ihre Tätigkeit nicht für gesellschaftlich schädlich halten, selbst wenn sie Milliardenverluste riskieren.
In seinem Buch zitiert Graeber viele Menschen aus der Werbebranche. Sie finden ihre Arbeit gesellschaftlich nutzlos, weil sie Konsumenten überflüssige Dinge aufschwatzen. Für Graeber belegt dies: Wir alle opfern unsere Lebenszeit ungern, um Unternehmenseigner noch reicher zu machen.
Bullshit-Jobs breiten sich zunehmend aus. Graeber verweist auf eine Umfrage die das Meinungsforschungsinstituts Yougov vor einigen Jahren in Großbritannien durchführte. Immerhin 37 % der Befragten verneinten, dass ihre Arbeit einen sinnvollen Beitrag zur Welt leistet. 13 % waren unschlüssig. Graeber selbst bekam, seit dem er sich mit dem Thema befasst, Hunderte von Zuschriften von Menschen aus aller Welt. Diese zweifeln an ihrer Tätigkeit oder empfinden sie als komplett überflüssig.
Bullshit Jobs nehmen nicht nur zahlenmäßig zu, auch eigentlich sinnvolle Beschäftigungen werden mit immer mehr Bullshit belastet. Z.B. werden Bedienungen in Caféterias angehalten, bereits saubere Tische abzuwischen, um beschäftigt zu wirken.
Aus eigener Erfahrung weiß Graeber: Hochschullehrer verbringen zunehmend Zeit mit Verwaltung und Papierkrieg anstatt zu lehren und zu forschen. Wissenschaftler müssen mehr Zeit aufbringen, ihre Tätigkeit zu beurteilen und zu rechtfertigen, weil die Effizienz von Hochschulen gesteigert werden soll. Sie sollen quasi die gleichen Methoden und Strategien anwenden wie das Management eines Unternehmens. Graeber findet: All dies dient ‘definitiv nicht der Erweiterung des Wissens der Menschheit.’
Nun ließe sich fragen, warum Menschen solche Jobs überhaupt als Problem empfinden, wo wenig tun für viel Geld doch ganz angenehm sein kann. Laut Graeber trifft diese Einstellung nur auf den homo oeconomicus der herrschenden Wirtschaftslehre zu. Jener möchte stets das Verhältnis von Aufwand zu Ertrag maximieren. Deswegen sind Bullshit-Jobs für ihn ein Glücksfall.
In der Realität ticken Menschen jedoch anders: Sie wollen mit ihren Jobs nicht nur Geld verdienen, sondern etwas gesellschaftlich Sinnvolles leisten. Bei vielen Menschen ist dieses Bedürfnis so groß, dass sie ihre Phantasie bemühen, um ihre Arbeit im Endeffekt als nützlich zu bewerten. Oft gelingt das jedoch nicht, weshalb diese Jobs eine seelische Qual sind und seelische Narben hinterlassen.
Graeber zweifelt, ob der Kapitalismus tatsächlich so effizient ist, wie immer behauptet wird. Vielleicht leben wir, näher betrachtet, gar nicht im Kapitalismus, sondern in einer Art Manager-Feudalismus, wo viele Jobs nur den Zweck haben, Macht und Herrlichkeit der Manager oder Unternehmenseigentümer zu repräsentieren. Wie früher bei Hofe.
Zwischen der wachsenden Bedeutung des Finanzsektors, dem Anwachsen der Informationsbranche und der Vermehrung von Bull-shit-Jobs scheint ein Zusammenhang zu bestehen. Die Politik kümmert es nicht, weil ‘Arbeit’ als Wert an sich gilt. ‘Arbeitsplätze schaffen’ – Auf diesen Slogan können sich Rechte und Linke immer einigen. Wozu diese Arbeitsplätze gut sind, interessiert offensichtlich nicht. Hauptsache, sie werden bezahlt. Bereits vor über einem Jahrzehnt meinte dm-Gründer Götz Werner, die meisten Menschen hätten eigentlich keine Arbeits-, sondern Einkommensplätze.
Graeber sieht die arbeitende Bevölkerung von zwei Seiten bedroht: Zum einen durch die Wegautomatisierung ihrer Arbeitsplätze, zum anderen durch die Verrichtung sinnloser Beschäftigung. Wobei er gegen die ‘Abschaffung der Schufterei’ durch Technik nichts einzuwenden hat. Er nimmt die Warnung vor dieser Abschaffung als Indiz, ‘dass wir es mit einem irrationalen Wirtschaftssystem zu tun haben.’
Wenn Maschinen die Arbeit übernehmen, kann das ‘etwas Wunderbares’ sein. Wir können ‘eine Freizeitgesellschaft werden und die 24-Stunden-Woche einführen’. Stattdessen sind wir dazu verdammt, die meiste Zeit bei der Arbeit zu verbringen und Dinge zu tun, die uns für die Welt nutzlos vorkommen. Ansonsten befürchten wir, unsere Jobs zu verlieren.
Gibt es eine Lösung für dieses Dilemma? Graeber schwebt eine rationalere Wirtschaftsweise vor. Eine deutliche Reduzierung der Arbeitszeit oder ein bedingungsloses Grundeinkommen könnten Schritte in diese Richtung sein. Hauptsächlich geht es ihm jedoch zunächst darum, ein gesellschaftliches Problem darzustellen, dessen Existenz die meisten Menschen nicht einmal zugeben.
Mit politischen Empfehlungen ist er dagegen vorsichtig. Seine Kritiker neigen dazu, sich an solchen Vorschlägen aufzuhängen und mit diesen zusammen seine gesamte Analyse abzulehnen. Zweifeln sie beispielsweise die Machbarkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens an, streiten sie zugleich auch die Existenz von Bullshit-Jobs ab.
Generell steht Graeber der Politik misstrauisch gegenüber, weil hier eine kleine elitäre Gruppe für den Rest der Bevölkerung Entscheidungen trifft. Als Anarchist befürwortet er Lösungen, die Menschen in die Lage versetzen, ‘ihre Angelegenheiten selbst zu regeln anstatt Regierungen und Großkonzerne immer mächtiger zu machen.’
So würde es demokratischen Prinzipien entsprechen. Die Existenz von Bullshit-Jobs und die zunehmende soziale Kluft zeigen, dass wir eher in einer real existierenden Finanz- und Wirtschaftsoligarchie leben. Eine der dringlichsten Zukunftsaufgaben ist es, Demokratie konsequent von Schein in Sein zu verwandeln.
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Januar 2019, erschienen.
Online-Flyer Nr. 691 vom 06.02.2019
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