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Aktuelles
Internationale Konferenz "NATO-Aggression – Never to forget – 1999-2019", Belgrad, 22.-23.03.2019
Die andere Stimme wurde getötet
Fulvio Grimaldi – interviewt von Anneliese Fikentscher

"Ich habe bemerkt: In den ersten Tagen des Bombenangriffs wurden die Kommunikationszentralen zerstört. Die Stimme des anderen durfte nicht gehört werden. Also die allgemeine westliche Bevölkerung durfte nur durch die Mainstream-Medien, die ja der Macht gehorchten, informiert werden. Die Tatsache, dass die andere Stimme getötet wurde, zerstört wurde, nicht gehört werden durfte: das ist ein Zeichen, das es keine Demokratie mehr gab im Westen. Dass alle Demokratien ein Scheinwesen waren." Das sagt der italienische Publizist und Filmemacher Fulvio Grimaldi bei einem Interview, das die NRhZ mit ihm am Rande der internationalen Konferenz "NATO-Aggression - Niemals vergessen - 1999-2019 - Frieden und Fortschritt statt Krieg und Armut" (NATO-Aggression - Never to forget - 1999-2019 - Peace and Progress instead of Wars and Poverty) geführt hat, die anlässlich des völkerrechtswidrigen NATO-Überfalls auf die Bundesrepublik Jugoslawien vor 20 Jahren vom 22. bis 23. März 2019 in Belgrad stattgefunden hat.


Fulvio Grimaldi vor der im Rahmen der Konferenz gezeigten Ausstellung "NATO-Aggression - Niemals vergessen" (Foto: arbeiterfotografie.com)


Fulvio, schön dich hier zu treffen. Was hat dich hierher geführt?

Die Erinnerung an den ersten Tag, die erste Nacht der Bomben über Belgrad. Da war ich noch im italienischen Fernsehen tätig. Am Morgen hat man uns erzählt, dass es die Bomben gegeben hat auf Belgrad und dass wir uns als Journalisten mit dem humanitären Krieg beschäftigen sollen. Das Wort humanitär, das hat mir gar nicht gefallen, und das war auch mein letzter Tag im italienischen Staatsfernsehen. Ich nahm mir eine Fernsehkamera und kam nach Belgrad. Und hier begann meine Beziehung zu Serbien und zu Jugoslawien. Ich hab versucht, mit meinen Dokumentarfilmen - ich habe zwei Dokus realisiert - eine andere Fassung, eine andere Sicht von dem, was vor sich ging, meinem italienischen Publikum zu bringen. Einem geringeren Publikum, aber etwas, was wahrer war als die Mainstream-Media durchgaben.

Was hast Du gesehen? Was hast Du gezeigt?

Als wir hier ankamen, hatte der Bombenangriff gerade begonnen. Wir haben die ersten Bombenangriffe erlebt, die ersten 14 Tage, als das Fernsehgebäude zerstört wurde mit 13 (Todes-)Opfern. Und dann die chinesische Botschaft und Krankenhäuser, Schulen und so weiter. Das habe ich meiner neuen Zeitung "Liberazione" durchgegeben, und das wurde veröffentlicht gegen die allgemeine Meinung, dass es hier nur auf spezifische militärische Ziele Bomben geworfen wurden. Man wusste überhaupt nicht, was da an ziviler Zerstörung vor sich ging. Hier bin ich zwei Wochen geblieben. Dann sind wir das nächste Jahr wieder gekommen und haben berichtet, was da Unglaubliches an Wiederaufbau geleistet wurde. In einem Jahr hatten die Leute mit unvergleichbarer Kraft und Mut zum großen Teil alles wiederhergestellt. Auch die Brücken über die Donau. Das war wirklich großartig. Das war Zeichen des Widerstands der serbischen Bevölkerung, der Intelligenz und des Willens, weiterzuleben und die Angriff zu überwinden. Dann kamen wir 2001 wieder. Und da war die innere fünfte Kolonne tätig, die es dann zum Umsturz der Regierung Slobodan Milosevic brachte. Ich habe die Ehre gehabt, dem Präsidenten zu begegnen und mit ihm zu sprechen. Ich hatte das Glück, sein letztes Interview zu machen bevor er gefangen genommen wurde und dann nach Holland gebracht wurde. Das war ein wunderschönes Interview. Das habe ich in Italien veröffentlicht. Da hat er uns ein allgemeines Bild über die imperialistische Strategie im Balkan sehr, sehr gut erklärt und was da für schreckliche Folgen kommen würden.

Präsident Milosevic hatte die imperialistische Strategie klar erkannt?

Er hat das von Anfang an klar erkannt. Er hat erkannt, dass das eine Strategie war, einen multiethnischen, mehrsprachigen Staat zu zerstören und aufzusplittern. Divide et Impera wie es die Römer sagten (Teile und Herrsche). Und das ist ja dann eingetroffen. Präsident Milosevic hat das schon vorausgesehen, dass das weitergehen würde mit anderen Staaten, die sich dem Imperialismus widersetzten. Er hat vorausgesehen, dass das weitergehen würde und es ist weitergegangen mit Libyen, mit Irak, mit Syrien. Und in all diesen Fällen hab ich etwas bemerkt. In den ersten Tagen des Bombenangriffs wurden die Kommunikationszentralen zerstört. Die Stimme des anderen durfte nicht gehört werden. Also die allgemeine westliche Bevölkerung durfte nur durch die Mainstream-Medien, die ja der Macht gehorchten, informiert werden. Die Tatsache, dass die andere Stimme getötet wurde, zerstört wurde, nicht gehört werden durfte: das ist ein Zeichen, das es keine Demokratie mehr gab im Westen. Dass alle Demokratien ein Scheinwesen waren.

Du bist auch in Libyen gewesen. Was gab es da an Vergleichbarem?

Was sich da ähnelt zwischen Serbien, Libyen, Irak und Syrien ist die Tatsache, dass die Stimme der anderen vernichtet werden musste, dass man die nicht hören durfte. Und dann, dass vor allem die kulturellen Traditionen, die archäologischen Stätten, all das, was die Geschichte dieser verschiedenen Völker bedeutete - Babylon im Irak, Palmyra und Mossul in Syrien, Sirene in Libyen und so weiter - die wurden besonders gezielt zerstört. Und dahinter steckt eine Absicht, eine Strategie, die Seele, die Identität der Völker zu zerstören, um die Aufteilung, die Zerstückelung leichter zu machen, so dass die Völker keinen einheitlichen Begriff von sich selbst mehr haben – dass ihr Background, den sie in hunderten von Jahren gebildet haben und woraus sich ihre Seele zusammensetzt, zerstört werden muss. Dann sind sie leichter zu kontrollieren und zu beherrschen.

Welchen Einblick hast Du vor Ort auf das Vorgehen der Gegenkräfte bekommen. In Libyen hast Du von marodierenden Banden berichtet, die es in Serbien auch gab. Wo kommen diese Leute her?

Die Leute in Libyen und in Syrien, die den Aufstand gestartet haben, die als demokratische Revolutionäre bezeichnet wurden – auch von der Linken (!) – in Europa und im Westen. Ein tragischer Fehler oder vielleicht auch kein Fehler.

Wir sprechen vom "arabischen Frühling"...

Ja, vom so genannten arabischen Frühling. Das waren alles schon Leute, die im Zusammenhang mit dem islamischen Radikalismus zusammengesammelt wurden seitens der westlichen Mächte als ihre Söldner. Das waren die Söldnerarmeen, die von Anfang an den Angriff gestartet haben. Die Amerikaner setzen ihre eigenen Truppen sehr wenig ein sofern es sich um Spezialtruppen, Sabotage oder Bombenattentate angeht. Aber ihre eigenen Truppen auf dem Land, die gibt es nicht mehr. Man riskiert keine Opfer vor der amerikanischen öffentlichen Meinung. Und da benutzt man Söldner. In diesem Fall wurden Söldner aus allen islamischen Ländern auch in Zentralasien, in Tschetschenien und so weiter, wurden gesammelt, eingesetzt und als "demokratische Revolutionäre" gegen das "Regime" bezeichnet und uns verkauft.

Ähnliches konnte man auch in Jugoslawien beobachten...

... sicher auch in Jugoslawien, Bosnien und so weiter. Der Präsident von Bosnien, Itzebegovic, ein offensichtlicher und selbst bestätigter Faschist, wurde von Saudi Arabien und den islamischen Golfstaaten unterstützt, finanziell unterstützt, um diese Banden zu organisieren und einen Einsatz gegen die Serben, die sich verteidigten, die sich immer nur verteidigt haben gegen die Angriffe, als Völkermord zu bezeichnen – sofern man sich diesen Banden widersetzte.

Du hast viele Kriege gesehen, als Reporter beobachtet. Heute und hier in Belgrad könnte man von einem Friedenskongress sprechen?

Von einem Friedenskongress zu sprechen ist – glaube ich – eine sehr optimistische Bezeichnung. Was da vor sich geht in der Welt, immer noch der Syrien-Krieg, immer noch die Besetzung Iraks, immer noch die Besetzung und das Chaos in Libyen, den Staatsstreich gegen Venezuela und so weiter. Vom Frieden kann man nicht viel reden. Hier fördert man den Frieden. Hier spricht man für Frieden. Hier spricht man für Verständigung. Aber ich glaube, die Ohren, die das anhören sollten, die verantwortlich sind für das, was vor sich geht, diesen Vorschlag, dieser Botschaft sind sie verschlossen.

Wie schätzt die italienische Regierung das heute ein?

Die italienische Regierung ist eine sehr gespaltene Regierung. Wir haben zwei politische Kräfte am Ruder. Eine ist die Lega, die Liga auf deutsch. Die ist eine stark rechts gerichtete Bewegung oder Partei. Und dann haben wir die Fünf Sterne. Die Fünf Sterne sind ein gemischtes Volk, aber zum großen Teil mit linksgerichteten Meinungen was Umwelt betrifft, was Frieden betrifft, was Militarisierung betrifft, sind sie wahrscheinlich das beste, was Italien in den vergangenen Jahren produziert hat. Aber sie befinden sich in einer sehr isolierten Lage. Sie haben einen Verbündeten in der Regierung, der gegenrudert und der sich mehr mit der rechten Opposition verständigt als mit dem eigenen Regierungspartner. Infolge dessen ist die Situation momentan sehr durcheinander.  In diesem Moment haben wir in Italien den chinesischen Präsidenten zu Gast. Der unterzeichnet ein Memorandum mit der italienischen Regierung, das den Amerikanern überhaupt nicht gefällt. Nämlich Italien wäre in diesem Falle oder ist in diesem Fall der erste Staat von den Großen Sieben (G7), der an der Seidenstraße teilnimmt. Und das verdanken wir den Fünf Sternen, die eine offenere Einstellung gegenüber den Beziehungen mit den verschiedenen Weltzentren hat.

Du bist bei Deinen Reportagen schon öfter in Lebensgefahr geraten. Kannst Du Dir vorstellen, Dich heute noch einmal in eine solche Situation zu begeben – mit immerhin 85 Jahren?

Unbedingt! Unbedingt, sofern meine Beine und meine Arme und das Gehirn einigermaßen funktionieren, mach ich da sehr gerne mit.

Und wo geht's dann hin?

Der nächste Krieg ist wahrscheinlich – wer weiß – vielleicht zwischen Pakistan und Indien, vielleicht ein weiterer Angriff auf Venezuela, wenn der Staatsstreich nicht funktioniert. Wahrscheinlich wieder durch Söldnerbanden von Kolumbien und Brasilien ausgehend. Das ist eine Perspektive, die die Amerikaner schon in Aussicht gestellt haben.

Im Rahmen des Kongress-Programms werden Deine Filme gezeigt...

Meine zwei Filme heißen: "Jugoslawien, das unsichtbare Volk", darin enthalten ist die Aktion der Menschen, die die Branco-Brücke gegen Bomben besetzt hielten. Der zweite Film heißt: "Bis zum Tod bleibe ich ein Serbe".


Siehe auch:

Fotogalerie
In Erinnerung an die NATO-Aggression gegen Jugoslawien vor 20 Jahren
Das imperiale Lügenkonstrukt zerbrechen
Von Arbeiterfotografie
NRhZ 698 vom 29.03.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25766

Fotogalerie
Ausstellung im Rahmen der Internationalen Konferenz "NATO-Aggression – Never to forget – 1999-2019", Belgrad, 22.-23.03.2019
Genozid – Ökozid – Niemals vergessen
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 699 vom 03.04.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25790

Filmclip
Internationale Konferenz "NATO-Aggression – Never to forget – 1999-2019", Belgrad, 22.-23.03.2019
Peter Handke – ein Freund Serbiens – zur NATO-Aggression 1999 vor 20 Jahren
Von Arbeiterfotografie
NRhZ 698 vom 29.03.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25764

Filmclip
Serbiens Verteidigungsminister Aleksandar Vulin im Rahmen der Internationalen Konferenz "NATO-Aggression – Never to forget – 1999-2019", Belgrad, 22.-23.03.2019
Serbien wird nicht der NATO beitreten
Von Arbeiterfotografie
NRhZ 699 vom 03.04.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25792

Internationale Konferenz "NATO-Aggression – Never to forget – 1999-2019", Belgrad, 22.-23.03.2019
Never to forget – Niemals vergessen: 1999-2019
Abschlusserklärung der Konferenz
NRhZ 698 vom 29.03.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25763

Internationale Konferenz "NATO-Aggression – Never to forget – 1999-2019", Belgrad, 22.-23.03.2019
Ich habe meinen Eid nicht auf die Macht der USA geleistet
Von Florian D. Pfaff
NRhZ 698 vom 29.03.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25752

Internationale Konferenz "NATO-Aggression – Never to forget – 1999-2019", Belgrad, 22.-23.03.2019
20 Jahre Zerstörung der regelbasierten Koexistenz
Von Klaus Hartmann
NRhZ 698 vom 29.03.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25753

Internationale Konferenz "NATO-Aggression – Never to forget – 1999-2019", Belgrad, 22.-23.03.2019
Den Gemeinsinn zur leitenden Idee erheben
Von Rudolf Hänsel
NRhZ 698 vom 29.03.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25754

Internationale Konferenz "NATO-Aggression – Never to forget – 1999-2019", Belgrad, 22.-23.03.2019
Der Krieg hat ein Gesicht: das von Sanja
Von Willy Wimmer
NRhZ 698 vom 29.03.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25755

Internationale Konferenz "NATO-Aggression – Never to forget – 1999-2019", Belgrad, 22.-23.03.2019
Nicht gegeneinander aufhetzen lassen
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NRhZ 698 vom 29.03.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25756

Internationale Konferenz "NATO-Aggression – Never to forget – 1999-2019", Belgrad, 22.-23.03.2019
„Serbien wird nie in die NATO gehen!“
Kommentar von Rudolf Hänsel
NRhZ 698 vom 29.03.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25757

Internationale Konferenz "NATO-Aggression – Never to forget – 1999-2019", Belgrad, 22.-23.03.2019
Pläne zur Spaltung Venezuelas nach dem Vorbild Jugoslawiens
Karolus Wimmer - interviewt von Anneliese Fikentscher
NRhZ 699 vom 03.04.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25770

Internationale Konferenz "NATO-Aggression – Never to forget – 1999-2019", Belgrad, 22.-23.03.2019
Der NATO neues Leben einhauchen?
Rainer Rupp – interviewt von Anneliese Fikentscher
NRhZ 700 vom 10.04.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25798

Online-Flyer Nr. 699  vom 03.04.2019

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