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Monsanto sei Dank: 20 Jahre Giftkatastrophe in Argentinien
Another silent genocide: Sie sollen aufhören, uns zu töten
Von Pablo E. Piovano, Text: NRhZ/af

"Heute, am 7. September (2018) ist Fabián Tomasi gestorben, ein Mann, der so sehr gegen die Agrotoxika (Agrargifte) gekämpft hat, aber er hat nicht verloren, er hat uns Lehren hinterlassen, wir wollen weiter gegen die Agrochemie kämpfen, sie sollen aufhören, uns zu töten," heißt es in der argentinischen Publikation Diario El Día de Gualeguaychú über eine Flut von Anteilnahme zum Tod von Fabián Tomasi. Für den 1981 geborenen argentinischen Fotografen Pablo E. Piovano ist der Kontakt zum ehemaligen "Fumigator", Fabián Tomasi, Betanker und Flieger eines mit Pestiziden bestückten Sprühflugzeuges über gentechnisch veränderten Sojafeldern, 2014 der Einstieg in seine dreijährige Foto- und Filmdokumentation, angeregt durch einen Bericht der Ärzteorganisation "Ärztenetz der begasten Völker" oder auch "Ärztenetzwerk für von Besprühung Betroffene" [Physicians Network of Fumigated Peoples]. "Dutzende und Dutzende von Menschen öffneten mir ihre Häuser, und ich stand immer wieder vor den gleichen Leiden: angeborene Missbildungen, Fehlgeburten und Krebs."


15.04.2015, Colonia Alicia, Misiones province.


23.09.2015, Monte Maíz, Córdoba province.
Alfredo Cerán arbeitete neun Jahre lang als agrochemischer Besprüher in Sojabohnenfeldern. Seine Nagelbetten waren verbrannt, und derzeit ist sein klinischer Zustand geprägt von einer nicht alkoholischen Zirrhose und drei Bandscheibenvorfällen. Die medizinischen Ergebnisse zeigten Reste von Glyphosat, Chlorpyrifos, Azatrin, 2,4-D und Cypermethrin in seinem Blut. "Wie können die Samen der Welt in so wenige Hände passen'?", fragt Pablo E. Piovano


Anita Sosa kann nicht alleine gehen, aber sie spielt mit ihrer älteren Schwester zusammen und gibt vor, Tänzerin zu sein. Liliana Dworak, ihre Mutter, führt die Krankheit ihrer Tochter auf den Einfluss von Herbizid-Begasungen zurück, die zu Komplikationen bei ihrer letzten Schwangerschaft führten.


02.12.2014, La Leonesa, Chaco province.


10.12.2014, San Vicente, Misiones province.
Mónica Gabriela Rais. Ihre Mutter war 15 Jahre alt, als sie geboren wurde. Damals arbeitete sie auf Tabakplantagen.


01.12.2014, Roque Sáenz Peña, Chaco province.
Die Zwillinge Aldo und Maximiliano Barrios leiden an einer schweren Erkrankung durch angeborene Mikrozephalie, einer der Krankheiten, die mit dem Einsatz von Neurotoxinen in der transgenen Landwirtschaft verbunden sind. Sie besuchen eine der vielen Behinderteneinrichtungen, deren Zahl jedes Jahr deutlich steigt.


18.11.2014 Libaro, Entre Ríos.
San Salvador, Entre Ríos, is the national capital for rice; dozens of rice mills process the regional production as well as coexist with soybean and corn crops. Was ist die Todesursache der Einwohner von San Salvador (Entre Ríos province)? 39,7% der Todesfälle in den letzten 15 Jahren sind auf bösartige Tumore sowie eine signifikante Anzahl von Lungen-, Prostata-, Darm- und Brusttumoren zurückzuführen. Dr. Damian Verzeñassi berichtet: "Die Argentinier werden sich einer Veränderung bewusst, wie sie krank werden und sterben." Der Fall San Salvador ist einer der ersten, der einen Zusammenhang zwischen einem Umweltszenario und einem Morbiditäts-/Mortalitätsprofil zeigt.


11.12.2014, Fracrán, Misiones province.
Jessica Sheffer ist 14 Jahre alt und hat eine Genmutation.


25.09.2015, Firmat, Santa Fe province.
Die Familie Fontanellaz lebt inmitten von Feldern, die ständigen Begasungen ausgesetzt sind. Edgar reichte 34 gerichtliche Beschwerden ein. Er wurde zweimal von Sojabauern mit Schüssen in seinem Haus angegriffen. Seine beiden Söhne wurden mit Hörverlust geboren.


07.12.2014, Colonia Alicia, Misiones province.
Lucas Techeira ist fünf Jahre alt und wurde mit einer unheilbaren Krankheit namens Ichthyosis lamellar geboren, die durch eine Genmutation verursacht wurde. Seine Eltern arbeiteten in einem Tabakfeld und anderen Plantagen in dem Gebiet, in dem Agrochemikalien wie Glyphosat und 2,4-D, einer der Bestandteile von Agent Orange, versprüht werden.


2014-2017, Basavilbaso, Entre Ríos province.
Fabián Tomasi and family. "Wir hier in Argentinien haben der Agrar- und Chemieindustrie als Labor gedient, seit Monsanto 1996 unter verdächtigen Umständen ins Land kam. Mittlerweile gibt es tausende von Opfern." (Fabián Tomasi im Interview mit Jan-Christoph Wiechmann)


Fabián Tomasi im Sprühflugzeug / Agrarflugzeug
"Was passiert mit diesem Land. Mit meiner Stadt? Früher gab es dort alle Arten von Feldfrucht und Gemüse. Und plötzlich war alles Sojabohnen, alles Mais, Monokulturen. Alles ist genmanipuliert und wird massiv mit Pflanzen- und Insektengiften gespritzt." (Fabián Tomasi im Interview mit Jan-Christoph Wiechmann)


Fabián Tomasi und Mutter Bety
"Unbeabsichtigt ist Fabián zum größten Symbol des Kampfes gegen Agrochemikalien geworden." (Pablo E. Piovano)


Es gelingt Pablo E. Piovano eine Umsetzung der Leiden und Anklagen in eine überwältigende ästhetische Form, der sich niemand entziehen kann. So stellt Guillermo Saccomanno im Buch zur Ausstellung "Landwirtschaft der Gifte" - "The Human Cost (Auf Kosten der Menschen)" gar den Vergleich her zu berühmten Antikriegsfotografen und dem Maler des Aufbegehrens gegen Krieg und Unterdrückung: "Wenn ich mir die Fotos von Piovano immer wieder ansehe, erinnere ich mich an Don McCullin, den britischen Kriegsfotografen, der sagte, dass in den schrecklichsten Situationen Männer und Frauen, verzweifelt wie die Charaktere von Goya, in den Himmel schauen und um Rettung bitten. Auf Piovanos Fotos schaut niemand in den Himmel. Weil der Himmel ihnen keine Erlösung verspricht. Vom Himmel kommt der Tod aus den Räucherflugzeugen." Und weiter: "Piovanos Fotos haben eine goyeske Ausstrahlung. Die Deformität der realen Wesen bezieht sich auf den 'Schlaf der Vernunft', der nach Goya Monster hervorbringt. Die kapitalistische Vernunft, die Profit aus der Natur ziehen will, hat in der Tat dieses deformierte Mädchen, das krabbelt, und diese Kinder mit Wasserkopf und geistiger Behinderung geschaffen."

Die Verantwortlichen dieser "katastrophalen Folgen von 20 Jahren des rücksichtslosen Einsatzes von Monsanto-Agrar-Chemikalien im ländlichen Nordosten Argentiniens" (Verlagstext) haben Namen und Anschrift. Sie agieren in Tateinheit mit Politik und etablierten Medien, deren "Stille es war, was den meisten Lärm machte" (Piovano). Das unüberhörbare Schweigen mit der Tendenz zur Verharmlosung der genozidalen Gefahren begünstigt den fortgesetzten Einsatz von Chemikalien im zwar weltweit umstrittenen aber meistgehandelten Produkt Glyphosat, unter vielfältigen Bezeichnungen (Roundup, Lasso,...) mit  Komponenten wie Endosulfan, Methamidophos, Chlorpyrifos, DDT, Atrazin, 2,4-D, auch Bestandteil des berüchtigten Entlaubungsmittels Agent Orange im Vietnam-Krieg, für das Monsanto noch heute in Haftung genommen wird. Dank Kämpfern wie Fabián Tomasi, dem Pablo E. Piovano in seinem spanisch- und englischsprachigen Buch eine Widmung voranstellt: "Hermano mío … nunca te olvides de mí. My brother … never forget me." (Fabián Tomasi)


The Human Cost of Agrotoxins / El Costo Humano de los Agrotóxicos (Auf Kosten der Menschen)



Kehrer-Verlag Heidelberg / Berlin, 2017
21 x 24 cm, 144 Seiten, 89 Duplex-Abbildungen
Englisch, Spanisch
ISBN 978-3-86828-767-7

Dokumentation der Folgen von 20 Jahren des wahllosen Einsatzes von Agrarchemikalien im ländlichen Nordosten Argentiniens und dessen katastrophale Auswirkungen auf die Menschen und ihre Umwelt.


Pablo Ernesto Piovano (*1981) lebt als Fotojournalist in Buenos Aires, Argentinien, und wurde mit diversen Stipendien ausgezeichnet. Seit seinem 18. Lebensjahr arbeitet er als Fotograf für die Zeitung Página/12 in Buenos Aires.

Pablo Piovano was born in Buenos Aires, Argentina on September 7th 1981. In 2005 and 2014 he was awarded scholarship by the “Fundación García Márquez”. During 2001 he documented the social and political crisis in Argentina, and in 2002 published a book about that work called “Episodios Argentinos, Diciembre y después” with other 4 photojournalists. From 2004 to 2008 he coordinates a workshop for kids and teenagers in social risk situation at the Isla Maciel, Buenos Aires, resulting in a book called “Ojos y voces de la Isla”.

www.pablopiovano.com

Filmdokumentationen (2017 im Willy-Brandt-Haus)

The Human Cost
Argentinien 2015, 12 min, OmU (engl),
Dokumentation von Pablo E. Piovano

Fabián Tomasi – The shadow of success
Argentinien 2017, 12 min, OmU (engl),
Dokumentation von Pablo E. Piovano


Mit Dank an den Kehrer-Verlag für die Genehmigung zur Verwendung der gezeigten Fotos.

Online-Flyer Nr. 709  vom 13.06.2019

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