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Inland
An den "Beauftragten der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus"
Worte können töten
Von Georg Meggle

"Ich ... fordere Sie hiermit auf, Ihre Behauptung konkret (auch justiziabel) zu begründen. Ohne stichhaltige Begründung erfüllt Ihre öffentliche Zuschreibung schlicht den Tatbestand der Verleumdung, die – verständlich angesichts unserer Geschichte – zugleich einem Rufmord gleichkommt. Dass solche Worte töten können, weiß ich aus eigener Erfahrung." Dies sind Sätze, die Philosoph Prof. Dr. Georg Meggle an Dr. Michael Blume, den "Beauftragten der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus" richtet. Der hat am 01. Juli 2019 einen "1. Bericht" in die Öffentlichkeit gebracht. Darin macht er sich zum Erfüllungsgehilfen der kriminellen, rassistischen Apartheid-Politik Israels, in der er "empfiehlt", "der antiisraelischen Bewegung 'Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen' (BDS) weiterhin entgegen zu wirken und dieser keine Plattform in Einrichtungen des Landes zu geben" und indem er "die Überarbeitung oder Erneuerung der 'Nakba'-Ausstellung [empfiehlt], damit neben der damaligen Flucht und Vertreibung arabischer Menschen gleichberechtigt auch die Vertreibung jüdischer Menschen aus fast allen arabischen Staaten – zum Beispiel dem Irak – gezeigt wird." Die Neue Rheinische Zeitung veröffentlicht das Schreiben von Prof. Dr. Georg Meggle.


Sehr geehrter Herr Dr. Blume, als Beauftragter der Landesregierung (Baden-Württembergs) werfen Sie in Ihrem Ersten Antisemitismusbericht der von dem Verein "Flüchtlingskinder im Libanon" getragenen NAKBA-Ausstellung „Antisemitismus“ vor. Ich glaube nicht, dass Sie wissen, was Sie damit tun. Jedenfalls möchte ich gegen diese ungeheuerlich starke Zuschreibung dezidiert Einspruch erheben – und fordere Sie hiermit auf, Ihre Behauptung konkret (auch justiziabel) zu begründen. Ohne stichhaltige Begründung erfüllt Ihre öffentliche Zuschreibung schlicht den Tatbestand der Verleumdung, die – verständlich angesichts unserer Geschichte – zugleich einem Rufmord gleichkommt.

Dass solche Worte töten können, weiß ich aus eigener Erfahrung. Nachdem ich in meine Ringvorlesung Deutschland/Israel/Palästina (2005/2006) – dokumentiert in dem gleichnamigen Band bei der Europäischen Verlagsanstalt (eva; 2007) – außer Vertretern der israelischen Rechten auch eher Israelpolitik-kritische Denker wie z.B. die Israelis Uri Avnery, Dan Bar-On und den jüdisch/amerikanischen Intellektuellen Noam Chomsky eingeladen hatte, galt ich den „Anti-Deutschen“ und anderen etwas einseitigen Israel-Freunden von da an als „Antisemit“. Dass dies nicht nur für einen Philosophen, der sich selbst in der Nachfolge der gerade durch jüdische Kollegen in Deutschland am Leben gehaltenen Aufklärung verortet, vielmehr für jeden sich derzeit um eine mögliche Wiederkehr faschistischer Denkungsarten Sorge machenden Bürger der schlimmste aller denkbaren Vorwürfe ist,  bedarf dies – zumal einem Beauftragen für Antisemitismus gegenüber – jetzt wirklich noch einer Begründung?

Genau diesen Vorwurf erheben Sie aber. Und nun kommen Sie mir bitte nicht mit dem Hinweis, Sie hätten mit diesem Vorwurf ja ‚nur‘ auf den Spezialfall „Israelfeindlicher Antisemitismus“ abgezielt. Was auch diesen Spezialfall zu einem Verbrechen macht, ist, und darin sind wir uns hoffentlich einig,  dessen „Antisemitismus“, nicht allein eine etwaige „Israelfeindlichkeit“. 

„Wer ist Antisemit?“, diese zentrale Frage habe ich mir im Anschluss an die obige Ringvorlesung auch selbst gestellt – und darauf mit einem gleichlautenden kurzen Artikel [https://www.heise.de/tp/features/Wer-ist-Antisemit-3420944.html] geantwortet (s. Anhang). Meine Antwort unterscheidet sich von den im derzeitigen politischen Kampf verwendeten diversen ‚Arbeitsdefinitionen‘ vor allem in einem: Gerade deshalb, weil die Übergänge zwischen Antisemitismus und  bestimmten Formen von Antizionismus tatsächlich  fließend sein mögen (und offenbar auch, wie diese ‚Arbeitsdefinitionen‘ belegen, spielend leicht so fließend gemacht werden können), ist es – so das von mir befolgte begriffstheoretische Grundprinzip – umso wichtiger, zwischen diesen beiden Begriffen (und den entsprechenden Phänomenen) möglichst scharf zu unterscheiden. Wer mit seinen Argumenten nicht auf Klarheit, sondern auf Totschlag abzielt, wählt sicher eine andere Strategie. Ist das auch die Ihre?

Nun, dies ist nicht der Ort für eine tiefere Auseinandersetzung, die wir ja gerne beginnen können. Ich vermerke hier nur voller Verwunderung, wie schnell ausgerechnet ein Antisemitismus-Beauftragter in dem monierten Fall der NAKBA-Ausstellung einem so offensichtlich anti-aufklärerischen Programm zu folgen bereit scheint. Wenn aber selbst ein Antisemitismus-Beauftragter nicht zu den einfachsten Unterscheidungen willens ist, was sollen wir dann von unseren Nicht-Experten – den einfachen Mitbürgern oder unseren offensichtlich nicht weniger einfachen Bundestagsabgeordneten – erwarten?

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Georg Meggle



Ergänzendes Schreiben von Georg Meggle an Herrn Dr. Blume, 25. Juli 2019

Sehr geehrter Herr Dr. Blume, damit Sie auch meinen Denk-Hintergrund kennen, sende ich Ihnen - in Ergänzung meines gestrigen Schreibens - anbei noch meinen Vortrag, den ich am 23.09.2011 zur Eröffnung der von Ihnen in Ihrem ERSTEN ANTISEMITISMUSBERICHT inkriminierten Ausstellung NAKBA gehalten hatte. In diesem Vortag bette ich diese Ausstellung in einen weiteren (historischen wie systematischen) Kontext ein. Einfach, damit Sie mich etwas besser verstehen. Wenn Sie mir eine ähnliche Hilfestellung zum Verständnis Ihrer Position vermitteln könnten, wäre ich Ihnen dankbar.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Georg Meggle



Anhang:

Auszug aus dem so genannten "1. Bericht des Beauftragten der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus" vom 01.07.2019

Israelfeindlichen Antisemitismus stoppen


Antisemitismus zeigt sich in der Gegenwart nicht mehr nur über klassische antisemitische Mythen, sondern erhält Form in Anfeindungen, die gegen den Staat Israel gerichtet sind. Immer wieder werden allgemein judenfeindliche Traditionen hinter israelkritischen Aussagen verschleiert. So ist der Begriff der obsessiven „Israelkritik“ in die deutsche Sprache eingegangen, wie es sie zu keinem anderen Nationalstaat gibt. Während Palästinenserinnen und Palästinenser seit Jahren ihre Vertretungen nicht mehr wählen dürfen und Opposition etwa im Gaza-Streifen durch Gewalt und Folter unterbunden wird, findet so leider wenig Beachtung. Auch dass Konflikte und gegenseitige Vertreibungen in oft viel größerem Ausmaß auch bei der Gründung anderer Nationalstaaten wie beispielsweise Pakistan oder Burma im gleichen Zeitraum stattfanden, ist großen Teilen der Öffentlichkeit nicht einmal bekannt. Nicht selten dienen Verunglimpfungen und NS-Vergleiche mit Bezug auf die israelische Demokratie der emotionalen Schuldabwehr und antisemitischen Umwegkommunikation.

Der Stuttgarter Landtag hat sich – nach Auffassung des Beauftragten zu Recht – dezidiert gegen die Bewegung Boycott, Divestment, Sanctions (BDS) gestellt und den Aufruf zum Boykott israelischer Geschäfte und Waren sowie die Aufbringung von „Don’t Buy“-Schildern auf Waren aus Israel aufs Schärfste verurteilt. Inzwischen ist auch der deutsche Bundestag mit großer Mehrheit diesem Beispiel gefolgt. Erfreulich ist zudem eine wachsende Sensibilität der deutschen Außenpolitik gegenüber dem Weiterwirken antisemitischer Traditionen auch in internationalen Gremien.

Selbstverständlich vertritt und verteidigt der Beauftragte die Meinungsfreiheit, zu der auch sachliche Kritik an israelischer Politik und Medien gehört, wie sie auch gegenüber jedem anderen Nationalstaat geäußert werden kann. Einseitige Darstellungen und Dämonisierungen, doppelte Standards sowie antijüdische Boykottaufrufe verlassen jedoch die seriöse, demokratische Debatte. Die Bekämpfung des sogenannten Antizionismus als israelfeindlichem Antisemitismus dient also nicht nur der Sicherheit der israelischen, sondern auch der deutschen und europäischen Demokratien. Sie dient mittelbar auch jenen israelischen, arabischen und palästinensischen Stimmen, die einen realistischen Frieden anstreben.

Der Beauftragte empfiehlt daher:
  • der antiisraelischen Bewegung „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“ (BDS) weiterhin entgegen zu wirken und dieser keine Plattform in Einrichtungen des Landes zu geben;

  • dabei aber auch die Meinungsfreiheit und Möglichkeiten angstfreier Debatten zu wahren, indem nicht jede Kritik an israelischer Politik mit Antisemitismus gleichgesetzt und massive Vorwürfe wie „BDS-nah“ nicht ungeprüft übernommen wird;

  • die Überarbeitung oder Erneuerung der „Nakba“-Ausstellung, damit neben der damaligen Flucht und Vertreibung arabischer Menschen gleichberechtigt auch die Vertreibung jüdischer Menschen aus fast allen arabischen Staaten – zum Beispiel dem Irak – gezeigt wird.
Quelle: https://stm.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/190701_StM_Bericht_Beauftragter_gegen_Antisemitismus_B-W.pdf

Online-Flyer Nr. 714  vom 31.07.2019

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