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Arbeit und Soziales
Gewerkschaftsfunktionäre lehnen bedingungsloses Grundeinkommen ab
Angst-Ausreden
Von Harald Schauff
‚Gewerkschaften sehen das Grundeinkommen kritisch‘ heißt es im Untertitel eines Artikels im Neuen Deutschland zum Verhältnis der Gewerkschaften zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) (‚Wir statt ich‘ von Eva Roth, 24./25. August 2019). Für jene, die sich schon länger mit der Idee beschäftigen, ist das nicht neu. Seit sie sich verbreitet, stößt sie bei Vertretern der Arbeitnehmer-Organisationen auf Ablehnung. Diese dichten dem Grundeinkommen alles Mögliche an, bezeichnen es als ‚Stilllegungsprämie‘ oder warnen davor, es sei neoliberal und würde zu Lohnsenkungen führen. Offensichtlich sehen immer mehr Gewerkschaftsmitglieder an der Basis das anders. Wiederholt finden Debatten über das BGE statt. U.a. hat sich die Bundesfrauenkonferenz der IG Bau dafür ausgesprochen. Die Ablehnung scheint vor allem aus den höheren Etagen zu kommen, von Funktionärsseite. Einer davon ist Kai Lindemann, ein Politikwissenschaftler. Er kümmert sich in der Grundsatzabteilung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) um den Bereich Arbeit und Gesellschaft. Er koordiniert auch die gewerkschaftliche Debatte um das BGE.
Im nd-Beitrag erläutert er die kritische Haltung der DGB-Gewerkschaften bzw. ihrer Funktionäre gegenüber dem Konzept. Zu Beginn des Artikels steht sein Hinweis auf ‚bessere und schneller umsetzbare‘ Instrumente als das BGE, um Menschen in verschiedenen Arbeits- und Lebenssituationen zu unterstützen. Z.B. wenn Beschäftigte eine Auszeit nehmen oder ihre Arbeitszeit verkürzen wollen. Außerdem sollen Alleinerziehende, ihre Kinder und Bedürftige ‚anständig leben können‘.
Sie sollen können. Warum tun sie es jetzt nicht? Auf diese Frage geht der Politikwissenschaftler nicht ein. Auf die Schwächen der jetzigen Sozialsysteme kommt er lieber nicht zu sprechen, weil sie Argumente für das Grundeinkommen liefern: Die Kopplung an Erwerbsarbeit, die häufig zu niedrigen Leistungen, die überbordende Bürokratie, die Unübersichtlichkeit bei Hunderten von Leistungstöpfen. Das alles entfiele beim BGE, weil es ohne Antrag automatisch, in existenzsichernder Höhe gewährt würde. Doch wozu einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Für die Ablehnung der Gewerkschaftsfunktionäre scheint hauptsächlich ein Motiv ausschlaggebend: Die Angst, nicht mehr gebraucht zu werden, weil Beschäftigte durch das BGE kein Interesse mehr haben könnten, für höhere Löhne zu kämpfen. Lindemann macht gar kein Hehl daraus: Er fürchtet, dass ein Teil der Beschäftigten nicht mehr zu Arbeitskämpfen bereit sei. Das würde die ‚kollektiven Lohnverhandlungen‘ und somit die Gewerkschaften schwächen und Lohnzuwächse unwahrscheinlicher machen. Generell würde man sich mit dem Grundeinkommen ‚vom Weg verabschieden kollektiv Verbesserungen in der Arbeitswelt durchzusetzen, die die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen.‘
Weil das BGE laut Lindemann angeblich ‚kollektives Handeln‘ schwächt, betrachtet er es als ‚neoliberales Konzept‘, das jeder Einzelperson die Verantwortung für ihr Glück und Unglück zuweist. Um diesen Vorbehalt intellektuell zu untermauern, führt der Gewerkschaftsfunktionär den französischen Soziologen Pierre Bordieu an. Jener soll bereits vor der Jahrtausendwende erkannt haben, dass nur kollektives Handeln etwas gegen den Neoliberalismus ausrichtet.
Lindemann schwört auf das Kollektiv/e. Dreimal wiederholt er den Ausdruck. Es wirkt so, als wolle er rhetorisch einbläuen, wie sehr das böse, neoliberale BGE die Menschen angeblich vereinzelt. Fehlt nur noch der Vorwurf, es würde auch den Egoismus fördern. Auf der Gegenseite soll es nach dieser Lesart nichts stärker Gemeinschaftsförderndes geben als Arbeitskämpfe und Tarifverhandlungen. Schließlich wird hier ‚kollektiv‘ gehandelt und gekämpft. Dem starken, kollegialen Gewerkschafts-Wir steht das schwächliche, vereinzelte Grundeinkommens-Ich gegenüber.
Dieses Bild malt das Grundeinkommen so schwarz wie es den ‚Gemeinschaftsgeist‘ in den Arbeitnehmer-Organisationen schön färbt. Jenem liegt etwas Unschönes zugrunde: Der kollektive Arbeitszwang. In diesem Sinne könnte bei den Angestellten eines Betriebes oder einer gesamten Branche von Zwangskollektiven die Rede sein. Das BGE würde diesen Zwang abstellen und den Weg bereiten für wirklichen Gemeinsinn auf Basis von Freiwilligkeit, wie es ihn z.B in Ehrenämtern gibt. Nicht zuletzt, weil es jede Person in gleicher Höhe bekommt. Das trennt nicht, sondern verbindet. In der realen Arbeitswelt mit ihren Hierarchien und gravierenden Lohnunterschieden ist das Gegenteil der Fall. Dort zeigt der Neoliberalismus täglich seine Fratze. Das ‚kollektive Handeln‘ der Gewerkschaften konnte ihm bislang keinen Einhalt gebieten. Mit einem Grundeinkommen in existenzsichernder Höhe, das Einzelne wie Gruppen, u.a. Familien und Belegschaften, gleichermaßen stärkt, sähe es anders aus.
Funktionär Lindemann hält das BGE nicht nur für neoliberal und unsozial, er spricht ihm auch den emanzipatorischen Charakter ab. Viele Menschen wären dann doppelt abhängig, behauptet er allen Ernstes: Nicht nur von ihrem Unternehmen, sondern auch vom Staat. Über die Höhe des pauschalen Grundeinkommensbetrages würde eine Kommission befinden. Solche Kommissionen würde viel Zeit benötigen, ‚um die Höhe auskömmlicher Pauschalbeiträge festzulegen‘.
Lindemann verweist auf die Mindestlohnkommission. Deshalb lehnen Gewerkschaftsvertreter den Mindestlohn, anders als das Grundeinkommen, noch lange nicht ab. Zumindest nicht prinzipiell. Zu hoch darf er allerdings auch nicht ausfallen, sonst kommt er den Tarifverhandlungen in die Quere. Auch die können sich bekanntlich in die Länge ziehen, weshalb die Kritik an der Arbeit von Kommissionen, in denen häufig auch Gewerkschaftsvertreter sitzen, an dieser Stelle nicht wirklich überzeugend herüber kommt.
Gleichfalls an den Haaren herbei gezogen wirkt das Argument der doppelten Abhängigkeit der BGE-Bezieher von Staat und Unternehmen. Grundsätzlich sind wir alle in der heutigen, komplett fremd versorgten Gesellschaft ständig abhängig von anderen, die für uns Güter produzieren und Dienste leisten. Allerdings macht es einen Unterschied, ob wir zum ‚Verdienst des Lebensunterhalts‘, sprich der Sicherung des Existenzminimums, zum Verkauf der Arbeitskraft gezwungen sind oder nicht. Erst wenn dieser Zwang entfällt, können wir Beschäftigungen nach eigener Neigung frei wählen und gegenüber Unternehmen unabhängig auftreten, da wir nicht existenziell auf den Lohn angewiesen sind. Die von Lindemann beschriebene doppelte Abhängigkeit betrifft heute eher Millionen Arbeitnehmer, deren geringe Löhne mit ergänzendem Arbeitslosengeld aufgestockt werden müssen.
Mit einem BGE in existenzsichernder Höhe brauchen sich Beschäftigte nicht mehr mit niedrigen Löhnen abspeisen zu lassen. Der Standardvorwurf, das BGE würde die Löhne drücken, schießt somit ins Leere. Unternehmen müssten sich bemühen, hinsichtlich Löhnen, Arbeitszeiten und -bedingungen attraktive Beschäftigung anzubieten, um Mitarbeiter/innen zu finden. Unabhängig davon, ob sie ‚zeitnah am Produktivitätsgewinn des Unternehmens‘ beteiligt werden oder nicht. Diese Beteiligung sieht Lindemann als wichtige Errungenschaft, die durch das BGE angeblich gefährdet sei.
Der Politikwissenschaftler bemängelt, ein ‚Einheitsbetrag‘ berücksichtige auch nicht die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen‘. So bliebe einer Frau, die ihren hilfsbedürftigen Vater betreut und für einige Stunden pro Woche ambulante Pflegekräfte engagiert, wenig vom Grundeinkommen. Auch dieser Einwand lässt sich leicht entkräften. Zum einen bekommt der Vater ebenfalls das Grundeinkommen. Zum anderen fällt der Pflegedienst unter Extrabedarf, der aus anderen Töpfen, etwa Pflege- oder Krankenversicherung, zu finanzieren wäre.
Was schwebt dem DGB-Vertreter als Alternative zum angeblich unkollegialen BGE vor? ‚Gute Tarifverträge‘. Heißt das im Umkehrschluss, dass die Gewerkschaften auch schon schlechte Tarifverträge ausgehandelt haben? Gute sollen laut Lindemann z.B. solche sein, welche den Beschäftigten die Wahl zwischen mehr Geld und mehr Freizeit einräumen. Eine derartige Regelung setzte die IG Metall 2018 durch. Bei Schichtarbeit, für die Kindererziehung oder die Pflege Angehöriger können Beschäftigte seit dem zusätzlich acht Tage frei nehmen. Die Gegenleistung: Sie verzichten dafür teilweise auf Lohnerhöhungen.
Auf Basis eines Grundeinkommens ließen sich kürzere Arbeitszeiten und mehr Urlaub leichter durchsetzen. Ohne sog. ‚Interessenvertreter‘, die ein großes Tauziehen veranstalten, um kleinste Verbesserungen zu erreichen. Zumindest Eines hat Lindemann erkannt: Der Sozialstaat sollte ‚moderner‘ und weniger autoritär werden. Er fordert die finanzielle Besserstellung von und einen respektvolleren Umgang mit Arbeitslosen und Alleinerziehenden, sieht darin ein Gebot für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Des weiteren plädiert er dafür, die Pflege zu stärken und Angehörige zu unterstützen. Das sei alles finanzierbar. Mit einem ‚pauschalen Grundeinkommen‘ würde man vor dieser Herausforderung ‚kapitulieren‘ und die Gesellschaft ‚entsolidarisieren‘.
Falsch. Mit einem Grundeinkommen würden diese Herausforderungen konsequent angegangen. Es würde sich nicht mit Stückwerk zufrieden gegeben so wie jetzt. Die Gesellschaft würde nicht entsolidarisiert, sondern, im Gegenteil, ihre bestehenden Risse gekittet. Wer hat zu deren Vergrößerung maßgeblich beigetragen? Der Hartz IV-Workfare-Staat. Und wer saß einst mit in der Kommission, die über Hartz IV befand? Amelie Buntenbach vom DGB. Da gibt es einiges zu kehren vor der eigenen Haustür.
Übrigens sitzen Gewerkschaftsvertreter auch mit in der Spitze der Bundesarbeitsagentur. Ganz nebenbei gehören zu den gewerkschaftseigenen Instituten Fortbildungsakademien, zu denen Erwerbslose geschickt werden. Schon lange ist man Teil der Arbeitslosenindustrie. Und fester Bestandteil der alten Erwerbsgesellschaft sowieso. Deswegen darf diese nicht untergehen, obwohl die Digitalisierung bereits mächtig an ihren Grundfesten nagt.
Lindemann behauptet, keine Sorgen zu haben, dass Millionen Erwerbstätige möglicherweise bald nicht mehr gebraucht werden. Für ihn ist das ‚ein Mythos aus dem Silicon Valley‘. Die Erwerbsarbeit verändere sich, verschwinde jedoch nicht. Vielleicht tut sie das nicht so schnell, allerdings geht allmählich das Arbeitsvolumen zurück bzw. stagnierte zuletzt. Im High-Tech-Bereich entstehen ohne Zweifel neue Jobs. Jedoch gleichen sie die wegfallenden alten Beschäftigungsfelder nicht vollständig aus.
Auf dem Papier glänzt die Rekordzahl von 45 Millionen Erwerbspersonen in Deutschland. Rund ein Drittel davon sind teilzeitbeschäftigt. Solche Tätigkeiten betrachten Gewerkschaftsvertreter nicht als ‚gute Arbeit‘. Dieses Prädikat bleibt der unbefristeten, auskömmlich entlohnten Vollzeit-Beschäftigung vorbehalten. Eine noch vorhandene, doch allmählich aussterbende Art. Teilzeitarbeit nimmt dagegen weiter zu. Unter dem Strich bedeutet das: Vorhandene Arbeit wird auf mehr Köpfe verteilt.
Dieser Entwicklung könnten die Gewerkschaften Rechnung tragen, in dem sie konsequent für kürzere Arbeitszeiten einträten. Ihre Vertreter und Funktionäre halten jedoch lieber in trauter Verbundenheit am alten Arbeitsmodell mit bis zu 40 Wochenstunden fest. Und vertrauen zweckoptimistisch darauf, dass es den anrollenden Digitalisierungs-Tsunami einigermaßen unbeschadet übersteht. Sein bisheriges Abbröckeln übersehen sie. Aus Angst vor dem Untergang klammern sie sich beharrlich an das Untergehende.
Deshalb lehnen sie das Grundeinkommen ab, obwohl es die Situation der meisten ihrer Mitglieder nachhaltig verbessern würde. Scheinargumente sollen der Basis ein X für ein O vormachen. Dem Grundeinkommen wird ein spalterischer, entzweiender, zerstörerischer Charakter angedichtet. Das Gegenteil ist richtig: Das BGE fügt zusammen, eint und baut auf. Der Gipfel der Verdrehung ist allerdings: Gut versorgte Funktionäre wollen schlechter Gestellten allen Ernstes weismachen, dass die bedingungslose Sicherung des Existenzminimums zu ihrem Nachteil ausfällt. Diesen Widersinn sollte sich die Gewerkschaftsbasis einmal vor Augen führen.
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Dezember 2019, erschienen.
Online-Flyer Nr. 729 vom 11.12.2019
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Arbeit und Soziales
Gewerkschaftsfunktionäre lehnen bedingungsloses Grundeinkommen ab
Angst-Ausreden
Von Harald Schauff
‚Gewerkschaften sehen das Grundeinkommen kritisch‘ heißt es im Untertitel eines Artikels im Neuen Deutschland zum Verhältnis der Gewerkschaften zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) (‚Wir statt ich‘ von Eva Roth, 24./25. August 2019). Für jene, die sich schon länger mit der Idee beschäftigen, ist das nicht neu. Seit sie sich verbreitet, stößt sie bei Vertretern der Arbeitnehmer-Organisationen auf Ablehnung. Diese dichten dem Grundeinkommen alles Mögliche an, bezeichnen es als ‚Stilllegungsprämie‘ oder warnen davor, es sei neoliberal und würde zu Lohnsenkungen führen. Offensichtlich sehen immer mehr Gewerkschaftsmitglieder an der Basis das anders. Wiederholt finden Debatten über das BGE statt. U.a. hat sich die Bundesfrauenkonferenz der IG Bau dafür ausgesprochen. Die Ablehnung scheint vor allem aus den höheren Etagen zu kommen, von Funktionärsseite. Einer davon ist Kai Lindemann, ein Politikwissenschaftler. Er kümmert sich in der Grundsatzabteilung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) um den Bereich Arbeit und Gesellschaft. Er koordiniert auch die gewerkschaftliche Debatte um das BGE.
Im nd-Beitrag erläutert er die kritische Haltung der DGB-Gewerkschaften bzw. ihrer Funktionäre gegenüber dem Konzept. Zu Beginn des Artikels steht sein Hinweis auf ‚bessere und schneller umsetzbare‘ Instrumente als das BGE, um Menschen in verschiedenen Arbeits- und Lebenssituationen zu unterstützen. Z.B. wenn Beschäftigte eine Auszeit nehmen oder ihre Arbeitszeit verkürzen wollen. Außerdem sollen Alleinerziehende, ihre Kinder und Bedürftige ‚anständig leben können‘.
Sie sollen können. Warum tun sie es jetzt nicht? Auf diese Frage geht der Politikwissenschaftler nicht ein. Auf die Schwächen der jetzigen Sozialsysteme kommt er lieber nicht zu sprechen, weil sie Argumente für das Grundeinkommen liefern: Die Kopplung an Erwerbsarbeit, die häufig zu niedrigen Leistungen, die überbordende Bürokratie, die Unübersichtlichkeit bei Hunderten von Leistungstöpfen. Das alles entfiele beim BGE, weil es ohne Antrag automatisch, in existenzsichernder Höhe gewährt würde. Doch wozu einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Für die Ablehnung der Gewerkschaftsfunktionäre scheint hauptsächlich ein Motiv ausschlaggebend: Die Angst, nicht mehr gebraucht zu werden, weil Beschäftigte durch das BGE kein Interesse mehr haben könnten, für höhere Löhne zu kämpfen. Lindemann macht gar kein Hehl daraus: Er fürchtet, dass ein Teil der Beschäftigten nicht mehr zu Arbeitskämpfen bereit sei. Das würde die ‚kollektiven Lohnverhandlungen‘ und somit die Gewerkschaften schwächen und Lohnzuwächse unwahrscheinlicher machen. Generell würde man sich mit dem Grundeinkommen ‚vom Weg verabschieden kollektiv Verbesserungen in der Arbeitswelt durchzusetzen, die die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen.‘
Weil das BGE laut Lindemann angeblich ‚kollektives Handeln‘ schwächt, betrachtet er es als ‚neoliberales Konzept‘, das jeder Einzelperson die Verantwortung für ihr Glück und Unglück zuweist. Um diesen Vorbehalt intellektuell zu untermauern, führt der Gewerkschaftsfunktionär den französischen Soziologen Pierre Bordieu an. Jener soll bereits vor der Jahrtausendwende erkannt haben, dass nur kollektives Handeln etwas gegen den Neoliberalismus ausrichtet.
Lindemann schwört auf das Kollektiv/e. Dreimal wiederholt er den Ausdruck. Es wirkt so, als wolle er rhetorisch einbläuen, wie sehr das böse, neoliberale BGE die Menschen angeblich vereinzelt. Fehlt nur noch der Vorwurf, es würde auch den Egoismus fördern. Auf der Gegenseite soll es nach dieser Lesart nichts stärker Gemeinschaftsförderndes geben als Arbeitskämpfe und Tarifverhandlungen. Schließlich wird hier ‚kollektiv‘ gehandelt und gekämpft. Dem starken, kollegialen Gewerkschafts-Wir steht das schwächliche, vereinzelte Grundeinkommens-Ich gegenüber.
Dieses Bild malt das Grundeinkommen so schwarz wie es den ‚Gemeinschaftsgeist‘ in den Arbeitnehmer-Organisationen schön färbt. Jenem liegt etwas Unschönes zugrunde: Der kollektive Arbeitszwang. In diesem Sinne könnte bei den Angestellten eines Betriebes oder einer gesamten Branche von Zwangskollektiven die Rede sein. Das BGE würde diesen Zwang abstellen und den Weg bereiten für wirklichen Gemeinsinn auf Basis von Freiwilligkeit, wie es ihn z.B in Ehrenämtern gibt. Nicht zuletzt, weil es jede Person in gleicher Höhe bekommt. Das trennt nicht, sondern verbindet. In der realen Arbeitswelt mit ihren Hierarchien und gravierenden Lohnunterschieden ist das Gegenteil der Fall. Dort zeigt der Neoliberalismus täglich seine Fratze. Das ‚kollektive Handeln‘ der Gewerkschaften konnte ihm bislang keinen Einhalt gebieten. Mit einem Grundeinkommen in existenzsichernder Höhe, das Einzelne wie Gruppen, u.a. Familien und Belegschaften, gleichermaßen stärkt, sähe es anders aus.
Funktionär Lindemann hält das BGE nicht nur für neoliberal und unsozial, er spricht ihm auch den emanzipatorischen Charakter ab. Viele Menschen wären dann doppelt abhängig, behauptet er allen Ernstes: Nicht nur von ihrem Unternehmen, sondern auch vom Staat. Über die Höhe des pauschalen Grundeinkommensbetrages würde eine Kommission befinden. Solche Kommissionen würde viel Zeit benötigen, ‚um die Höhe auskömmlicher Pauschalbeiträge festzulegen‘.
Lindemann verweist auf die Mindestlohnkommission. Deshalb lehnen Gewerkschaftsvertreter den Mindestlohn, anders als das Grundeinkommen, noch lange nicht ab. Zumindest nicht prinzipiell. Zu hoch darf er allerdings auch nicht ausfallen, sonst kommt er den Tarifverhandlungen in die Quere. Auch die können sich bekanntlich in die Länge ziehen, weshalb die Kritik an der Arbeit von Kommissionen, in denen häufig auch Gewerkschaftsvertreter sitzen, an dieser Stelle nicht wirklich überzeugend herüber kommt.
Gleichfalls an den Haaren herbei gezogen wirkt das Argument der doppelten Abhängigkeit der BGE-Bezieher von Staat und Unternehmen. Grundsätzlich sind wir alle in der heutigen, komplett fremd versorgten Gesellschaft ständig abhängig von anderen, die für uns Güter produzieren und Dienste leisten. Allerdings macht es einen Unterschied, ob wir zum ‚Verdienst des Lebensunterhalts‘, sprich der Sicherung des Existenzminimums, zum Verkauf der Arbeitskraft gezwungen sind oder nicht. Erst wenn dieser Zwang entfällt, können wir Beschäftigungen nach eigener Neigung frei wählen und gegenüber Unternehmen unabhängig auftreten, da wir nicht existenziell auf den Lohn angewiesen sind. Die von Lindemann beschriebene doppelte Abhängigkeit betrifft heute eher Millionen Arbeitnehmer, deren geringe Löhne mit ergänzendem Arbeitslosengeld aufgestockt werden müssen.
Mit einem BGE in existenzsichernder Höhe brauchen sich Beschäftigte nicht mehr mit niedrigen Löhnen abspeisen zu lassen. Der Standardvorwurf, das BGE würde die Löhne drücken, schießt somit ins Leere. Unternehmen müssten sich bemühen, hinsichtlich Löhnen, Arbeitszeiten und -bedingungen attraktive Beschäftigung anzubieten, um Mitarbeiter/innen zu finden. Unabhängig davon, ob sie ‚zeitnah am Produktivitätsgewinn des Unternehmens‘ beteiligt werden oder nicht. Diese Beteiligung sieht Lindemann als wichtige Errungenschaft, die durch das BGE angeblich gefährdet sei.
Der Politikwissenschaftler bemängelt, ein ‚Einheitsbetrag‘ berücksichtige auch nicht die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen‘. So bliebe einer Frau, die ihren hilfsbedürftigen Vater betreut und für einige Stunden pro Woche ambulante Pflegekräfte engagiert, wenig vom Grundeinkommen. Auch dieser Einwand lässt sich leicht entkräften. Zum einen bekommt der Vater ebenfalls das Grundeinkommen. Zum anderen fällt der Pflegedienst unter Extrabedarf, der aus anderen Töpfen, etwa Pflege- oder Krankenversicherung, zu finanzieren wäre.
Was schwebt dem DGB-Vertreter als Alternative zum angeblich unkollegialen BGE vor? ‚Gute Tarifverträge‘. Heißt das im Umkehrschluss, dass die Gewerkschaften auch schon schlechte Tarifverträge ausgehandelt haben? Gute sollen laut Lindemann z.B. solche sein, welche den Beschäftigten die Wahl zwischen mehr Geld und mehr Freizeit einräumen. Eine derartige Regelung setzte die IG Metall 2018 durch. Bei Schichtarbeit, für die Kindererziehung oder die Pflege Angehöriger können Beschäftigte seit dem zusätzlich acht Tage frei nehmen. Die Gegenleistung: Sie verzichten dafür teilweise auf Lohnerhöhungen.
Auf Basis eines Grundeinkommens ließen sich kürzere Arbeitszeiten und mehr Urlaub leichter durchsetzen. Ohne sog. ‚Interessenvertreter‘, die ein großes Tauziehen veranstalten, um kleinste Verbesserungen zu erreichen. Zumindest Eines hat Lindemann erkannt: Der Sozialstaat sollte ‚moderner‘ und weniger autoritär werden. Er fordert die finanzielle Besserstellung von und einen respektvolleren Umgang mit Arbeitslosen und Alleinerziehenden, sieht darin ein Gebot für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Des weiteren plädiert er dafür, die Pflege zu stärken und Angehörige zu unterstützen. Das sei alles finanzierbar. Mit einem ‚pauschalen Grundeinkommen‘ würde man vor dieser Herausforderung ‚kapitulieren‘ und die Gesellschaft ‚entsolidarisieren‘.
Falsch. Mit einem Grundeinkommen würden diese Herausforderungen konsequent angegangen. Es würde sich nicht mit Stückwerk zufrieden gegeben so wie jetzt. Die Gesellschaft würde nicht entsolidarisiert, sondern, im Gegenteil, ihre bestehenden Risse gekittet. Wer hat zu deren Vergrößerung maßgeblich beigetragen? Der Hartz IV-Workfare-Staat. Und wer saß einst mit in der Kommission, die über Hartz IV befand? Amelie Buntenbach vom DGB. Da gibt es einiges zu kehren vor der eigenen Haustür.
Übrigens sitzen Gewerkschaftsvertreter auch mit in der Spitze der Bundesarbeitsagentur. Ganz nebenbei gehören zu den gewerkschaftseigenen Instituten Fortbildungsakademien, zu denen Erwerbslose geschickt werden. Schon lange ist man Teil der Arbeitslosenindustrie. Und fester Bestandteil der alten Erwerbsgesellschaft sowieso. Deswegen darf diese nicht untergehen, obwohl die Digitalisierung bereits mächtig an ihren Grundfesten nagt.
Lindemann behauptet, keine Sorgen zu haben, dass Millionen Erwerbstätige möglicherweise bald nicht mehr gebraucht werden. Für ihn ist das ‚ein Mythos aus dem Silicon Valley‘. Die Erwerbsarbeit verändere sich, verschwinde jedoch nicht. Vielleicht tut sie das nicht so schnell, allerdings geht allmählich das Arbeitsvolumen zurück bzw. stagnierte zuletzt. Im High-Tech-Bereich entstehen ohne Zweifel neue Jobs. Jedoch gleichen sie die wegfallenden alten Beschäftigungsfelder nicht vollständig aus.
Auf dem Papier glänzt die Rekordzahl von 45 Millionen Erwerbspersonen in Deutschland. Rund ein Drittel davon sind teilzeitbeschäftigt. Solche Tätigkeiten betrachten Gewerkschaftsvertreter nicht als ‚gute Arbeit‘. Dieses Prädikat bleibt der unbefristeten, auskömmlich entlohnten Vollzeit-Beschäftigung vorbehalten. Eine noch vorhandene, doch allmählich aussterbende Art. Teilzeitarbeit nimmt dagegen weiter zu. Unter dem Strich bedeutet das: Vorhandene Arbeit wird auf mehr Köpfe verteilt.
Dieser Entwicklung könnten die Gewerkschaften Rechnung tragen, in dem sie konsequent für kürzere Arbeitszeiten einträten. Ihre Vertreter und Funktionäre halten jedoch lieber in trauter Verbundenheit am alten Arbeitsmodell mit bis zu 40 Wochenstunden fest. Und vertrauen zweckoptimistisch darauf, dass es den anrollenden Digitalisierungs-Tsunami einigermaßen unbeschadet übersteht. Sein bisheriges Abbröckeln übersehen sie. Aus Angst vor dem Untergang klammern sie sich beharrlich an das Untergehende.
Deshalb lehnen sie das Grundeinkommen ab, obwohl es die Situation der meisten ihrer Mitglieder nachhaltig verbessern würde. Scheinargumente sollen der Basis ein X für ein O vormachen. Dem Grundeinkommen wird ein spalterischer, entzweiender, zerstörerischer Charakter angedichtet. Das Gegenteil ist richtig: Das BGE fügt zusammen, eint und baut auf. Der Gipfel der Verdrehung ist allerdings: Gut versorgte Funktionäre wollen schlechter Gestellten allen Ernstes weismachen, dass die bedingungslose Sicherung des Existenzminimums zu ihrem Nachteil ausfällt. Diesen Widersinn sollte sich die Gewerkschaftsbasis einmal vor Augen führen.
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Dezember 2019, erschienen.
Online-Flyer Nr. 729 vom 11.12.2019
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