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Globales
Briefe mit Augenzeugen-Berichten aus Chile (3)
Die Stimmen der Strasse
Von Frank Walter

"Meiner Meinung nach ist die westliche Herrschaftskultur so ziemlich am Ende, sie liegt in einem Todeskampf, und ehe die Herren Barnes und Co ihre perfiden Pläne umsetzen können, wird sich das gesamte Weltgefüge zugunsten anderer Kulturräume verschoben haben. Oder die Umsetzung dieser Pläne wird dann endgültig zu einer Weltrevolution führen, wie sie in Chile und Lateinamerika ihren Anfang genommen hat. Der österreichische Denker Leo Gabriel jun. geht davon aus, dass den rechten Bewegungen, die Lateinamerika derzeit aufwühlen, nur eine zeitlich begrenzte Dauer vergönnt sein wird, und letztlich die Völker obsiegen werden. Nichts ist derzeit wichtiger, als Widerstand zu leisten. Nichts ist wichtiger, als vor allem junge Menschen zu bilden, wenn schon unsere staatliche Bildungssysteme korrumpiert sind." "Mit Unruhe beobachten wir in Chile, zu welchen Auswüchsen der in dreißig Jahren angesammelte Volkszorn unter Bedingungen der extremen sozialen Ungleichheit führen kann. In Chile wollte Präsident Piñera nur wenige Wochen vor dem Ausbruch der sozialen Proteste noch an den Schulen das Fach Geschichte von der Liste der Pflichtfächer streichen lassen. Schon jetzt ist die junge Generation orientierungslos, die nicht weiß, woher sie kommt, und wohin sie geht." So schreibt Frank Walter in zwei seiner Briefe, in denen er die "Stimmen der Strasse" in Chile zu Wort kommen lässt. Die NRhZ gibt sie nachfolgend wieder – in dieser Ausgabe die Briefe vom 21. und einen vom 27. Dezember 2019.


21. Dezember 2019:

Liebe G., der Analyse "Worum es wirklich geht" der Regenbogen-Krieger entnehme ich, dass vor allem die Machtkartelle der neuen Milliardäre (Bill Gates, etc.) und Konzerne, die aus der Entwicklung der digitalen Revolution hervorgegangen sind, eine zentrale Schlüsselrolle bei dem Klimaschwindel spielen, die deshalb so erfolgreich sind, weil sie eben die modernen Medien der Kommunikation beherrschen und über mehr Kapitalien verfügen, als ganze Staaten aufbieten können.

Demgegenüber steht der traditionelle Machtblock der "klassischen" Konzerngruppen, deren Reichtümer auf fossilen Brennstoffen beruhen. Diese Trennung ist aber nur eine scheinbare, denn hinter beiden Gruppen von Kartellen steht die Finanzindustrie und beherrscht alles.

Die als "Schande" bezeichnete Ergebnislosigkeit der Klimakonferenz ist meiner Meinung nach auch genauso gewollt, denn es besteht kein Zweifel, dass fossile Brennstoffe auch weiterhin bis zum letzten Tropfen gefördert werden, und dass die CO2-freien Technologien bei weitem nicht über die nötige Effizienz verfügen, um die fossilen Brennstoffe auch nur annähernd zu ersetzen.

Im Gegenteil: würde tatsächlich eine komplette Umstellung auf CO2-freie Technologien erfolgen würde der ganze Schwindel ja auffliegen, weil es keinen Einfluss auf das Klima hätte. Man braucht also die Nutzung fossiler Brennstoffe so dringend wie jedes andere Feindbild.

Die Hauptsache besteht ja nur darin, Angst zu schüren, und die Umverteilung des Kapitals von unten nach oben noch intensiver zu betreiben als schon bei den "Bankenrettungen" und dergleichen. Für mich besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Bankenrettungen und Klimarettung. In Österreich wird seitens der Beamtenregierung bereits laut über die Einführung einer "Klimasteuer" nachgedacht. Die Logik, warum sich bei höheren Steuern das CO2 in der Luft verringern sollte, erschließt sich mir ohnehin nicht ganz. Wenn ich die Opposition wäre, würde ich darauf bestehen, dass die Erträge von Klimasteuern ausschließlich sozialen Zwecken zugeführt werden sollten, aber die politische Klasse vertritt bekanntlich nirgendwo die Interessen des Volks.

Es wird zwar in dem Artikel ein beeindruckendes Gemälde kommender Zeiten heraufbeschworen, aber vieles davon halte ich trotzdem für feuchte Träume der Herren Carney und Konsorten. Die digitale Technologie weist trotz aller Lobeshymnen eine zu hohe Häufigkeit an Fehlleistungen auf, überall, wo sie in der Praxis zum Einsatz kommt wird man mit Computerfehlern oder abgestürzten Systemen konfrontiert. Auch die Entwicklung der so genannten Künstlichen Intelligenz ist weit weniger fortgeschritten, als behauptet wird, aber gefährlich genug, wo sie zum Einsatz kommt.

Am schlimmsten ist es, Amtswege per Internet zu erledigen bzw. um soziale Unterstützung zu ersuchen, wie man es hier in Chile erlebt. Das System ist praktisch untauglich, man muß endlose Formulare ausfüllen, irgendwelche Codes eingeben, die dann plötzlich nicht mehr gelten, und man tut gut daran, mit einem solchen Anliegen auf die entsprechenden Ämter zu gehen.

Es erscheint mir eine Schreckensvorstellung, wenn alle öffentlich Bediensteten plötzlich durch künstliche Intelligenz ersetzt würden - man käme dann nie zu irgendwelchen Sozialgeldern.

Mir wird auch übel, wenn E-Autos damit beworben werden, dass sie den "Risikofaktor Mensch" ausschalten, nämlich mit der Geisteshaltung, das Schlechte im Menschen zu fokussieren (eine philosophische Sichtweise, die schon bei Hobbes ihren Anfang genommen hat) und ihn durch seelenlose Maschinen zu ersetzen. Abgesehen davon, dass es keine Verantwortlichen gibt, die für Unfälle geradestehen, die durch die Anwendung digitaler Techniken zustande kommen, kein Programmierer, Softwareproduzent oder Erzeuger von E-Autos wird nach Unfällen jemals vor Gericht stehen.

Die City of London ist übrigens extraterritoriales Gebiet (ohne staatliche Kontrolle), und daher das Zentrum einer transnationalen Milliardärs- und Finanzelite, die sich nicht mehr als Angehörige einer Nation begreifen, sondern ganz offen eine globale Weltherrschaft anstreben. Diese Leute wollen zwar die Welt beherrschen, aber sie haben keine Ahnung von der Welt, weil sie ihre klimatisierten Büros nicht verlassen, und werden letztlich auch daran scheitern. (Hoffentlich.)

Um den Fluss der ungeheuren Datenmengen zu bewältigen, von denen in dem Artikel die Rede ist, "65 billion data points each year of firm-related information", müßte schon der Quantencomputer erfunden werden. Eines ist sicher, derjenige, der den Quantencomputer zuerst entwickelt, wird ohne Zweifel am mächtigsten alleine sein. Es würde in diesem Moment keinen Sicherheitscode geben, der von einem Quantencomputer nicht innerhalb einer Sekunde entschlüsselt werden könnte, und so, wie es aussieht, werden diesen Computer vermutlich die Asiaten zuerst entwickeln.

Man sollte auch nicht außer Acht lassen, dass das Konzept von "Smart Cities" einen gewissen (westlichen) Lebensstandard voraussetzt (denn wer soll sich den ganzen Computerkrempel denn leisten?) und vermutlich auf entwickelte Länder beschränkt bleiben wird. Jedenfalls kann ich mir kaum vorstellen, wie man zum Beispiel gewisse Stadtteile von Santiago, wo die Häuser aus allen Nähten platzen, und es überall hereinregnet, zu einer Smart City umformen könnte, oder etwa die Favelas in Sao Paolo, wo sich nicht einmal die Polizei hineintraut. So wie ich die chilenischen Landsleute kenne, würden sie vermutlich die "smarten" Installationen ausbauen und irgendwo verhökern.

Und wie sollen erdölproduzierende Länder von den Segnungen der "Klimaneutralität" überzeugt werden? Vor allem aufstrebende Wirtschaftsräume wie China werden auf das Erdöl nicht verzichten können, und es lässt sich auch nicht leugnen, dass der kolonialistische Westen zunehmend an Einfluss in der Welt verliert, weil Handelspartner wie Russland oder China mit einer ganz anderen Mentalität herangehen wenn sie mit afrikanischen oder lateinamerikanischen Staaten in Beziehung treten. Der Widerstand gegen den Klimaschwindel wird von dort ausgehen.

Es ist sehr bezeichnend, dass der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation, der Argentinier Rafael Grossi, am Rande des Klimagipfels erklärte, dass die Atomenergie eine wichtige Rolle beim Klimaschutz spielen werde. "Die Atomenergie ist Teil der Lösung des Problems mit dem Klimawandel" behauptete Herr Grossi und ließ die Katze aus dem Sack.

Kein Zufall, denn die Anfänge des Mythos von der Erderwärmung gehen auf die 1970er-Jahre zurück, auf Margareth Thatcher, die damals mit den Streiks der Kohle-Bergarbeiter konfrontiert wurde, und im Zuge dieser sozialen Auseinandersetzungen zuerst den CO2-Schwindel aufbrachte, zugunsten der Atomlobby, die in dieser Zeit einen ersten Aufschwung erlebte und überall Atomkraftwerke hinstellte. Sogar in Österreich musste eines gebaut werden (Zwentendorf), das aufgrund einer Volksabstimmung aber niemals in Betrieb ging. Thatcher gründete zu diesem Zweck zwei eigene private wissenschaftliche Institute, um die These mit dem CO2-Schwindel zu verbreiten, offenbar, weil sich die seriöse Forschung nicht damit beschäftigen wollte.

In den 1990er-Jahren, als die durch Deregulierungen entfesselte Finanzindustrie endgültig an die Herrschaft gelangte, und die politische Macht ablöste, wurde das Thema erneut aufgegriffen, um in einer vormals nie dagewesenen Propagandafülle vor allem junge Menschen zu verblenden.

Von den Konzepten einer digitalen Weltwährung habe ich auch in anderen Zusammenhängen schon gehört, die drohende Abschaffung des Bargeldes bleibt eine ernstzunehmende Gefahr. Zum Beispiel hier im ländlichen Bereich, wo ich jetzt wohne, kann man Strom- und Wasserrechnungen etwa in kleinen Geschäften mittels des digitalen Systems der "Nachbarschafts-Kasse" bezahlen - aber nur mit Kreditkarte, weil die Ladenbesitzer sich fürchten, zuviel Bargeld anzuhäufen. Man sieht daran, wie emotionale Faktoren maßgeblich dazu beitragen, auch diese Agenda umzusetzen.

Meiner Meinung nach ist die westliche Herrschaftskultur so ziemlich am Ende, sie liegt in einem Todeskampf, und ehe die Herren Barnes und Co ihre perfiden Pläne umsetzen können, wird sich das gesamte Weltgefüge zugunsten anderer Kulturräume verschoben haben. Oder die Umsetzung dieser Pläne wird dann endgültig zu einer Weltrevolution führen, wie sie in Chile und Lateinamerika ihren Anfang genommen hat. Der österreichische Denker Leo Gabriel jun. geht davon aus, dass den rechten Bewegungen, die Lateinamerika derzeit aufwühlen, nur eine zeitlich begrenzte Dauer vergönnt sein wird, und letztlich die Völker obsiegen werden. Nichts ist derzeit wichtiger, als Widerstand zu leisten. Nichts ist wichtiger, als vor allem junge Menschen zu bilden, wenn schon unsere staatliche Bildungssysteme korrumpiert sind.

Mit herzlichen Grüßen
Frank Walter



27. Dezember 2019: Der seltsame Bericht der Regierung Piñera über den "ausländischen Einfluß" auf die sozialen Bewegungen in Chile

Liebe G., im Rahmen der Untersuchungen zu den Ereignissen von Gewalt, welche die sozialen Proteste in den vergangenen zwei Monaten begleitet hatten, übergab die Regierung Piñera am 19. Dezember der Staatsanwaltschaft einen geheimdienstlichen Bericht auf der Basis von "hochentwickelten, außerordentlichen Analysen mit Big-Data-Technologien und Informationstechnologie" (O-Ton). Getrost darf man also davon ausgehen, dass die Erkenntnisse der chilenischen Regierung zum größten Teil auf rechtswidrigen Lauschangriffen und angezapften Mobiltelefonen beruhen.

Laut der Zeitung "La Tercera", wo man Einsicht in den Bericht genommen hatte, stammen 31 Prozent aller Tweets und Publikationen in sozialen Medien seit dem Beginn der sozialen Proteste aus dem Ausland. (dass seit der Pinochet-Diktatur inzwischen über 1 Million Chilenen im Ausland leben erwähnt die Zeitung in diesem Zusammenhang nicht.) Von diesen Kommentaren jedoch, die aus dem Ausland stammen, sollen 19,3 Prozent direkt zur Mobilisierung des historischen Marsches am 25. Oktober beigetragen haben, als im Zentrum von Santiago 1,2 Millionen Menschen auf dem nunmehrigen "Platz der Würde" aufmarschierten, und landesweit über zwei Millionen.

Was diese erhobenen Daten mit den Ereignissen der Gewalt zu schaffen haben, erschließt sich freilich nicht ganz, weil sich die Proteste größtenteils friedlich entwickelten, und die Gewalt von vermummten Banden ausging, die unabhängig und abseits der sozialen Bewegung agierten. Das alles ist nur Teil einer Medienkampagne der Regierung, die Proteste zu kriminalisieren.

Desweiteren wird der Einfluss ausländischer Kanäle wie Russia Today (RT) oder des venezolanischen Senders TeleSur konstatiert, ohne anzugeben, wie groß oder klein dieser Einfluß gewesen sei. Dazu muss erwähnt werden, dass TeleSur bei vielen Gelegenheiten im Verlauf der andauernden Proteste der einzige Sender vor Ort war, weil die nationalen Fernsehkanäle oft genug durch Abwesenheit glänzten oder deren Reporter von Sicherheitskräften vertrieben wurden, die im übrigen auf alles zu schießen pflegten, was sich bewegte, mit Schrotladungen, Geschoßen, die zu 80 Prozent aus Blei bestanden und mit Gummi bloß überzogen waren, oder mit Tränengasbomben – auch vor Spitälern oder in Schulen, sodass die Präsenz von Fernsehreportern nach Ansicht der eigenständig agierenden Polizisten offensichtlich nicht erwünscht ist. Zuletzt war auch die Korrespondentin von TeleSur mit ihren Kameraleuten mehr oder weniger gewaltsam vom Schauplatz vertrieben worden. Erschwert wird die Arbeit von Reportern auch durch exzessiven Einsatz von Tränengas.

Als wichtiger Punkt wird die Teilnahme von Jugendlichen in sozialen Netzwerken hervorgehoben, die für das Zunehmen von Kommentaren verantwortlich sind, die sich gegen Polizei und Behörden richten, welche dort bezichtigt werden, "die Menschenrechte zu verletzen, die sozialen Proteste zu negieren", während "das Schweigen" der nationalen Medien angeprangert wird. Eine große Zahl von Jugendlichen in Chile würde sich für den "K-Pop" (Korean Popular Music) begeistern.

Gemeint ist hier allgemein Popmusik in koreanischer Sprache, eine im asiatischen Raum verbreitete Musikrichtung jugendlicher Bands, die von südkoreanischen Talentagenturen vorangetrieben wird, deren Methoden sich oftmals als fragwürdig herausstellen. Es läuft wohl darauf hinaus, dass sich die besagten Agenturen schamlos an jungen Menschen bereichern, die zu diesem Zweck oftmals schon im Kindesalter ausgebildet werden, und deren Privatleben man empfindlich einschränkt. Zu den bei Wikipedia erwähnten Praktiken gehören Knebelverträge und schlechte Bezahlung. Zugleich soll der K-Pop in Malaysia allerdings die kulturellen und sprachlichen Barrieren von Malaien, Chinesen und Indern überwinden helfen, da diese Musikrichtung bei allen Volksgruppen populär ist. Auch wurde eine Reihe von japanischen Begriffen in den Sprachgebrauch des K-Pop übernommen. Ein Zeichen vielleicht, dass die junge Generation in Korea keinen Groll mehr gegen die einstmaligen Besatzer aus Japan empfindet. Wenn man dieser Musikrichtung schon persönlich nichts abgewinnen kann, lässt es sich nicht leugnen, dass Asien unter den Fittichen des K-Pop zusammenwächst.

In Chile meinen zahlreiche Jugendliche, dass Südkorea für sie ein Vorbild sei, weil der koreanische Staat in sozialer Hinsicht für seine Bewohner mehr getan habe als die Regierungen in Chile. Die Richtigkeit dieser Ansicht kann ich nicht überprüfen. Tatsache ist, dass die "Idols" des K-Pop in der Regel miserabel bezahlt werden. Dies in Verbindung mit Selbstmorden und sexuellem Missbrauch. Ungeachtet dessen führte die Begeisterung junger Chilenen für den K-Pop jedenfalls zu der in dem Regierungsbericht ernstlich erhobenen Frage, welchen Einfluss die koreanische Popmusik auf den Verlauf der sozialen Explosion in Chile ausgeübt habe. "Steckt der K-Pop hinter den chilenischen Protesten?" lautete eine diesbezügliche Schlagzeile auf CNN Chile. Im koreanischen Fernsehen wurde diese Schlussfolgerung der chilenischen Regierung mit Ironie kommentiert.

Als Reaktion auf diese Schrulle wurde für den 27. Dezember der "größte K-Pop-Marsch in Chile" samt einem entsprechenden Konzert und einer Invasion "Otaku" (jap. Fans) angekündigt. Es sollte im Rahmen dieser Kundgebung der "Platz der Würde" (vormals Plaza Italia) wiedererobert werden, welcher derzeit von rund tausend Sicherheitskräften gehalten wird. Sozialen Medien zufolge stand auch eine Besetzung des Regierungspalastes La Moneda durch K-Pop-Anhänger auf dem Plan. Die Beschuldigung des K-Pop als Auslöser der Proteste scheint eindeutig nach hinten losgegangen zu sein. Laut dem Intendanten (Verwaltungschef) von Santiago, Felipe Guevara, sei das erklärte Ziel des vorhandenen Polizeiaufgebots, weitere Massenproteste wie am 25. Oktober auf der Plaza Italia im Zentrum von Santiago mit allen Mitteln zu verhindern – auf Anordnung der Regierung?

Im gleichen Kontext werden die Namen verschiedener Persönlichkeiten und Prominenter aus Gesellschaft, Kunst und Politik genannt, die (innerhalb und außerhalb Chiles) für die Beeinflussung der Massen verantwortlich gemacht werden, sowie einzelne Politiker der Mitte-Links-Parteien in Chile, argentinische Linkspolitiker und chilenische Kommunisten, die chilenische Schauspielerin Paola Molina, zwei Kicker der chilenischen Nationalmannschaft (Bravo und Medel), ebenso wie die chilenische Sängerin Monferte, die während des Ausnahmezustands (vom 19. bis 27. Oktober) mit entblößten Brüsten zur Grammy-Verleihung erschien, auf deren Rundungen für jeden, der es sehen wollte, in deutlichen Buchstaben zu lesen war: "In Chile wird gefoltert und getötet."

Nach Bekanntwerden des Berichts am 22. Dezember wurde vor allem kritisiert, dass kein einziger von den erwähnten Tweets und Kommentaren aus juristischer Sicht eine strafbare oder kriminelle Handlung darstelle, und dass es sich eher um eine bloße Zusammenfassung der sozialen Netzwerke handle, nicht aber um eine "hochentwickelte Analyse", wie die Regierung behauptete.

Nach allen den wilden Gerüchten über eine mögliche Beeinflussung der sozialen Proteste in Chile durch ausländische Akteure, Kuba, Russland oder Venezuela, kommt die Regierung Piñera (auch nach Rücksprache mit "befreundeten" Diensten aus den USA) zu dem nüchternen Schluss, dass eine ausländische Beeinflussung der Proteste "nicht ausgeschlossen" werden könne.

Es liegt auf der Hand, dass die Regierung Piñera dringend eine ausländische Einflussnahme auf die sozialen Proteste in Chile nachweisen möchte, die ihr sehr gelegen käme, weil Präsident Piñera dann nur die Hälfte der Verantwortung übernehmen müßte, aber gerade die Redewendung, dass man eine solche "nicht ausschließen" könne, bedeutet mit anderen Worten bloß, dass nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht der geringste konkrete Hinweis auf ausländische Interventionen vorliegt. Mit ihrem "Big-Data"-Bericht hat sich die Regierung Piñera abermals lächerlich gemacht.

In Chile leben derzeit mehr als 1,2 Millionen Migranten, und es ist leicht möglich, dass sich etwa auch venezolanische Staatsbürger an Akten von Vandalismus beteiligten. Dennoch existiert nicht die kleinste verwertbare Spur, dass diese aus dem Ausland organisiert worden seien. Selbst der chilenische Generalstaatsanwalt Jorge Abbott, der bislang treu zur Regierung Piñera gehalten hatte, selbst bei heftigstem Gegenwind und der Gefahr, mit der Verfassung in Konflikt zu geraten, musste offen eingestehen, dass der vorgelegte Bericht keine strafrelevanten Daten enthält, und nicht dazu geeignet sei, eine wie immer geartete ausländische Beteiligung nachzuweisen. Dies könnte darauf hindeuten, dass nun auch die Justiz das sinkende Schiff Piñeras verlässt.

In einem Interview mit CNN Chile, das am 15. Dezember ausgestrahlt worden war, hatte Piñera steif und fest behauptet, dass "viele Videos" im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und Militär "falsch sind und im Ausland gefilmt wurden." Mehr noch: Piñera hatte sich soweit verstiegen, die Glaubwürdigkeit von Zeugen und Opfern der Staatsgewalt in Frage zu stellen. Die Lachnummer mit dem Geheimdienstbericht führte dazu, dass den Bericht nun niemand in der Regierung in Auftrag gegeben haben will, und dass dessen Kosten verschwiegen werden.

Am Weihnachtsabend wurde die Hafenstadt Valparaíso von Großbränden auf drei ihrer Hügel heimgesucht, die auf Brandstiftung zurückgingen. Zwei Brandherde waren ungefähr zur selben Zeit nach 16.00 Uhr nachmittags ausgebrochen, und wegen heftigen Windes bis in die Nachtstunden außer Kontrolle geraten. Die Bilanz: 120 Familien haben durch das Feuer alles verloren, und 90.000 Haushalten musste der Strom gesperrt werden. Die Feuerwehr war mit 14 Brigaden, Hubschraubern und Flugzeugen der Luftwaffe die ganze Nacht und den ganzen folgenden Tag im Einsatz. So verlief der 24. Dezember in den meisten Haushalten der Region dermaßen, dass man Weihnachten feierte, und gleichzeitig die Brandkatastrophe in Valparaíso im Fernsehen mitverfolgte.

Wer begeht Brandstiftung am Weihnachtstag? Sind das zwölfjährige Burschen, die in staatlichen Heimen in all den Jahren geschlagen und missbraucht wurden und sich dafür rächen? Davon gibt es viele seit dem Ausbruch der sozialen Explosion. Doch nichts deutet darauf hin. Es existiert vielmehr ein Video, auf dem ein weißer Lieferwagen unmittelbar neben der Rauchwolke eines frisch gelegten Feuers zu sehen ist, während sich in nächster Nähe bereits ein lodernder Buschbrand entfaltet. Nur leider aus so großer Distanz aufgenommen, dass keine Details zu erkennen sind.

Als Präsident Piñera am 26. Dezember nach dem Brand einen Besuch in Valparaíso abstattete, und den verzweifelten Opfern der Katastrophe seine Hilfe versprach, musste er dennoch aufgrund von massiven Protesten das regionale Regierungsgebäude durch die Hintertür verlassen.

Im Zentrum von Santiago fanden sich am 27. Dezember trotz des Polizeiaufgebots auf der Plaza Italia, dem nunmehrigen "Platz der Würde", wieder erhebliche Menschenmengen zu friedlichen Protesten zusammen, laut sozialen Medien "damit man weiß, von wem die Macht ausgeht." Vor allem Schüler und Studenten schwenkten Fahnen und Transparente, und hielten neuerlich diesen symbolischen Platz besetzt. Am Rande dieser Kundgebungen war es zu einem Zwischenfall am Nachmittag gekommen, als zwei Polizeiwagen, die im Stau steckten, von einer Gruppe Jugendlicher attackiert und vollständig demoliert wurden, nachdem die darin befindlichen Polizeibeamten "wie durch ein Wunder" die Flucht hatten ergreifen können. Diese Bilder liefen unentwegt im nationalen Fernsehen, obwohl im Grunde bloß ein Haufen Blech zertrümmert, aber keine Menschen angegriffen worden waren. Die friedlichen Proteste nur wenige Meter davon entfernt wurden nicht gezeigt. Von K-Pop-Fans war nur wenig zu bemerken. Nachts ist der Platz stockdunkel, weil auch die Straßenbeleuchtung von zornigen Bürgern zerschlagen wurde. Bei Redaktionsschluss war der Platz noch nicht von Polizeikräften geräumt worden.

Mit Unruhe beobachten wir in Chile, zu welchen Auswüchsen der in dreißig Jahren angesammelte Volkszorn unter Bedingungen der extremen sozialen Ungleichheit führen kann. In Chile wollte Präsident Piñera nur wenige Wochen vor dem Ausbruch der sozialen Proteste noch an den Schulen das Fach Geschichte von der Liste der Pflichtfächer streichen lassen.

Schon jetzt ist die junge Generation orientierungslos, die nicht weiß, woher sie kommt, und wohin sie geht. Das Schlusswort überlasse ich dem chilenischen Moderator Tomás Mosciatti, der speziell dazu äußerte: "Wir sind mit der Revolution einer neuen Generation konfrontiert. [...] Es wurde nicht ernsthaft in das Bildungssystem investiert, in exzellente Lehrer, in öffentliche Erziehung, in die Universitäten, [...] und heute bezahlt man die Konsequenzen. Glauben Sie, das ist gratis? Mit welcher Autorität kann man von den jungen Leuten verlangen, dass sie Argumente haben, wenn man ihnen keine Geschichte beigebracht hat? Wie kann man an ihnen kritisieren, dass die Geschichte mit ihnen beginnt, und die Vergangenheit nichts zählt? Es ist ein objektives Faktum, dass die aktuelle Generation ein besseres Land übergibt, als sie erhalten hat, aber den Jungen ist das egal, denn so wurde ihnen gesagt, dass die Geschichte überflüssig sei. Und das muss bezahlt werden."

Mit herzlichen Grüßen
Frank Walter



Siehe auch:

Briefe mit Augenzeugen-Berichten aus Chile (1)
Die Stimmen der Strasse
Von Frank Walter
NRhZ 726 vom 20.11.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26363

Briefe mit Augenzeugen-Berichten aus Chile (2)
Die Stimmen der Strasse
Von Frank Walter
NRhZ 729 vom 11.12.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26428

Online-Flyer Nr. 731  vom 01.01.2020

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