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Literatur
Gedanken zu einem Buch von Umberto Eco
Der ewige Faschismus
Von Arn Strohmeyer

Umberto Eco war ein begnadeter Autor – ein großer Schriftsteller und ein universaler Gelehrter. Eine Kombination, die ja nicht so häufig ist. Ich bin kürzlich auf ein Buch von ihm gestoßen, das mich gleich vom Titel her magisch anzog: Der ewige Faschismus. Was hat dieser Italiener (er starb 2016) zu einem Thema zu sagen, zu dem sicher (fast) Alles gesagt ist, und was kann er an Erkenntnissen vermitteln, die heute in der Auseinandersetzung mit der Gefahr von rechts weiterhelfen? Im Vordergrund steht dabei natürlich die Frage: Wie weit sind die neuen rechten populistischen Bewegungen überhaupt faschistisch bzw. auf dem Weg dahin?

Der Titel von Ecos Buch sagt es schon: Der Faschismus ist „ewig“, das heißt ein Phänomen, das man offenbar so einfach nicht aus der Welt schaffen kann. Wer geglaubt hat, die Sache hätte sich 1945 erledigt, der befindet sich in einem großen Irrtum. Oder er hat verdrängt – und das ist gefährlich, „denn Verdrängung erzeugt Neurosen“, schreibt Eco und fügt mit Blick auf den Faschismus hinzu: „Dennoch, auch wenn politische Regime gestürzt, Ideologien kritisiert und demontiert werden können – hinter jedem Regime und seiner Ideologie steht eine Art des Denkens und Fühlens, eine Reihe von kulturellen Gewohnheiten, eine Wolke von dunklen Instinkten und unauslotbaren Trieben.“ Und dieser Irrationalismus sorgt ganz offensichtlich für die Wiederkehr des Faschismus.

Eco liefert dann eine einfache Definition für Totalitarismus (und jeder Faschismus ist totalitär): Es handelt sich bei ihm um ein Regime, das alles individuelle Handeln [und auch das Denken, muss man ergänzen] dem Staat und seiner Ideologie unterordnet. Eco weist aber darauf hin, dass der Faschismus in verschiedenen Formen auftreten kann. Der italienischen Version bescheinigt er, zwar eine Diktatur, aber nicht durchgehend totalitär gewesen zu sein: „Nicht wegen seiner Milde, sondern wegen der ideologischen Schwäche seiner Ideologie.“ Mussolinis Faschismus habe gar keine eigene Philosophie, keine Quintessenz gehabt, er habe nur aus Rhetorik bestanden. Eco beschreibt ihn so: „Er war ein verschwommener Totalitarismus, verschwommen im Sinne von fuzzy [was faserig, ungenau, ausgefranst bedeutet]. Er war keine monolithische Ideologie, sondern eher eine Collage aus verschiedenen politischen und philosophischen Ideen.“

Ganz anders der Nationalsozialismus. Der hatte eine „Philosophie“, eine Quintessenz: Er war zutiefst heidnisch, polytheistisch und antichristlich – und vor allem rassistisch. Er hat die Angst vor dem Fremden und Andersartigen skrupellos ausgebeutet und vertieft. Der Nazismus hatte im Gegensatz zu seinem italienischen Verwandten ein klares Programm, das Hitler in seinem Buch Mein Kampf vollständig offengelegt hat. Francos Faschismus bezeichnet Eco als „hyperkatholischen Falangismus“ und geht auf ihn nicht weiter ein.

Aber alle Formen des Faschismus haben gemeinsame Merkmale, die sich in einem Ur-Faschismus zeigen, der wiederum fest in archetypischen Fundamenten verankert ist. Eco zählt verschiedene Kriterien auf, die diesen Ur-Faschismus ausmachen. Er nennt zuerst den Kult der Überlieferung. Die Nazi-Gnosis speiste sich aus traditionalistischen, synkretistischen und okkulten Elementen: etwa der Germanenverehrung und dem esoterischen Symbol des Hakenkreuzes sowie die Mystik von „Blut und Boden“. Vordenker des italienischen Faschismus war Julius Evola, der den Heiligen Gral mit den „Protokollen der Weisen von Zion“ sowie die die Alchemie mit dem Heiligen Römischen Reich vermengte.

Dann nennt Eco das Kriterium der Ablehnung der Moderne, womit vor allem die Aufklärung, das Zeitalter der Vernunft, gemeint ist, das im faschistischen Denken als der Beginn der gegenwärtigen Verderbnis angesehen wird. Denn Denken ist für den Faschismus eine Form der Kastration, Kultur wird in dem Augenblick suspekt, sobald und soweit sie mit kritischen Haltungen identifiziert wird. „Misstrauen gegenüber der intellektuellen Welt war stets ein Symptom des Ur-Faschismus.“, schreibt Eco. Er zitiert in diesem Zusammenhang den berühmten Satz von Goebbels: „Wenn ich von Kultur reden höre, ziehe ich den Revolver.“

Eng damit zusammen hängt das Kriterium: Kein faschistischer Glaube kann Kritik hinnehmen. Denn zum Denken gehört, Unterscheidungen treffen zu können – für den Ur-Faschismus ist das Verrat, er sucht den Konsens, er hat tiefe Angst vor dem Anderen, jeder Dissens ist ihm verhasst. Hier liegt der Grund für seinen Rassismus. Er sucht den Erfolg mit seinen Appellen an die frustrierten Mittelklassen, die um ihren sozialen Abstieg fürchten. Ihnen gaukelt er ihre „volkhafte“ Einzigartigkeit vor.

Denen, die so gut wie jeder gesellschaftlichen Identität beraubt sind, sagt der Ur-Faschismus, dass ihr einziges Privileg, das allgemeinste ist, nämlich im selben Land geboren zu sein. Das ist der Ursprung des „Nationalismus“. Damit hängt dann das Feindbild zusammen, das der Ur-Faschismus propagiert, dieses Feindbild schafft Identität. Eco: „Daher liegt an der Wurzel der ur-faschistischen Psychologie die Obsession einer Verschwörung, nach Möglichkeit einer internationalen. Die Anhänger müssen sich belagert fühlen. Am einfachsten lässt sich eine Verschwörung durch einen Appell an die Fremdenfeindlichkeit hervorrufen.“

Für den Ur-Faschismus ist der Sinn des Lebens in erster Linie der Kampf, es ist ein permanenter Krieg. Pazifismus ist Kollaboration mit dem Feind. Dieser muss besiegt werden, damit die Bewegung ihrem Ziel näherkommt, die Weltherrschaft antreten zu können. Das ist dann die „Endlösung“. Ein weiteres Kriterium ist das Elitedenken. Diese Einstellung ist aristokratisch und militaristisch, es schließt die Verachtung der Schwachen ein. Auf der anderen Seite ist dieses Elite-Denken aber auch „völkisch“, denn das eigene Volk muss ja hofiert werden: Es ist das beste der Welt. Aus ihm leitet man ja seinen Machtanspruch ab.

Das Volk wird als das „Volksganze“ begriffen, als eine hohe Qualität, als eine monolithische Einheit, die den gemeinsamen Willen – meist durch einen Führer vertreten – zum Ausdruck bringt. Der Ur-Faschismus braucht das Volk, weil seine Stärke in Wirklichkeit auf der Schwäche der Massen liegt. Der rechte Populismus stellt sich immer gegen das „verrottete“ parlamentarische System. Eco: „Wann immer ein Politiker die Legitimation des Parlaments in Zweifel zieht, weil es nicht mehr die ‚Stimme des Volkes‘ repräsentiere, riecht es nach Ur-Faschismus.“ Eco nennt als weitere Kriterien den Heldenkult und das Spiel mit Waffen als Phallusersatz. Schließlich konstatiert er noch, dass der Ur-Faschismus eine ganz eigene Sprache benutzt. Kennzeichnend dafür sind ein verarmtes Vokabular und eine versimpelte Syntax, um das Instrumentarium für komplexes und kritisches Denken zu begrenzen.

Nach diesem Exkurs über Merkmale des Ur-Faschismus muss man fragen: Welche von diesen Kriterien treffen auf die AfD zu? Und: Ist diese Partei, die sich „noch“ demokratisch gibt, auf dem Weg in den Faschismus? Viele von den Kriterien Ecos treffen auf diese Partei zu. Da ist einmal die Ablehnung der Moderne, vor allem die Negierung, ja Verachtung der Aufklärung. Deutlich wird dies vor allem bei der aufklärenden Erinnerung, also der Aufarbeitung der Vergangenheit. Wenn der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen es immer wieder als Ziel seiner Partei nennt, den Geist der Studentenrevolte von 1968 rückgängig zu machen, dann geht das in dieselbe Richtung, wenn der Fraktionsvorsitzende der Partei im Bundestag Alexander Gauland den Nationalsozialismus einen „Vogelschiss“ nennt, und der Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke die Holocaust-Gedenkstätte in Berlin als „Mahnmal der Schande“ bezeichnet und die deutsche Erinnerungskultur um 180 Grad wenden will.

Man kann aus solchen Äußerungen nur schließen, dass man den Nationalsozialismus nicht nur verharmlosen will, sondern durchaus große Sympathien für ihn hat. Auch die Äußerung Meuthens gegen der 68er Studenten belegt das. Denn bei dieser Studentenrevolte handelte es sich um den Aufstand der Söhne und Töchter gegen die Väter, die die Verbrechen des Nationalsozialismus begangen hatten. Diese Aufarbeitung der Vergangenheit, die in der Adenauer-Zeit nicht möglich war, musste sein, um das Land von seiner Verdrängungsneurose zu befreien. Das soll nach dem Willen der AfD nicht sein, man will den endgültigen Schlussstrich unter die Aufarbeitungsdebatte.

Ganz deutlich wird die Nähe zum Ur-Faschismus bei der Angst vor dem Andersartigen. Das ist die Hauptaussage dieser Partei, der sie ihre Existenz und ihren Aufstieg verdankt. Sie hat die Angst vor den Eindringlingen (den Flüchtlingen 2015) bis zum Exzess ausgebeutet. Hier erweist sich die AfD als eindeutig rassistisch. Das Feindbild, dass Identität verschafft, ist klar: alles Fremde. Aus dieser Sicht folgt, dass der AfD die Vision eines homogenen deutschen „Volksganzen“ vorschwebt – ohne Fremde und Zuwanderung. Man soll wieder stolz sein, in diesem Land geboren zu sein. Das ist der „Nationalismus“ der AfD.

Und natürlich hängt man in dieser Partei einem völkischen „Elitedenken“ an, es ist die Kehrseite der Verachtung der Schwachen, von der Eco spricht. Die Schwachen sind die Zugewanderten, die Eindringlinge, die man am liebsten wieder in ihre Heimatländer zurückschicken möchte. Die AfD ist ein einziger Appell an die Fremdenfeindlichkeit – und die Partei instrumentalisiert natürlich die Angst des Mittelstandes vor sozialem Abstieg wegen der „Überfremdung“ in skrupelloser Weise. Die AfD hat am Anfang auch den Parlamentarismus angegriffen, indem sie gegen „die da oben“ polemisierte, die es sich auf Kosten des Steuerzahlers gut gehen lassen würden. Aber die Kritik ist verstummt, weil die Partei nun selbst ein Teil des Systems geworden ist.

Eco führt aber noch eine Eigenschaft des Ur-Faschismus an: die Intoleranz, die absolute Unduldsamkeit gegen alles, was sich anders gibt als der völkische Geist, den solche Ideologien predigen. Eco nennt sie die „rohe Intoleranz“, gegen die jede Kritik immun ist: „Die Intellektuellen können gegen die rohe Intoleranz nichts ausrichten, denn vor dem rein Animalischen, das kein Denken kennt, ist das Denken wehrlos. Und wenn sie gegen die doktrinäre Intoleranz kämpfen, ist es zu spät, denn sobald die Intoleranz zur Doktrin gerinnt, ist sie nicht mehr zu besiegen, und die es tun müssten, werden zu ihren ersten Opfern. (…) Die rohe Intoleranz muss an der Wurzel bekämpft werden, durch eine permanente Erziehung, die im zartesten Alter beginnt, bevor sie zu einer Doktrin gerinnt und eine zu dicke und harte Verhaltenskruste wird.“

Die AfD gibt jeden Tag die Beweise ihrer rohen Intoleranz, indem sie etwa ihr nicht genehme Berichte in den Medien angreift, die Spielpläne von Theatern und die Aussagen von satirischen Kabaretts unter Beschuss nimmt oder Internetportale einrichtet, auf denen sich Eltern über Lehrer ihrer Kinder beschweren können, wenn sie meinen, dass diese „agitiert“ oder „indoktriniert“ würden. Pluralismus ist der Todfeind der AfD, an den Pranger stellen ihr normales Handwerk.

Eco schreibt, man solle sich nicht täuschen lassen: der Ur-Faschismus sei immer noch um uns und trete sogar in gut-bürgerlich-ziviler Kleidung auf. Niemals würde ein Ur-Faschist sagen: „Ich will ein zweites Auschwitz!“ So einfach sei das Leben nicht. Aber man möchte gern wissen, was AfD-Leute im stillen Kämmerlein so äußern, wenn einer ihrer Funktionäre schon in der Öffentlichkeit äußern kann: „Wenn wird drankommen, räumen wir auf.“

Eco schließt seine Betrachtungen mit den mahnenden Worten: „Der Ur-Faschismus kann in unschuldigsten Gewändern daherkommen. Es ist unsere Pflicht, ihn zu entlarven und mit dem Finger auf jede seiner neuen Formen zu zeigen – jeden Tag, überall in der Welt. Freiheit und Befreiung sind eine niemals endende Aufgabe. Unser Motto muss heißen: ‚Nicht vergessen.‘“

Warum gibt es in Deutschland nicht eine so kluge und wortstarke, mahnende Stimme wie die von Umberto Eco?


Umberto Eco: Der ewige Faschismus



Hanser-Verlag, München 2020, ISBN 978-3-446-26576-9, 10 Euro

Online-Flyer Nr. 740  vom 18.03.2020

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