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Literatur
Harry Popow: "Der Moloch am Pranger – Kleine weiße Friedenstaube, komm recht bald zurück!"
EIN NACH-DENKE-BUCH
Ein Buchtipp von Lotti Andrae

Das Buch vom Moloch habe ich mit großem Vergnügen gelesen, dem Vergnügen, das bereitet wird, wenn der Leser zu neuen Weltsichten, wenn auch aus individuellen Spektren, kommt. Somit Dank für das Buch. Als Vorwort aktuelles Zeitgeschehen voran zu stellen, ist ein Einstieg, der das Buch interessant macht und dem Leser eröffnet, dass es um die Gegenwart geht, wenn sich in dem Buch die verschiedensten Zeitgenossen mit ihren Ansichten und Bedenkenswertem zu Wort melden. Der Hinweis darauf, dass nur eine neue Weltordnung die Menschen aus der gegenwärtigen Misere führen kann, die Einigkeit der Leser in diesem Willen muss die Grundlage für die Ausführungen sowohl in kritischer Sicht als auch in der notwendigen Darstellung der konkret zu ändernden, zukünftigen Entwicklung sein. Um allen leichtfertigen Schmähungen der Gedanken des Buches a priori die Stirn zu bieten, steht das Buch unter dem Symbol der Picasso-Friedenstaube. Das sei jedem, der sich mit dem Buch beschäftigt, im Voraus gesagt, es geht um die Befriedung der Menschenleben.

Kaleidoskop linken Gedankengutes

Der Buchautor Thomas Maritsch bringt das Anliegen und damit nicht weniger Menschen unserer Zeit zum Ausdruck, indem er schreibt: „Ich finde es immer wieder ermutigend, wenn Menschen, die etwas zu sagen haben, diesen Schritt (ein Buch zu schreiben) unternehmen.“ So sehe ich Sinn und Notwendigkeit des Buches, als ein Kaleidoskop fortschrittlichen und damit linken Gedankengutes. Es wird gespeist von menschlichen Erfahrungen, einem lebenslang erarbeiteten Standpunkt und viel Wissen und Sachlichkeit, die viele der Diskutierenden dank der Bildungsmöglichkeiten, die die DDR ihnen gab, im Buch einbringen können. Es würde u.a. auch dem ND sehr gut tun, diesen Ansichten eine Plattform zu bieten, statt einerseits einer ausschließlich elitären Linken und andererseits einer sich anbiedernden Pseudolinken den Weg in die Gedankenwelt der gegenwärtigen Gesellschaft zu bereiten.

Schon die Struktur der beteiligten Leser entspricht einem breiten Spektrum der DDR-Gesellschaft und auch damit einem Teil der heutigen „Erniedrigten und Beleidigten“. Die Anlage des Buches wäre aber zu eng gefasst, wenn nicht auch eine gewichtige Anzahl Nachdenklicher aus der Mitte der heutigen Gesellschaft (W. Bittner u.a.) zu Wort käme, viele Ansichten mit einbände.

Das Besondere an dem Buch ist die Darstellung der Zeitereignisse in sachlicher, progressiver und linker Sicht. In ihm haben nicht die „greinenden Alten“, die „ewig Gestrigen“ das Wort, sondern die Darstellung der Zeitereignisse. Das Establishment versteckt und interpretiert diese Zeitereignisse gern hinter Nebeln von „Wichtigkeiten“ wie den Leiden der Konzerne und Vereinigungen, den durchkapitalisierten Sportkonzernen (Fußball) in der Corona Krise oder auch hinter den Bademoden verschiedenster Sternchen aller Couleur, Alkohol- und Drogenproblemen “bedeutender“ Künstler und weiterer „menschheitsbewegender“ Erscheinungen dieses vorgegebenen Niveaus unserer Zeit.

Daran anknüpfend möchte ich auf den Beitrag vom 9.11.2018 („Aufstehen zum Aufbruch“, S.31-33), ganz besonders auf den grau unterlegten Abschnitt “Zur Erinnerung“ hinweisen. Hier werden ökonomische Fakten zu tatsächlichen ökonomischen Vorgängen im ökonomischen Kampf gegen die DDR-Wirtschaft und -Finanzen und was der „Westen“ alles geschluckt hat, dargestellt. Eine seltene Darstellung in einem allgemeinverständlichen Sachbuch! Mit solcher Darstellung hält sich die „Volksaufklärung“ sehr zurück. Im Gegenteil, sie hütet sich, das Volk in diese Richtung auch nur denken zu lassen, indem die Geschichte von der überaus maroden Wirtschaft und Vermögenslage der DDR ins Unermessliche gesteigert wird.

Schlaglichter auf Lebensverschiebungen

Es sind die kleinen tatsächlichen Begebenheiten, die ein Schlaglicht auf die Verhältnisse werfen und im Buch als Beispiel für gesellschaftliche Lebensverschiebungen aufmerksam dargestellt werden. “Der Mensch vor dem Supermarkt“, zeigt Schicksalswendungen, die ein DDR-Bürger nicht kannte. Zum hintersinnigen Schmunzeln kann der Leser kommen, wenn ein Leser berichtet, dankbar zu sein, dass er in der DDR zur Schule gehen konnte, allerdings nicht studieren durfte, was allerdings wohl eher an seinen schlechten Zensuren als an der Ideologie gelegen hat, und nicht, wie es heute landläufig ausgeschlachtet wird, am fehlenden Pionierhalstuch oder Blauhemd. Man trifft u.a. in dem Buch die Auseinandersetzung darüber, „Warum in den sozialen Medien so viele Unwahrheiten über die DDR verbreitet werden“ ebenso scharf gesehen, wie die Auseinandersetzung einer Leserin mit dem Auftreten Gysis, eine hochinteressante Beschäftigung mit dem Erscheinen des Buches „Mein Kampf“, besonders aktuell mit dem Auftreten der AfD, die „Reichsbürger“ etc.

Es wird sich auseinandergesetzt mit dem „Maidan“, besonders interessant im Blick auf Belarus in diesen Tagen. Der 70. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus wird sachlich beleuchtet im Gegensatz zu der vorherrschenden Darstellung des “Kriegsendes“. Der hier besonders hervorgehobene Gedanke „Nie wieder Krieg und Faschismus“ durchzieht das ganze Buch. Wer will leugnen, dass diese Gedanken gegenwärtig angesichts der radikalen Auseinandersetzungen auf der Straße brisant sind, unbedingt Eingang finden müssen in das gesellschaftliche Sein – sonst kann es dem, der den Krieg und Faschismus erlebt hat, genau so wie dem Bundesbürger, der von diesen Erlebnissen nie berührt war, Angst werden. (Siehe Heinrich Heine: “Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht…“)

Es wäre soviel bedenkenswertes aus dem Buch anzuführen, zum Beispiel die “Totenfeier“ bei Anne Will/das Bemühen, Karl Marx für das Bürgertum gesellschaftsfähig zu machen, auf ein “erträgliches Maß“ zurecht zu schneidern. Denn an Karl Marx' Denken, kommt auch die bürgerliche Gesellschaft nicht vorbei. Gott sei Dank – Karl Marx sei Dank! Die Ereignisse „Hanau“ werden ebenso beleuchtet wie die Vorkommnisse bei der AfD in Brandenburg – deutlich, klar lesbar und somit eine wichtige Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist. Der Anhang interessanter Rezensionen und Einlassungen in verschiedensten Publikationen runden das Bild zu einer Vollsicht auf die Zeitereignisse ab. Jedem am politisch und menschlich Interessierten ist es ein NACH-DENKE-BUCH. Dem Autor sei Dank.


Harry Popow: Der Moloch am Pranger – Kleine weiße Friedenstaube, komm recht bald zurück!



epubli-Verlag, 323 Seiten, 24,99 Euro (bestellen: hier)


Die Rezensentin Lotti Andrae, geboren 1939 in der DDR, studierte an der Uni Leipzig Kulturwissenschaften und ist Diplomkulturwissenschaftlerin und Bibliothekarin.

Online-Flyer Nr. 753  vom 16.09.2020

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