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Kommentar
Über ein Interview mit Winfried Wolf zum Buch "Corona, Krise, Kapital"
Gähnende Leere
Von Birgit Naujeck
Am 26. August 2020 ist anlässlich des Erscheinens des von Verena Kreilinger, Winfried Wolf und Christian Zeller verfassten Buches "Corona, Krise, Kapital – Plädoyer für eine solidarische Alternative in den Zeiten der Pandemie" bei Telepolis ein Interview von Tomasz Konicz mit Winfried Wolf unter dem Titel "Wir müssen harte Aufklärungsarbeit leisten" veröffentlicht worden. Der Titel stützt sich auf eine Passage, die erkennen lässt, dass eher das Gegenteil gemeint ist: "In Stuttgart gab es bis zum 1. August [2020] die größten dieser Demos der Corona-Relativierer. Das war eine wilde Mischung. Der Cheforganisator ist ein mittelständischer Unternehmer... Der ist ein typischer, radikalisierter Kleinbürger; glücklicherweise ohne Charisma... Da gibt es viel Irrungen und Wirrungen. Was auch heißt: Wir müssen harte Aufklärungsarbeit leisten." Birgit Naujeck macht deutlich, dass die Dinge in der Tat anders liegen: "Es gibt derzeit viel, was der Aufklärung bedarf. Vor allen Dingen aus linker Sicht – denn die Linke ist nicht mehr in Sicht." Auch ein Winfried Wolf gehört offensichtlich nicht zu denen, die sich als links bezeichnen ließen. Das zeigt sich auch daran, dass er sich von einem Journalisten aus dem "antideutschen" Spektrum interviewen lässt. Die Einschätzungen von Birgit Naujeck sind ernüchternd. Sie findet im Interview neben Aneinanderreihungen von Weisheiten und Plattheiten letztlich nur gähnende Leere. Hier ihr Kommentar:
Leider wurde ich bereits bei den ersten Worten des doch ziemlich gelenkten Interviews (solange ich das Buch nicht gelesen habe, wirkt es so auf mich) von der Realität eingeholt. Nichts Neues! Seit Jahren nun schreibt Winfried Wolf in diesem Sinne – ohne Abweichung. So hatte ich mir doch erhofft, von ihm einen Hinweis auf all die Studien aus den 2005er bis 2010er Jahren zu erhalten, die er in sein linkes Weltbild hat einfließen lassen; und dass er ein wenig die Dystopie, die Anti-Utopie von Florida's Great Reset in 2020 verarbeitet.
Nichts! Nur die Aneinanderreihungen von Weisheiten neben Plattheiten – er ist einfach nur stehengeblieben. Aber wie gesagt: Das Buch mag auch Interessantes bieten. Nach dem Interview werde ich es aber nicht einmal in Erwägung ziehen, es zu lesen.
Gerade Wolf's Wissen um Stuttgart 21 und dass es dort kaum politische Menschen gibt, die immer noch auf die Straße gehen; sein immerwährendes Bemühen, dort das eine mit dem anderen zu verknüpfen – auch gerade im Hinblick darauf, dass ohne viele Beteiligte der Stuttgart21-Demonstrationen Querdenken711 vielleicht niemals diesen Zulauf gewonnen hätte – da hätte ich doch wenigstens eine Analyse dessen erwartet, warum es plötzlich zu einer "Zwangspolitisierung" (*) gekommen ist und wie wir im linken Lager dazulernen können ... wie gesagt: Gähnende Leere.
Und genau das ist das Problem. Wolf, der sonst so gern zeigt, dass er auch einen Michel Foucault kennt ... denn dessen Analyse der Reaktion auf die Pest der frühen Neuzeit zeigt uns, wie Ereignisse als gesellschaftspolitische Machttechniken benutzt werden. In "Überwachen und Strafen" geht Foucault dem Gedanken nach, dass die Behörden die Pest nutzen konnten, um ihre normative Macht auf Individuen anzuwenden. Das Ziel war die Erzeugung einer gesunden Bevölkerung. Als Mittel erhielten Kontrolle und Disziplinierung "bis in die feinsten Details der Existenz" ihre Rechtfertigung. Diese Machtmittel waren nach dem Verschwinden der Pest dann Bestandteil der neuen Normalität, und vor dieser Gefahr stehen auch wir, wenn die Rhetorik "Die Zeit nach Corona ist eine Zeit mit Corona" zur Selbstverständlichkeit wird.
Ich kann hier auch Herbert Marcuse anführen; der konstatiert die Reduktion der Kultur auf eine technologische Rationalität und warnt vor einer technokratischen Herrschaftswissenschaft, die sich aus Furcht vor einer Reflexion über grundsätzliche gesellschaftliche Probleme in die Empirie flüchtet und die Krise nur noch verwaltet. So gestaltet sich die offizielle Antwort auf die Pandemie nur noch als Sache wissenschaftlicher Institutionen – wobei Wissenschaft oftmals nur noch als Knopfdruck im Internet stattfindet -, die, obwohl seit Monaten im Dunkeln tappsend, mainstream-mäßig weltweit die Marschrichtung vorgeben.
Schelsky wiederum analysiert sehr klar in "Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation" die Ablösung der Herrschaft von Menschen über Menschen durch die Herrschaft der Technik. Die Sachzwänge des technisch Machbaren geben die Marschrichtung an. Der Mensch im wissenschaftlichen Zeitalter wird Zeuge der Aushöhlung der Demokratie zugunsten eines rein technischen Staates – wobei "no nation no borders" heute angesagt ist, und damit findet die Aushöhlung der Demokratie zugunsten der Selbsternannten (**) statt. Diese Sachzwänge offenbaren sich uns auf einmal in Form des Contact-Tracing nach chinesischem Vorbild, in Form von digitaler Identität (ID2020) oder bargeldlosem Zahlungsverkehr, die im Zuge von Corona eingeführt und bald als selbstverständlich empfunden werden dürften. Wir erleben uns nicht mehr als mitbestimmende Bürger, die den Sachzwängen des Machbaren andere Werte des Zusammenlebens entgegenhalten dürfen. Schelsky, auf die Gegenwart angewandt: "Der Mensch löst sich vom Naturzwang – nämlich dem Virus – ab, um sich seinem eigenen Produktionszwang, nämlich den technischen Machbarkeiten der Maßnahmen, zu unterwerfen."
Diese Analyse hätte ich von Wolf erwartet, wenn möglich bereits auf eine Strategie der Abwendung hinweisend. Aber nein, da geht er ganz natürlich den Modus des Fragestellers aufgreifend in die Ecke derer, denen nichts anderes einfällt, als das wording der Etablierten aufzunehmen, Holocaust-Leugner abzulegen und neudeutsch den Corona-Leugner an den Pranger zu stellen.
Wolf hat hier ganz klar ausgedient, wenn er sich nicht besinnt und die "zwangspolitisierten, gut vernetzten" Querdenker ins Lager der Linken holt bzw. sich wie Hermann Ploppa diesem Lager öffnet. Würde es die "Klagepaten" heute geben?!?!? Nein, aber sie haben dafür gesorgt, dass Kinder und Jugendliche – zumindest in NRW – nicht maskiert im Schulraum sitzen müssen. "Ärzte für Aufklärung" erhalten immer mehr Zulauf, und die Bürger sind bereit, zuzuhören und zu verstehen. Ruppert & Co. warnen vor den mittel- bis langfristigen Folgen des Maskentragens, das zu einem großen Trauma aller führen kann. Lungenärzte, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte schlagen Alarm, dass es bereits steigende Zahlen bei Lungenerkrankungen gibt, dass es vermehrt zu schweren Erkältungen kommt; Kardiologen sehen vermehrt schwere Herzprobleme bei bereits Vorerkrankten; der Blutdruck steigt unter der Maske – ja, ein offenes Gespräch mit jedem Arzt ist anempfohlen – dabei bitte die korrupten Ärzte, die sich gern 12.500 Euro pro Quartal für Corona-Abstriche (Tests schnellen nach oben, DNA wird gesammelt wie bekloppt) on top zahlen lassen, vermeidend.
Es gibt derzeit viel, was der Aufklärung bedarf. Vor allen Dingen aus linker Sicht – denn die Linke ist nicht mehr in Sicht.
NRW-Wahl am 13. September 2020: mit Abstand gewinnt die Partei der Nichtwähler. Als ehrenamtliche Wahlhelferin habe ich ohne Maske im Wahlraum verbracht, mich gefreut über die Menschen, die ganz öffentlich ihre Angst bekundet haben, ohne Maske gesellschaftliche Nachteile zu erhalten und dann die Maske abgenommen haben. Ja, auch über Wahlzettel, die den Vermerk erhielten: meine Stimme erhält nur die Partei, die für ein Ende der Corona-Maßnahmen sorgt, zeigen auf, dass die Menschen nicht gelenkt werden wollen. Die Linke muss sich besinnen und endlich Rückgrat haben. So wie die Querdenker eben, die auch noch Rückgrat zeigen.
Schon wenn Wolf behauptet, der lockdown hätte die kapitalistische Maschinerie angehalten, muss dem widersprochen werden. Warum? Weil plötzlich kein Flugzeug mehr am Himmel? Weil der Straßenverkehr eigentlich nicht mehr vorhanden war? Weil Kurzarbeit installiert ist und der Konsument daheim? Sieht er nicht die gigantischen Gewinne, die die digitalen Unternehmen eingefahren haben, die Marktmacht ausgebaut (selbst den Kindern ist es aufgefallen, dass sich Lieferwagen an Lieferwagen gereiht haben). Hat er tatsächlich die Philanthropen mit ihren Stiftungen keines Blickes gewürdigt? Ja, all das fehlt komplett. Er kann mit Marx argumentieren – das ist aber seit Jahren kaum noch möglich, wenn wir über die Digitalisierung, über Philanthropie, über RFID – neudeutsch ID2020 – sprechen. Marx hat das beschrieben, was zu seiner Zeit geschehen ist, Revolutionen vorher und gleichzeitige inklusive. Solange es noch die analoge Welt gab – inklusive der reinen Robotik – kein Problem. Da konnte der Marx gezückt werden. Wenn wir uns jedoch die letzten Jahre ansehen, einen Blick nach Silicon Valley schmeißen, dann sieht das komplett anders aus. Und genau da scheitert auch Wolf.
Fast jeder ist mit Smartphones bewaffnet. Wer aber hat die Algorithmen verstanden, wenn überhaupt danach geforscht. Wer kennt jede einzelne API? Wer hat sich mit den Hirnforschern, Neurowissenschaftlern auseinandergesetzt? Wer hat das "Fenster zum Hirn" verstanden. Was wir mit der jetzigen Entrechtung erfahren – all das hätte ein jeder seit ca. 10 Jahren sehen müssen. Denn eines kann man den Amis wirklich nicht vorwerfen: ihre generellen Strategien zu verheimlichen. Aber wir laufen ja lieber mit Marx herum und analysieren erst dann, wenn die Situation eingetreten ist. Im Nachhinein hilft nicht bei der Abwendung. Denn sonst wäre das jetzt auch nicht passiert – Totalausfall der Opposition.
Da bin ich den aus meiner Sicht zwangspolitisierten Menschen dankbar. Die vielleicht den Marx nicht kennen; die aber soviel Kenntnis gemischt mit emotionaler Intelligenz haben, um sich gegen Maßnahmen zu wehren, die nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch unsinnig sind. Die sich langsam politisieren, und zwar in Richtung linker Politik. Aber dafür noch mehr gebasht werden. Die Linke ist nicht zum Diskurs bereits und macht sich auf jeder Ebene unglaubwürdig. Was es braucht, ist eine Verfassung, die durch den Souverän geschrieben wird. Erst dann wird es eine Chance auf Solidarität, Frieden, Freiheit, Gleichheit und letztendlich der daraus resultierenden sozialen Gerechtigkeit geben.
Indem ich aber von vornherein jeden Streiter an meiner Seite erst einmal zwanghaft in ein (von welchem Linken auch immer entworfenes) linkes Korsett stecke, wird ein Diskurs niemals stattfinden und damit auch nicht die Möglichkeit, gemeinsam vorzugehen. Da sollte ein jeder hier doch einmal seinen Marx zücken und nachlesen, wie das noch war mit der Herrschaft und dem Auseinanderdividieren der verschiedenen Gruppen. Die Selbsternannten lassen sich ihren 500-Dollar-Whiskey mit einem breiten Lächeln schmecken... und wenden sich der nächsten Stufe zu; die Komposition wird uns im Sommer 2021 präsentiert. Anschließend braucht keiner mehr den Marx zu zücken...
(*) Zwangspolitisierung: aufgrund der Coronamaßnahmen wurden viele Bürger Deutschlands aus ihrer Komfortzone geschleudert und mussten sich wahrscheinlich erstmalig direkt mit Politik und ihrer Auswirkung befassen. Getriebene, die weder bewusst noch freiwillig Politik in ihr Leben gelassen haben.
(**) Selbsternannte: steht als eine Art Synonym für xyz-Elite, die die graue Eminenz im Hintergrund meint. Doch niemand von diesen Menschen ist gewählt oder ausgewählt; sie haben sich selbsternannt, um zum Wohle der Wenigsten die Interessen der Vielen von vornherein ad absurdum zu führen.
Birgit Naujeck über sich: "Nicht in, aber durch die DDR sozialisiert bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass der Mensch nicht Kosument, sondern aus seinem Innersten heraus ein soziales Wesen ist. Als romantisch Linksdenkende und -handelnde mäander ich durch die Zeit."
Interview von Tomasz Konicz mit Winfried Wolf, 26.08.2020
https://www.heise.de/tp/features/Wir-muessen-harte-Aufklaerungsarbeit-leisten-4849709.html?seite=all
Vorveröffentlichung aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 34 (September 2020) – Grundsatzschrift über die Freiheit des Denkens – bissig – streitbar – schön und wahr und (manchmal) satirisch.
Mehr dazu und wie es sich bestellen lässt, hier: http://www.das-krokodil.com/
Online-Flyer Nr. 754 vom 30.09.2020
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Über ein Interview mit Winfried Wolf zum Buch "Corona, Krise, Kapital"
Gähnende Leere
Von Birgit Naujeck
Am 26. August 2020 ist anlässlich des Erscheinens des von Verena Kreilinger, Winfried Wolf und Christian Zeller verfassten Buches "Corona, Krise, Kapital – Plädoyer für eine solidarische Alternative in den Zeiten der Pandemie" bei Telepolis ein Interview von Tomasz Konicz mit Winfried Wolf unter dem Titel "Wir müssen harte Aufklärungsarbeit leisten" veröffentlicht worden. Der Titel stützt sich auf eine Passage, die erkennen lässt, dass eher das Gegenteil gemeint ist: "In Stuttgart gab es bis zum 1. August [2020] die größten dieser Demos der Corona-Relativierer. Das war eine wilde Mischung. Der Cheforganisator ist ein mittelständischer Unternehmer... Der ist ein typischer, radikalisierter Kleinbürger; glücklicherweise ohne Charisma... Da gibt es viel Irrungen und Wirrungen. Was auch heißt: Wir müssen harte Aufklärungsarbeit leisten." Birgit Naujeck macht deutlich, dass die Dinge in der Tat anders liegen: "Es gibt derzeit viel, was der Aufklärung bedarf. Vor allen Dingen aus linker Sicht – denn die Linke ist nicht mehr in Sicht." Auch ein Winfried Wolf gehört offensichtlich nicht zu denen, die sich als links bezeichnen ließen. Das zeigt sich auch daran, dass er sich von einem Journalisten aus dem "antideutschen" Spektrum interviewen lässt. Die Einschätzungen von Birgit Naujeck sind ernüchternd. Sie findet im Interview neben Aneinanderreihungen von Weisheiten und Plattheiten letztlich nur gähnende Leere. Hier ihr Kommentar:
Leider wurde ich bereits bei den ersten Worten des doch ziemlich gelenkten Interviews (solange ich das Buch nicht gelesen habe, wirkt es so auf mich) von der Realität eingeholt. Nichts Neues! Seit Jahren nun schreibt Winfried Wolf in diesem Sinne – ohne Abweichung. So hatte ich mir doch erhofft, von ihm einen Hinweis auf all die Studien aus den 2005er bis 2010er Jahren zu erhalten, die er in sein linkes Weltbild hat einfließen lassen; und dass er ein wenig die Dystopie, die Anti-Utopie von Florida's Great Reset in 2020 verarbeitet.
Nichts! Nur die Aneinanderreihungen von Weisheiten neben Plattheiten – er ist einfach nur stehengeblieben. Aber wie gesagt: Das Buch mag auch Interessantes bieten. Nach dem Interview werde ich es aber nicht einmal in Erwägung ziehen, es zu lesen.
Gerade Wolf's Wissen um Stuttgart 21 und dass es dort kaum politische Menschen gibt, die immer noch auf die Straße gehen; sein immerwährendes Bemühen, dort das eine mit dem anderen zu verknüpfen – auch gerade im Hinblick darauf, dass ohne viele Beteiligte der Stuttgart21-Demonstrationen Querdenken711 vielleicht niemals diesen Zulauf gewonnen hätte – da hätte ich doch wenigstens eine Analyse dessen erwartet, warum es plötzlich zu einer "Zwangspolitisierung" (*) gekommen ist und wie wir im linken Lager dazulernen können ... wie gesagt: Gähnende Leere.
Und genau das ist das Problem. Wolf, der sonst so gern zeigt, dass er auch einen Michel Foucault kennt ... denn dessen Analyse der Reaktion auf die Pest der frühen Neuzeit zeigt uns, wie Ereignisse als gesellschaftspolitische Machttechniken benutzt werden. In "Überwachen und Strafen" geht Foucault dem Gedanken nach, dass die Behörden die Pest nutzen konnten, um ihre normative Macht auf Individuen anzuwenden. Das Ziel war die Erzeugung einer gesunden Bevölkerung. Als Mittel erhielten Kontrolle und Disziplinierung "bis in die feinsten Details der Existenz" ihre Rechtfertigung. Diese Machtmittel waren nach dem Verschwinden der Pest dann Bestandteil der neuen Normalität, und vor dieser Gefahr stehen auch wir, wenn die Rhetorik "Die Zeit nach Corona ist eine Zeit mit Corona" zur Selbstverständlichkeit wird.
Ich kann hier auch Herbert Marcuse anführen; der konstatiert die Reduktion der Kultur auf eine technologische Rationalität und warnt vor einer technokratischen Herrschaftswissenschaft, die sich aus Furcht vor einer Reflexion über grundsätzliche gesellschaftliche Probleme in die Empirie flüchtet und die Krise nur noch verwaltet. So gestaltet sich die offizielle Antwort auf die Pandemie nur noch als Sache wissenschaftlicher Institutionen – wobei Wissenschaft oftmals nur noch als Knopfdruck im Internet stattfindet -, die, obwohl seit Monaten im Dunkeln tappsend, mainstream-mäßig weltweit die Marschrichtung vorgeben.
Schelsky wiederum analysiert sehr klar in "Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation" die Ablösung der Herrschaft von Menschen über Menschen durch die Herrschaft der Technik. Die Sachzwänge des technisch Machbaren geben die Marschrichtung an. Der Mensch im wissenschaftlichen Zeitalter wird Zeuge der Aushöhlung der Demokratie zugunsten eines rein technischen Staates – wobei "no nation no borders" heute angesagt ist, und damit findet die Aushöhlung der Demokratie zugunsten der Selbsternannten (**) statt. Diese Sachzwänge offenbaren sich uns auf einmal in Form des Contact-Tracing nach chinesischem Vorbild, in Form von digitaler Identität (ID2020) oder bargeldlosem Zahlungsverkehr, die im Zuge von Corona eingeführt und bald als selbstverständlich empfunden werden dürften. Wir erleben uns nicht mehr als mitbestimmende Bürger, die den Sachzwängen des Machbaren andere Werte des Zusammenlebens entgegenhalten dürfen. Schelsky, auf die Gegenwart angewandt: "Der Mensch löst sich vom Naturzwang – nämlich dem Virus – ab, um sich seinem eigenen Produktionszwang, nämlich den technischen Machbarkeiten der Maßnahmen, zu unterwerfen."
Diese Analyse hätte ich von Wolf erwartet, wenn möglich bereits auf eine Strategie der Abwendung hinweisend. Aber nein, da geht er ganz natürlich den Modus des Fragestellers aufgreifend in die Ecke derer, denen nichts anderes einfällt, als das wording der Etablierten aufzunehmen, Holocaust-Leugner abzulegen und neudeutsch den Corona-Leugner an den Pranger zu stellen.
Wolf hat hier ganz klar ausgedient, wenn er sich nicht besinnt und die "zwangspolitisierten, gut vernetzten" Querdenker ins Lager der Linken holt bzw. sich wie Hermann Ploppa diesem Lager öffnet. Würde es die "Klagepaten" heute geben?!?!? Nein, aber sie haben dafür gesorgt, dass Kinder und Jugendliche – zumindest in NRW – nicht maskiert im Schulraum sitzen müssen. "Ärzte für Aufklärung" erhalten immer mehr Zulauf, und die Bürger sind bereit, zuzuhören und zu verstehen. Ruppert & Co. warnen vor den mittel- bis langfristigen Folgen des Maskentragens, das zu einem großen Trauma aller führen kann. Lungenärzte, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte schlagen Alarm, dass es bereits steigende Zahlen bei Lungenerkrankungen gibt, dass es vermehrt zu schweren Erkältungen kommt; Kardiologen sehen vermehrt schwere Herzprobleme bei bereits Vorerkrankten; der Blutdruck steigt unter der Maske – ja, ein offenes Gespräch mit jedem Arzt ist anempfohlen – dabei bitte die korrupten Ärzte, die sich gern 12.500 Euro pro Quartal für Corona-Abstriche (Tests schnellen nach oben, DNA wird gesammelt wie bekloppt) on top zahlen lassen, vermeidend.
Es gibt derzeit viel, was der Aufklärung bedarf. Vor allen Dingen aus linker Sicht – denn die Linke ist nicht mehr in Sicht.
NRW-Wahl am 13. September 2020: mit Abstand gewinnt die Partei der Nichtwähler. Als ehrenamtliche Wahlhelferin habe ich ohne Maske im Wahlraum verbracht, mich gefreut über die Menschen, die ganz öffentlich ihre Angst bekundet haben, ohne Maske gesellschaftliche Nachteile zu erhalten und dann die Maske abgenommen haben. Ja, auch über Wahlzettel, die den Vermerk erhielten: meine Stimme erhält nur die Partei, die für ein Ende der Corona-Maßnahmen sorgt, zeigen auf, dass die Menschen nicht gelenkt werden wollen. Die Linke muss sich besinnen und endlich Rückgrat haben. So wie die Querdenker eben, die auch noch Rückgrat zeigen.
Schon wenn Wolf behauptet, der lockdown hätte die kapitalistische Maschinerie angehalten, muss dem widersprochen werden. Warum? Weil plötzlich kein Flugzeug mehr am Himmel? Weil der Straßenverkehr eigentlich nicht mehr vorhanden war? Weil Kurzarbeit installiert ist und der Konsument daheim? Sieht er nicht die gigantischen Gewinne, die die digitalen Unternehmen eingefahren haben, die Marktmacht ausgebaut (selbst den Kindern ist es aufgefallen, dass sich Lieferwagen an Lieferwagen gereiht haben). Hat er tatsächlich die Philanthropen mit ihren Stiftungen keines Blickes gewürdigt? Ja, all das fehlt komplett. Er kann mit Marx argumentieren – das ist aber seit Jahren kaum noch möglich, wenn wir über die Digitalisierung, über Philanthropie, über RFID – neudeutsch ID2020 – sprechen. Marx hat das beschrieben, was zu seiner Zeit geschehen ist, Revolutionen vorher und gleichzeitige inklusive. Solange es noch die analoge Welt gab – inklusive der reinen Robotik – kein Problem. Da konnte der Marx gezückt werden. Wenn wir uns jedoch die letzten Jahre ansehen, einen Blick nach Silicon Valley schmeißen, dann sieht das komplett anders aus. Und genau da scheitert auch Wolf.
Fast jeder ist mit Smartphones bewaffnet. Wer aber hat die Algorithmen verstanden, wenn überhaupt danach geforscht. Wer kennt jede einzelne API? Wer hat sich mit den Hirnforschern, Neurowissenschaftlern auseinandergesetzt? Wer hat das "Fenster zum Hirn" verstanden. Was wir mit der jetzigen Entrechtung erfahren – all das hätte ein jeder seit ca. 10 Jahren sehen müssen. Denn eines kann man den Amis wirklich nicht vorwerfen: ihre generellen Strategien zu verheimlichen. Aber wir laufen ja lieber mit Marx herum und analysieren erst dann, wenn die Situation eingetreten ist. Im Nachhinein hilft nicht bei der Abwendung. Denn sonst wäre das jetzt auch nicht passiert – Totalausfall der Opposition.
Da bin ich den aus meiner Sicht zwangspolitisierten Menschen dankbar. Die vielleicht den Marx nicht kennen; die aber soviel Kenntnis gemischt mit emotionaler Intelligenz haben, um sich gegen Maßnahmen zu wehren, die nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch unsinnig sind. Die sich langsam politisieren, und zwar in Richtung linker Politik. Aber dafür noch mehr gebasht werden. Die Linke ist nicht zum Diskurs bereits und macht sich auf jeder Ebene unglaubwürdig. Was es braucht, ist eine Verfassung, die durch den Souverän geschrieben wird. Erst dann wird es eine Chance auf Solidarität, Frieden, Freiheit, Gleichheit und letztendlich der daraus resultierenden sozialen Gerechtigkeit geben.
Indem ich aber von vornherein jeden Streiter an meiner Seite erst einmal zwanghaft in ein (von welchem Linken auch immer entworfenes) linkes Korsett stecke, wird ein Diskurs niemals stattfinden und damit auch nicht die Möglichkeit, gemeinsam vorzugehen. Da sollte ein jeder hier doch einmal seinen Marx zücken und nachlesen, wie das noch war mit der Herrschaft und dem Auseinanderdividieren der verschiedenen Gruppen. Die Selbsternannten lassen sich ihren 500-Dollar-Whiskey mit einem breiten Lächeln schmecken... und wenden sich der nächsten Stufe zu; die Komposition wird uns im Sommer 2021 präsentiert. Anschließend braucht keiner mehr den Marx zu zücken...
(*) Zwangspolitisierung: aufgrund der Coronamaßnahmen wurden viele Bürger Deutschlands aus ihrer Komfortzone geschleudert und mussten sich wahrscheinlich erstmalig direkt mit Politik und ihrer Auswirkung befassen. Getriebene, die weder bewusst noch freiwillig Politik in ihr Leben gelassen haben.
(**) Selbsternannte: steht als eine Art Synonym für xyz-Elite, die die graue Eminenz im Hintergrund meint. Doch niemand von diesen Menschen ist gewählt oder ausgewählt; sie haben sich selbsternannt, um zum Wohle der Wenigsten die Interessen der Vielen von vornherein ad absurdum zu führen.
Birgit Naujeck über sich: "Nicht in, aber durch die DDR sozialisiert bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass der Mensch nicht Kosument, sondern aus seinem Innersten heraus ein soziales Wesen ist. Als romantisch Linksdenkende und -handelnde mäander ich durch die Zeit."
Interview von Tomasz Konicz mit Winfried Wolf, 26.08.2020
https://www.heise.de/tp/features/Wir-muessen-harte-Aufklaerungsarbeit-leisten-4849709.html?seite=all
Vorveröffentlichung aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 34 (September 2020) – Grundsatzschrift über die Freiheit des Denkens – bissig – streitbar – schön und wahr und (manchmal) satirisch.
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