NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 21. November 2024  

zurück  
Druckversion

Kommentar
Zum Artikel "Die Klassenkämpfe in Deutschland während der Coronakrise" von Thomas Sablowski, 17./18.09.2020
Analysiert die "junge Welt" das Desaster der Linken?
Von Klaus-Jürgen Bruder

Seit Monaten finden sich in der "marxistischen" Tageszeitung "junge Welt" Artikel, die die Bewegung zur Verteidigung der Grundrechte diskreditieren und den Blick auf den Corona-Ausnahmezustand verschleiern. Das erinnert sehr stark an die Zeit der Montagsmahnwachen der "Neuen Friedensbewegung" von 2014, als diese Bewegung systematisch attackiert und verunglimpft wurde. Nun war in den junge-Welt-Ausgaben vom 17. und 18. September 2020 auf insgesamt vier Seiten ein Artikel von Thomas Sablowski über "Die Klassenkämpfe in Deutschland während der Coronakrise" zu lesen. Das ließ hoffen. Ist jetzt womöglich erkannt worden, dass das Corona-Manöver als Teil des Klassenkampfes zu sehen ist – so wie es auf einem der Transparente der großen, vom Berliner Senat verhinderten Demonstration vom 29. August 2020 zu lesen war: "Corona-Hysterie tarnt Klassenkrieg - Superreicher Ex-Nr. 1 Warren Buffet sagt: 'Wir führen Klassenkrieg und meine reiche Klasse gewinnt.'" und ein energisches "NO" dagegen gesetzt war? Klaus-Jürgen Bruder, Vorsitzender der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP), gibt dazu die ernüchternde Antwort. „Nach dem Ende des Banketts des Corona-Regimes: Der Mythos Corona als Subjekt bleibt weiterhin in Gebrauch“ nennt er sie.


Berlin, 29.8.2020, Hunderttausende protestieren gegen den Corona-Ausnahmezustand (Foto: arbeiterfotografie.com)

Nachdem „Corona“ als Demobilisierungsinstrument für die Linke seinen Dienst getan hat, fällt dem dummen August ein, dass das „Kapital“ – als „automatisches Subjekt“ – gestärkt aus der „Krise“ hervorgeht. Vielleicht ist er erstaunt, weil es ja keine „richtige“ Krise war, sondern eine, die der geschäftsführende Ausschuss des Kapitals selbst angezettelt hatte, mit der Absicht der tatsächlich bevorstehenden „echten“ Krise zuvorzukommen, ihre Wirkungen in die von ihnen gewünschte Bahnen zu lenken. 

In einem auf zwei Ausgaben der „jungen Welt“ verteilten Beitrag mit dem Titel „Block an der Macht“ wagt die junge Welt sich an das Thema „Klassenkämpfe in Deutschland während der Coronakrise“. Es ist dies ein Nachdruck aus der immer noch „Probleme des Klassenkampfes“ (PROKLA) genannten Zeitschrift.

Endlich! – Freut man sich, hofft darauf, dass jemand sich analytisch mit den theoretischen und politischen Desaster der Linken auseinandersetzt, dass die junge Welt aus ihrer Verblendung erwacht. Aber nein was wird uns geboten? Ein paar dürre Auszüge aus einem Grundkurs „Einführung in den Marxismus“, natürlich nur der halbe Marx: der Marx der „Klassenkämpfe“, der „politische Marx“ fehlt vollkommen: der Staat, seine Rolle in der Austragung der Klassenkämpfe ist vollkommen ausgeblendet.

„Politik zugunsten der Kapitalisten“, so lautet die Überschrift des zweiten Teils des Beitrags – Weiß Gott: was für eine umstürzende Erkenntnis! Diese wird natürlich umständlich vorbereitet mit längeren Ausführungen über „Klassen, Klassen-Fraktionen“ und der unwiderlegbaren Behauptung, „Klassenkampf findet nicht nur statt, wenn irgendwo gestreikt oder demonstriert wird. Vielmehr ist der Gesamtprozess der kapitalistischen Produktion und Reproduktion ein Prozess des Klassenkampfs.“

Diese unwiderlegliche Formel wird aber dann zum Sprungbrett für die nächsten Behauptungen: „Wir sehen immer nur die Spitze des Eisbergs. Der größte Teil des Klassenkampfes findet im alltäglichen Kleinkrieg am Arbeitsplatz statt, in der „verborgenen Stätte der Produktion“ (Marx). Aber auch von den Interaktionen zwischen den herrschenden Klassen und den Staatsapparaten, in denen sich der »Block an der Macht« (Poulantzas) formiert, erfahren wir nur wenig.

Ja, vom Klassenkampf erfahren wir nur wenig! Was ist das für ein Klassenkampf, von dem wir nur wenig erfahren? Oder klopft hier die „Verschwörungstheorie“ an die Tür?

Und die Rolle der Medien? Um ihre entscheidende Rolle in der – Coronakrise genannten Inszenierung – ganz zu sehen, bedarf es keinerlei „Verschwörungstheorie“. Sie, die Medien führen tagtäglich vor, was sie tun, ihre Wirkung hängt ja davon ab, dass wir es sehen, dass wir davon erfahren, was sie berichten.

Weiter geht es mit: „Für die Verdichtung der Klassenkämpfe im Staat spielen intermediäre Organisationen wie Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und Parteien eine zentrale Rolle.“ Wieder fehlen die Medien als „intermediäre Organisation“!

Ich gehe davon aus, dass dieses Ausblenden eines zentralen Agenten des Klassenkampfes damit zu tun hat, dass Klassenkampf eingeengt wird auf den „gewerkschaftlichen Kampf“, dass die Medien überhaupt nicht als Mittel und Institution des Klassenkampfs – in den Händen der herrschenden Klasse – gesehen werden. Dieses Ausblenden kann damit zu tun haben, dass der Staat nicht als Apparat in den Händen der herrschenden Klasse betrachtet wird, sondern als allen Klassen zur Verfügung stehendes Instrument von Politik. Dieses Verständnis stünde in Übereinstimmung mit der Absicht der Linkspartei, in eine Regierung einzutreten, ohne erkennen zu lassen, dass sie die Ziele aufgeben wird, deretwegen diese Partei gewählt worden ist. Aus dieser Illusion resultiert höchstwahrscheinlich auch die Kooperation der Parteilinken mit der Regierung in der Installation des Corona-Regimes: Man wollte sich „ministrabel“ erweisen. Inwieweit das auch den Übergang der außerhalb der Partei Stehenden auf die Seite des Corona-Regimes erklärt, bleibt offen.

Zurück zum Beitrag: es wird im weiteren relativ unengagiert – aber was soll‘s – über den Verlauf der Inszenierung berichtet: „Wir befinden uns also seit dem vorigen Jahr in einer zunächst nur schwach ausgeprägten, dann aber durch die Covid-19-Pandemie enorm verstärkten Rezession, die auf der Ebene der Wirtschaftspolitik temporär zum Bruch mit einer politischen Praxis geführt hat, die bis dato als normal galt.“ Es war nicht eine die Welt überfallende „Covid-19-Pandemie“, die zu einer politischen Praxis geführt hat, sondern umgekehrt: die Ausrufung der „Covid-19-Pandemie“ war das Ergebnis einer politischen Praxis, die die „Folgen“ produziert hat. Wer die Absicht nicht erkennt, ist selber schuld.

Die Chronologie der Ereignisse ist korrekt wiedergegeben, aber der Autor kommt nicht auf die Idee, dass sie gut vorbereitet gewesen sein musste. Bereits: „am 8. März verständigte sich der Koalitionsausschuss von CDU/CSU und SPD auf weitere Erleichterungen beim Bezug von Kurzarbeitergeld und stellte Hilfen für Unternehmen mit mangelnder Liquidität in Aussicht“.

Also bereits am 8. März! Und: „Am 13. März legten das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und das Bundesfinanzministerium (BMF) mittags ihren Plan für einen »Schutzschild für Beschäftigte und Unternehmen« vor.“

Es ist dem Autor klar, dass die Maßnahmen, ob vorgeschlagen oder auch durchgeführt „darauf zielen“, „die Profite der Unternehmen zu stabilisieren, und weniger darauf, die Einkommen der lohnabhängig Beschäftigten zu sichern.“

Er findet auch dafür einen schönen Begriff: „Krisen Korporatismus“, auch der Autor wird brav zitiert: Hans-Jürgen Urban 2014. (Gewerkschafter, laut Wikipedia „seit dem 6. November 2007 Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall)

Dann geht es weiter: „Die Klassenkonflikte waren mit der Pandemie jedenfalls nicht verschwunden. So kritisierte der DGB am 19. März … Die Regelungen für das Kurzarbeitergeld“. Der DGB kritisierte – das ist wohl Klassenkampf in Höchstform – und das Ergebnis? „Monate später wurde das Kurzarbeitergeld zwar angehoben, es blieb jedoch dabei, dass die Rückzahlung der Sozialbeiträge gänzlich in die Taschen der Unternehmer floss. Auch die anderen Forderungen des DGB wurden nicht erfüllt.“

Die Aufzählung der Gemeinheiten der Sieger in diesem „Klassenkampf“, des skrupellosen Ausnutzens der Ohnmacht unterlegenen Gegners wird im zweiten Teil des Beitrags fortgesetzt. Mit keinem Wort wird erklärt, wie es zu dieser Situation kommen konnte, was und vor allem wer zu dieser Lage geführt hat. Die Gewerkschaften selbst haben zur Schwächung ihre Mitglieder, der Arbeiterklasse entscheidend beigetragen, indem sie die Corona-Pandemie-Inszenierung mitgetragen haben. Sie haben ebenso wie die Linkspartei die sich entwickelnden Proteste der Bevölkerung torpediert, in dem sie diese als „rechts offene“ oder gar als rechte Bewegung ins politische Abseits zu drängen versuchten. Dass sie damit zugleich die Demokratie schwer beschädigt haben und das politische Bewusstsein vergiftet, haben sie ebenso in Kauf genommen.

Der zweite Teil endet dann mit der großartigen Geste: „die Verwerfungen der gegenwärtigen Krise sind zum großen Teil nicht durch die Corona-Pandemie als solche verursacht, sondern“ – und jetzt wäre es spätestens Zeit, wenn nicht bereits die Zeit verstrichen wäre, auf die Politik der Kriseninszenierung, wenn nicht sogar auf das Versagen der Linken, der Parteilinken angesichts dieser ungeheuren Notstandsübung, einzugehen. Aber nein: wieder kommt das „automatische Subjekt“ des Kapitals auf die Anklagebank: „…nicht durch die Corona-Pandemie als solche verursacht, sondern dadurch, dass diese in von der kapitalistischen Produktionsweise dominierten Gesellschaften stattfindet.“

Was für eine umwerfende Erkenntnis – darauf haben wir nur gewartet. Und zugleich: was für eine ungeheuerliche Verkehrung. Wo bleiben die Subjekte des „Klassenkampfs“, die Politik, die Inszenierung, der medial arrangierte Putsch, nichts davon! „Ross und Reiter“ bleiben ungenannt.

Aber danach kommt der Nachtisch: jetzt darf Marx aus den Frühschriften genossen werden. Der Autor merkt gar nicht, dass er damit allerdings genau ins Zentrum der Forderungen der – wie es immer heißt – inzwischen „rechts offenen“ Querdenker-Bewegung greift. „Aber es macht einen großen Unterschied, ob ein „Verein freier Menschen“ (Marx), „solidarisch entscheidet, was wirklich wichtig ist, welche Einschränkungen von Produktion und Arbeit notwendig und möglich sind, welche Bereiche der gesellschaftlichen Reproduktion unbedingt aufrechterhalten werden müssen, und wie die entstehenden Probleme gemeinsam bewältigt werden können, oder ob [...] der Staat […] die verfügbaren Ressourcen gemäß der gesellschaftlichen Machtverhältnisse verteilt.“

Genau das sind die Forderungen der diffamierten Demokratiebewegung: die Herstellung gesellschaftlicher und politischer Zustände, in denen die Bürger „solidarisch entscheiden“, wie sie leben wollen, die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung, die Zurücknahme der ihnen aufgezwungenen Notstandsmaßnahmen und die Wiedergutmachung der erlittenen finanziellen, gesundheitlichen, gesellschaftlichen Schäden.

Am Ende ist dann auch Marx aus dem Zitat verschwunden, aber der Ansatz bleibt richtig, es ist ja der Ansatz der „Corona-Pandemie“-kritischen Bewegung. Und vielleicht ist das die einzig mögliche Form in der die gestrauchelten ehemaligen Marxisten einräumen können, dass sie versagt haben.


jW-Artikel von Thomas Sablowski, 17./18.09.2020:
https://www.jungewelt.de/artikel/386561.block-an-der-macht.html
https://www.jungewelt.de/artikel/386630.klassengesellschaft-brd-geschenke-und-brosamen.html


Vorveröffentlichung aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 34 (September 2020) – Grundsatzschrift über die Freiheit des Denkens – bissig – streitbar – schön und wahr und (manchmal) satirisch.



Mehr dazu und wie es sich bestellen lässt, hier: http://www.das-krokodil.com/


Online-Flyer Nr. 754  vom 30.09.2020

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE