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Kultur und Wissen
Menschen mit Mut
Geist, Intellekt, Verstand, Vernunft
Thomas Stimmel – interviewt von Andrea Drescher
Thomas Stimmel ist laut ANTIFA ein „verhaltensauffälliger Migrant, der mit Nazis kuschelt“. Für den 1985 gebürtigen Münchner, Sohn eines kanadischen GIs, der in der US-Armee diente, und einer Deutschen, ist das ein eigenartiger Vorwurf. Zeit seines Lebens war er aufgrund seiner dunklen Hautfarbe Ziel rassistischer Übergriffe – jetzt kuschelt er mit den Tätern? Auch heute wohnt der ausgebildete und international erfolgreiche Opernsänger, Kunstfotograf und Publizist mit Freundin und Sohn im Raum München. Er spielt aber mit dem Gedanken, weiter raus aufs Land zu gehen. Dort will er sich aber nicht aus der Welt zurückziehen – im Gegenteil. Nach erfolgreichem Start seines Presseportals „Frische Sicht“ hat er sich noch sehr viel ambitioniertere Ziele gesetzt.
Thomas Stimmel
Wir kennen uns ja persönlich, bleiben wir also beim Du?
Natürlich!
Als Opernsänger und Künstler bist Du nicht der klassische politische Aktivist. Seit wann engagierst Du Dich?
Ich bin bei Themen, die mich bewegen, schon immer aktiv. Ich war lange in der „Initiative schwarzer Menschen in Deutschland“ dabei oder habe mich im Zuge meiner klassischen Musikkarriere mit der Literatur von afrikanisch-stämmigen Komponisten beschäftigt, die aufgrund ihrer Hautfarbe vergessen wurden. Meine Diplomarbeit beschäftigte sich mit dem Thema „Apartheid in der klassischen Musik“. Durch Musik und Fotografie habe ich spannende Länder erleben dürfen – ganz oben Äthopien und Pakistan – und versuche seitdem, das Erlebte in mein Leben zu integrieren. In dem Sinne sehe ich mich auch nicht als Aktivisten sondern als neugierigen, an unterschiedlichen Kulturen interessierten Menschenfreund, der ein großes Bedürfnis nach Austausch, Fairness, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit hat.
Aber jetzt gehst du mit Nazis auf eine Demo? Du weißt, ich meine die Querdenken-Demos am 1. und 29.8. in Berlin.
Als Journalist schaue mir alles an, bin weit entfernt von Schubladendenken und möchte Dinge selbst wahrnehmen, um mir ein eigenes Bild zu machen.
Also konkret: waren viele Nazis in Berlin?
Eigentlich nicht. Ich habe dafür alles andere gesehen. Mitglieder der jüdischen Gemeinde, Menschen der LGBTQ-Szene, auch Hippies waren vertreten. Ich sah viele junge Familien, Muslime, sprach mit anderen Afro-Deutschen und Menschen aus aller Herren Länder.
Keine Nazis?
Ich habe Reichsbürger an den Botschaften gesehen, wusste aber, dass es sich dabei um eine andere Demonstration handelt, da ich mich natürlich vorab informiert hatte, wie man das von einem Journalisten erwarten kann.
Du wusstest also mehr als die Polizei?
Anscheinend. Ich habe mir das bewusst als Journalist angesehen. Ich habe allerdings beobachten müssen, dass offensichtlich rechts aussehende Menschen an einem Seiteneingang während der Einkesselung auf der Friedrichstrasse in den Kessel reingelassen wurden, einer nachfolgenden junge Frau mit Kindern der Zutritt aber verweigert wurde.
Was verstehst du unter „rechts aussehend“, wie erkennt man einen Rechten?
Ich bin aufgrund meiner eigenen Erfahrungen leider sehr geschult, T-Shirts mit einschlägigen Aufdrucken sofort wahrzunehmen. Es gibt bestimmte Marken, die in rechten Kreisen bevorzugt getragen werden. Derartige Klamotten fallen mir direkt auf, weil ich ja aus genau diesen Kreisen immer mal wieder angegangen wurde.
Und diese Leute wurden in den Kessel gelassen?
Ja. Ich habe das mitgefilmt und alles auf meiner Webseite dokumentiert, habe Zeugen befragt und das Bildmaterial gespeichert. Ich war schon ziemlich verwundert, das zu beobachten. Meine Rücksprache bei der Polizei blieb aber ergebnislos. Angeblich waren diese Typen vorher schon da und hätten die Friedrichstrasse nur kurz verlassen. Der Polizist sah sich auch nur als ausführendes Organ – ich solle mich an seinen Vorgesetzten wenden. Dessen Handynummer führte aber zu nichts, es wurde nicht abgehoben. Ich habe den unangenehmen Verdacht, dass man die Typen reingelassen hat, um entsprechende Bilder zu produzieren. Sie gingen nämlich direkt zur Spitze des Zuges, wo andere Pressevertreter ihre Fotos machten. Sie spazierten auch recht auffällig immer am Rand entlang - es waren 15, vielleicht 20 Personen, die immer auf- und abliefen.
Du war aber nicht nur Vorort, Du hast auch vorab ein Video für die Demo gemacht.
Ja, das stimmt. Dafür habe ich u. A. mit Alexandrea Vester, Joschiko Saibu, Schwarzweiß und Nana zusammengearbeitet. Im Video habe ich mich für eine kritische und unvoreingenommene Medienberichterstattung ausgesprochen. Das sollte ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein – und darum bin ich auch hingefahren.
Du hast selbst keinerlei rassistische oder rechte Erfahrungen mit Querdenken gemacht?
Definitiv nicht. Wäre ich rassistisch angegangen worden, oder wäre die Demonstration in irgendeiner Form „rechts“ gewesen, hätte ich das dementsprechend publiziert. Da bin ich ganz konsequent. Und obwohl ich meine journalistische Tätigkeit dort korrekt und sauber ausführte, bezeichnete mich die im Nachgang ANTIFA als verhaltensauffälligen Migrant, der mit Nazis kuschelt“. Aber viele Menschen, die sich Corona-kritisch äußern, bzw. den Themenkomplex kritisch journalistisch bearbeiten, haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Saibu hat z. B. seinen Vertrag verloren wegen angeblicher Gefährdung seiner Mannschaft, einer Begründung, die nicht stichhaltig sein kann, da zu dieser Zeit weder Trainings noch Spiele stattfanden.
Kann man Journalist objektiv über eine Veranstaltung berichten, für die man ein Werbe-Video macht? Ist man da nicht bereits im Vorfeld positioniert?
Ich positioniere mich für Meinungsfreiheit, einen sauberen Diskurs und Rechtsstaatlichkeit. In dem Video habe ich mich als Journalist dafür ausgesprochen, dass kritisch und sauber berichtet wird. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Seit wann arbeitest Du als Journalist?
Foto-Essays und Videos mache ich schon seit einigen Jahren. Ich war Markenbotschafter für einen großen Kamerahersteller, der mir aufgrund meines Presseberichts über den 29.8. jetzt die Zusammenarbeit gekündigt hat. Das ist zwar kein großer finanzieller Verlust, aber die Tatsache dass ich als Fotojournalist dort tätig war und nicht negativ berichtet habe, hat gereicht, um rausgeschmissen zu werden. Man unterliegt also bereits einer Kontaktschuld, wenn man seine Rolle als Journalist wahrnimmt und „sauber“ berichtet. Das ist schon ziemlich eigenartig. Ich habe dem PR-Chef der Firma jedenfalls sehr deutlich meine Meinung gesagt.
Und mit Ungerechtigkeit kommst Du nicht klar?
Richtig. Ich habe aufgrund meiner Hautfarbe sehr viel Negatives erlebt - Ungerechtigkeit ertrage ich nur sehr schwer. Ich bin mit meiner Großmutter aufgewachsen. Sie ist eine sehr starke Frau, die nicht nur sieben Kinder, durchgebracht hat, sondern aufgrund ihres Glaubens während des zweiten Weltkrieges im Widerstand aktiv war. Sie hat mir viele Werte mitgegeben. Ich bin zwar kein Freund der Institution Kirche, aber die Grundwerte haben mich geprägt. Ich habe meinen ganz eigenen Kompass, der sich auch durch meine Reisen, die Begegnungen mit besonderen Menschen entwickelt hat. Trifft man authentische Menschen, findet man den gemeinsamen Nenner sehr schnell: die Achtung voreinander, die Begegnung auf Augenhöhe.
Du bist vom Fotojournalisten in den politischen Journalismus gewechselt – Dein neues Portal „Frische Sicht“ präsentiert sich zumindest so. Sehe ich das richtig?
Jain – natürlich beschäftige ich mich mit politischen Themen. Aber mich bewegt ein grundsätzliches Interesse am Menschen. Ich möchte die Menschen hinter ihrer Fassade kennenlernen, deren Beweggründe verstehen. Bei dem Thema Politik verhält es sich für mich ähnlich. Dieses Konstrukt in welchem die Akteure berufsbedingt „Fassaden“ aufrecht erhalten, gilt es aus meiner Sicht mit Neugier und Interesse wachsam zu hinterfragen und zu beleuchten. Ich möchte dadurch erreichen, dass Menschen beginnen „um die Ecke zu denken“ und ihre so wichtige Neugier wieder zu entdecken, die aus meiner Sicht bei vielen abhanden gekommen ist. Darum habe ich auch das Ziel auf der Homepage formuliert, mit der Plattform „einen Beitrag zur fundierten und kritischen Meinungsbildung der Gesellschaft zu leisten“
Neben Berichten zu Demonstrationen findet man dort Interviews mit Künstlern, Beratern des Robert Koch Instituts, Psychologen, Coaches und Artikel zu verschiedensten Themen – die ganze Bandbreite unserer Gesellschaft soll sich dort wieder finden. Dass Politik derzeit im Fokus steht, ist natürlich der aktuellen Situation geschuldet. Ich lasse Menschen zu Wort kommen, die aus meiner Sicht nicht genug wahrgenommen werden.
Was hat Dich motiviert, das Portal ins Leben zur rufen und und seit wann ist es online?
Das war immer ein Traum von mir, den ich dank Corona im April 2020 endlich verwirklichen konnte. Durch meinen Verlag, das Label und die Musik war ich zu eingespannt, es voranzutreiben. Die Coronakrise war der Katalysator, Dinge zu realisieren, die sonst nicht möglich gewesen wären.
Die Musikszene ist seit Mitte März lahmgelegt. Mein nächstes Konzert findet vielleicht im Januar 2021 statt. Das ist aber nicht schlimm, ich habe mich ja bewusst für mehrere berufliche Standbeine entschieden. Zwar war die Musik immer der wesentliche Teil meines Einkommens, aber ich denke, es ist alles nicht umsonst. Dieser Irrsinn ist auch eine große Chance: man lernt unfassbar tolle Menschen kennen.
Du sagst Irrsinn. Seit wann siehst Du das so?
Als es am 16.3 in Freiburg bei der Generalprobe hieß: „das Konzert findet nicht statt“ wusste ich, es wird haarig. Es ist spannend zu sehen, was als systemrelevant und was als unwichtig kategorisiert wird. Das was Menschen verbindet – z.B. Kunst und Kultur - wird abgewürgt, das was nicht der Gesellschaft zuträglich ist, wird gefördert. Milliarden werden umverteilt, die Lufthansa wird mit Unsummen subventioniert, zahlt Dividenden an die Anteilseigner und die Mitarbeiter gehen in Kurzarbeit. Viele Unternehmungen, die der Gesellschaft nichts gebracht haben, profitieren. Sei es Amazon, Apple, Facebook oder Google – alle legen zu, während kleine und mittelständische Firmen, die bisher immer brav Steuern gezahlt haben, sterben. Das ist doch Irrsinn.
Und Du versuchst dich, diesem Irrsinn entgegen zu stellen?
Ja. Ich möchte, dass mein Sohn in einer freien guten Welt aufwachsen kann, einer Welt die nicht menschenfeindlich ist. Was starb als Erstes in dieser Krise? Kultur und Kunst, also das, was Menschen durch Krisen trägt. Ich wundere mich, dass so wenige Künstler aktiv sind. Es gäbe so viel zu tun.
Ich frage mich, wie kann man Menschen in dieser verfahrenen Situation erreichen. Präsenz auf der Strasse ist wichtig. Der Schweigemarsch in Berlin war ein geniales Format – es ist eben alles gesagt. Wir müssen empathisch sein, um die Menschen, die in die Angst getrieben wurden, wieder abzuholen. Das geht nur mit liebevoller Hartnäckigkeit – indem man Alternativen zeigt. Man muss die Absurditäten zeigen und keine direkte Konfrontation eingehen.
Wie willst Du die Menschen denn erreichen?
Ich habe derzeit ein ziemlich herausforderndes Projekt in Vorbereitung. Ich möchte Medienschaffende, die in ihren Blasen eingeschränkt sind, zu einer Art alternativen ARD zusammenfassen. Wir müssen auch die gängigen Kommunikationskanäle jenseits des Internets bespielen. Also Radio und Fernsehen nutzen, aber als demokratische Institution in der ein plurales Meinungsbild repräsentiert wird. Ich habe nicht nur erste Ideen, wie man es umsetzen könnte, sondern auch erste Partner, die mitarbeiten. Das ist alles gerade in der Findungsphase. Meine Vorstellung ist durch mein humanistisches Gymnasium geprägt. Der Name ist schon in meinem Kopf: „Nous“
Wofür steht das?
Es kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Geist, Intellekt, Verstand, Vernunft. Nous ist auch das Vernehmen des schöpferischen Geistes im Bewusstsein, aber nicht dieser selbst. Andererseits hat man auch die französische Lesart - nämlich ganz einfach „Wir“. Unter diesem Dach möchte ich Kunst, Kultur, Informationen und Dokumentationen zusammenfassen. Wenn die zahlreichen, erfolgreichen alternativen Redaktionen sich da einbringen, als Menschen zusammenfinden, kann es klappen. Wichtig ist, dass es Kollegen sind, die genau wie ich den Anspruch haben, journalistisch sauber zu arbeiten. Gemeinsam kann man dann sehr viel mehr Menschen erreichen.
Mein Wunsch wäre es, z. B. Baghdi und Drosten in ein Gespräch zu bringen. Widerstreitende Stimmen müssen aufeinander treffen können, damit sich jeder selbst ein fundiertes Bild machen kann. Keiner hat die Wahrheit gepachtet. Unterschiedliche Positionen müssen gesehen und gehört werden, Debattenräume eröffnet werden. Es ist offensichtlicher denn je, dass – abgesehen von Ausreißern um 23.50 Uhr auf ARTE – nur Irrelevantes bzw. Einseitiges im Fernsehen kommt. Relevantes geht unter bzw. wird nicht gesendet. Wir haben keine unabhängigen Medien mehr. Das umzusetzen ist mein großer Traum.
Dafür braucht es aber sehr viel Geld.
Ja, das stimmt. Jetzt geht es hauptsächlich darum, viele Menschen ins Boot zu holen, denen an der Sache etwas liegt. Man muss die alternativen Qualitätsmedien an einen Tisch bringen – und eine meiner Stärken ist es Menschen zusammenbringen. Vielleicht bin ich ja naiv – aber ich glaube, dass es möglich ist. Also arbeite ich daran.
Viel Erfolg dabei – Dir und uns allen, dass es gelingt!
Online-Flyer Nr. 759 vom 18.12.2020
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Kultur und Wissen
Menschen mit Mut
Geist, Intellekt, Verstand, Vernunft
Thomas Stimmel – interviewt von Andrea Drescher
Thomas Stimmel ist laut ANTIFA ein „verhaltensauffälliger Migrant, der mit Nazis kuschelt“. Für den 1985 gebürtigen Münchner, Sohn eines kanadischen GIs, der in der US-Armee diente, und einer Deutschen, ist das ein eigenartiger Vorwurf. Zeit seines Lebens war er aufgrund seiner dunklen Hautfarbe Ziel rassistischer Übergriffe – jetzt kuschelt er mit den Tätern? Auch heute wohnt der ausgebildete und international erfolgreiche Opernsänger, Kunstfotograf und Publizist mit Freundin und Sohn im Raum München. Er spielt aber mit dem Gedanken, weiter raus aufs Land zu gehen. Dort will er sich aber nicht aus der Welt zurückziehen – im Gegenteil. Nach erfolgreichem Start seines Presseportals „Frische Sicht“ hat er sich noch sehr viel ambitioniertere Ziele gesetzt.
Thomas Stimmel
Wir kennen uns ja persönlich, bleiben wir also beim Du?
Natürlich!
Als Opernsänger und Künstler bist Du nicht der klassische politische Aktivist. Seit wann engagierst Du Dich?
Ich bin bei Themen, die mich bewegen, schon immer aktiv. Ich war lange in der „Initiative schwarzer Menschen in Deutschland“ dabei oder habe mich im Zuge meiner klassischen Musikkarriere mit der Literatur von afrikanisch-stämmigen Komponisten beschäftigt, die aufgrund ihrer Hautfarbe vergessen wurden. Meine Diplomarbeit beschäftigte sich mit dem Thema „Apartheid in der klassischen Musik“. Durch Musik und Fotografie habe ich spannende Länder erleben dürfen – ganz oben Äthopien und Pakistan – und versuche seitdem, das Erlebte in mein Leben zu integrieren. In dem Sinne sehe ich mich auch nicht als Aktivisten sondern als neugierigen, an unterschiedlichen Kulturen interessierten Menschenfreund, der ein großes Bedürfnis nach Austausch, Fairness, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit hat.
Aber jetzt gehst du mit Nazis auf eine Demo? Du weißt, ich meine die Querdenken-Demos am 1. und 29.8. in Berlin.
Als Journalist schaue mir alles an, bin weit entfernt von Schubladendenken und möchte Dinge selbst wahrnehmen, um mir ein eigenes Bild zu machen.
Also konkret: waren viele Nazis in Berlin?
Eigentlich nicht. Ich habe dafür alles andere gesehen. Mitglieder der jüdischen Gemeinde, Menschen der LGBTQ-Szene, auch Hippies waren vertreten. Ich sah viele junge Familien, Muslime, sprach mit anderen Afro-Deutschen und Menschen aus aller Herren Länder.
Keine Nazis?
Ich habe Reichsbürger an den Botschaften gesehen, wusste aber, dass es sich dabei um eine andere Demonstration handelt, da ich mich natürlich vorab informiert hatte, wie man das von einem Journalisten erwarten kann.
Du wusstest also mehr als die Polizei?
Anscheinend. Ich habe mir das bewusst als Journalist angesehen. Ich habe allerdings beobachten müssen, dass offensichtlich rechts aussehende Menschen an einem Seiteneingang während der Einkesselung auf der Friedrichstrasse in den Kessel reingelassen wurden, einer nachfolgenden junge Frau mit Kindern der Zutritt aber verweigert wurde.
Was verstehst du unter „rechts aussehend“, wie erkennt man einen Rechten?
Ich bin aufgrund meiner eigenen Erfahrungen leider sehr geschult, T-Shirts mit einschlägigen Aufdrucken sofort wahrzunehmen. Es gibt bestimmte Marken, die in rechten Kreisen bevorzugt getragen werden. Derartige Klamotten fallen mir direkt auf, weil ich ja aus genau diesen Kreisen immer mal wieder angegangen wurde.
Und diese Leute wurden in den Kessel gelassen?
Ja. Ich habe das mitgefilmt und alles auf meiner Webseite dokumentiert, habe Zeugen befragt und das Bildmaterial gespeichert. Ich war schon ziemlich verwundert, das zu beobachten. Meine Rücksprache bei der Polizei blieb aber ergebnislos. Angeblich waren diese Typen vorher schon da und hätten die Friedrichstrasse nur kurz verlassen. Der Polizist sah sich auch nur als ausführendes Organ – ich solle mich an seinen Vorgesetzten wenden. Dessen Handynummer führte aber zu nichts, es wurde nicht abgehoben. Ich habe den unangenehmen Verdacht, dass man die Typen reingelassen hat, um entsprechende Bilder zu produzieren. Sie gingen nämlich direkt zur Spitze des Zuges, wo andere Pressevertreter ihre Fotos machten. Sie spazierten auch recht auffällig immer am Rand entlang - es waren 15, vielleicht 20 Personen, die immer auf- und abliefen.
Du war aber nicht nur Vorort, Du hast auch vorab ein Video für die Demo gemacht.
Ja, das stimmt. Dafür habe ich u. A. mit Alexandrea Vester, Joschiko Saibu, Schwarzweiß und Nana zusammengearbeitet. Im Video habe ich mich für eine kritische und unvoreingenommene Medienberichterstattung ausgesprochen. Das sollte ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein – und darum bin ich auch hingefahren.
Du hast selbst keinerlei rassistische oder rechte Erfahrungen mit Querdenken gemacht?
Definitiv nicht. Wäre ich rassistisch angegangen worden, oder wäre die Demonstration in irgendeiner Form „rechts“ gewesen, hätte ich das dementsprechend publiziert. Da bin ich ganz konsequent. Und obwohl ich meine journalistische Tätigkeit dort korrekt und sauber ausführte, bezeichnete mich die im Nachgang ANTIFA als verhaltensauffälligen Migrant, der mit Nazis kuschelt“. Aber viele Menschen, die sich Corona-kritisch äußern, bzw. den Themenkomplex kritisch journalistisch bearbeiten, haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Saibu hat z. B. seinen Vertrag verloren wegen angeblicher Gefährdung seiner Mannschaft, einer Begründung, die nicht stichhaltig sein kann, da zu dieser Zeit weder Trainings noch Spiele stattfanden.
Kann man Journalist objektiv über eine Veranstaltung berichten, für die man ein Werbe-Video macht? Ist man da nicht bereits im Vorfeld positioniert?
Ich positioniere mich für Meinungsfreiheit, einen sauberen Diskurs und Rechtsstaatlichkeit. In dem Video habe ich mich als Journalist dafür ausgesprochen, dass kritisch und sauber berichtet wird. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Seit wann arbeitest Du als Journalist?
Foto-Essays und Videos mache ich schon seit einigen Jahren. Ich war Markenbotschafter für einen großen Kamerahersteller, der mir aufgrund meines Presseberichts über den 29.8. jetzt die Zusammenarbeit gekündigt hat. Das ist zwar kein großer finanzieller Verlust, aber die Tatsache dass ich als Fotojournalist dort tätig war und nicht negativ berichtet habe, hat gereicht, um rausgeschmissen zu werden. Man unterliegt also bereits einer Kontaktschuld, wenn man seine Rolle als Journalist wahrnimmt und „sauber“ berichtet. Das ist schon ziemlich eigenartig. Ich habe dem PR-Chef der Firma jedenfalls sehr deutlich meine Meinung gesagt.
Und mit Ungerechtigkeit kommst Du nicht klar?
Richtig. Ich habe aufgrund meiner Hautfarbe sehr viel Negatives erlebt - Ungerechtigkeit ertrage ich nur sehr schwer. Ich bin mit meiner Großmutter aufgewachsen. Sie ist eine sehr starke Frau, die nicht nur sieben Kinder, durchgebracht hat, sondern aufgrund ihres Glaubens während des zweiten Weltkrieges im Widerstand aktiv war. Sie hat mir viele Werte mitgegeben. Ich bin zwar kein Freund der Institution Kirche, aber die Grundwerte haben mich geprägt. Ich habe meinen ganz eigenen Kompass, der sich auch durch meine Reisen, die Begegnungen mit besonderen Menschen entwickelt hat. Trifft man authentische Menschen, findet man den gemeinsamen Nenner sehr schnell: die Achtung voreinander, die Begegnung auf Augenhöhe.
Du bist vom Fotojournalisten in den politischen Journalismus gewechselt – Dein neues Portal „Frische Sicht“ präsentiert sich zumindest so. Sehe ich das richtig?
Jain – natürlich beschäftige ich mich mit politischen Themen. Aber mich bewegt ein grundsätzliches Interesse am Menschen. Ich möchte die Menschen hinter ihrer Fassade kennenlernen, deren Beweggründe verstehen. Bei dem Thema Politik verhält es sich für mich ähnlich. Dieses Konstrukt in welchem die Akteure berufsbedingt „Fassaden“ aufrecht erhalten, gilt es aus meiner Sicht mit Neugier und Interesse wachsam zu hinterfragen und zu beleuchten. Ich möchte dadurch erreichen, dass Menschen beginnen „um die Ecke zu denken“ und ihre so wichtige Neugier wieder zu entdecken, die aus meiner Sicht bei vielen abhanden gekommen ist. Darum habe ich auch das Ziel auf der Homepage formuliert, mit der Plattform „einen Beitrag zur fundierten und kritischen Meinungsbildung der Gesellschaft zu leisten“
Neben Berichten zu Demonstrationen findet man dort Interviews mit Künstlern, Beratern des Robert Koch Instituts, Psychologen, Coaches und Artikel zu verschiedensten Themen – die ganze Bandbreite unserer Gesellschaft soll sich dort wieder finden. Dass Politik derzeit im Fokus steht, ist natürlich der aktuellen Situation geschuldet. Ich lasse Menschen zu Wort kommen, die aus meiner Sicht nicht genug wahrgenommen werden.
Was hat Dich motiviert, das Portal ins Leben zur rufen und und seit wann ist es online?
Das war immer ein Traum von mir, den ich dank Corona im April 2020 endlich verwirklichen konnte. Durch meinen Verlag, das Label und die Musik war ich zu eingespannt, es voranzutreiben. Die Coronakrise war der Katalysator, Dinge zu realisieren, die sonst nicht möglich gewesen wären.
Die Musikszene ist seit Mitte März lahmgelegt. Mein nächstes Konzert findet vielleicht im Januar 2021 statt. Das ist aber nicht schlimm, ich habe mich ja bewusst für mehrere berufliche Standbeine entschieden. Zwar war die Musik immer der wesentliche Teil meines Einkommens, aber ich denke, es ist alles nicht umsonst. Dieser Irrsinn ist auch eine große Chance: man lernt unfassbar tolle Menschen kennen.
Du sagst Irrsinn. Seit wann siehst Du das so?
Als es am 16.3 in Freiburg bei der Generalprobe hieß: „das Konzert findet nicht statt“ wusste ich, es wird haarig. Es ist spannend zu sehen, was als systemrelevant und was als unwichtig kategorisiert wird. Das was Menschen verbindet – z.B. Kunst und Kultur - wird abgewürgt, das was nicht der Gesellschaft zuträglich ist, wird gefördert. Milliarden werden umverteilt, die Lufthansa wird mit Unsummen subventioniert, zahlt Dividenden an die Anteilseigner und die Mitarbeiter gehen in Kurzarbeit. Viele Unternehmungen, die der Gesellschaft nichts gebracht haben, profitieren. Sei es Amazon, Apple, Facebook oder Google – alle legen zu, während kleine und mittelständische Firmen, die bisher immer brav Steuern gezahlt haben, sterben. Das ist doch Irrsinn.
Und Du versuchst dich, diesem Irrsinn entgegen zu stellen?
Ja. Ich möchte, dass mein Sohn in einer freien guten Welt aufwachsen kann, einer Welt die nicht menschenfeindlich ist. Was starb als Erstes in dieser Krise? Kultur und Kunst, also das, was Menschen durch Krisen trägt. Ich wundere mich, dass so wenige Künstler aktiv sind. Es gäbe so viel zu tun.
Ich frage mich, wie kann man Menschen in dieser verfahrenen Situation erreichen. Präsenz auf der Strasse ist wichtig. Der Schweigemarsch in Berlin war ein geniales Format – es ist eben alles gesagt. Wir müssen empathisch sein, um die Menschen, die in die Angst getrieben wurden, wieder abzuholen. Das geht nur mit liebevoller Hartnäckigkeit – indem man Alternativen zeigt. Man muss die Absurditäten zeigen und keine direkte Konfrontation eingehen.
Wie willst Du die Menschen denn erreichen?
Ich habe derzeit ein ziemlich herausforderndes Projekt in Vorbereitung. Ich möchte Medienschaffende, die in ihren Blasen eingeschränkt sind, zu einer Art alternativen ARD zusammenfassen. Wir müssen auch die gängigen Kommunikationskanäle jenseits des Internets bespielen. Also Radio und Fernsehen nutzen, aber als demokratische Institution in der ein plurales Meinungsbild repräsentiert wird. Ich habe nicht nur erste Ideen, wie man es umsetzen könnte, sondern auch erste Partner, die mitarbeiten. Das ist alles gerade in der Findungsphase. Meine Vorstellung ist durch mein humanistisches Gymnasium geprägt. Der Name ist schon in meinem Kopf: „Nous“
Wofür steht das?
Es kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Geist, Intellekt, Verstand, Vernunft. Nous ist auch das Vernehmen des schöpferischen Geistes im Bewusstsein, aber nicht dieser selbst. Andererseits hat man auch die französische Lesart - nämlich ganz einfach „Wir“. Unter diesem Dach möchte ich Kunst, Kultur, Informationen und Dokumentationen zusammenfassen. Wenn die zahlreichen, erfolgreichen alternativen Redaktionen sich da einbringen, als Menschen zusammenfinden, kann es klappen. Wichtig ist, dass es Kollegen sind, die genau wie ich den Anspruch haben, journalistisch sauber zu arbeiten. Gemeinsam kann man dann sehr viel mehr Menschen erreichen.
Mein Wunsch wäre es, z. B. Baghdi und Drosten in ein Gespräch zu bringen. Widerstreitende Stimmen müssen aufeinander treffen können, damit sich jeder selbst ein fundiertes Bild machen kann. Keiner hat die Wahrheit gepachtet. Unterschiedliche Positionen müssen gesehen und gehört werden, Debattenräume eröffnet werden. Es ist offensichtlicher denn je, dass – abgesehen von Ausreißern um 23.50 Uhr auf ARTE – nur Irrelevantes bzw. Einseitiges im Fernsehen kommt. Relevantes geht unter bzw. wird nicht gesendet. Wir haben keine unabhängigen Medien mehr. Das umzusetzen ist mein großer Traum.
Dafür braucht es aber sehr viel Geld.
Ja, das stimmt. Jetzt geht es hauptsächlich darum, viele Menschen ins Boot zu holen, denen an der Sache etwas liegt. Man muss die alternativen Qualitätsmedien an einen Tisch bringen – und eine meiner Stärken ist es Menschen zusammenbringen. Vielleicht bin ich ja naiv – aber ich glaube, dass es möglich ist. Also arbeite ich daran.
Viel Erfolg dabei – Dir und uns allen, dass es gelingt!
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