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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Globales
Beispiel: Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
Einmal mehr: Das herrschende Recht ist das Recht der Herrschenden
Von Markus Heizmann (Bündnis gegen Krieg, Basel)

Bereits in unserem Artikel «Das internationale Recht aus der Sicht eines juristischen Laien» (1) haben wir uns mit den Machenschaften der imperialistischen Justiz auseinandergesetzt. In dem erwähnten Artikel thematisieren wir die parteiische Praxis der internationalen Gerichtshöfe und deren «Rechtsprechung» als Waffe gegen die Völker. Hier nun wollen wir einen weiteren Blick auf das herrschende Recht werfen. Natürlich wären wir alle auf einen funktionierenden Rechtsstaat angewiesen. Ohne das Instrument einer objektiven und auf Evidenz beruhenden Justiz leben wir unter dem Recht des Stärkeren. Es fällt auf, dass das Prinzip, welches sinngemäß für jede rechtsstaatliche Justiz gelten müsste, nämlich «Jeder Mensch ist vor dem Gesetzt gleich» de facto schon längst nicht mehr gilt. In der Praxis gilt vielmehr: «Jeder Mensch ist innerhalb seiner sozialen Schicht vor dem Gesetz gleich». Für normal Sterbliche ist es längst ein Ding der Unmöglichkeit, sich im Dickicht der Gesetze und Paragrafen zurecht zu finden. Was jedoch für die Politik gilt, gilt auch für die Justiz: Diese Scheinkomplexität wurde geschaffen und ist durchaus gewollt. Damit soll nicht nur Verwirrung gestiftet werden, damit wird die Justiz buchstäblich ausgehebelt und ad absurdum geführt.

Zum Beispiel die EMRK

So ist zum Beispiel die die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) für alle Mitglieder der EU, jedoch auch für das Nichtmitglied Schweiz verbindliches Recht. Wer nun aber meint, sich darauf berufen zu können, täuscht sich. So heisst es zum Beispiel schon im Art. 2 (Freizügigkeit) im Absatz 3: «Die Ausübung dieser Rechte darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer».

Diese Einschränkung finden wir in der EMRK noch in insgesamt sechs anderen Stellen, nämlich in den Artikeln
    2 «Freizügigkeit» bezieht sich dort auf Moral
    6 «Recht auf ein faires Verfahren» bezieht dort sich auf Moral
    8 «Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens» bezieht sich dort auf Moral und Gesundheit
    9 «Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit» bezieht sich dort auf Moral und Gesundheit
    10 «Freiheit der Meinungsäußerung» bezieht sich dort auf Moral und Gesundheit
    11 «Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit» bezieht sich dort auf Moral und Gesundheit   
Damit werden die betreffenden Artikel der Konvention praktisch gegenstandslos.

Wichtig in diesen Zeiten der Plandemie sind vor allem die Artikel 10 (Freiheit der Meinungsäußerung) und 11 (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit). Wenn diese Artikel, welche uns das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit und das Versammlungsrecht garantieren sollen, durch den oben erwähnten Gummiparagrafen ergänzt werden, verkommen die scheinbar garantierten Rechte zur Makulatur. Insbesondere der Wortlaut: «zum Schutz der Gesundheit oder der Moral» kann nach Belieben angewandt und interpretiert werden. So können denn auch in sämtlichen Ländern der EU, inklusive der Schweiz «Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung» erlassen werden - und dies scheinbar völlig gesetzeskonform.

Dies ist der Zweck des Eingangs erwähnten Dickichts im Unterholz der Paragrafen: Wir wähnen uns in einem Rechtsstaat, ebenso wie wir uns in einer Demokratie wähnen. Sobald wir jedoch unsere demokratischen und rechtsstaatlich garantierten Rechte in Anspruch nehmen wollen, stossen wir sehr rasch an unsere Grenzen. Mit anderen Worten: Die geltenden Gesetze, welche die Meinungsäußerungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit regeln, sind Schönwetter-Gesetze, die mit einem einfachen Zusatzparagrafen außer Kraft gesetzt werden können. Wie schnell kann doch eine Straftat verhütet, wie sehr kann die Gesundheit oder die Moral der Bevölkerung geschützt werden, wenn uns verboten wird, auf die Strasse zu gehen und unsere Meinung kund zu tun!

Nicht nur die EMRK

Alle Staaten, die sich demokratisch nennen, verfügen über eine Verfassung oder über eine analoge Gesetzessammlung. In der Bundesrepublik Deutschland ist dies das Grundgesetz. Dort und in den Verfassungen aller Staaten finden wir dasselbe Phänomen: Die Artikel sind so formuliert, dass sie vom einem Heer von JuristInnen interpretiert werden können, ja interpretiert werden müssen. Selbstverständlich sollen die Gesetze auch interpretiert werden. Wenn jedoch die Artikel und Paragrafen so formuliert sind, dass sie sich auch selbst außer Kraft setzen oder gar ins Gegenteil ausgelegt werden können, dann ist wirklich der Gipfel der Absurdität erreicht.

Die RichterInnen werden je nach politischer Konjunktur in ihre Ämter gehievt, und dementsprechend werden die Urteile gefällt. Was für die so genannten internationalen Gerichtshöfe gilt, das gilt auch für die Gerichte innerhalb des imperialistischen Lagers, nämlich das Recht des Stärkeren. Was für die EMRK gilt, das gilt für jede Gesetzgebung des imperialistischen Lagers: Das herrschende Recht ist das Recht der Herrschenden.

Wenn Unrecht zu Recht wird…

In der Tat existiert neben dem geschriebenen, auch das universelle Recht, welches ein Widerstandsrecht gegen eine ungerechte Obrigkeit vorsieht. Zitat: «Widerstandsrecht bedeutet die Ermächtigung oder Verpflichtung, einer Obrigkeit, die elementare Rechte verletzt, unter Berufung auf höhere universelle Rechtsnormen auch mit Gewalt zu widerstehen (Naturrecht). Der Rechtsstaat kann das Widerstandsrecht als Ultima Ratio zulassen, um eine Verfassungsordnung, die systematisch pervertiert wurde, wiederherzustellen, nicht aber wegen einzelner (Grund-)Rechtsverletzungen. Vom Widerstandsrecht zu unterscheiden ist ziviler Ungehorsam, der gewaltlos bestimmte politische Ziele verfolgt [...]» (2)

Dieses Widerstandsrecht ist – auch dann, wenn es nicht ausdrücklich festgeschrieben steht – gleichwohl ein integraler Bestandteil jeder Justiz. In Deutschland zum Beispiel lesen wir im Artikel 20, Absatz 4 des Grundgesetzes: «Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist».

Beachte auch hier den Interpretationsspielraum: Ab wann ist andere Abhilfe nicht möglich und wer bestimmt, wann das so ist? Etwa die Obrigkeit, gegen die Widerstand geleistet werden soll?

Am Ende des Tages läuft es darauf hinaus, dass in den imperialistischen Staaten, die sich demokratisch nennen, ein Widerstandsrecht auf dem Papier zwar vorgesehen ist, in der Praxis jedoch nicht angewandt werden darf. Formulierungen wie «...wenn andere Abhilfe nicht möglich ist» oder die Unterscheidung zwischen Widerstandsrecht und «zivilem Ungehorsam» kriminalisieren jede Zuwiderhandlung oder auch schon die Verweigerung der obrigkeitlichen Erlasse.

Was jedoch für die Staaten der transatlantischen Allianz gilt, soll nicht für die von ihnen angegriffenen Länder gelten. Ob Syrien oder Belarus, ob die Ukraine oder Venezuela, ob Iran oder Russland: die inszenierten Aufstände und die dazu gehörigen Terrorbanden werden von der EU und den USA nach Kräften befördert und unterstützt.

Hier nicht, dort schon!

Diese Einmischung der Europäer und der USA hat eine lange koloniale Tradition. Mit Machtpolitik hat das alles und mit Gerechtigkeit gar nichts zu tun. Wenn zum Beispiel in Hamburg anlässlich des G20-Gipfels Demonstrierende mit Tränengas und Gummischrot eingedeckt wurden, wird so der Rechtsstaat verteidigt. Wenn dasselbe in Belarus mit Demonstrierenden geschieht, heißt es, der Rechtsstaat und die Menschenwürde würden mit Füssen getreten. Wenn in Bolivien oder in Venezuela demokratisch gewählte Regierungen von den Vasallen der USA weg geputscht werden sollen, wird dadurch das Rechtsempfinden der transatlantischen Menschenrechtskrieger nicht tangiert. Im Gegenteil werden die korrumpierten Putschisten und deren Entourage von den Herrschenden in Brüssel und Washington auf Händen getragen.

Ein anderer Blickwinkel ist stets erhellend. Stellen wir uns zum Beispiel vor, der Staatschef eines angegriffenen Landes, zum Beispiel Präsident Assad in Syrien, würde Kanzlerin Merkel oder Präsident Macron wiederholt zum Rücktritt auffordern. Falls Merkel und Macron dieser ungeheuerlichen Forderung nicht nachkommen, werden Söldnerbanden nach Deutschland und Frankreich entsandt, um dem gewünschten Regime Change etwas Nachdruck zu verleihen.

Undenkbar! Gewiss, das würde jedes rechtsstaatliche Empfinden mit Füssen treten. Ganz offensichtlich ist das umgekehrt jedoch überhaupt kein Problem und das nicht nur in Syrien. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die medial weitgehend verschwiegenen Angriffe gegen Jemen und den dortigen Völkermord unter offizieller Führung der Saudis. Offensichtlich handelt es sich jedoch auch bei den Angriffen gegen Jemen um ein weiteres imperialistisches Verbrechen.

Wenn in Ländern wie Belarus, Venezuela oder Syrien Maßnahmen wie Ausgangssperren verhängt werden oder auch nur schon das Gerücht gestreut wird, solche Mittel würden ergriffen, dann wird dies als «Maßnahmen von Diktatoren» verkauft, gegen die sich die Wertegemeinschaft des Westens meint empören zu müssen. Wenn dasselbe in der Realität in Zürich, in Wien, in Berlin oder in Paris geschieht, dann handelt es sich um Maßnahmen, die der Gesundheit von uns allen dienen. Wenn in Russland ein erklärter Rassist wie Nawalny vor Gericht gestellt wird, schreien die veröffentlichte Meinung und die Regierungen des Westens im Chor auf. Wenn Menschen wie Julian Assange, George Ibrahim Abdallah und unzählige andere in den imperialistischen Foltergefängnissen festgehalten werden, entspricht dies den juristischen Grundsätzen des westlichen Wertesystems.

Eine andere Justiz?

Unwillkürlich fallen uns hierzu Bertolt Brechts Geschichten von Herrn Keuner ein: «Herr Keuner begegnete Herrn Wirr, dem Kämpfer gegen die Zeitungen. "Ich bin ein großer Gegner der Zeitungen", sagte Herr Wirr, "ich will keine Zeitungen." Herr Keuner sagte: "Ich bin ein noch größerer Gegner der Zeitungen: ich will andere Zeitungen.»

Lässt sich das auf die Gerichte übertragen? Eine Gerichtsbarkeit ist bestimmt notwendig. Jedoch ist die praktizierte Justiz all zu oft nicht nur eine Klassenjustiz, sondern ebenso eine Gesinnungsjustiz. Diesem mit «einer besseren Justiz» entgegenwirken zu wollen, wie es Brecht im Fall der Zeitungen vorschlägt, erscheint uns gewagt optimistisch. Die JuristInnen werden von den Universitäten des Systems ausgebildet. Wo bitte schön sollen sie eine Rechtsauffassung lernen, die den Anforderungen der Menschen und nicht den Anforderungen des Systems entspricht?

Was also sollen wir tun? Nun, solange wir noch immer im kapitalistischen und imperialistischen System leben, leben wir auch mit dessen Rechtsauslegungen. Wir leben mit der Tatsache, dass souveräne Staaten angegriffen werden dürfen, obwohl dies dem Völkerrecht diametral widerspricht. Wir leben damit, dass ein Land wie Israel, welches durch seine Apartheid-Politik und seine Aggressionspolitik sowohl die Menschenrechte als auch das Völkerrecht mit Füssen tritt, unbehelligt bleibt. Der Versuch, mutmaßliche israelische Straftäter nun vor dem internationalen Gerichtshof zur Verantwortung zu ziehen, bleibt solange ein Versuch, bis die Täter tatsächlich vor Gericht gestellt und auch verurteilt werden.

Die Frage, ob innerhalb eines durch und durch korrupten Systems, wie wir es im Imperialismus erkennen, Gerechtigkeit gefunden werden kann, ist also mehr als legitim. Wird diese Frage bejaht, dann müssen uns juristische Initiativen, wie zum Beispiel die laufende von Dr. Reiner Fuellmich, der sich aktuell durch eine Klage gegen die Corona-Maßnahmen exponiert, beweisen, dass das System intakt ist. (3)

Es könnte indes auch durchaus sein, dass man zum Schluss kommt, dass es innerhalb dieses Systems nicht nur ein «besseres» sondern eben ein gänzlich anderes Justizsystem braucht. Dies allerdings ist nicht ohne ein gänzlich anderes politisches System zu haben.


Fussnoten:

1 http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26912
(Letzter Zugriff März 2021)
2 Quelle: Historisches Lexikon Schweiz
https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016518/2014-11-11/
(Letzter Zugriff März 2021)
3 https://www.corona-schadensersatzklage.de/
(Letzter Zugriff März 2021)

Online-Flyer Nr. 764  vom 24.03.2021

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