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Aktueller Online-Flyer vom 21. Dezember 2024  

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Globales
Annäherung an die Wahrheit des Regierens in Zeiten der Corona-Pandemie
Über die Selbsttäuschung und Gefügigmachung des Menschen (1)
Von Michael Wolf

Der folgende Beitrag, der sich kritisch mit dem Corona-Geschehen und den diesbezüglich ergriffenen politischen Maßnahmen befaßt, ist motiviert durch die Frage, warum die Deutung der Corona-Wirklichkeit durch die herrschende Politik und die Mainstreammedien seitens der Bevölkerung vielfach kritiklos als ›wahr‹ hingenommen wird. Im Hinblick auf die Beantwortung dieser Frage, wird zunächst die politisch und medial behauptete Gefährlichkeit des neuen Corona-Virus kritisch hinterfragt. Daß in der Bevölkerung die Mär von der exorbitanten Gefährlichkeit des Corona-Virus gleichwohl verfängt, wird zum einen darauf zurückgeführt, daß in dieser eine angstbedingte Denkhemmung existiert, die einer realitätsadäquaten Wirklichkeitsdeutung entgegensteht. Zum anderen wird die Auffassung vertreten, daß die von der Politik ergriffenen Corona-Maßnahmen keineswegs, wie vorgegeben, von der Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung getragen sind. Vielmehr ist davon auszugehen, daß der Staat im Rahmen einer psychologischen Kriegsführung Angstmacherei betreibt, mit dem Ziel, die Bevölkerung abzurichten für eine widerspruchslose Hinnahme des politisch herbeigeführten Ausnahmezustands. Angesichts der eklatanten Diskrepanz zwischen dem gewöhnlichem Gefährdungspotential des Corona-Virus einerseits und den völlig überzogenen staatlichen Reaktionen andererseits stellt sich daher die Frage nach dem Grund für den Ausnahmezustand. Eine mögliche Antwort findet man, so man einen Blick wirft auf die philanthrokapitalistischen Global Key Player im Corona-Geschehen wie etwa die Rockefeller Foundation, die Gates Foundation oder das Weltwirtschaftsforum, die allesamt keinen Zweifel daran lassen, eine neue globale Ordnung anstreben zu wollen, die von ihnen dominiert werden kann und ihren profitorientierten Interessen entgegenkommt. Die NRhZ bringt den umfangreichen Beitrag in drei Teilen. Hier zunächst Teil 1:

    »[D]ie Dressirbarkeit der Menschen ist in diesem demokratischen Europa sehr groß geworden; Menschen welche leicht lernen, leicht sich fügen, sind die Regel: das Heerdenthier, sogar höchst intelligent, ist präparirt. Wer befehlen kann, findet die, welche gehorchen müssen«.
    (Friedrich Nietzsche)

    So ist die Problemstellung jeder bürgerlichen Herrschaft, unter welcher politischen Form sie auch immer ausgeübt werden möge, insofern einheitlich, als die bürgerlichen Schichten überall um die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems ringen. Ob politische Demokratie, zeitweilige (kommissarische) Diktatur […] oder Dauerdiktatur unter Suspendierung der Verfassung, gilt weitesten Kreisen des Bürgertums von seinem Standpunkt aus mit Recht als Zweckmäßigkeitsfrage, die nur unter dem Gesichtspunkt zu entscheiden ist: was dient am besten der Aufrechterhaltung des ökonomischen status quo?
    (Otto Kirchheimer)

I

Gemeinhin werden Philosophen als Leute betrachtet, die alles (selbst das Nichts) zum Anlaß nehmen können, darüber nachzudenken, was sich real vor ihren Sinnen (oder vorgestellt in ihren Gedanken) ereignet. Wenn man diesen common sense bereit ist, als zutreffende Charakterisierung von Philosophen zu akzeptieren, dann vermag mit Sicherheit ein jeder sich solcher Situationen zu erinnern, in denen er, auch wenn er nicht zum Philosophen ausgebildet wurde, sich als Philosoph verhielt, weil er aus der Situation, in der er sich gerade befand, gedanklich heraustrat, sich gewissermaßen neben sich stellte, und begann, darüber nachzudenken, was sich da gerade vor ihm ereignet. Insofern ist Nachdenklichkeit, also das ›Nachdenken über‹ kein Privileg von Philosophen.

In der Regel dürfte es wohl so sein, daß wir, selbst wenn wir mitten in einer solchen sozialen Situation uns befinden und von deren Zwängen bedrängt werden, wir immer noch imstande sind, einen gewissen Abstand zu der Situation wahren, weil wir über ein kognitives und emotionales Repertoire an Erfahrungen, Orientierungen und Handlungsstrategien verfügen, das es uns erlaubt, die Gegebenheiten der Situation in ein uns bekanntes, Handlungssicherheit vermittelndes Muster einzuordnen.

Werden wir von einem unvermutet auftretenden problematischen Ereignis intensiv tangiert, intensiv insofern, als dieses Ereignis unsere gewohnten Eindrücke, Handlungen und Abläufe stört oder gar unterbricht, wäre es, wenn wir uns nicht von dem Ereignis überwältigen lassen wollen, angesichts des eben Gesagten im Grunde angezeigt, aus der Situation viel weiter und womöglich auch bewußter als gewöhnlich herauszutreten, um über selbige nachdenken zu können. Idealerweise hieße dies, wir müßten uns bemühen, besagte Situation genauer und systematischer in ihren Bestandteilen zur Kenntnis zu nehmen, müßten uns also um das Herstellen einer größeren zeit-räumlichen Distanz bemühen (als diejenige, die der alltägliche Handlungsdruck gewöhnlich zuläßt), damit wir herausfinden können, wie tief und in welcher Weise wir in die soziale Situation involviert sind und wie wir gegebenenfalls in diese intervenierend eingreifen können.

Für viele, vermutlich sogar für die meisten von uns, sieht die Realität jedoch völlig anders aus. Dies liegt darin begründet, daß einerseits unser tagtägliches soziales Handeln sich im wesentlichen auf der Grundlage von »Routinisierung« (Giddens 1992: passim) vollzieht (worunter Giddens die gewohnheitsmäßigen und von den Akteuren für selbstverständlich hingenommenen Handlungen des Alltagslebens begrifflich faßt), während andererseits die in Rede stehende Situation von vielen von uns als eine krisenhaft-kritische erlebt und erfahren wird, und zwar krisenhaft in dem Sinne, als uns, den von der kritischen Situation Betroffenen, unsere bisherigen sozialen Gewißheiten und institutionalisierten Routinen des Alltagslebens sozusagen wegbrechen, wir also auf das über uns hereinbrechende Ereignis nicht problemlösend reagieren können. Dies hat zur Folge, daß es uns nicht mehr möglich ist, unsere sozial vermittelten subjektiven Erwartungen im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung länger aufrechtzuerhalten. Statt dessen werden wir durch die Situation gezwungen, die zeitliche Orientierung unserer, für das gewöhnliche Alltagsleben typischen Handlungsentwürfe aufzugeben, das heißt, wir müssen von Lang- auf Kurzfristigkeit umstellen und mithin auf das gründliche Durchdenken der kritischen Situation, in der wir uns befinden, verzichten, weswegen denn auch die Entscheidungen, die wir unserem Handeln zugrunde legen, zu einem Wagnis mit unsicherem Ausgang werden. Wie ein jeder weiß, ist Handeln unter Unsicherheit in besonderer Weise geeignet, ein beunruhigendes Gefühl hervorzurufen, das gemeinhin als Angst umschrieben wird.

Aktuelles Beispiel für eine krisenhaft-kritische Situation ist die sogenannte Corona-Pandemie. Auch diese brach völlig unerwartet über uns herein, gewissermaßen von einem Moment auf den anderen, löste damit die Gewißheiten der institutionalisierten Routinen des Alltags mehr oder minder auf und folglich auch die Erwartbarkeit von Zukunft. Daß dies Verunsicherung und Angst erzeugt, dürfte nicht von der Hand zu weisen sein, und zwar nicht nur, weil die durch das Virus ›SARS-CoV-2‹ (1) hervorgerufene Krankheit ›COVID-19‹ (2) tödlich zu verlaufen vermag.

Auch wenn Angst als spontane Reaktion des menschlichen Organismus auf eine als kritisch erlebte Situation zu unserem Gefühlsrepertoire gehört, unserer Natur gewissermaßen innewohnend ist, heißt dies gleichwohl nicht, daß sie, die Angst, wenn sie ein für uns erträgliches Maß übersteigt, als Hinweis auf eine mögliche psychische Überforderung gedeutet und aktiv zum Zwecke der Überwindung angegangen wird. Statt sich seiner Angst zu stellen, ist es ebenso möglich, diese zu verleugnen, was auf zweierlei Wegen versucht werden kann: entweder dadurch, daß man die Bedrohlichkeit der Situation, in der man sich befindet, leugnet, oder dadurch, daß man den Umstand leugnet, daß man sich ängstigt.

Wenn ich vor diesem Hintergrund viele der coronabezogenen Gespräche mit Menschen aus meinem sozialen Umfeld Revue passieren lasse, dann stoße ich auf das merkwürdige Phänomen, daß etliche meiner Gesprächspartner nicht mehr, wie mich dünkt, imstande sind, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Sie plapperten ohne eine Spur kritischen Hinterfragens nach, was ihnen von den Mainstreammedien als ›Wirklichkeit‹ präsentiert wurde, und waren nicht imstande, sich von ihren positiven wie negativen vorurteilsbeladenen Sichtweisen zu lösen. So wurde von ihnen jeder Hinweis von mir auf die rohen Daten als irrelevant qualifiziert, jegliche Kritik an der unzulässigen Verallgemeinerung ihrer persönlichen Erfahrungen als ungerechtfertigt zurückgewiesen und jede Anregung zur vertieften Auseinandersetzung mit dem Thema ›Corona‹ als überflüssig abgetan. Zu unrecht, wie ich meine – und, vermutlich, mit verheerenden gesellschaftspolitischen Konsequenzen. Aus diesem Grunde möchte ich im folgenden zunächst in einem ersten Schritt der Frage nach der Gefährlichkeit des SARS-CoV-2 genannten Virus (II) nachgehen, um sodann in einem zweiten Schritt mich der Rolle der Politik im Umgang mit SARS-CoV-2 beziehungsweise COVID-19 (III) zuzuwenden. Im letzten und dritten Schritt soll der Versuch unternommen werden, die Frage zu beantworten, was hinter der Redeweise von der ›neuen Normalität‹ sich möglicherweise verbirgt, die im Zusammenhang mit dem Corona-Geschehen zunehmend Verwendung findet (IV).


II

Es wurde oben darauf hingewiesen, daß die Corona-Pandemie völlig unerwartet über uns, das heißt unser Alltagsleben hereinbrach. Diese Situationsdeutung ist meines Erachtens durchaus zutreffend, bedarf aber gleichwohl einer erläuternden Bemerkung, und zwar insofern, als der Eindruck entstehen könnte, bei der Corona-Pandemie habe es sich um ein völlig unvorhersehbares Ereignis gehandelt, vergleichbar etwa einer Naturkatastrophe (wie ein Vulkanausbruch oder ein Metereoriteneinschlag). Epidemien oder auch Pandemien als Naturkatastrophe beschreiben zu wollen, ist heutzutage vorgestrig, weil Epidemien respektive Pandemien im Zuge der Globalisierung zu einem systemischen Faktor unserer imperialen kapitalistisch-industriellen Produktions- und Lebensweise geworden sind. Sie sind in Wirklichkeit nicht Natur-, sondern Sozialkatastrophen, neudeutsch ›man-made-disasters‹, also eine direkte Konsequenz menschlichen Handelns. (3) Mit anderen Worten: Nicht das Ob des Auftretens von Epidemien respektive Pandemien ist unsicher, unsicher sind lediglich das Wann (der Zeitpunkt) und das Wie (die Verbreitung und die Schwere) ihres Ausbruchs.

Um sich der Beantwortung der Frage nach der Gefährlichkeit von SARS-CoV-2 nähern zu können, sei ein kurzer chronologischer Rückblick, vornehmlich mit Bezug auf die Entwicklung in Deutschland, erlaubt, bei dem allerdings in Erinnerung behalten werden sollte, daß SARS-CoV-2 kein neuer, sondern nur die aktuelle Variante eines schon seit Jahren bekannten Corona-Virus ist, das schon mehrere Male lebensgefährdend in Erscheinung trat, so weltweit 2002/2003 als SARS-CoV-1, ferner auf der Arabischen Halbinsel 2012 als MERS-CoV (4), und vor dem schon seit 20 Jahren immer wieder gewarnt worden war.

Grassmann (2020) zufolge wurde das Auftreten von SARS-CoV-2 erstmals Mitte Dezember 2019 in Wuhan (China) beobachtet, was im Verlauf der folgenden Tage am 31. Dezember 2019 dazu führte, daß die nationale chinesische Gesundheitskommission informiert wurde, die ihrerseits die chinesische Epidemiebehörde einschaltete, welche wiederum die World Health Organisation (WHO) von der Angelegenheit in Kenntnis setzte. So man den Aussagen von Grassmann geneigt ist, Glauben zu schenken (da diese nicht belegt sind), erreichte den Bundesnachrichtendienst (BND) Ende Dezember eine E-mail mit dem Hinweis auf das Auftreten eines neuen Corona-Virus, den der BND an das Bundesgesundheitsministerium (BMG) und an das für Epidemien zuständige Robert-Koch-Institut (RKI) weitergereicht haben soll.

In den Medien erschien die erste Meldung über das Auftreten des neuen Corona-Virus am 31. Dezember 2019 in einer dpa-Meldung, die offenbar auf einer Nachricht der Agentur Reuters basierte (5). In dieser wurde berichtet, daß in Wuhan eine »mysteriöse Lungenkrankheit« ausgebrochen sei, an der »bislang« 27 (!) Personen erkrankt (wohlgemerkt erkrankt, nicht gestorben) seien. (vgl. Schreyer 2020: 113) Nun könnte man sich fragen, wen es interessiert, wenn ›in China ein Sack Reis umfällt‹ oder, um es anders zu formulieren: Was würde es heißen, wenn in Deutschland 27 Personen in ein Krankenhaus eingeliefert würden mit einer Lungenentzündung, von denen die behandelnden Ärzte nicht festzustellen wüßten, worauf genau sie zurückzuführen sei? (6) Ich vermute: nichts. Zumindest besäße dieser Vorfall keinen besonderen Aufmerksamkeitswert, so daß über ihn auch nicht prominent über Reuters oder dpa berichtet werden würde. Dies erklärt vermutlich auch, warum das Geschehen in Wuhan für die westlichen Medien bis zum 9. Januar 2020 unterhalb der Wahrnehmungs- und Informationsschwelle blieb. Denn erst am 9. Januar 2020 kam aufgrund einer Meldung von Agence France Presse (AFP) (7), wie es Kabisch (2021) formuliert, »der Begriff Corona in die Welt«, was dazu führte, daß auch in Deutschland in einem Online-Artikel auf tagesschau.de über das Geschehen berichtet wurde (vgl. Schreyer 2020: 115).

Etwa eineinhalb Wochen später, am 20. Januar 2020, wurde angesichts der innerhalb von drei Wochen an der Infektion erkrankten (200) und gestorbenen (3) Menschen (vgl. ebd.: 117f.) SARS-CoV-2 als »hochinfektiös und gefährlich« (Grassmann 2020) eingestuft, weswegen denn wohl auch am darauffolgenden Tag, am 21. Januar 2020, die WHO ihren ersten und seither täglich erscheinenden Lagebericht zum Corona-Virus veröffentlichte und die Johns Hopkins Universität (JHU) tags darauf, am 22. Januar 2020, mit der Veröffentlichung ihres Dashboards zu COVID-19 startete, jener inzwischen berühmt gewordenen, online vorhandenen Weltkarte mit der ständig aktualisierten geographischen Verteilung der Fall- und Todeszahlen. Damit wurde gewissermaßen nicht nur der Startschuß gegeben für eine exzessive mediale Berichterstattung (8) über das neue Corona-Virus, sondern auch die angst- und zum Teil panikgenerierende (9) Grundstimmung intoniert, mit der in der darauf folgenden Zeit in den Medien bis zum heutigen Tag über COVID-19 berichtet wird. Daß die chinesischen Behörden einen Tag später, am 23. Januar 2020, die Elf-Millionen-Metropole Wuhan und mehrere weitere Großstädte vollständig unter Quarantäne stellte, konnte nur Wasser auf die Mühlen der sensationserpichten Medien sein.

Eine Woche später, am 31. Januar 2020, entschied sich die WHO, SARS-CoV-2 offiziell als ein »international beunruhigendes Epidemierisiko« (ebd.) zu benennen und einen »weltweiten Gesundheitsnotstand« (Neelsen 2020) auszurufen. Angesichts der steigenden Infektionszahlen erfolgte seitens der WHO knapp zweieinhalb Monate später, am 11. März 2020, die Einordnung von SARS-CoV-2 zur Pandemie (10), was in 190 von 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zu einem Lock- beziehungsweise Shutdown (11) führte.

Mit Blick auf die Entwicklung in Deutschland (12), ist festzuhalten, daß noch eine Woche zuvor, am 4. März 2020, der Bankkaufmann Jens Spahn glaubte, in seiner Funktion als amtierender Gesundheitsminister in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung feststellen zu können, daß SARS-CoV-2 (obwohl über das Virus noch keine gesicherten Informationen vorlagen) für Deutschland keine unkontrollierte Gefahr darstelle (vgl. Grassmann 2020), assistiert durch beschwichtigende Äußerungen des amtierenden Leiters des RKI, Lothar Wieler, der kein Epidemiologe oder Virologe, sondern ein Veterinärmediziner ist. Dieser bewertete die Gefährdung der bundesdeutschen Bevölkerung durch SARS-CoV-2 noch am 28. Februar 2020 als »gering bis mäßig«. Am 22. März 2020, also zweieinhalb Monate nach der ersten Warnung aus China und sechs Wochen nach der Warnung der WHO, beschlossen die Regierungschefs von Bund und Ländern, auf der Grundlage des Lageberichts des RKI mit 18.610 SARS-CoV-2-Infizierten und 55 an oder mit COVID-19 Verstorbenen, zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ein Bündel von Lockdown-Maßnahmen mit sofortiger Wirkung zu verfügen und begründeten dies damit, daß die »rasante Verbreitung des Coronavirus […] in den vergangenen Tagen in Deutschland […] besorgniserregend« (Bundesregierung; zit. nach: Kohn 2020: 72) sei. Eine »belastbare Bewertung der Gefahren für unsere Gesellschaft« (Kohn 2020: 78) wurde allerdings nicht vorgenommen, weder im Hinblick auf die möglichen Gefährdungen durch SARS-CoV-2 noch hinsichtlich der Risiken, die aufgrund der ergriffenen Lockdown-Maßnahmen als Kollateralschäden auftreten können (vgl. ebd.). (13)

Um den Schweregrad beziehungsweise die Gefährlichkeit von SARS-CoV-2 beurteilen zu können, bräuchte man Daten etwa über die Anzahl der Personen, die 1) an COVID-19 erkrankt sind, die 2) wegen dieser Erkrankung hospitalisiert sind, also in ein Krankenhaus zur Behandlung eingeliefert wurden, die 3) dort intensivmedizinisch behandelt und gegebenenfalls beatmet werden und die 4) an COVID-19 verstorben sind. Der zuverlässigste Indikator für die Einschätzung der Gefährlichkeit dürfte sicherlich die Sterblichkeitsrate sein, weil diese eine relativ objektiv meßbare Größe darstellt.

Ohne Zweifel stellt SARS-CoV-2 nach allem, was wir zwischenzeitlich diesbezüglich wissen, ein ernst zu nehmendes Gesundheitsrisiko dar, weil COVID-19 für viele Menschen eine schwere und mit viel Leid einhergehende Erkrankung ist. Wenn ich im folgenden einige Überlegungen anstelle, mit denen ich versuchen möchte, einen anderen als den herrschenden Blick auf die Corona-Pandemie zu werfen, dann sollte dies nicht mißverstanden werden als Verharmlosung der durch das neue Corona-Virus ausgelösten Erkrankung.

Zunächst einmal ist die Differenz zwischen Infektion und Erkrankung festzuhalten, soll heißen, daß nicht jeder, der positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurde (14), also mit dem Virus infiziert ist, auch an COVID-19 erkrankt (ist). Dies wäre nur dann der Fall, wenn die positiv Getesteten auch Symptome aufweisen würden, die für COVID-19 charakteristisch sind. Gleichwohl erwecken die herrschenden Print- und Rundfunkmedien, die alle in ihrer Berichterstattung nahezu vollständig gleichgeschaltet (15) zu sein scheinen, bei ihren Rezipienten (die ebenso wie die Medien selbst gleichermaßen gebannt wie unkritisch auf das Zahlenmaterial starren, das ihnen tagtäglich durch die JHU und das RKI präsentiert wird) den Eindruck, es seien schon wieder so und so viele Menschen mehr an COVID-19 erkrankt. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß man in der herrschenden Berichterstattung so gut keine Informationen über die Anzahl der an COVID-19 Genesenen findet. Dies könnte sachlich vielleicht darin begründet liegen, daß man nur dann jemanden in der Statistik als ›genesen‹ listen kann, wenn er zuvor erkrankt war. Es könnte seinen Grund aber auch darin haben, daß das Vermelden von Genesungen dazu beiträgt, die Gefährlichkeit des neuen Corona-Virus zu schmälern, woran die an Auflagenzahlen und Einschaltquoten orientierten Print- und Rundfunkmedien selbstredend kein Interesse haben.

Jenseits dieser Differenz zwischen Infektion und Erkrankung müßte eigentlich allein schon der gesunde Menschenverstand einen jeden darauf hinweisen, daß Aussagen allein über die Anzahl der ›Fälle‹, also der positiv Getesteten, im Grunde keinen Aussagewert besitzen, wissenschaftlich also unseriös sind, solange die Fallzahlen nicht ins Verhältnis gesetzt werden zur Anzahl der durchgeführten Test, denn je häufiger getestet wird, desto mehr Fälle findet man auch. Eine derartige Achtlosigkeit führt dann zu solchen Kuriositäten, wie sie etwa im März 2020 zu beobachten waren: In der zweiten Märzwoche 2020 gab es 8.000 gemeldete COVID-19-Fälle, in der darauffolgenden Woche schon 24.000, mithin eine Steigerung um das Dreifache, was als große Gefahr gedeutet wurde. Berücksichtigt man jedoch, daß im gleichen Zeitraum die Anzahl der Tests von 130.000 sich auf nahezu 350.000 verdreifachte, so betrug die tatsächliche Steigerung der Fallzahlen, relativ zur Anzahl der durchgeführten Tests, lediglich einen und nicht rund dreihundert Prozentpunkte (vgl. Schreyer 2020: 151). Die Frage, ob dieser anstößige Umgang mit dem vorliegenden Datenmaterial einer mangelnden journalistischen Sorgfaltspflicht geschuldet ist oder einem fehlenden Aufklärungswillen, einer domestikenhaft-dienstwilligen Arbeitshaltung oder auch einer ›Dummheit‹ zu nennenden Denkhemmung, vermag hier nicht beantwortet zu werden. Gleichwohl hat es seine Berechtigung, sie zu stellen. Denn alle der von mir offerierten Antwortmöglichkeiten vermögen, für sich empirische Plausibilität zu beanspruchen.

Ein weiterer Faktor, der dazu beiträgt, die Gefährlichkeit von COVID-19 zu überhöhen, ist der Sachverhalt, daß keine genauen sachlich überprüften Daten über die ursächlich an COVID-19 verstorbenen Todesopfer vorliegen. Einen Hinweis hierauf, vermag ein jeder alleine schon der tagtäglichen medialen Berichterstattung über die Entwicklung der Corona-Pandemie zu entnehmen, in der von allen TV-Sendern verlautbart wird, es seien seit dem vorherigen Tag so und so viel Personen »an oder mit« dem neuen Corona-Virus gestorben. Damit wird im Grunde zweierlei gesagt: Die in Rede stehenden Toten könnten, zum einen, ursächlich aufgrund der Infektion mit SARS-CoV-2 verstorben sein, sie könnten, zum anderen, aber auch verstorben sein aufgrund einer anderen Erkrankung oder auch eines tödlichen Vorfalls, waren aber zum Zeitpunkt ihres Todes mit SARS-CoV-2 infiziert. Um es mit einem Beispiel zu verdeutlichen. Wer als positiv auf SARS-CoV-2 Getesteter einen tödlichen Schlaganfall oder Autounfall erleidet, der gilt als Corona-Toter. Eine solche Zählweise scheint mir in hohem Maße problematisch zu sein, zumal in der Todesursachenstatistik üblicherweise die Vorerkrankung als Todesursache gezählt wird und nicht die unmittelbare Todesursache, wie auch das RKI in Übereinstimmung mit der WHO noch 2011 feststellt (vgl. Schreyer 2020: 174). Und sie ist auch erklärungsbedürftig, weil damit das Prinzip der Todesursachenfeststellung als einer »Kausalkette« auf den Kopf gestellt wird, die »vom für das Sterben maßgeblichen Grundleiden bis hin zur unmittelbaren Todesursache« (RKI; zit. nach: ebd.) führt. Vor diesem Hintergrund muß die Aussage des RKI-Leiters Wieler vom 20. März 2020, testpositive Verstorbene würden unabhängig von der wirklichen Todesursache als ›Corona-Todesfälle‹ gezählt (vgl. Gellermann 2020), mehr als irritieren.

Will man Klarheit über die tatsächliche Todesursache haben, also wirklich wissen, woran jemand gestorben ist, muß man die »an oder mit« SARS-CoV-2 Verstorbenen im Hinblick auf die wirkliche Todesursache untersuchen, heißt obduzieren – ein Weg, der von Klaus Püschel, Leiter der Hamburger Rechtsmedizin, beschritten worden ist, und der mit Bezug auf Hamburg zu dem folgenden Ergebnis kam: »In nicht wenigen Fällen haben wir auch festgestellt, dass die aktuelle Coronainfektion überhaupt nicht mit dem tödlichen Ausgang zu tun hat, weil andere Todesursachen vorliegen, zum Beispiel eine Hirnblutung oder ein Herzinfarkt.« (Püschel, K.; zit. nach: Kohn 2020: 62; vgl. auch Reiss/Bhakdi 2020: 26f.).

Ungeeignet zur Einschätzung der Gefährlichkeit von SARS-CoV-2 sind die durch die Medien präsentierten Fallzahlen der Infizierten und Verstorbenen auch deswegen, weil diese ohne jeglichen Bezug zur Bevölkerungszahl und auf einen bestimmten Zeitraum wiedergegeben werden und damit keine Vergleiche, weder nationale noch internationale, erlauben. Würde man beispielsweise die Fallzahlen beziehen auf jeweils 100.000 Einwohner eines Landes pro Jahr, wäre zu erkennen, daß in der Grippesaison 2017/2018 in Deutschland bei etwa 25.000 Toten (vgl. RKI 2019: 47) und rund 83 Millionen Einwohnern ungefähr 30 Menschen pro 100.000 Einwohner an oder mit der H1N1-Influenza starben, während an oder mit SARS-CoV-2 rund 72 Menschen pro 100.000 Einwohner (16) verstarben. Hierbei ist zu beachten (da Influenza und COVID-19 annähernd gleiche Symptome aufweisen und beide tödlich verlaufen können, seit Anfang März 2020 aber nicht mehr auf H1N1, sondern nur noch auf SARS-CoV-2 getestet wurde), daß es durchaus möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich ist, daß bei vielen Testpositiven auch das Influenzavirus hätte nachgewiesen werden können, so man denn gewillt gewesen wäre, danach zu suchen. (vgl. Schreyer 2020: 141)

Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, daß in den letzten zehn Jahren vor Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland vier Influenza-Epidemien stattfanden, bei denen laut RKI jeweils zwischen 20.000 und 25.000 Menschen verstarben (RKI 2019: 47), dieses Krankheitsgeschehen aber »kaum mehr als ein paar Zeitungsmeldungen« (Rossum 2020: 184) auslöste. Ähnliches konnte beobachtet werden bei der sogenannten Asiatischen Grippe 1957/1958 vom Typ H2N2 und der sogenannten Hongkong-Grippe 1968 vom Typ H3N2, bei denen nach Schätzungen jeweils zwischen 20.000 und 30.000 Menschen starben. Beide Pandemien fanden »bereits zeitgenössisch […] in den bundesdeutschen Medien nur ein schwaches Echo […], das jegliche Züge einer Panik entbehrte« (Hitzer 2014: 143). Dies versetzt einen heutigen Beobachter des SARS-CoV-2-Geschehens um so mehr in Erstaunen, als beide Influenza-Pandemien »aus heutiger Sicht alle Kriterien einer ›Killer-Pandemie‹ aufwiesen« (ebd.).

Zu welchen absurden Verzerrungen der Corona-Realität es kommen kann, zeigt sich insbesondere bei internationalen Vergleichen. So sind, zum Beispiel, in Großbritannien im Zusammenhang mit COVID-19 zwar mehr Menschen verstorben als etwa in Belgien, dieses Größenverhältnis kehrt sich aber um, wenn man es auf die Einwohnerzahl des jeweiligen Landes bezieht. Und selbst dann sind solche internationalen Vergleiche kritisch zu betrachten, weil in den jeweiligen Ländern die »Fallzahlen und Todesfälle nicht nach einheitlichen Kriterien erhoben werden« (Gigerenzer, G. et al.; zit. nach: Gasche 2020). Hierüber wird in den Medien jedoch kein Wort verloren, weil diese sich anscheinend als »offizieller Verlautbarungskanal der Bundesregierung« (Berger 2020: 1) verstehen.

Aber man muß nicht unbedingt über den nationalen Tellerrand hinausschauen, um feststellen zu können, daß in der Bundesrepublik Deutschland die COVID-19-Sterblichkeit im Vergleich zu anderen Todesarten keinen außergewöhnlich großen Anteil ausmacht. So läßt sich beispielsweise aus der Gruppe der Infektionskrankheiten mit ähnlich hoher Sterblichkeit wie bei den vorgenannten Influenza-Epidemien auf die nosokomialen Infektionen verweisen, also auf Infektionen, die sich Menschen während eines Aufenthalts in einem Krankenhaus oder bei einer ambulant durchgeführten medizinischen Behandlung zuziehen. In Deutschland versterben hieran jährlich bis zu 30.000 Menschen (vgl. Walger et al. 2013: 335) – und dies obwohl eine drastische Reduktion des Risikos, an einer sogenannten Krankenhausinfektion zu erkranken und zu versterben, sich verhältnismäßig einfach und ohne immensen Kostenaufwand bewerkstelligen ließe. Rossum geht davon aus, daß die Überwindung dieses im Grunde skandalösen, aber in den Medien weitgehend ignorierten Zustands sich mit »0,0005 Prozent der jetzt fälligen Kosten für den Lockdown relativ leicht« (Rossum 2020: 184) erreichen ließe.

Und wirft man einen Blick auf die Todesursachenstatistik zu den infektiösen Lungenerkrankungen, dann zeigt sich, daß hieran in Deutschland jedes Jahr im Schnitt 40.000 Menschen (also rund 48 Menschen pro 100.000 Einwohner) versterben. Nimmt man die nichtinfektiösen Lungenerkrankungen hinzu, so kommt man auf etwas mehr als 90.000 Todesfälle beziehungsweise rund 108 Tote pro 100.000 Einwohner. (vgl. Arvay 2020: 63, 78, 112) Ich wüßte nicht, daß über diesen Sachverhalt jemals in herausragender Weise in den Massenmedien berichtet wurde. Er wird als etwas Alltägliches hingenommen – weil er auch etwas Alltägliches ist und nicht als kollektives Ereignis über uns hereinbricht und die Routinisierung des Alltags stört. Kaum anders verhält es sich im Falle jener Menschen, die an den Folgen des Rauchens oder mißbräuchlichen Alkoholkonsums jährlich versterben. Über die 127.000 jährlichen Nikotin-Toten (BMG 2021) (das sind rund 153 Menschen pro 100.000 Einwohner) oder die 74.000 jährlichen Alkohol-Toten (BMG 2020) (das sind rund 99 Menschen pro 100.000 Einwohner) regt sich auch so gut wie niemand auf, weil es wie das Amen in der Kirche, auch für die Politik und die Medien, offensichtlich zur alltäglichen »Sterberoutine« (Rossum 2020: 184) dazu gehört. (17)

An dieser Stelle scheint es mir angebracht zu sein, die Frage aufzuwerfen, ob das neue Corona-Virus ›an sich‹ lebensgefährlich ist oder ob es dies erst wird im Zusammenhang mit dem Vorhandensein bestimmter Kontextbedingungen wie etwa einem geschwächten Immunsystem, einer mit Schadstoffen verunreinigten Atemluft oder einem insuffizienten Gesundheitssystem. Wenn man hierüber nicht reden will, dann sollte man, um Max Horkheimer zu paraphrasieren, auch von COVID-19 schweigen. (18) Von Arvay ist meines Erachtens diesbezüglich überzeugend aufgezeigt worden, daß in verschiedenen Regionen Norditaliens es nicht wegen des Auftretens von SARS-CoV-2 zu einer höchst prekären, sprich lebensgefährlichen Situation kam, die bekanntermaßen für viele COVID-19-Erkrankte tödlich verlief. Ausschlaggebend war vielmehr, daß SARS-CoV-2 auf eine »Verkettung von unglücklichen Umständen« (Arvay 2020: 83) traf, woraus sich die Heftigkeit erklärt, mit der das Virus wüten konnte. Zu diesen Umständen gehört unter anderem, daß Italien über ein Gesundheitssystem verfügt, das sich in einer schlechten Verfassung befindet, weswegen es sich auch im internationalen Vergleich mit den OECD-Ländern an viertletzter Stelle befindet. (vgl. Mattioli 2020: 74) Konkret heißt dies etwa, daß in Italien auf 100.000 Einwohner nur 275 Krankenhausnormalbetten kommen, in Deutschland sind es mit 621 mehr als doppelt so viel (vgl. ebd.: 76), und daß in Italien auf 100.000 Einwohner nur 8,3 Intensivbetten kommen, während es in Deutschland mit 33,9 Intensivbetten mehr als viermal so viel sind (vgl. Lessenich 2020: 226). Daß dies gravierende negative Auswirkungen hat, wenn es infolge einer Epidemie beziehungsweise Pandemie zur Belastung von Krankenhäusern kommt, liegt auf der Hand und konnte von jedem beobachtet werden. Dieser Umstand der defizitären Gesundheitsversorgung ist allerdings, dies muß man sich stets vor Augen führen, kein zufälliger, sondern ein systemischer und damit auch ein systematisch produzierter, einer, der zwar politisch gewollt wurde im Zuge des neoliberalen Umbaus des Wohlfahrtsstaats mit seiner Ausrichtung der Krankenhäuser auf die Erzielung von Profit, den aber niemand politisch verantworten will. Als weiterer, das Infektionsgeschehen negativ beeinflussender Faktor ist zu nennen, daß einerseits in den norditalienschen Hotspots der Ausbrüche die Grenzwerte für die Feinstaubkonzentration deutlich überschritten werden und andererseits ein hoch signifikanter Zusammenhang zwischen Feinstaubbelastung und der Anfälligkeit für virale Infektionen besteht, weil eine Langzeitbelastung durch Feinstaub das menschliche Immunsystem schwächt. (vgl. Arvay 2020: 86ff.)

Auf der Grundlage der bisher vorgetragenen Argumente läßt sich mithin resümieren, daß die mediale Berichterstattung zu SARS-CoV-2 und COVID-19 einem von ihr im wesentlichen selbst hervorgebrachten Narrativ folgt, in dem das Virus als ein tödliches, mit anderen Viren nicht vergleichbares Virus gilt, obwohl eine reflektierte kritische Betrachtung der vorhandenen Daten und Fakten zur Corona-Pandemie zeigt, daß es sich bei dieser keineswegs um ein besonders gefährliches Infektionsgeschehen handelt und daher auch kein Grund besteht, in Panik zu geraten, also mit Ängsten zu reagieren, die angesichts der tatsächlichen Gefahr, die unbestritten von SARS-CoV-2 ausgeht, als nicht angemessen erscheinen.

Die Aufregung, in der viele sich angesichts der tagtäglichen Meldungen über das Wüten des neuen todbringenden Corona-Virus befinden, ist sicherlich keine eingebildete, aber eine luxuriöse, und zwar insofern, als ihr die Maßstäblichkeit abhanden gekommen ist. Erschüttern müßten uns nicht die Folgen von COVID-19, sondern die von uns an den Tag gelegte Gleichgültigkeit, mit der wir den Ungeheuerlichkeiten begegnen, die auf globalen Bühne des entfesselten Kapitalismus stattfinden. Was ich damit meine, läßt sich am besten mit einer Aussage Jean Zieglers, ehemaliger UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, verdeutlichen: »Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind auf diesem Planeten.« (Ziegler J.; zit. nach: Kraft 2020: 197) Das sind 12 Kinder in der Minute, 720 pro Stunde, 17.280 am Tag, 6.307.200 im Jahr. Und Ziegler fährt fort: »Der Hunger tötet weltweit ungefähr 100.000 Menschen täglich. Kaum jemand spricht über diesen Völkermord, von Abhilfe ganz zu schweigen.« (ebd.) Mit Sicherheit, weil dieser »Völkermord« nicht bei uns, das heißt unmittelbar vor unserer eigenen Haustür stattfindet, sondern in den von uns weit entfernt gelegenen Hungerzonen der Welt. Dies sollte indes kein Grund zur Selbsttäuschung sein. Denn längst sind die Zeiten vorbei, in denen man behaupten konnte, all das habe mit uns nichts zu tun. Global betrachtet, ist nämlich jeder Hungertote auf der Welt das Opfer einer, im Pandemieneudeutsch formuliert, Triage (19), allerdings einer auf den Kopf gestellten, weil wir eine Entscheidung getroffen haben über den Wert bestimmter menschlicher Leben in Konkurrenz zu dem Wert bestimmter anderer Leben. Wir haben nämlich entschieden, den vom Hungertod Bedrohten nicht zu helfen, obwohl dies uns möglich (gewesen) wäre. Denn wir haben uns entschieden gegen eine andere Lebensmittelverteilung und für die Entsorgung des vorhandenen Lebensmittelüberschusses. Nicht anders läßt sich die Diskrepanz erklären zwischen ungefähr 35 Millionen Hungertoten jährlich einerseits und einer Lebensmittelproduktion andererseits, die hinreichen würde für die Ernährung von zehn Milliarden Menschen, mithin den Bedarf der derzeitigen Weltbevölkerung von 7,6 Milliarden Menschen bei weitem übersteigt. (vgl. Arvay 2020: 145)

Gewiß dürfte die Corona-Pandemie für viele Menschen ein emotional belastendes, weil angstauslösendes Ereignis sein, wird sie doch von der breiten Bevölkerungsmehrheit nicht als eine abstrakte, sondern als eine konkret erfahrbare Krise wahrgenommen. Um so mehr ist mir rätselhaft, warum beziehungsweise was viele der von der Corona-Krise Betroffenen, ich erwähnte es bereits, hemmt, jene coronabezogenen Daten und Fakten zur Kenntnis zu nehmen, die es erlauben, die herrschende Meinung zu hinterfragen, zumal wenn diese Informationen geeignet sein könnten, das Angstniveau bei den Betroffenen zu senken, weil eine diesbezüglich Auseinandersetzung aufzeigen könnte, daß die Gefährlichkeit von SARS-CoV-2 bei weitem nicht so groß wie allgemein behauptet ist. (20)

Fragt man, was diese »Denkhemmung« (21) (Mitscherlich/Mitscherlich 1985: 111) hervorruft, lassen mehrere Antworten sich denken. Bevor ich dies tun will, ist zunächst einmal, gewissermaßen als Tiefenstruktur, allgemein festzuhalten, daß die Corona-Pandemie in Deutschland (und in vielen anderen Teilen der Welt) auf eine Gesellschaft trifft, die zum einen in ihrem Alltag, in der Ausrichtung von Arbeit und Leben, den Tod aus ihrem kollektiven Bewußtsein verbannt hat und damit einer Auseinandersetzung mit diesem entgegenwirkt und für die zum anderen aufgrund des medizinischen Fortschritts und, damit einhergehend, der gestiegenen Lebenserwartung der frühzeitige Tod durchgängig als inakzeptabel gilt. Wird man mit diesem dennoch konfrontiert, führt dies wegen der schwierig zu artikulierenden Angst vor dem eigenen Sterben zu einer gewissen Lähmung des Nachdenkens. Obwohl wir Menschen, im Gegensatz zu anderen Tieren, nicht bloß wissen, sondern auch wissen, daß wir wissen, im Grunde auch darum wissen, daß das Leben, wie Schopenhauer es nüchtern formuliert, betrachtet werden muß »als ein vom Tode erhaltenes Darlehen« (Schopenhauer 1986: 326), mithin das Sterben als »der eigentliche Zweck des Lebens« (Schopenhauer 1993: 628) anzusehen ist, ziehen wir es vor, nichts wissen zu wollen von dieser nicht aus der Welt zu schaffenden »Nichtigkeit« (ebd.: 334) des menschlichen Lebens. Dieses Nicht-wissen-Wollen muß jedoch nicht unbedingt eine Selbsttäuschung sein, vorausgesetzt, die Realität wird nicht verzerrt wahrgenommen, sondern einfach im Dunkeln gelassen. Es kann aber eine Selbsttäuschung sein, eine »innere Lüge«, wie es bei Kant (1982: 563) heißt, die nicht einer rationalen Täuschungshandlung entspringt, bei der Täuscher und Getäuschter ein und die gleiche sind Person, sondern die veranlaßt ist von einer gewissen »Schwachheit« (ebd.: 564), nämlich getragen von dem Wunsch, ein einzigartiges und bedeutsames Ich zu sein und nicht ein kontingentes, entbehrliches Stück der Welt, ein ontologisches Nichts im Grunde. Der Tribut, den man für diese Selbsttäuschung zu entrichten hat, ist allerdings nicht unbeträchtlich, besteht er doch in einem zumindest teilweisen Verlust der eigenen Autonomie, weil man in einem wesentlichen Punkt, der eigenen Sterblichkeit, den Kontakt zur Realität verliert und damit auch die Möglichkeit, den beängstigenden Sachverhalt anders zu bewerten beziehungsweise mit diesem anders umzugehen.

Die angstauslösende Wiederkehr des in der modernen Gesellschaft verdrängten Todes, die durch die Corona-Krise bei den von ihr Betroffen aktualisiert wird, liefert, wie mir scheint, folglich den Nährboden dafür, daß etliche Krisenbetroffene dem Nicht-wissen-Wollen Vorrang einräumen gegenüber der Aufnahme von neuen Informationen. Psychologisch betrachtet, wäre dies womöglich sogar rational in bezug auf jene Informationen, bei denen man absehen kann, daß sie zu emotionalen Reaktionen führen, die man nicht wünscht oder denen man sich nicht gewachsen fühlt. Allerdings bestünde hierbei das Problem, daß, erstens, bei neuen Informationen im Voraus nicht unbedingt unterschieden werden kann zwischen positiv und negativ besetzen Informationen. Zudem könnten, zweitens, neue Informationen, sofern diese widersprüchlich sind, zu einer unnötigen Destabilisierung des eigenen Überzeugungssystems führen und damit eine bereits vorhandene Entschlossenheit hinsichtlich spezifischer Aspekte des Corona-Geschehens gefährden. Und schließlich könnte, drittens, die kognitive Verarbeitung neuer Informationen aufgrund einer wodurch auch immer motivierten, doch existierenden Voreingenommenheit im Sinne mehr oder weniger stark ausgeprägter Stereotype oder Vorurteile einen Prozeß der Selbsttäuschung in Gang setzen.

Ein weiterer Grund für das Auslösen der Denkhemmung könnte zweifellos auch darin bestehen, daß hierfür nicht die Angst vor dem neuen Corona-Virus selbst ausschlaggebend ist, sondern die Angst vor den wirtschaftlichen Auswirkungen der staatlicherseits ergriffenen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie wie die Gefährdung der Existenzsicherung infolge von Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit oder Insolvenz und damit verbundenem Einkommensverlust. Da das Corona-Virus weder sichtbar noch anderweitig sinnlich wahrnehmbar ist, man kann es weder sehen noch riechen noch hören, wäre es selbstredend auch denkbar, daß das Virus nicht als Risiko (im Sinne der statistischen Wahrscheinlichkeit, daran zu erkranken und zu versterben) wahrgenommen wird, sondern als lebensbedrohende und damit angstauslösende Gefahr (22), auf die mittels Abwehrverhaltens in Form des Verleugnens reagiert wird, wodurch die Realitätswahrnehmung eingeschränkt und die Ausbreitung von Stereotypen oder Vorurteilen begünstigt wird. Um hierfür nur zwei Beispiele zu nennen: ›Seitens der Medien wird schon nichts Falsches über SARS-CoV-2 und COVID-19 berichtet werden.‹ Oder aber: ›Die Politiker und die von diesen konsultierten Experten – wenn schon nicht diese, dann wer sonst – verfügen über die erforderliche Kompetenz, die durch das Corona-Virus ausgelöste Krise zu bewältigen.‹ – Man könnte dies als klassischen Fall von Selbstentmächtigung bezeichnen, der Einschränkung unseres kognitiv bestimmten Wollens, über sich selbst zu verfügen.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß es nicht unbedingt (und vermutlich am geringsten) die coronabedingten individuellen privaten Probleme sind, die die von der Corona-Krise Betroffenen zu einem Nicht-wissen-Wollen beziehungsweise zu einer Selbsttäuschung treiben, sondern das einen umgebende gesellschaftliche System von Politik und Medien, die längst eine untrennbare Symbiose eingegangen zu sein scheinen (23), und das damit verbundene Bestreben, Deutungshoheit über das Corona-Geschehen zu erlangen oder anders gesagt, mit Rückgriff auf George Orwell, »Wirklichkeitskontrolle« (Orwell 1984: 197) auszuüben (24). Diese beginnt bereits mit der »Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache« (Wittgenstein 1975: 79), wodurch man unfähig gemacht wird, die Wirklichkeit klar zu erkennen, was einen nicht nur falsch denken, sondern auch falsch handeln läßt. Es setzt sich fort mit der regierungsseitigen Rekrutierung willfähriger Corona-Experten (Epidemiologen, Virologen) und der Kooperation mit getreuen Medienvertretern und mündet in die Diskriminierung und Ausgrenzung von Andersdenkenden und die Bekämpfung der Verbreitung von angeblichen Falschinformationen. Dieser Sachverhalt ist allerdings keiner, der sich individuellen Defiziten verdankt, sondern einer, der einem gesellschaftlich konstituiertem »Verblendungszusammenhang« (Horkheimer/Adorno 1989: 56) geschuldet ist, der die Wahrnehmung der Dinge bestimmt und damit notwendigerweise den klaren Blick auf die Wirklichkeit verstellt.


Prof. i.R. Dr.rer.pol. Michael Wolf: Sozialwissenschaftler, Hochschule Koblenz, Fachbereich Sozialwissenschaften; Kontakt: wolf.koblenz@web.de


Fußnoten:

1 Das Akronym steht für Severe Acute Respiratory Syndrome-CoronaVirus-2.

2 Das Akronym steht für CORONA VIRUS DISEASE-2019.

3 Es ist hier nicht der Ort, diesen Punkt zu vertiefen, wie wichtig er auch für das Verständnis von heutigen Epidemien resp. Pandemien (und deren Bekämpfung) ist. Vgl. hierzu statt vieler anderer Arvay (2020: 30ff.), Chuang-Blog (2020: 15ff.), Lessenich (2016).

4 Das Akronym steht für Middle East Respiratory Syndrome-CoronaVirus.

5 Die dpa (Deutsche Presse-Agentur) ist die größte deutschsprachige Nachrichtenagentur, von der nahezu alle deutschen Zeitungen mit Nachrichten im Sinne von Informationen über (vermutlich neue und interessante) Sachverhalte aus aller Welt gespeist werden; Reuters ist eine weltweit operierende Nachrichtenagentur, die 1849 gegründet wurde und seit 1971 mit einem eigenen deutschen Dienst herauskommt.

6 Ein naheliegender Ausweg, um sich aus der diagnostischen Bredouille zu entwinden, könnte selbstredend in dem ärztlichen Kniff der Feststellung einer ›multikausalen Verursachung‹ bestehen, was allerdings dem Eingeständnis »Habe keine Ahnung« gleichkommt.

7 AFP gilt als die älteste Nachrichtenagentur der Welt, 1835 gegründet, und gibt seit 1947 einen deutschsprachigen Dienst heraus.

8 Einer mit Bezug auf die Schweiz durchgeführten Studie zufolge beschäftigten sich bis zu 70% aller Beiträge in den Print- und Rundfunkmedien mit der Corona-Pandemie (vgl. Eisenegger et al. 2020). Ich vermute, daß es für die bundesdeutschen Verhältnisse nicht viel anders ausschaut. Man schaue sich nur die täglichen Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen oder privaten Sender an: Die Corona-Pandemie ist ein absolut dominantes Thema, was sich zu einem großen Teil bis in die Wortwahl hinein niederschlägt.

9 Wofür in Deutschland exemplarisch das Horten von Toilettenpapier steht, was selbst wiederum, will man es psychoanalytisch deuten, viel über den Nationalcharakter ›der‹ Deutschen aussagt.

10 Bis 2009 mußten laut WHO die folgenden Kriterien erfüllt sein, daß von einer Pandemie gesprochen werden kann: 1) das Auftreten eines neuen Virus, gegen das die Menschen noch keine Immunität entwickelt haben, 2) die gleichzeitige Ausbreitung der Virusinfektion weltweit in vielen Ländern mit 3) einer enormen Sterblichkeits- und Erkrankungsrate. Kurz vor Auftreten der H1N1-Influenza, der sog. Schweinegrippe, änderte die WHO am 4. Mai 2009 ihre Pandemiedefinition, indem sie das dritte Kriterium ersatzlos strich. Somit wurde es möglich, die Schweinegrippe als Pandemie einzustufen. (vgl. Reiss/Bhakdi 2020: 120f.; Rottenfußer 2020: 132; Schreyer 2020: 157)

11 Beide Vokabeln sind erst im Zuge der Corona-Pandemie in den deutschen Sprachgebrauch eingewandert, wobei die Vokabeln zumeist synonym verwandt werden, zu Unrecht allerdings. Denn während die Vokabel ›Lockdown‹ eher auf die Einschränkungen im privaten Bereich (Ausgangs- und Kontaktsperren etc.) abstellt, zielt die Vokabel ›Shutdown‹ stärker auf das Herunterfahren des Wirtschaftslebens. Des Bedeutungsunterschieds zwischen Lock- und Shutdown sehr wohl bewußt, werden im folgenden von mir, der Einfachheit halber, beide Vokabeln gleichwohl synonym verwandt.

12 Diese startete Ende Januar in Bayern mit nachgewiesenen SARS-CoV-2-Infektionen bei Mitarbeitern des Autozulieferers Webasto.

13 Es sollte vielleicht erwähnt werden, daß es sich bei der Quelle, aus der hier zitiert wird, um ein Papier handelt, das von dessen Autor zwar in eigener Verantwortung, aber unter Verwendung der Insignien des Bundesinnenministeriums in Umlauf gebracht wurde, und zwar mit der Konsequenz, daß der Autor des Papiers vom Dienst suspendiert wurde. Dies legt die Vermutung nahe, daß das Haben und auch Vertreten einer eigenen Meinung nicht unbedingt zu den hoheitlich erwünschten Eigenschaften von staatlichen Bediensteten gehört. Dies zeigt auch der ›Fall Pürner‹. Hier wurde der Leiter des Gesundheitsamts des Landkreises Aichach-Friedberg wegen seiner öffentlichen Kritik an der coronabezogenen Politik der bayerischen Staatsregierung von seiner Funktion entbunden und zwangsversetzt. (vgl. Pürner 2020)

14 Die Problematik der falsch positiven Tests lasse ich hier einmal beiseite.

15 Ich bin mir der Problematik der Formulierung angesichts ihrer insbesondere nationalsozialistischen Vergangenheit sehr wohl bewußt, denke aber, daß sie hinsichtlich der Medien gerechtfertigt ist (und zwar nicht, weil selbst die Bundesregierung sich dieser Formulierung mit Bezug auf die türkischen Print- und Rundfunkmedien bediente; vgl. AA: 2018), weil damit die der bemühten Vokabel innewohnende Mentalität, sei diese nun ›von oben‹ hervorgerufen oder ›von unten‹ selbst erstrebt, ins aktuelle Lampenlicht gerückt wird. Mit anderen Worten: Nur weil eine Formulierung politisch diskreditiert ist, sehe ich mich nicht gehalten, diesen sprachlichen Bann zu akzeptieren, wenn die Formulierung zur Kennzeichnung der Verhältnisse geeignet ist.

16 Laut RKI verstarben mit Stand März 2021 seit Beginn der Pandemie in Deutschland 74.910 Menschen, wohlgemerkt: an oder mit SARS-CoV-2, (vgl. RKI 2021). Das sind im Jahresdurchschnitt rund 60.000.

17 Der Frage, ob und inwieweit dies auch mit den Bestrebungen der Tabak- und Alkoholindustrie zu tun hat, im Sinne ihrer Interessen auf dem Wege der Lobbyarbeit Einfluß auf die politischen Entscheidungsträger zu nehmen, soll hier nicht nachgegangen werden. Der Umstand, daß der Staat als Steuerstaat aufgrund der von ihm erhobenen Tabak- und Alkoholsteuer ein spezifisches Interesse an der Aufrechterhaltung des Nikotin- und Alkoholkonsums hat, sollte allerdings Anlaß zum Nachdenken sein

18 »Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.« (Horkheimer 1988: 308 f.)

19 Der aus der Kriegs- und Katastrophenmedizin stammende und im Laufe der Corona-Pandemie in den Alltagssprachgebrauch eingewanderte Begriff stellt ursprünglich ab auf das Einteilen von Verletzten nach der Schwere ihrer Verletzung. So gilt bei Katastrophen traditionell das Prinzip, »möglichst vielen Betroffenen das Überleben zu sichern, das heißt, sehr schwer Verletzte mit schlechter Prognose nachrangig zu behandeln« (Baureithel 2020: 206).

20 Je nachdem, wie intensiv man sich mit der Thematik auseinandersetzt, könnte man auch erfahren, daß negative Emotionen wie etwa Angst das Immunsystem zu schwächen vermögen und damit beitragen können, die Anfälligkeit für Infektionen zu fördern. (vgl. Taylor 2020: 65) Allein aus diesem Grund wäre es schon angezeigt, sich mit potentiell angstmindernden Informationen zu befassen.

21 Ich vermeide es in diesem Zusammenhang bewußt, von ›Dummheit‹ zu reden, weil das Implikat einer solchen Redeweise ist, man stände gewissermaßen über den Dingen und befände, man selbst sei klug und nicht (wie die anderen) dumm. Diese »Anmaßung« ist von Musil (2014; 9) zu Recht als Zeichen für Dummheit kritisiert worden. Überhaupt sollte bedacht werden, daß die Ursachen für dummes Verhalten, und dieses zeigt sich in so gut wie allen Bereichen menschlichen Tuns oder Unterlassens, weniger in einem Mangel an Denkvermögen liegen, in einem »Gebrechen des Kopfes«, wie sich mit Kant (1991: 887ff.) sagen ließe, als vielmehr emotional-triebökonomisch begründet sind.

22 Ich referiere hier auf die Differenz zwischen Risiko und Gefahr. Während der zukunftbezogene Begriff ›Risiko‹ das eigene Entscheidungsverhalten in bezug auf das statistische Eintreten der Wahrscheinlichkeit eines unerwünschten Ereignisses thematisiert, wird mit dem Begriff ›Gefahr‹ auf das aktuelle Vorliegen einer Bedrohung abgestellt, deren Ursachen außerhalb der eigenen Kontrolle liegen. (vgl. hierzu grundlegend Luhmann 1993) Beides, Risiko und Gefahr, kann jedoch am gleichen Sacherverhalt auftreten: Entscheide ich mich, auf die Einhaltung der empfohlenen AHA-Regeln (Abstand/Hygiene/Atemschutzmaske) zu verzichten, ist dies für mich ein Risiko – wenngleich, statistisch betrachtet, ein geringes –, an COVID-19 zu erkranken oder sogar zu versterben, für meine Mitmenschen vermag ich hingegen eine Gefahr darstellen, weil ihr Zusammentreffen mit mir nicht auf einer von ihnen getroffenen Entscheidung beruhen mußte, sondern zufällig erfolgt sein konnte.

23 Politik ist (und war schon immer) ein Kampf um die Deutungshoheit über die Wirklichkeit, um die Deutung dessen, was der Fall ist. Dabei wird das, was gemeinhin unter Politik verstanden wird, und zwar in zunehmendem Maße, in medienadäquater Weise für die Medien veranstaltet. Dies hat zu einer Entwicklung geführt, die Anlaß gibt, das Verhältnis von Politik und Medien neu auszutarieren und mit dem Begriff »Mediokratie« (Meyer 2001) zu belegen. Angesichts einer solchen Gemengelage ist es selbstredend schwierig, zu entscheiden, wer wen vor sich hertreibt: die Medien die Politik, wie Russ-Mohl (vgl. 2020) vermutet, oder umgekehrt die Politik die Medien.

24 »Wenn man herrschen und sich an der Herrschaft behaupten will, muß man das Wirklichkeitsgefühl zurechtrücken können.« (Orwell 1984: 198) Mit Orwell ist es hierzu erforderlich, sich einer »Neusprache« zu bedienen (in der die »Wahrheitskontrolle« als »Zwiedenken« bezeichnet wird) und mit deren Hilfe es gelingt, »das Vorhandensein einer objektiven Wirklichkeit zu leugnen und […] die von einem geleugnete Wirklichkeit in Betracht zu ziehen« (ebd.).


Teil 2 des Beitrags von Prof. Michael Wolf:
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27428



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