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Aktueller Online-Flyer vom 21. Dezember 2024  

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Globales
Annäherung an die Wahrheit des Regierens in Zeiten der Corona-Pandemie
Über die Selbsttäuschung und Gefügigmachung des Menschen (2)
Von Michael Wolf

Der folgende Beitrag, der sich kritisch mit dem Corona-Geschehen und den diesbezüglich ergriffenen politischen Maßnahmen befaßt, ist motiviert durch die Frage, warum die Deutung der Corona-Wirklichkeit durch die herrschende Politik und die Mainstreammedien seitens der Bevölkerung vielfach kritiklos als ›wahr‹ hingenommen wird. Im Hinblick auf die Beantwortung dieser Frage, wird zunächst die politisch und medial behauptete Gefährlichkeit des neuen Corona-Virus kritisch hinterfragt. Daß in der Bevölkerung die Mär von der exorbitanten Gefährlichkeit des Corona-Virus gleichwohl verfängt, wird zum einen darauf zurückgeführt, daß in dieser eine angstbedingte Denkhemmung existiert, die einer realitätsadäquaten Wirklichkeitsdeutung entgegensteht. Zum anderen wird die Auffassung vertreten, daß die von der Politik ergriffenen Corona-Maßnahmen keineswegs, wie vorgegeben, von der Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung getragen sind. Vielmehr ist davon auszugehen, daß der Staat im Rahmen einer psychologischen Kriegsführung Angstmacherei betreibt, mit dem Ziel, die Bevölkerung abzurichten für eine widerspruchslose Hinnahme des politisch herbeigeführten Ausnahmezustands. Angesichts der eklatanten Diskrepanz zwischen dem gewöhnlichem Gefährdungspotential des Corona-Virus einerseits und den völlig überzogenen staatlichen Reaktionen andererseits stellt sich daher die Frage nach dem Grund für den Ausnahmezustand. Eine mögliche Antwort findet man, so man einen Blick wirft auf die philanthrokapitalistischen Global Key Player im Corona-Geschehen wie etwa die Rockefeller Foundation, die Gates Foundation oder das Weltwirtschaftsforum, die allesamt keinen Zweifel daran lassen, eine neue globale Ordnung anstreben zu wollen, die von ihnen dominiert werden kann und ihren profitorientierten Interessen entgegenkommt. Die NRhZ bringt den umfangreichen Beitrag in drei Teilen. Hier jetzt Teil 2:

III

Wenn über die Gefährlichkeit eines Virus gemutmaßt wird, wird zur deren Verdeutlichung vielfach die Vokabel ›Killervirus‹ bemüht. Meine Bemühungen, herauszufinden, was genau darunter zu verstehen ist, sind leider ergebnislos verlaufen. Deswegen habe ich mir erlaubt, mich der Vokabel umgangssprachlich zu nähern und darunter zu verstehen, daß dieses Virus nicht nur tödlich zu sein vermag, wenn es einen befällt, sondern daß die von diesem Virus ausgehende Tödlichkeit immens ist, wie immer man auch die Schwelle zu definieren vermag, was ›tödlich‹, ›sehr tödlich‹ oder ›aufsehenerregend tödlich‹ ist. Sichtet man die einschlägige Literatur im Hinblick auf die Gefährlichkeit von Pandemien, wird neben der ›Schwarzer Tod‹ genannten Pest des 14. Jahrhunderts, der geschätzt 120-125 Millionen Menschen zum Opfer fielen, immer wieder die ›Spanische Grippe‹ von 1918-1920 genannt, eine Influenza-Pandemie vom Typ H1N1, mit geschätzt weltweit 50 Millionen Toten, bei der also mehr Menschen starben als während des gesamten Ersten Weltkriegs. Allerdings ist auch beim Rückgriff auf diese Zahl Vorsicht geboten, weil die Frage offen ist, ob die Menschen »an oder mit« der Infizierung des H1N1-Virus verstarben. So wird in der Literatur etwa darauf hingewiesen, es seien in erster Linie »die weitverbreitete Unterernährung, die Überbevölkerung der Städte und die allgemein unhygienischen Lebensbedingungen in den betroffenen Gebieten« (Chuang-Blog 2020: 22) gewesen, die für die hohe Sterblichkeit sorgten. Taylor zum Beispiel erwähnt in diesem Zusammenhang, daß die Mehrheit der Todesfälle bei der Spanischen Grippe aus einer »sekundären bakteriellen Lungenentzündung« (Taylor 2020: 27) resultierte. Hieran gemessen kann festgehalten werden, daß die Corona-Pandemie kein Ereignis von säkularer Einzigartigkeit ist. Dies wirft die Frage auf, warum dennoch seitens der Politik Maßnahmen ergriffen wurden, die beispiellos sind in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im allgemeinen und in der Bekämpfung einer Epidemie beziehungsweise Pandemie im besonderen. Zur Beantwortung dieser Frage ist es angezeigt, grundsätzlich anzusetzen, indem der Fokus der Aufmerksamkeit zunächst auf das Verhältnis von Angst und Politik (25) gerichtet wird.

Man muß kein Psychologe sein, hierfür reicht auch der gesunde Menschenverstand, um wissen zu können, daß das Erzeugen von Angst (sofern man hierzu in der Lage ist), ein probates Mittel ist, jemanden gefügig zu machen – gefügig etwa im Hinblick auf das Befolgen von hoheitlich verordneten Regeln zur Eindämmung einer Epidemie beziehungsweise Pandemie oder auch hinsichtlich des widerspruchslosen Erduldens von auferlegten freiheitsbeschränkenden Maßnahmen. Taylor verweist darauf, daß dies bei der Durchsetzung von Gesundheitsmaßnahmen eine gängige Praxis ist (vgl. Taylor 2020: 117ff.), mithin auch bei der Pandemiebekämpfung. Insofern ist der Vorwurf, der Staat würde im Rahmen der Corona-Krise Angstmacherei betreiben, keineswegs aus der Luft gegriffen und schon gar nicht Ausdruck eines verschwörungstheoretischen Denkens, das denjenigen, die sich mit der offiziellen Deutung des Corona-Geschehens kritisch auseinandersetzen, durchgängig ohne Umschweife zugeschrieben wird. (26) Dies wird allein schon deutlich, wenn man einen Blick in den »Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012« (BT-Drs. 17/12051) wirft, den die Bundesregierung dem Bundestag als Bundestagsdrucksache zur Unterrichtung sieben Jahre vor Ausbruch der Corona-Pandemie zuleitete und der sich liest wie ein Drehbuch zur aktuellen Corona-Krise.

Hintergrund und Ausgangspunkt zur Erstellung des Berichts war die SARS-Pandemie aus dem Jahr 2002/2003. Der Risikoanalyse zugrundelegt wurde der »hypothetische Erreger ›Modi-SARS‹«, der »sehr eng an das SARS-Virus angelehnt« wurde und insofern »mit dem natürlichen SARS-CoV in fast allen Eigenschaften identisch« (ebd.: 57, 58) war. Diese Wahl wurde damit begründet, daß die natürliche Variante »2003 sehr unterschiedliche Gesundheitssysteme schnell an seine [!] Grenzen« gebracht hatte. Zudem wurde bezug genommen auf einen neu aufgetreten Erreger (»novel Coronavirus«), der seit Sommer 2012 bei sechs Menschen nachgewiesen worden war, von denen zwei verstarben. In dem dann entwickelten Worst-case-Szenario zur Modi-SARS-Pandemie, die in Asien ihren Ausgang genommen hatte und sich Deutschland in drei Wellen über einen Zeitraum von drei Jahren erstreckte, erkrankten insgesamt 78 Millionen Menschen, von denen »mindestens 7,5 Millionen als direkte Folge der Infektion« (ebd.: 64) verstarben, was einer Letalitätsrate von rund 10 % entspricht. Die in dem Szenario behördlich angeordneten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie umfassen Schulschließungen ebenso wie das Absagen von Großveranstaltungen (ebd.: 62), aber auch die Einschränkung von Grundrechten wie zum Beispiel das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Freiheit der Person, die Versammlungsfreiheit oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit – Maßnahmen, die allesamt in der derzeitigen Corona-Krise ergriffenen wurden und wohl jedem aus eigener Betroffenheit bekannt sind. Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist, daß in dem Bericht an keiner Stelle Erwägungen angestellt werden über Legitimität der Grundrechtseinschränkungen, sehr wohl aber über die möglichen politischen Auswirkungen eines verfehlten Krisenmanagements, die unter anderem in der »Suche nach ›Schuldigen‹« und etwaigen »Rücktrittsforderungen« (ebd.: 80) bestehen könnten. Einen nicht unbeachtlichen Stellenwert in dem Bericht nimmt der Punkt ›Risiko-bzw. Krisenkommunikation‹ ein, der bei einem aufmerksamen Leser den Eindruck hinterläßt, daß dem Staat als politischem Akteur nicht sehr daran gelegen ist, die Bevölkerung in die Lage zu versetzen, mit den Gefahren umgehen und die Risiken einordnen und bewerten zu können. Dies würde nämlich eine Öffentlichkeitsarbeit erfordern, die nicht zur Verunsicherung der Bevölkerung beiträgt, sondern den Menschen ihre Angst vor der Pandemie nimmt. Empfohlen wird statt dessen, das Bild einer diffusen Gefahrenlage zu verbreiten: so die mit der Erkrankung »verbundenen Unsicherheiten« zu kommunizieren, die »Gefährlichkeit nicht genau zu beschreiben« und die »Gegenmaßnahmen nur allgemein zu formulieren« (ebd.: 67).

Vor dem Hintergrund der unter der Federführung des RKI durchgeführten Risikoanalyse wird angesichts des völlig hilflosen und überforderten Handelns der politischen Akteure (27) während der aktuellen Corona-Krise deutlich, daß trotz der schon seit 2001, also rund 20 Jahren, »systematisch betriebene[n] Pandemieplanung von Bund und Ländern« (Schaade et al. 2010: 1281) keine ausreichenden politischen Konsequenzen gezogen wurden etwa im Hinblick auf die Vermehrung des Personals in Krankenhäusern und Gesundheitsämtern oder den Ausbau öffentlich organisierter Testkapazitäten oder die Produktion und die Bevorratung von Schutzkleidung, Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel in ausreichender Zahl. Hätte man solche Konsequenzen auf der Grundlage der Empfehlungen des RKI-Influenza-Pandemieplans gezogen, hätte dies bedeutet, den neoliberalen Pfad der Ökonomisierung und Privatisierung des Gesundheitssystems endgültig verlassen zu müssen. Bis heute ist dies aber nicht geschehen, weil wohl insgeheim davon ausgegangen wird, man werde auf den alten Pfad wieder zurückkehren. Diese Sachlage zu bewerten, heißt, daß es sich hierbei nicht um eine Nachlässigkeit handelt, sondern um eine »bewusst in Kauf genommene Gefährdung der Bevölkerung«, wie es Rexilius treffend formuliert, und sie offenbart in schonungsloser Weise die »Missachtung der Menschen durch die Politik« (Rexilius 2020). Zugleich gibt sie einen Hinweis darauf, was von den öffentlichen Verlautbarungen zu halten ist, in denen mit kaum zu überbietender Heuchelei beteuert wird, bei den ergriffenen Corona-Maßnahmen habe der Schutz der Gesundheit und die bedingungslose Erhaltung des menschlichen Lebens höchste Priorität, wobei die staatliche Fürsorge besonders der Lebenserhaltung älterer Menschen gelte. Ein genauer Blick zeigt indes, daß dem nicht so ist. Den größten Anteil an den Corona-Toten stellen nämlich die Alten und hier vor allem jene, die wegen Gebrechlichkeit hospitalisiert sind, also ihr Leben in einem Alten- oder Pflegeheim vielfach einsam und beklagenswert fristen, was den unguten Eindruck hinterläßt, daß eben doch nicht alles Erdenkliche getan wurde zum Schutz der vulnerablen Gruppen, wie es im Pandemieneudeutsch neuerdings heißt. Dies erklärt sich möglicherweise daraus, daß eben nicht den Alten, sondern eigentlich der politischen Stabilität qua »Aufrechterhaltung der Funktion lebenswichtiger Infrastrukturen höchste Priorität« (BT-Drs. 17/12051: 5) einzuräumen ist, wie in der RKI-Risikoanalyse nachgelesen werden kann. In der Rationalität eines solchen Denkens ist in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft aus Legitimationsgründen die kurzfristige Orientierung auf die Alten durchaus einbegriffen, was darin begründet liegt, daß die Alten ein beträchtliches Wählerpotential darstellen, das allein schon aus einem machttheoretischen Kalkül nicht einfach ignoriert werden kann.

Den offiziellen Verlautbarungen, die ergriffenen Corona-Maßnahmen seien getragen von der Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung, zu glauben, ist mehr als abwegig. Wäre dem wirklich so, müßte die Politik doch alles daran setzen, jedes Risiko, das Leib und Leben der Menschen gefährdet, systematisch zu minimieren. Daß dies jedoch nicht Ziel der Politik ist, ist augenfällig, wie beispielsweise die hohe Anzahl der Nikotin- und Alkohol-Toten (die die der COVID-19-Toten bei weitem übersteigt) zeigt, die sich bei entsprechend vorhandenem politischen Willen doch relativ leicht reduzieren ließe. Allein mit Hinweis auf diesen Punkt läßt sich zeigen, daß im Fokus der Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung nicht pauschal und allgemein der Schutz des menschlichen Lebens steht, es um eine »›Politik des Lebens‹ ohne Wenn und Aber« geht, sondern um eine »Politik mit dem Leben« (Lessenich 2020: 221), die sich in dem Spannungsverhältnis von kapitalistisch-ökonomischer Logik (Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur) und demokratisch-politischer Logik (Aufrechterhaltung der gegebenen politischen Machtverhältnisse) bewegt.

Eine Politik, die vorgibt, es sei vorrangiges Ziel ihres Handelns, Gesundheit und Leben schützen zu wollen, hätte, wenn sie durch die RKI-Risikoanalyse für das Problem von Kollateralschäden sensibilisiert gewesen wäre, selbstredend eine belastbare Gefahreneinschätzung bezüglich des Gefahrenpotentials vornehmen müssen, das den von ihr verordneten Corona-Maßnahmen als Kollateralschäden innewohnt. Dies ist jedoch bis zum Zeitpunkt des ersten Lockdowns unterblieben, wie sich dem erwähnten Insiderpapier aus dem Bundesinnenministerium (BMI) entnehmen läßt. (28) Der Autor des Papiers hatte eine Risikoanalyse zur Einschätzung der medizinischen Kollateralschäden durch die staatlicherseits verfügten Maßnahmen erstellt und hierfür zehn Experten außerhalb des BMI um entsprechende fachliche Expertise gebeten. Er kommt zu dem Ergebnis (nach Auffassung der externen Experten eine »wichtige Einschätzung« der Sachlage, die »eine sofortige Neubewertung der Schutzmaßnahmen ein[zu]leiten« (Bhakdi et al. 2020: 1f.) erfordere), daß mit mehreren tausend Toten infolge aufgeschobener/abgesagter Operationen (29) oder vertagter/ unterbrochener Behandlungen von Erkrankungen (30) zu rechnen sei. Zudem müsse mit einer Zunahme psychischer Erkrankungen gerechnet werden, vermehrten Suiziden, dem Verlust an Lebenserwartung (sprich: vorzeitiges Ableben) aufgrund der negativen wirtschaftlichen Folgen wie etwa Arbeitslosigkeit (31) oder Einkommensverlust (32) sowie einer gesundheitsschädigenden Isolation der Bewohner von Pflege- und Altenheimen. All dies ist von den bundes- und landespolitischen Entscheidungsträgern schlichtweg ignoriert worden, was massive Zweifel an deren Glaubwürdigkeit aufkommen läßt und Anlaß zu der Vermutung gibt, daß hinter deren Gemeinwohlphrasen nicht bloß eine mehr oder weniger abgefeimte Selbstdarstellung sich verbirgt (in Zeiten der Mediokratie dies sicherlich auch), sondern eine bewußte Täuschung der Bevölkerung. Denn wer Macht hat und diese aufrechterhalten möchte, der muß »zwar egoistisch handeln, aber Altruismus bekunden, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden« (Westerbarkey 2003: 208). (33)

Eine Lektion, die den politischen Entscheidungsträgern durchaus in Fleisch und Blut übergegangen zu sein scheint, und zwar so sehr, daß es ihnen noch nicht einmal bewußt wird, wie ihnen in ihrem Furor ihrer medial inszenierten Geschäftigkeit die nationalistische, um nicht zu sagen rassistische, Dimension ihres Denkens und Handelns abhanden gekommen ist. Denn die Verhängung des Lockdowns bleibt in ihren Auswirkungen ja nicht nationalstaatlich begrenzt – genauso wie SARS-CoV-2 sich auch nicht um das Vorhandensein von Nationalstaatsgrenzen kümmert. Die nationalstaatliche Devise, Leib und Leben der Menschen mit den ergriffenen Maßnahmen schützen wollen, bedeutet nämlich de facto etwas völlig anderes. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Wenn man den Angaben der WHO Glauben schenken will, so ist für das Jahr 2020 ein coronabedingter Anstieg der Malaria-Toten um mehr als 50 % auf 770.000 zu erwarten, weil die einseitige Konzentration des Gesundheitssystems auf den Corona-Virus dazu führt, daß »weniger Routineuntersuchungen stattfinden und Malaria in einer höheren Fallzahl nicht rechtzeitig diagnostiziert oder behandelt wird« (Arvay 2020: 134). In der Denkweise der politischen Entscheidungsträger des globalen Nordens (34) dürften diese zusätzlichen Malaria-Todesfälle vermutlich kaum von Bedeutung sein, da sie zu »90 Prozent den afrikanischen Kontinent« (ebd.) betreffen. Nicht viel anders verhält es sich mit den Hunger-Toten. So wird es nach Angaben von OXFAM aufgrund der Lockdown-Maßnahmen im Jahr 2020 zu mehr als einer Million zusätzlichen Hunger-Toten kommen. Allein im April 2020 erreichte der Lockdown-Kollateralschaden einen »Höhepunkt mit täglich 10.000 Hunger-Toten zusätzlich zur ›normalen‹ Hungersterblichkeit« (ebd.: 147), was den Direktor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, David Beasley, veranlaßt hatte, von einer »Hunger-Pandemie« (Beasley, D.; zit. nach: ebd.) als Nebenwirkung der Corona-Maßnahmen zu reden. Aber auch hier stellt sich die Frage, wen dies wirklich etwas kümmert, weil von der Hungerproblematik doch ›bloß‹ der globale Süden betroffen ist. Man mag es nicht wirklich wissen, weil es einen mit Heine um den Schlaf bringen könnte (35), wie viele aus der Bevölkerung der Aussage des Fleischfabrikanten Tönnies zustimmen würden, man solle den Klimawandel mit der Finanzierung von 20 Kraftwerken in Afrika bekämpfen, denn »dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren« (vgl. Tönnies, C.; zit. nach: O.A. 2020)

Indem man in der RKI-Risikoanalyse, dem Drehbuch zur aktuellen Corona-Pandemie, das Bild einer diffusen Gefahrenlage gezeichnet hatte, wurde nur dunkel zur Sprache gebracht, was wirklich auf der politischen Agenda stände, wenn der Fall der Fälle, der Ausbruch einer Pandemie, tatsächlich einträte: das Erzeugen von Angst. Dies ist zumindest einem vertraulichen, eigentlich nur für den Dienstgebrauch bestimmten Strategiepapier mit dem Titel »Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen« zu entnehmen. In diesem Papier wird unter anderem darauf hingewiesen, daß, erstens, der »Worst Case […] mit allen Folgen für die Bevölkerung in Deutschland unmissverständlich, entschlossen und transparent zu verdeutlichen« (BMI 2020: 1) sei, daß, zweitens, die Bundesregierung hierzu »eine umfassende Mobilisierungskampagne« mit der Devise »Devise: ›es kommt etwas sehr Bedrohliches auf uns zu, wir haben die Gefahr aber erkannt und handeln entschieden und überlegt.‹« zu starten habe (ebd.: 2) und daß, drittens, laut Worst-case-Szenario »mit mehr als einer Million Todesfällen zu rechnen« (ebd.: 4) sei. Was damit schlußendlich intendiert war, wird im letzten Teil des Papiers unmißverständlich wie folgt formuliert: »Um die gewünschte Schockwirkung [eigene Hervorhebung; M.W.] zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden« (ebd.: 13).

Anhand dieses Strategiepapiers, an dessen Erstellung externe Experten mitgewirkt hatten und dessen Vertraulichkeitsstatus man aufzuheben sich gezwungen sah, nachdem es an die Öffentlichkeit gelangt war, wird deutlich, daß die Corona-Pandemie nicht bloß als eine medizinische Angelegenheit begriffen werden darf, sondern sie ist auch und in erster Linie zu betrachten als ein gesellschaftliches und damit herrschaftspolitisches Phänomen. Es erschließt sich nicht jedem unbedingt auf der Stelle, was es heißt, eine Bevölkerung in einen kollektiven Schockzustand zu versetzen. Hilfreich ist hier womöglich ein Blick auf die Begrifflichkeit, mit der viele der politischen Akteure sprachlich zu verdeutlichen suchen, was das Corona-Virus sei und wie die von diesem ausgelöste Pandemie bekämpft werden könne. Immer wieder ist zu hören oder zu lesen, daß es bei der Bekämpfung des Corona-Virus um einen Krieg gegen einen unsichtbaren Feind gehe, den es zu gewinnen beziehungsweise zu besiegen gelte. Das entlarvende an dieser Redeweise ist, daß sich hier seitens der politischen Akteure einer militärischen Begrifflichkeit bedient wird. Hieran ist zweierlei bedeutsam. Erstens: Wenn es sich bei SARS-CoV-2 um einen unsichtbaren Feind handelt, der sich in jedem Menschen festsetzen kann, dann existiert der Feind nicht außerhalb von uns, sondern in uns, so daß der Krieg, der seitens der Politik gegen das Corona-Virus geführt wird, »in Wahrheit ein Bürgerkrieg« (Agamben 2020a) ist. Zweitens: Überdies signalisiert die Kriegsmetapher, daß das politische Geschehen nunmehr bestimmt wird durch die letzten Entscheidungen über Leben und Tod, was, verbleibt man in der Kriegslogik, die Umsetzung einer Politik des Ausnahmezustands, der Außerkraftsetzung des Rechts als Recht, als »Paradigma des Regierens« (Agamben 2004: 7) zur Folge hat, auch wenn dieses in der Bundesrepublik Deutschland nicht als ›Ausnahmezustand‹ bezeichnet wird. Und daß seit Beginn der Corona-Pandemie im Ausnahmezustand regiert wird, ist für einen jeden unübersehbar. Drittens: Konsequenterweise hat denn auch Jens Spahn im Frühjahr 2020 beim BMG die neue Abteilung »Gesundheitssicherheit, Gesundheitsschutz, Nachhaltigkeit« geschaffen mit einem Bundeswehrgeneral, Hans-Ulrich Holtherm, als Leiter, der laut BMG »sachkundig in der Krisenreaktion und -prävention« (BMG; zit. nach: Beerheide 20020: 117) sei.

Wenn ich mit Agamben den Ausnahmezustand als Ausdruck eines »legalen Bürgerkriegs« (Agamben 2004: 8) begreife, dann heißt dies im Hinblick auf das Corona-Geschehen, den Fokus der Aufmerksamkeit im folgenden auf zwei Dimensionen des Ausnahmezustands zu richten: zum einen auf die psychologische Dimension (a) und zum anderen auf die verfassungsrechtspolitische Dimension (b).

Ad a) Zunächst zur psychologischen Dimension: Bei der militärischen Bekämpfung von Feinden, seien dies nun äußere Feinde (wie im Rahmen der konventionellen Kriegsführung) oder innere (wie bei Bürgerkriegen), kommt der psychologischen Kriegsführung eine immense Bedeutung zu. Bei dieser geht es vornehmlich darum, das Verhalten und Denken des feindlichen Gegenübers zu beeinflussen, indem bei diesem Angst erzeugt wird und hierüber auch dessen Empfänglichkeit für die Übernahme der herrschenden Wirklichkeitsdeutung, neudeutsch auch ›Narrativ‹ genannt. Dies erfolgt unter anderem durch das Vorenthalten von wesentlichen Informationen oder durch deren Manipulation qua Untertreibung, Übertreibung, Verzerrung oder auch zweckdienlicher Inszenierung. Dabei macht man sich die Erkenntnis zu nutze, daß Menschen beim kognitiven wie normativen Entschlüsseln eines Konflikt- oder Kriegsgeschehens oft nicht auf das eigene direkte Erleben und die eigene Wahrnehmung zurückgreifen, sondern auf sekundär (vor allem massenmedial) vermittelte Darstellungen, die dann die Grundlage bilden für die individuellen Verarbeitungsprozesse zur Konstruktion von Wirklichkeit. Das Bestreben, eine möglichst große Breitenwirkung beim Einsatz dieser Methode zur gezielten Verhaltens- und Bewußtseinsbeeinflussung beim Feind zu erreichen, führt dazu, die Massenmedien als ein integrales Moment in die Strategie der psychologischen Kriegführung einzubinden.

Man muß wirklichkeitsblind sein, um nicht zu erkennen, es sei denn, man will es nicht sehen, daß die Bevölkerung in Deutschland Ziel einer psychologischen Kriegsführung durch die eigene Regierung ist. Dies fängt an, erstens, mit dem Schüren massiver Angst in der Bevölkerung, indem das Horrorszenario des Worst Case als höchstwahrscheinlich gegeben angenommen und durch detailliertes Aufzeigen der konkreten Auswirkungen der Pandemie furchterregend ausgemalt wird. So müsse gezeigt werden, daß viele Schwerkranke von den Krankenhäusern wegen Überlastung abgewiesen würden und »qualvoll um Luft ringend zu Hause« stürben; daß Kinder das Gefühl haben würden, Schuld am Tod eines Elternteils zu haben, weil sie vergessen hätten, »sich nach dem Spielen die Hände zu waschen« (BMI 2020: 13). Zugleich wird mit markigen Formulierungen aufgezeigt, was es bedeuten würde, wenn die ins Auge gefaßten Corona-Maßnahmen fehlschlügen: Es könnte »im Sinne einer ›Kernschmelze‹ [eigene Hervorhebung; M.W.] das gesamte System in Frage gestellt werden. Es droht, dass dies die Gemeinschaft in einen völlig anderen Grundzustand bis hin zur Anarchie [eigene Hervorhebung; M.W.] verändert.« (ebd.: 8)

Die psychologische Kriegsführung setzt sich, zweitens, darin fort, daß die Mainstreammedien zu einem »offizielle[n] Verlautbarungskanal der Bundesregierung« (Berger 2020: 1) mutierten und den herbeigeführten Ausnahmezustand von Beginn an nicht bloß wohlwollend begleiteten, sondern eine »Art Brandmauer zum Schutz der autoritär verfügten Maßnahmen« (Hofbauer 2020: 4) bildeten. Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob dies Ausdruck einer spezifischen Haltung ist, die ihren Grund in der weit verbreiteten Ansicht findet, in Kriegszeiten solle man sich jeglicher Opposition zur eigenen Regierung enthalten. (36) Jedenfalls zeigt sich, daß die Selbstbeschreibung der Medien als ›Vierte Gewalt‹ eine kollektive Selbsttäuschung ist, wenn damit ausgedrückt sein soll, die Medien würden die Entscheidungsträger in Legislative, Exekutive und Judikative überwachen und auf Fehlverhalten aufmerksam machen. Dies mag in fernen Vorzeiten als Wunschdenken einmal so gewesen sein, doch zwischenzeitlich kommt forciert zum Vorschein, was dem Begriff ›Vierte Gewalt‹ wohl immer schon innewohnte: daß die Medien selbst ein Teil der staatlichen Gewaltenteilung geworden sind, wenn auch nicht im verfassungsrechtlichen Sinne. Mit dieser Selbsttransformation der Medien zu einer realen Vierten Gewalt wird denn auch verständlich, warum in den Medien immer die richtigen Repräsentanten aus Politik und Wissenschaft (fast könnte man den Eindruck gewinnen, hierzulande bestünde die kompetente wissenschaftliche Community aus höchstens einer Handvoll Experten) auftreten, um die öffentliche Arena mit den eigenen Argumenten zu überschwemmen. Ob dies erfolgt aufgrund einer Einflußnahme durch die Politik oder aufgrund einer beflissenen Anverwandlung der Medien an die Macht (37), spielt hierbei keine Rolle im Hinblick auf das Ergebnis: die Verbreitung der regierungsseitig gewünschten Botschaften. Trotz dieser gegenseitigen, wie auch immer gearteten Verstrickung von Politik und Medien ist darauf hinzuweisen, daß die Medien aufgrund des Zwangs zur Erzielung hoher Auflagenzahlen und Einschaltquoten in ihrer Berichterstattung der eigenen Logik des Sensationalismus folgen. Dies hat im Falle des Corona-Geschehens zur Folge, daß von den Medien das Risiko, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren und daran als Folge zu versterben, durch verzerrte Statistiken, irreführende Vergleiche, die Verwendung einer emotional gefärbten Sprache oder durch reißerisch aufgemachte Nachrichten (wer erinnert sich nicht an die Unheil verkündenden Bilder von überbelegten Intensivstationen und den Kolonnen von Särgen aus dem italienischen Bergamo) übertrieben dargestellt wird, was, ganz im Sinne der Politik, in der Bevölkerung dazu führt, die Gefahrenlage bedrohlicher als tatsächlich gegeben einzuschätzen und panische Angst zu entwickeln, wofür die Hamsterkäufe von Grundnahrungsmitteln, Konserven oder auch Hygieneartikel wie Seife oder Toilettenpapier ein schlagendes Indiz sind. Hier zeigt sich, daß die von Thukydides im 5. Jahrhundert vor Christus getroffene Feststellung – »Das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit.« (Thukydides) – bis heute noch Geltung besitzt. Aus Sicht der Bevölkerung dürfte es indes völlig unerheblich sein, zumindest fürs erste, wer wen bei der Angstproduktion vor sich hertreibt: die Medien die Politik oder umgekehrt.

Wenn es in Rahmen der psychologischen Kriegsführung auch um die Informations- und Deutungshoheit des Kriegsgeschehens geht, so verwundert es nicht, daß, drittens, diejenigen, die als Bedrohung dieses Hoheitsanspruchs wahrgenommen werden, mit Mitteln der psychologischen Kriegsführung unter Beschuß genommen werden. Das sind all die, die für sich in Anspruch nehmen, die offiziellen Verlautbarungen zur Gefährlichkeit des neuen Corona-Virus aus fachlicher Sicht kritisch zu hinterfragen, oder die es wagen, die staatlicherseits ergriffenen und als alternativlos hingestellten Corona-Maßnahmen insbesondere politisch zu kritisieren.

Dies geschieht zum einen dadurch, daß ein gewisser Teil der Kritiker, hier handelt es sich zumeist um fachkundige Experten, von der Politik und den Medien in trauter Gemeinsamkeit schlichtweg ignoriert wird, indem man entweder deren abweichenden Ansichten nicht zur Kenntnis nimmt oder aber über diese nicht berichtet, geschweige denn diesen in TV-Sendungen ein, gewissermaßen halboffizielles, Forum für deren Verkünden bietet. Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist insbesondere, daß die Ausgrenzung derer, die die herrschende Beschreibung der Wirklichkeit in Frage stellen, beschuldigt werden, Fehlinformationen bezüglich SARS-CoV-2 beziehungsweise COVID-19 zu verbreiten, offensichtlich auf einem sehr absonderlichen Rechts- und Wissenschaftsverständnis fußt. So scheint für die diejenigen, die wahnwitzig davon ausgehen, sie befänden sich im Besitz der Wahrheit, weder das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Meinungsfreiheit eine Rolle zu spielen noch der in der Wissenschaft geltende Kerngedanke, daß unumstößliche Wahrheiten nicht existieren, daß Wissenschaft zwar Wahrheitssuche betreibt, aber die je gefundene Wahrheit keine sichere ist, sondern stets eine vorläufige, die durch neue Erkenntnisse immer wieder widerlegt oder überholt werden kann. Einen Höhepunkt der Versuche, die Kritiker des Corona-Geschehens mundtot zu machen, stellt sicherlich die Anzeige der selbsternannten Wahrheitsbesitzer in der New York Times vom 7. Mai 2020 dar, in der diese die großen Internetkonzerne auffordern, »sofort und systematisch […] Fehlinformationen sowie Seiten und Kanäle, die ›Wiederholungstätern‹ gehören, die diese Informationen verbreiten« (Avaaz 2020), aus dem Internet zu nehmen. An dieser Aufforderung zur Zensur beteiligte sich unter anderem Ulrich Montgomery, Vorstandsvorsitzender des Weltärztebundes und, bezeichnenderweise, auch Christian Drosten, Chefvirologe an der Berliner Charité und Berater der Bundesregierung. Ein prominentes Opfer dieser Stimmungsmache ist der renommierte US-amerikanische Epidemiologe John Ioannidis, der sich kritisch mit der politisch und medial vorherrschenden Deutung zu COVID-19 auseinandergesetzt hatte, was dazu führte, daß ein auf YouTube verfügbar gemachtes Video-Interview von ihm aus dem Internet gelöscht wurde mit dem Hinweis, es verstoße »gegen Community-Richtlinien von YouTube« (Arvay 2020: 102).

Zu Felde gezogen wird gegen die Kritiker zum anderen auch dadurch, daß man diese gleichsam mit einem Bann belegt, der eine Kommunikation mit ihnen unmöglich macht. Denn indem man die Kritiker als ›Corona-Leugner‹ stigmatisiert und diffamiert, wird (was die Vokabel ›leugnen‹ als das wissentliche Bestreiten einer Wahrheit zum Ausdruck bringt) behauptet, daß der Gegenstand der Kommunikation schlechterdings unbestreitbar sei. Gewiß wird mit dieser Begriffswahl auch nicht zufällig an den unter Strafe und gesellschaftlicher Ächtung stehenden Begriff ›Holocaust-Leugner‹ angeknüpft, erlaubt es dieser doch, alle Kritiker pauschal in die extreme rechte politische Ecke zu rücken und sie damit auf die gleiche Stufe mit alten und neuen Nazis zu stellen. Erzeugt wird damit in der Öffentlichkeit ein autoritäres Meinungsdiktat, das mögliche Debatten im Keim erstickt, woran der von Politik und Medien eingesetzte politische Kampfbegriff ›Verschwörungstheoretiker‹ für die Bezeichnung der Kritiker gleichfalls beiträgt. Wird dieser benutzt, wird eine Demarkationslinie markiert zwischen Drinnen und Draußen, zwischen denen, die in der Corona-Angelegenheit mitreden dürfen, und denen, die dies nicht dürfen, zwischen, um Carl Schmitt, den konservativen Theoretiker des Ausnahmezustands, zu bemühen, dem Staat und dem von diesem »als politische Einheit von sich aus« bestimmten »innern Feind« (Schmitt 2002: 46) (38), bei dem es sich jedoch nicht um einen konkreten Feind handelt, sondern um einen »gewollte[n] Feind« (Papcke 1985: 113). Zu diesem kann, wie auch die Corona-Krise zeigt, ein jeder werden, je nachdem entlang welcher sozialen Marker Normabweichler als Feind mit dem Zweck konstituiert werden, diese zu bekämpfen und auszugrenzen. Deswegen wird von Kirchheimer denn auch zu Recht festgestellt: »Jedes politische Regime hat seine Feinde oder produziert sie zu gegebener Zeit.« (Kirchheimer 1985: 21) Daß die Feindproduktion beziehungsweise die Konstruktion der Demarkationslinie hierbei nicht notwendigerweise auf Argumenten basiert, sondern über pathologische Zuschreibungen erfolgt, belegt die Schmähvokabel »Covidiot« der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken als schlagendes Beispiel.

Ad b) Die Herleitung des Ausnahmezustands aus der Selbstbeschreibung vieler politischer Akteure, man befinde sich in einem Krieg gegen das Corona-Virus, ist eine der Möglichkeiten, sich dem herrschenden Paradigma des Regierens zu nähern. Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Ausnahmezustand zurückzuführen über die Wahrnehmung und Deutung des Corona-Geschehens als Krise. Legt man ein allgemeines Krisenverständnis zugrunde, dann läßt sich ›Krise‹ (39) als eine Situation beschreiben, die sich dadurch auszeichnet, daß auf ein prekäres Ereignis nicht zeitnah problemlösend reagiert werden kann, wodurch der Fortbestand der Gesellschaft beziehungsweise zentraler gesellschaftlicher Bereiche gefährdet ist. Mit Bezug auf die Politik beziehungsweise den Staat als die politische Organisationsform der Gesellschaft heißt dies, daß die der Krise zugrundeliegende Problemlage unter dem Diktat knapper Zeit mit den herkömmlichen Institutionen, Instrumenten und Verfahren nicht verarbeitet und bewältigt werden kann oder nur unter Inkaufnahme unerwünschter erheblicher Folgekosten oder größerer Strukturveränderungen.

Die Gründe für das Auseinanderklaffen von Problemdruck und politischer Problemverarbeitungskapazität können verschiedene sein. Sie können einerseits herrühren aus der Neuartigkeit und Komplexität des Problems selbst, wodurch naturgemäß der Problemdruck steigt, andererseits aber auch aus den nicht oder nur unzureichend vorhandenen Problemverarbeitungskapazitäten, was ebenfalls einen Anstieg des Problemdrucks zur Folge haben kann. Diese können begründet sein in der Personalstruktur des Staates (etwa Defizite bei der Problemwahrnehmung oder mangelndes Wissen und unzureichende Kompetenzen und daraus resultierende Restriktionen bei der zur Problembewältigung benötigten Informationsgewinnung und -verarbeitung); oder aber in der organisatorisch-institutionellen Struktur des Staates (etwa die fehlende Koordination der beteiligten Organisationseinheiten von Regierung und Verwaltung oder deren zum Teil widersprüchliche Aufgabenfestlegungen und Zuständigkeiten); oder aber, und dies scheint mir in kapitalistisch-marktförmig verfaßten Gesellschaften wie der unsrigen die wesentliche Restriktion zu sein, in der materiellen Basis des Staates, das heißt in dessen »produktionsformspezifische[r] Abhängigkeitsstruktur« (Hickel 1976: 14) als Steuerstaat, was im Grunde nichts anderes besagt, als daß man die Kuh (die Wirtschaft), die man melken will (das Einnehmen von Steuern), nicht schlachten (das Stillstellen der Produktion) oder von der Weide jagen (das Verlagern der Produktion ins Ausland) darf.

Wiewohl Krisen ein objektives Moment innewohnt, können doch »nur Subjekte«, wie Habermas zu Recht betont, »in Krisen verwickelt werden« (Habermas 1975: 12). Das besagt, daß Krisen von den Subjekten als bestandskritisch wahrgenommene und interpretierte Zustände beziehungsweise Entwicklungen sind. Daraus folgt entsprechend dem Thomas-Theorem (40) aber auch, daß selbst dann, wenn die Krise nicht objektiv real ist, sie sehr wohl subjektiv real und auch wirkungsmächtig zu sein vermag, und zwar dann, wenn Subjekte eine Situation als krisenhaft wahrnehmen und interpretieren und sich deren Krisendiagnose auf die Situationswahrnehmung hinreichend vieler anderer Subjekte auswirkt. Die politische Implikation hiervon ist unübersehbar: Sie eröffnet den politischen Entscheidungsträgern mit Hilfe einer entsprechenden Krisenrhetorik aus der von ihnen diagnostizierten Krise die Möglichkeit, die Ermächtigung abzuleiten, und zwar ohne Vorhandensein eines formellen Ermächtigungsgesetzes, alles zu tun, was die Krise wieder beendet. Und ›alles zu tun‹ heißt, die Flucht nach vorne zu ergreifen in den Ausnahmezustand durch Steigerung der staatlichen Autorität, mithin zur Steigerung der Befugnisse der Anwendung staatlicher Gewaltsamkeit – ganz im Sinne von Hobbes' Auffassung, daß die Autorität und nicht die Wahrheit Schöpfer des Gesetzes ist (vgl. Hobbes 1989: 212). Dabei können selbstredend auch solche politischen Materien zum Gegenstand von Politik werden, die von der Krise nicht direkt berührt werden, aber aus Sicht der Akteure in Regierung und Verwaltung in einem gedachten oder wahrgenommenen Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand stehen. Zu Ende gedacht heißt dies, daß es eine Illusion ist, anzunehmen, der Staat sei auch in demokratisch verfaßten Gesellschaften auf Legitimationszufuhr angewiesen. Denn der Souverän ist nicht das Volk, sondern derjenige, der, um nüchtern mit Carl Schmitt zu sprechen, »über den Ausnahmezustand entscheidet« (Schmitt 1996: 13), der sich über herrschendes Recht hinwegsetzt und damit einen Schnitt vollzieht, der verspricht, neue Horizonte zu eröffnen.

Läßt man die vergangenen Monate seit Beginn der Corona-Pandemie vor seinem geistigen Auge Revue passieren, dann bestätigt sich auf eindrucksvolle Weise der eben beschriebene Zusammenhang zwischen dem Auftreten des Corona-Virus, der Deutung dieses Ereignisses als Krise, dem politisch-administrativen Unvermögen eines diesbezüglichen erfolgreichen Krisenmanagements und dem Versuch der Suspendierung der bestehenden Rechtsordnung durch Herbeiführung des Ausnahmezustands, mit dessen Hilfe die behauptete Gefährdung der staatlichen Ordnung (ich erinnere nochmals an die im BMI-Strategiepapier geäußerte Anarchiebefürchtung) abgewehrt werden soll.

Wirft man einen Blick auf den ›Problem‹ genannten Schenkel der Virus-Staat-Krisenschere, nämlich das Auftauchen eines neuen Corona-Virus, von dem, unbestritten, ein erhebliches Gesundheit und Leben beeinträchtigendes Potential ausgeht, dann mangelt es selbst nach über einem Jahr nach Ausbruch der Pandemie immer noch einer gesicherten medizinischen Evidenz, die die gesundheitlichen Folgen einer Infizierung mit SARS-CoV-2 für junge und alte Menschen, für Männer und Frauen, für Gesunde und Kranke ebenso ausweist wie für stark umweltbelastete oder relative saubere Regionen. Auch weiß man relativ wenig über die Infektiosität des Virus, dessen Übertragungswege und Mutationsverhalten, die Dauer der Immunisierung oder die Wirksamkeit und die Nebenwirkungen der entwickelten Impfstoffe, um nur einige Aspekte zu nennen. Für die politischen Entscheidungsträger heißt dies konkret, sie sehen sich mit einem Problemkomplex konfrontiert, dem sie nicht gewachsen sind, so daß sie aufgrund ihrer Überforderung und des großen Zeitdrucks (unter dem zu handeln sie sich bemüßigt fühlen, wenn sie den Eindruck erwecken wollen, sie verfügten über Führungsqualität und die Fähigkeit, Probleme lösen zu können) sich gezwungen sehen, Entscheidungen zu treffen auf der Grundlage des Wissens und des Rats von externen medizinischen Experten, das sie allerdings fachlich und sachlich zu beurteilen selbst nicht in der Lage sind. Hierdurch stieg die Virologie faktisch zu einer ›echten‹ Staatswissenschaft auf, die imstande ist, die sie konsultierenden Politiker ins »Hamsterrad des täglich neu zu justierenden politischen Handelns« (###Noll 2020: 94) zu treiben. Daß dies nicht ohne Konsequenzen sein kann sowohl für die Wissenschaft als auch für die Politik, liegt auf der Hand. Wie sehr die Wissenschaft auch immer öffentlich beteuern mag, ihr käme lediglich eine ›reine‹ Zulieferfunktion von Wissensbeständen für die Politik zu, ist die von ihr eingenommene Position, objektiv betrachtet, eine andere. Indem die medizinischen Experten, die dienstbare Aufgabe übernehmen, die Wissensdefizite der politischen Akteure und deren beschränkte Urteilskraft auszugleichen, laufen sie nämlich Gefahr, daß sie sich nicht mehr nur an ihren wissenschaftlichen Interessen orientieren, sondern sich auch den politischen Interessengruppen verpflichtet sehen, die ihre Expertise nachfragen, so daß es nur kleiner Impulse bedarf, um willfährig den Lockungen der Macht zu erliegen, heißt, als »Legitimationsagent[.]« (Basaglia/Basaglia-Ongaro 1980: 28) von Herrschaft zu fungieren, als ein, wie Sartre es formuliert, »Techniker des praktischen Wissens«, der, im Gegensatz zum Intellektuellen, »seine Tätigkeit und den Gegenstand seiner Tätigkeit [nicht; M.W.] mit Zweifeln überzieht« (Sartre, J. P.; zit. nach: ebd. 54). Demokratietheoretisch gewendet, heißt dies, daß mit der Orientierung der politischen Entscheidungsträger an der Wissenschaft als Wahrheitslieferant dieser von der Politik eine Rolle zugewiesen wird, die, auch wenn sie von jener dankbar angenommen wurde, höchst undemokratisch ist, weil derart Institutionen und Verfahren von Politik als Mittel zum Zweck mißbraucht werden, um bestimmte wissenschaftlich vorgegebene Ziele zu erreichen – zumal, wenn die Auswahl der einbezogenen Wissenschaftler äußerst selektiv erfolgte (vgl. Kohn 2020: 75) und trotz der mit SARS-CoV-2 gegebenen Problemkomplexität es in grob fahrlässiger Weise unterlassen wurde, die Bewältigung der Corona-Krise auf der Basis eines pluralen und interdisziplinären wissenschaftlichen Ansatzes anzugehen.

Auch der Blick auf den anderen Schenkel der Virus-Staat-Krisenschere, die staatliche Problemverarbeitungskapazität, läßt erkennen, wie sehr die Politik überfordert ist, wenn sie mit den Organisationsmitteln, die ihr für den Normalfall ihres politischen Geschäftsbetriebs zur Verfügung stehen, Situationen meistern will, die jenseits der von ihr gewöhnlich zu erbringenden Ordnungsleistungen liegen. Dies hat damit zu tun, ohne damit eine Analyse des Versagens des Staates leisten zu wollen, daß die am reinen Machterhalt orientierte Politik unfähig ist, die längst ausgetretenen Pfade ihres Denkens und Handelns zu verlassen als Bedingung der Möglichkeit, Lernprozesse in Gang zu setzen, in deren Zentrum wirklich das Wohlbefinden der Bevölkerung, also deren Leben und Gesundheit, steht. Es ist meines Erachtens unverkennbar, daß die »politische Klasse« (Beyme 1993) in einer auch für sie unübersichtlichen Situation versucht, so gut wie es geht dafür zu sorgen, daß ihre eigene Machtposition nicht geschwächt wird und ihre wichtigste Klientel, die großen staatstragenden Unternehmen, möglichst glimpflich das von ihr selbst als Krise diagnostizierte Corona-Geschehen übersteht. Hierbei wird ein Aktivismus entfaltet, der offensichtlich den Anschein erwecken soll, einerseits gehe von dem Virus eine sehr große Bedrohung aus, gegen die man andererseits staatlich jedoch entschieden vorgehe. So jagt etwa eine Pressekonferenz die andere (obwohl im Kern doch stets nur das gleiche berichtet wird); oder es werden in kurzen Abständen ad hoc Ministerpräsidentenkonferenzen einberufen, um neue Beschlüsse zu fassen (die kurz nach Ende der Sitzung schon wieder Makulatur sind, weil jedes Bundesland die Beschlüsse entsprechend seiner Interessenlage interpretiert und dementsprechend nicht oder modifiziert umsetzt); oder es werden überstürzt, gewissermaßen zwischen Tür und Angel, Verordnungen und Allgemeinverfügungen auf den Weg gebracht (die unentwegt geändert werden müssen, weil dies oder jenes nicht oder anderes falsch bedacht wurde). Kurz: Es wird sich ohne ein Konzept, aber unter dem von den medizinischen Experten errichteten Regime von Zahlen, Kurven und Diagrammen durchgewurschtelt, man »stolpert also von der einen Maßnahme in die nächste, wird gewahr, dass sich Unzulänglichkeiten zeigen, korrigiert, weitet aus, grenzt ein etc. etc.« (Noll 2020: 94). Hinzu kommt, daß die Corona-Krisenpolitik sich in einer dilemmatischen Situation befindet, die sich dadurch auszeichnet, daß epidemiologisch indizierte sozialsanitäre Maßnahmen wie etwa Quarantänebestimmungen, Grenzschließungen oder Einschränkungen des regulären Geschäftsbetriebs das wirtschaftspolitische Ziel ›stetiges Wirtschaftswachstum‹ konterkarieren, während umgekehrt eine Steigerung von Produktion und Konsumtion zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos führt, was wiederum eine Beschränkung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens notwendig macht.

Erkennen zu müssen, daß in Anbetracht der vorhandenen Zwickmühle (das eine Ziel nicht verfolgen zu können, ohne das andere Ziel zu verfehlen) unter den gegebenen politischen Bedingungen der Corona-Krise mit den vorhandenen politisch-administrativen Ressourcen nicht beizukommen ist, erhöht bei entsprechendem »Willen zur Macht« (Nietzsche 1988: 661) (41) seitens der politischen Entscheidungsträger die Wahrscheinlichkeit zum Dezisionismus, dem zufolge dem Entscheiden Vorrang eingeräumt wird vor einer normativ oder rational wissenschaftlich begründeten Wahl von Handlungsalternativen. Eine dezisionistische Entscheidung ist allerdings mehr als eine Entscheidung im alltäglichen Sinne des Wortes, weil es bei jener um die Durchsetzung einer Absicht geht ohne Rücksicht auf existierende Zusammenhänge, die Besonderheiten einer Situation, die Betroffenheit der tangierten Subjekte und auf die vorhandene Rechtsordnung, die durch die dezisionistische Entscheidung faktisch suspendiert und durch den Ausnahmezustand ersetzt wird, der jedoch nicht formell ausgesprochenen zu werden braucht, sondern per Dekret unter Ausschaltung des Parlaments durch das Handeln der Akteure in Regierung und Verwaltung schlicht herbeigeführt wird.

Es ist im Grunde fatal, daß viele Menschen nun darauf angewiesen sind, jenen politischen Akteuren als ›Retter in der Not‹ zu vertrauen, die in der Vergangenheit zur Entstehung der Corona-Krise ebenso mitbeigetragen haben wie auch zu den völlig unzulänglichen Voraussetzungen ihrer Bewältigung, hatten und haben diese doch nicht das gesundheitliche Wohlergehen der Bevölkerung im Auge, sondern vornehmlich Partikularinteressen. Wie auch immer, erzwungen durch die von Politik und Medien erfolgreich geschürte Angst vor dem Corona-Virus hat ein Großteil der, wie Naomi Klein es formulieren würde, »weichgeklopften« (Klein 2009: passim) Bevölkerung sich widerstandslos einem politischen Handlungsstil gebeugt, der als autokratisch zu bezeichnen ist und der in einem krassem Gegensatz zum Demokratie- und Rechtsstaatgebot des Grundgesetzes steht.

Es müßte jeden demokratisch gesinnten und halbwegs historisch informierten Menschen mit Entsetzen erfüllen, mit welch »atemberaumender Geschwindigkeit und einer erschütternden Bereitwilligkeit seitens der Bevölkerung Rechte außer Kraft gesetzt werden, die in Jahrhunderten mühsam erkämpft worden sind« (Schlott 2020a). So erfolgen durch die Politik (wenn auch nicht auf der Grundlage gesicherter medizinischer Erkenntnisse bezüglich SARS-CoV-2 beziehungsweise COVID-19, aber vermeintlich legitimiert mit der von ihr propagierten, doch unglaubwürdigen Begründung, Gesundheit und Leben schützen zu wollen) massive Grundrechtseingriffe, wie sie für die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispiellos sind: so etwa in das Recht auf Versammlungsfreiheit, das Recht auf Bildung, das Recht auf Freizügigkeit, die Freiheit von Forschung und Lehre, die Freiheit der Berufsausübung, die Gewerbefreiheit oder die Reisefreiheit, und zwar nicht zeitlich befristet, sondern auf unbestimmte Zeit. Sozusagen mit wenigen Federstrichen wurden Millionen von Menschen ihrer Existenzgrundlage enteignet und zu wohlfahrtstaatlichen Almosenempfängern degradiert, wurden wie in Putsch- Kriegs- oder Besatzungszeiten Ausgangssperren verhängt, wurden die der Corona-Krisenpolitik Unterworfenen in eine Existenzweise des »nackten Lebens« (Agamben 2002: passim) gezwungen, in der sie ein Leben fristen müssen, dem man seine Lebendigkeit entrissen hat, seine »Bewegungsfreiheit, Arbeit, Freundschaften, geliebte Menschen, soziale Beziehungen, religiöse und politische Überzeugungen« (Agamben 2020b) – ein Leben, das im Kern das Leben von Sklaven ist, von Menschen, die sich nicht selbst gehören.

Was sich im Zuge der Corona-Pandemie derzeit vor unser aller Augen ereignet, sagt viel aus über die Mentalität der politischen Entscheidungsträger, aber auch über den Charakter der Zivilgesellschaft, beides, wie mir scheint, Momente ein und derselben Medaille, deren Vorderseite die Regierung darstellt und die Rückseite das Volk. Offenbar bedurfte es der Corona-Krise, damit in unverhohlener Form deutlich zutage treten konnte, was normalerweise, das heißt im Normalzustand, sich nicht so leicht erkennen läßt: daß die politischen Entscheidungsträger prinzipiell geneigt sind, durch ihr Handeln eindringlich unter Beweis zu stellen, was sie von der Demokratie und von den Bedürfnissen der Menschen halten, von denen sie ihr politisches Mandat erhalten haben: wenig, um nicht zu sagen nichts. Wendet man sich der Rückseite der Medaille zu, so kann man sehen, daß ein Großteil der Bevölkerung in seinem Verlangen nach Sicherheit bereit ist, den Wunsch nach Freiheit aufzugeben, wenn er je vorhanden war, so daß der jetzige Ausnahmezustand auch nicht als Angriff auf die eigenen Bedürfnisse gewertet wird. Mit Schlott kann man diesen Befund auch wie folgt formulieren: »Wenn Corona der von der Politik ausgerufene Charaktertest für unsere Gesellschaft ist, dann legt er offen, dass der Mehrheit der Deutschen ihre Vorräte an Toilettenpapier und Konserven wichtiger sind als ihre Grundrechte.« (Schlott 2020b) Mit anderen, drastischen Worten: Der Bevölkerung gehen die Grundrechte letztlich am Arsch vorbei. Insofern könnte man denn auch Joseph Marie de Maistre, seinerzeit (1811) sardischer Gesandter in Sankt Petersburg, durchaus zustimmen: »Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient.«


Prof. i.R. Dr.rer.pol. Michael Wolf: Sozialwissenschaftler, Hochschule Koblenz, Fachbereich Sozialwissenschaften; Kontakt: wolf.koblenz@web.de


Fußnoten:

25 Vgl. hierzu grundlegend Neumann (1978).

26 Ich beabsichtige nicht, mich hier eingehender mit dem Thema ›Verschwörungstheorie‹ (vgl. hierzu statt anderer Butter 2020; Hepfer 2015) zu befassen. Vielleicht nur dies: Verschwörungen (im Sinne von gegen Dritte gerichtete geheime Absprachen zur Durchsetzung eigener Interessen) gehören, wie ein jeder weiß, zum Alltag, in der Politik ebenso wie in der Wirtschaft. Ich erwähne schlagwortartig nur Parteipostengeschacher, Ämterbesetzungen, Preisabsprachen. Wenn also seitens der Politik das Aufblühen von Verschwörungstheorien beklagt wird, dann sollte beachtet werden, daß sie selbst hierzu etliches Material geliefert hat. Zudem sollte bedacht werden, daß die Diskriminierung der Kritiker des Corona-Geschehens als ›Verschwörungstheoretiker‹ selbst verschwörungstheoretische Züge aufweist. So schreibt Butter: »Man bedient sich des Etiketts, das andere einem selbst anheften wollen, und tut deren Behauptungen als Verschwörungstheorie ab; die eigenen Verdächtigungen hingegen werden als wohlbegründet und im Grunde schon erwiesen präsentiert.« (Butter 2020: 45)

27 Es widerstrebt mir, diese euphemistisch als politische ›Verantwortungsträger‹ zu bezeichnen, weil die so Bezeichneten in der Regel alles tun, nur nicht Verantwortung für ihr Handeln als Politiker zu übernehmen.

28 Siehe Anm. 13. – »Die Auswirkungen der ergriffenen Maßnahmen auf das Gesundheitssystem als Ganzes wurden im Krisenmanagement weder gesondert nachgehalten (z.B. im Monitoring des Krisenstabs BMI-BMG), noch wurde darauf besondere Rücksicht genommen: z.B. wurde mit den dann konkret ausgeformten Vorschriften in Kauf genommen, dass abgesagte oder verschobene OPs zu Schäden und Todesfällen führen würden und u.a. die Kliniken und Reha-Einrichtungen um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen müssen mit entsprechenden Konsequenzen für die Versorgungskapazitäten.« (Kohn 2020: 82)

29 So geht etwa die Deutsche Krebshilfe davon aus, daß etwa 50.000 Krebsoperationen nicht durchgeführt worden seien, weil sich die Krankenhäuser ganz auf die Behandlung von COVID-19-Patienten konzentriert hätten. (vgl. Nettekoven 2020)

30 »Die Corona-Maßnahmen führen zudem zu massiven Einschnitten in der Versorgung psychisch erkrankter Menschen: Jeder zweite Betroffene (48 %) berichtet von ausgefallenen Behandlungsterminen beim Facharzt oder Psychotherapeuten während des Lockdowns. Jeder zehnte an Depression erkrankte Befragte erlebte sogar, dass ein geplanter Klinikaufenthalt nicht stattfinden konnte. 13 % der Betroffenen gaben an, von sich aus Behandlungstermine aus Angst vor Ansteckung abgesagt zu haben.« (SDDH 2020: 1f.)

31 Wovon selbst Mitarbeiter des RKI ausgehen: »So haben Personen mit Arbeitslosigkeitserfahrungen eine insgesamt höhere Sterblichkeit und ein erhöhtes Risiko für den Tod in Folge eines Suizides oder ungeklärter äußerer Ursachen.« (Kroll/Lampert 2012: 2)

32 Vom RKI bestätigt wird auch der Zusammenhang von Einkommensniveau und Mortalität: »Die vorzeitige Sterblichkeit ist umso höher, je niedriger das Einkommen ist […] Die Differenz zwischen der niedrigsten und der höchsten Einkommensgruppe machte bei Frauen 4,4 Jahre und bei Männern 8,6 Jahre aus.« (Lampert et al. 2019: 7f.)

33 Hierzu klassisch schon Machiavelli, der dem »Fürsten« (sprich: Politiker) empfiehlt, »ein Meister [zu; M.W.] sein in der Heuchelei und Verstellung: denn die Menschen sind so einfältig und gehorchen so leicht dem Zwang des Augenblicks, daß ein Betrüger stets einen finden wird, der sich betrügen läßt« (Machiavelli 1961: 105).

34 Und vermutlich auch eines Großteils der Bevölkerung. Dieser würde das Problem zynisch mit dem Kommentar »Was gehen uns denn diese Bimbos an!« ad acta legen.

35 »Denk ich an Deutschland in der Nacht, / Dann bin ich um den Schlaf gebracht« (Heine 1978: 166).

36 Ein Grundsatz, dem offensichtlich auch der Popstar unter den deutschen TV-Philosophen, Richard David Precht, huldigt, der die Auffassung vertritt. »Wir dürfen in Deutschland […] über Corona denken, was wir wollen, aber als Staatsbürger haben wir halbwegs zu funktionieren.« Denn ein »guter Staatsbürger« habe sich »an die Regeln zu halten, und es steht ihm nicht frei, diese Regeln frei zu interpretieren« (Precht 2020: Min. 3:26ff.)

37 Krüger beschreibt das heutige Verhältnis zwischen Politik und Medien als »Symbiose«, der das »Tauschgeschäft ›Information gegen Publizität‹« (Krüger 2016: 77) zugrunde liege.

38 »In allen Staaten gibt es […] in irgendeiner Form […] schärfere oder mildere, ipso facto eintretende oder auf Grund von Sondergesetzen justizförmig wirksame, offene oder in generellen Umschreibungen versteckte Arten der Ächtung, des Bannes, der Proskription, Friedloslegung, hors-la-loi-Setzung, mit einem Wort: der innerstaatlichen Feinderklärung.« (Schmitt 2002: 46f.)

39 Zum Begriff vgl. Koselleck (1982).

40 Das Theorem besagt: Wenn Subjekte eine Situation als real definieren, dann ist sie auch in ihren Folgen real.

41 »Unsere Triebe sind reduzirbar auf den Willen zur Macht. Der Wille zur Macht ist das letzte Factum, zu dem wir hinunterkommen.« (Nietzsche 1988: 661)


Teil 1 des Beitrags von Prof. Michael Wolf:
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27411

Teil 3 des Beitrags von Prof. Michael Wolf:
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27437

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