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Aktueller Online-Flyer vom 26. Dezember 2024  

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Inland
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Ein Staatsoberhaupt mit Gedächtnislücken
Von Wolfgang Effenberger

Am 24. August 2021 sagte Bundespräsident Steinmeier in Berlin: "Wir erleben in diesen Tagen eine menschliche Tragödie, für die wir Mitverantwortung tragen, und eine politische Zäsur, die uns erschüttert und die Welt verändern wird“ (1). Steinmeiers Analyse ist durchaus zutreffend. Nicht zutreffend ist jedoch seine Aussage, dass „wir Mitverantwortung tragen“. Doch wer ist wir? Sollte Steinmeier in der Dritten Person, gesprochen haben, dann mag es sogar stimmen. Er hat während des gesamten Afghanistaneinsatzes an exponierter Stelle alle Maßnahmen mitgetragen, wenn nicht sogar ermöglicht: Von 1999 bis 2005 war Steinmeier Chef des Bundeskanzleramtes unter Gerhard Schröder, von 2005 bis 2009 (Kabinett Merkel I) Außenminister und seit 2007 auch Vizekanzler der Bundesrepublik. Seine zweite Amtszeit als Außenminister dauerte von 2013 bis 2017 (Kabinett Merkel III). Nach der Niederlage als Kanzlerkandidat der SPD bei der Wahl 2009 war er bis 2013 Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion  und damit auch Oppositionsführer.

Im Frühjahr 2007 erhielt Außenminister Steinmeier vom militärischen Berater des deutschen Botschafters in Kabul, Oberstleutnant Jürgen Heiducoff, eine aktuelle Analyse der Lage in Afghanistan, die von den Medien als „Brandbrief aus Kabul“ bezeichnet und am 31. Mai 2007 in einer ARD-Minitorsendung thematisiert wurde. Bevor Oberstleutnant Heiducoff den Dienstposten an der Botschaft antrat, war er während seines fast dreijährigen Dienstes in Afghanistan auch Zeuge seiner Auffassung nach unverhältnismäßiger militärischer Gewalt durch westliche Verbände gegenüber Zivilisten geworden. Er empfahl schon frühzeitig eine strategische Neuausrichtung, die eine Stärkung der Zivilgesellschaft in den Vordergrund stellen solle. Da 2007 die Situation zu eskalieren begann, wandte er sich direkt an seinen Vorgesetzten, den Außenminister Steinmeier:

„Herr Minister, ich beobachte eine wachsende Dissonanz zwischen den Zielen unserer Afghanistanpolitik und der militärischen Praxis. Ich stelle fest, dass in Unterrichtungen von ISAF für Politiker und Parlamentarier die militärische Lage unzulässig geschönt dargestellt wird. Auch deutsche Generale beschönigen oder verschweigen eigene Probleme. Die ständigen Forderungen nach Truppenverstärkung, die steigenden Kosten des militärischen Engagements, das Anwachsen eigener Verluste und die wachsende Zahl ziviler Opfer verdeutlichen die Ungeeignetheit und Ausweglosigkeit der militärischen Gewalt als Lösung der inneren und äußeren gesellschaftlichen Probleme Afghanistans. … Wenn immer mehr zivile Opfer und unsägliches Leid durch die eigenen Militärs unter der Zivilbevölkerung produziert werden, dann eignet sich das Mittel der militärischen Gewalt nicht, um die Probleme in diesem Land zu lösen. … Tragen Sie bitte dazu bei, die weitere Eskalation der militärischen Gewalt in AFG zu stoppen.“ (2)

Auf einem Friedensforum hatte Jürgen Heiducoff 2011 diesen Brief innerhalb seines Vortrags verlesen. Am Schluss appellierte er: „Dies ist nicht mein Krieg! Dies ist nicht unser Krieg!  Wir lassen es nicht zu, dass unsere demokratischen Werte in Kriegen der NATO vor aller Welt diffamiert werden. Wir fordern von unseren Politikern: Beendet den Krieg in Afghanistan, verhindert weitere Kriege der NATO, folgt den Vorgaben unseres Grundgesetzes. KRIEG IST NIE DIE LÖSUNG!“ (3)

Welche Reaktion gab es 2007 von Steinmeier? Oberstleutnant Heiducoff wartet bis heute noch auf eine Antwort von seinem damaligen Außenminister wartet. Dafür folgten 2007 dienstrechtliche Auseinandersetzungen, die 2008 zur vorzeitigen Ablösung Heiducoffs führten. Ein Zusammenhang zwischen der Ablösung und seiner Kritik an der Kriegführung in Afghanistan wurde vom Dienstherrn abgestritten. Heiducoff stellt einen solchen als gegeben dar, und weist darauf hin, dass ihm gegenüber keinerlei Disziplinarverstöße oder Fehler, die zu seiner Ablösung hätten führen müssen, geltend gemacht wurden. Heiducoff wurde auch nicht mehr befördert, dafür seine Kameraden, die sich für eine weitere militärische Eskalation ausgesprochen haben. Höhepunkt dieser fatalen deutschen Politik ist die Beförderung von Oberst Klein zum General, der am 4. September 2009 den fatalen Luftangriff gegen zwei im Morast stecken gebliebene Tanker befohlen hatte, bei dem es offiziell 91 Tote, darunter dutzende Zivilisten gegeben (unabhängige Zählungen gehen von 142 Toten aus) hatte. (4)

Bundespräsident Steinmeier könnte nun Größe zeigen und sich bei den Bundbürgern und Bundesbürgerinnen und vor allem bei Jürgen Heiducoff für sein Versagen um Entschuldigung bitten. Das couragierte Agieren vom damaligen Oberstleutnant Jürgen Heiducoff verdient Respekt.


Fußnoten:

1) https://www.idowa.de/inhalt.afghanistan-steinmeier-sind-fuer-tragoedie-mitverantwortlich.a04f84c4-5720-4167-b4a9-c3eb4b2e6690.html (26.8.21)
2) FRIEDENSFORUM AUSGABEN › 6 / 2011 https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/der-tod-ist-ein-meister-aus-deutschland (26.8.21)
3) Ebenda
4) https://www.tagesspiegel.de/politik/urteil-zu-tanklasterangriff-keine-entschaedigung-fuer-luftangriff-in-kundus/26919074.html (26.8.21)

Online-Flyer Nr. 776  vom 08.09.2021

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