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Aktuelles
WANTED - Julian Assange, ein Leben
Folge 2: MENDAX
Von Delphine Noels (Belgium4Assange) in Zusammenarbeit mit Marc Molitor, Pascale Vielle und Bogdan Zamfir - ins Deutsche übersetzt von Claudia Daseking

Ab Ende Oktober 2021 geht es in London wieder um den Antrag der USA auf Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Am 27. Oktober 2021 wird das Berufungsgericht zum ersten Mal tagen. Die Zeit bis dahin begleitet die NRhZ mit einem CountDown von 34 Folgen über das Leben von Julian Assange. Sie wiederholt damit den Countdown von Belgium4Assange, der zum 4. Januar 2021 führte, als die britische Justiz ihr Urteil im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange in der ersten Instanz gesprochen hatte. Belgium4Assange schrieb dazu: "Was steht bei diesem Prozess auf dem Spiel? Inwiefern betrifft uns das persönlich? Schwierig, hierzu klare Vorstellungen zu haben, da so viele Falschmeldungen und Desinformationen kursieren... Tag für Tag zeichnen wir seinen Weg voller Überraschungen und Enthüllungen nach und richten den Blick auf die näheren Umstände einer der fundamentalsten Kämpfe unserer Zeit." (Auf der website pour.press auf Französisch nachzulesen). Hier jetzt Folge 2:



Julian ist noch ein ganz junger Erwachsener, als er seinen ersten Computer bekommt, einen Commodore 64 mit einem Modem. Um ihm den schenken zu können, zögerte seine Mutter nicht, in eine kleinere Wohnung mit niedrigerer Miete umzuziehen, um die 700 Dollar aufbringen zu können, die damals üblich waren. Zu der Zeit gab es noch keine Software, und wenn man einen Computer bekam, war der total leer. Julian lernt zu kodieren und durchdringt das System der informatischen Denke. Er sagt „Verschwunden sein, aufgegangen sein in etwas Größerem, in dessen Dienst man sich gestellt hatte, war das beste, was man tun konnte“.

Er merkt schnell, dass diese neuen Maschinen mächtige Werkzeuge für den Kampf werden könnten, um auf effizientere Weise gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen als die Generation seiner Eltern das mit ihren Demonstrationen auf der Straße konnten. Es war ein Wendepunkt für den jungen Julian und für den Erwachsenen, der er später werden würde. Er sagt hierzu: „Ich würde sagen, dass das nicht nur eine neue Art und Weise ist, in der Welt zu sein, sondern eine neue Art, in seiner eigenen Haut zu sein. (…) Wir haben schnell gelernt, wie Engagement im Zeitalter der Informatik funktioniert: Es funktioniert, indem man das Blut seines Lebens in ein intelligentes System überträgt, das von einem abhängig ist und von dem man selbst abhängig ist. Früher war das Science Fiction, aber heute ist das alltägliche Realität geworden. Und ich nehme an, ich wirke wie ein Alien für viele Leute, weil ich Teil einer Generation bin, die in dieser Maschine gewachsen ist, und sie gebeten habe, uns bei diesem Kampf gegen die Ungerechtigkeit zu helfen und damit die alten Garden wie unsere Eltern abzulösen, die nicht wussten, wie man die Mechanismen aus Macht und Korruption zerschlagen könnte, die die Welt in Ungerechtigkeit hielten. Und ich nehme an, dass ich vielen Menschen immer als ein Fremder erscheinen werde, weil ich Teil einer Generation war, die sich in unsere Maschine eingegraben hat und sie gebeten hat, uns zu helfen, für Gerechtigkeit auf eine Art und Weise zu kämpfen, die die alte Garde, wie meine Eltern, die nicht wussten, wie man die Muster von Macht und Korruption durchbricht, die die Welt ungerecht hielten, entlassen würde.

Die Computer boten einen positiven Raum in einer negativen Herrschaftsraum: Sie haben uns gezeigt, dass wir neu anfangen konnten, gegen Egoismus, gegen die Gesellschaft, indem wir etwas aufbauten, was weniger unvollkommen, weniger korrumpiert ist auf diesen neuen Weidegründen aus Codes. Eines Tages, das wussten wir, würden sie die Welt verändern, und das haben sie dann auch“.

Für Julian war sein Computer auch ein Mittel, mit anderen jungen Leuten in Kontakt zu kommen, die so waren wie er, die so begierig waren wie er, den weiten Horizont zu entdecken, zu dem man mit den Codes Zugang bekam. Eine Gemeinschaft von Computerfreaks entstand in Melbourne und in der ganzen Welt. Sie sind untereinander verbunden und treffen sich selten in der realen Welt. Sie kennen sich nur über ihre Pseudonyme: Phoenix, Electron, Prime Suspect, Anthrax, …. Das von Julian war Mendax (aus dem Werk von Horaz, „der prächtige Lügner“). Was diese jungen Leute gemeinsam haben, ist ihre Neugier, ihre Aufmüpfigkeit, und eine Ethik: Sie lieben es zwar, in die verbotenen Zonen des Netzes einzudringen (das damals noch embryonär war), aber sie sorgten dafür, dass auf den Seiten kein Schaden entstand. Für sie war Hacken vor allem die Kunst, intelligente Lösungen für komplexe informatische Probleme zu finden. Sie liebten die Herausforderungen, auf verbotene Seiten vorzudringen. Eine der Freuden des Hackens ist es, mit den Systemadministratoren der Seiten, die sie besuchen, und die versuchen sie zu fangen, Katz und Maus zu spielen. Sie finden es toll, die Admins dabei zu beobachten, wie sie zusehen, dass sie selbst verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen, durch eine Hintertür, eine informatische Geheimtür, die sie auf den Seiten installieren, damit sie jederzeit wieder Zugang haben., wenn sie es wünschen. ...Damals war Hacking nicht direkt illegal, es herrschte ein juristisches Vakuum.

Der Alltag von Julian teilt sich in zwei „Welten“ auf: Am Tage „der todlangweilige Konformismus der Schule“ und nachts „in den Informatikkathedralen“ der Seiten, die er besucht... Seine Entdeckungen sind der Anfang dessen, was später das Projekt Wikileaks werden sollte.

Julian sagt von seinem Computer, dass er sehr bald „sein Gewissen“ wurde. Wie ist das zu verstehen? Die „Auflösung des Ego“ des Hackers, der sich mittels Pseudonym unkenntlich macht, lässt an der Stelle eine neue Bewusstseinsform entstehen. Die so anonymisierten Hacker sind untereinander verbunden. Sie formen einen Schwarm, der Wissen schafft (die bei ihren Hacks gesammelten Informationen), und eine kollektive Identität entsteht. Diese gehört nicht zu ihrem Namen, sondern zu ihrer Ethik und ihrer Aktion im Internet.


Quellen:

Underground, Juliette Dreyfus & Julian Assange, Canongate Books Ltd, 2012
Lien online: https://wikispooks.com/wiki/File:Underground.pdf
The most dangerous man in the world, Andrew Fowler, Skyhorse Publishing, 2011
The unauthorized autobiography, Julian Assange, Canongate Books Ltd, 2011

Mehr wissen:

Hackers, Steven Levy, broché, 2002


Link zu Folge 1: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27664
Link zu Folge 3: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27666


Siehe auch:

In einer Zeit, in der unter dem Deckmantel der Gesundheitsvorsorge eine ungeahnte digitale Überwachungsstruktur etabliert wird, fehlt WikiLeaks
Julian Assange: dem kommenden Überwachungsregime trotzen!
Von Erich Sturm
NRhZ 777 vom 22.09.2021
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27648

Online-Flyer Nr. 777  vom 23.09.2021

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