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WANTED - Julian Assange, ein Leben
Folge 3: EIN ELEKTRONISCHES PEARL HARBOUR
Von Delphine Noels (Belgium4Assange) in Zusammenarbeit mit Marc Molitor, Pascale Vielle und Bogdan Zamfir - ins Deutsche übersetzt von Claudia Daseking

Ab Ende Oktober 2021 geht es in London wieder um den Antrag der USA auf Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Am 27. Oktober 2021 wird das Berufungsgericht zum ersten Mal tagen. Die Zeit bis dahin begleitet die NRhZ mit einem CountDown von 34 Folgen über das Leben von Julian Assange. Sie wiederholt damit den Countdown von Belgium4Assange, der zum 4. Januar 2021 führte, als die britische Justiz ihr Urteil im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange in der ersten Instanz gesprochen hatte. Belgium4Assange schrieb dazu: "Was steht bei diesem Prozess auf dem Spiel? Inwiefern betrifft uns das persönlich? Schwierig, hierzu klare Vorstellungen zu haben, da so viele Falschmeldungen und Desinformationen kursieren... Tag für Tag zeichnen wir seinen Weg voller Überraschungen und Enthüllungen nach und richten den Blick auf die näheren Umstände einer der fundamentalsten Kämpfe unserer Zeit." (Auf der website pour.press auf Französisch nachzulesen). Hier jetzt Folge 3:


Die kleine australische Hackercommunity, zu der Julian Assange gehört, ist bald an der Spitze des weltweiten Hacking. Ihr Name, „The Realm“, stammt von einer Bar in Melbourne, wo sich einige Mitglieder gerne einfinden. Ihre Hacks werden immer ausgeklügelter und mutiger. Sie schrecken nicht einmal davor zurück, mit den staatlichen Behörden Katz und Maus zu spielen. Sehr schnell werden sie zur Nummer eins der ganzen Welt. 1989 gehen sie soweit, zu verursachen,  was die amerikanische Presse das „elektronische Pearl Harbor“ nennen wird.



Es ist der 16.Oktober 1989, der Vorabend des Starts von Galileo, der Raumsonde, die mit dem Raumtransporter Atlantis starten soll. Ihre Mission ist es, bis zum Jupiter und seinen Monden zu fliegen, um diese zu erforschen. Im Goddard Raumfahrtzentrum Greenbelt, Maryland stehen die Mannschaften auf den Startblöcken und der Countdown läuft. Billionen Dollar wurden in dieses Projekt investiert... Draußen vor dem Zentrum finden Demonstrationen statt. Das Projekt ist sehr umstritten, weil Galileo eine atombetriebene Sonde ist. Der Startbereich wird von 200 Polizisten gesichert.

Am Vorabend des Starts wird die NASA in einen Zustand totaler Verblüffung versetzt. Die Informatiker fahren ihre Computer hoch und entdecken, wie ein seltsames Banner auf ihren Bildschirmen erscheint: Worms against nuclear killers - .Your system was officially wanked...“ Was konnte diese Message bedeuten? Die Computer waren mit „Anti-Atomwürmern infiziert? Ihr System war „wanked“? Dieses Wort hatte im Englischen keine Bedeutung... Da die Mitarbeiter merkten, dass die „Würmer“ sich vermehrten und in den Netzen der NASA verbreiteten, versuchten sie, die Situation in den Griff zu kriegen und sich nicht von Panik überwältigen zu lassen. .. Bald sind das US-Energie-Ministerium, das CERN in der Schweiz und das RIKEN in Japan gleichermaßen betroffen... Auf ihrem Weg informierten die Würmer die User, dass ihre Dateien gelöscht waren und die Passwörter zu ihren Konten verändert, damit sie keinen Zugang mehr hätten... Sie hinterließen Messages wie: „Remember, even if you win the rat race – you are still a rat“ oder „The FBI is watching you“ oder auch „Vote Anarchist“. Die Würmer werden von einem Bug gefolgt, der etwas ausgeklügelter ist und OILZ heißt... Eine Weile lang hat die NASA ihr Informatiksystem nicht mehr unter Kontrolle.

Der erste Angriff eines Computerwurms mit einer politischen Botschaft hatte stattgefunden. Zum Glück für die NASA-Belegschaft hatte sich dieser Angriff damit zufrieden gegeben, eine Message abzusetzen und seine Macht zu demonstrieren, bevor er verschwand. Nach einer Weile haben sich die Würmer zerlegt, die verschwundenen Daten sind wieder aufgetaucht, und die Mitarbeiter haben ihr Computersystem unbeschadet wieder vorgefunden, so dass der Start der Sonde statt finden konnte.

Acht Monate nach dem Hack werden Phoenix (18 Jahre alt) und Electron (20 Jahre alt, Foto siehe unten), beides Mitglieder von The Realm, in Melbourne verhaftet. Ihre Verhaftung wurde dadurch ermöglicht, dass einer von ihnen, Phoenix, die New York Times anrief, um sich ihrer freibeuterischen Großtaten zu rühmen. Der Prozess gegen Phoenix und Electron war der erste große Prozess in Australien wegen Computervergehen. Die beiden Jungen wurden wegen dieses Vergehens schuldig gesprochen wie auch für andere Hacks. Sie werden zu Hunderten von Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt.

In welcher Weise waren Julian Assange oder andere Mitglieder von Realm in diesem Angriff verwickelt? Niemand weiß es. Bis heute weiß man nicht, wer das Programm für die Würmer kodiert hat. Wir stellen jedoch fest, dass Julian in einem Artikel, den er in dem linken Magazin „CounterPunch veröffentlichte, erklärt, dass der Angriff des Wurms WANK den Ursprung des Hacktivismus darstellt. In einem Dokumentarfilm des schwedischen Fernsehens namens WikiRebels, der mit seiner Mitarbeit entsteht, gibt es mehrere Anspielungen auf seine Verantwortlichkeit.

Die Hackercommunity ist von nun an im Fadenkreuz der Staaten. Der Prozess der Kriminalisierung von Hacking kommt in Gang. Gesetze dazu werden geschaffen und füllen das juristische Vakuum. Die jungen Hacker fallen der Polizei einer nach dem anderen in die Hände... Julian erzählt, dass er beim Prozess gegen Phoenix und Elektron half. Am letzten Tag des Prozesses, als der Richter sein Urteil gesprochen hatte, ging Julian auf Phoenix zu, um ihm zu gratulieren. Phoenix, der diesen ja noch nie in Realität gesehen hatte, bedankte sich und fragte ihn dann, ob er ihn kenne. „Do I know you?“ Julian antwortete ihm „Sort of. Irgendwie schon. I'm about to go through what you did, but worse. Ich werde das auch durchmachen, was du durchgemacht hast, aber schlimmer.


Quellen:

Diese Wurmattacke auf die NASA wird im Detail erzählt im Buch Underground, Juliette Dreyfus & Julian Assange, Canongate Books Ltd, 2012
The most dangerous man in the world, Andrew Fowler, Skyhorse Publishing, 2011
Artikel in der Zeitschrift, Hack to the Futur, erschienen Mai 2003:
https://www.theage.com.au/national/hack-to-the-future-20030525-gdvriu.html
Artikel New York Times erschienen nach der Selbstanzeige von Phoenix:
https://www.nytimes.com/1990/03/21/us/caller-says-he-broke-computers-barriers-to-taunt-the-experts.html
Weiterer Artikel über den Angriff auf die NASA:
https://www.muckrock.com/news/archives/2019/may/14/nasa-wank-worm/
Dokumentarfilm WikiRebels:
https://www.youtube.com/watch?v=NGQSkcLyrbo
The curious origins of political hacktivism, Julian Assange. Counterpunch.org
https://www.counterpunch.org/2006/11/25/the-curious-origins-of-political-hacktivism/


Wer mehr wissen will:

L’Utopie déchue, Une contre histoire d’Internet, Felix Tréguer, Fayard, 2019
Link zu einem Dokumentarfilm über The Realm: https://www.youtube.com/watch?v=fbmB8rOIilc
Es existiert auch ein Spielfilm darüber: In the Realm of the Hackers, Kevin Anderson, (Film Australia, 2002, 55 minutes).
Ein Buch über die Jagd auf die jungen Hacker: Hackers: The Hunt for Australia’s Most Infamous Computer Cracker, Apro, Bill; Hammond, Graeme, Five Mile Press, 2005
Hört auch die Podcast-Episoden 47 & 48 von Malicious Life, https://malicious.life/episode/episode-47/
À propos de Galileo: https://www.wikiwand.com/fr/Galileo_(sonde_spatiale)


Link zu Folge 2: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27665
Link zu Folge 4: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27667



Siehe auch:

In einer Zeit, in der unter dem Deckmantel der Gesundheitsvorsorge eine ungeahnte digitale Überwachungsstruktur etabliert wird, fehlt WikiLeaks
Julian Assange: dem kommenden Überwachungsregime trotzen!
Von Erich Sturm
NRhZ 777 vom 22.09.2021
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27648

Online-Flyer Nr. 777  vom 24.09.2021

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