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Globales
Putschversuch in Kasachstan
Soll Russland ein weiteres Mal provoziert werden?
Von Wolfgang Effenberger
Am 30. Dezember 2021 führten die Präsidenten Biden und Putin ein Telefongespräch, in dessen Mittelpunkt die Umsetzung der Vereinbarung über die Aufnahme von Verhandlungen über den von Putin am 17. Dezember 2021 veröffentlichten Entwurf eines bilateralen Vertrags mit Washington über Gewährung rechtsverbindlicher Sicherheitsgarantien für Russland stand. Dieser Vertrag sieht Garantien für den Frieden vor. Am 17. Dezember 2021 hatte Moskau einen Entwurf eines bilateralen Vertrags mit Washington veröffentlicht, welcher Garantien für den Frieden vorsieht, sowie den Entwurf eines Abkommens zu dessen Umsetzung. (1) Russlands Absichten zielen insgesamt darauf hin, die USA zur Einhaltung der Charta der Vereinten Nationen zu bewegen. In ihrem Gespräch Ende Dezember kamen beide Staatsoberhäupter überein, einen ernsthaften und substanziellen Dialog über diese Fragen zu führen. Die Verhandlungen sollen am 10. Januar in Genf und dann im Rahmen des Russland-NATO-Rates am 12. Januar in Brüssel stattfinden – am 13. Januar sollen die Verhandlungen mit der OSZE folgen. Drei Tage nach dem hoffnungsvollen Gespräch brachen am 2. Januar 2022 im Westen Kasachstans Proteste aus, nachdem sich die Regierung weigerte, die Preise für Flüssiggastreibstoff weiterhin durch Subventionen niedrig zu halten. (2)
Die Verdoppelung des Preises (von 60Tenge/0,12Euro auf 120 Tenge/0,24 EUR pro Liter verflüssigtes Erdgas) soll die Bürger auf die Straße gebracht haben. Obwohl der kasachische Präsident Qassym-Schomart Toqajew die Gaspreise deckelte, kam das Land nicht zur Ruhe. In der Folge drangen Demonstranten in die Büros der Regierungspartei Nur Otan ein, übernahmen die Kontrolle über zahlreiche öffentliche Gebäude Kasachstans, setzten sie teilweise in Brand, etwa das Bürgermeisteramt in Almaty, stürmten nationale Fernsehsender, zerstörten Militärfahrzeuge und entwaffneten Soldaten.
Am Nachmittag des 5. Januar wurde von der Nachrichtenagentur Reuters und dem unabhängigen Telegram-Kanal Orda gemeldet, dass Demonstranten den Flughafen der wichtigen Wirtschaftsstadt Almaty im Süden des Landes besetzt hätten. (3)
Am Abend des gleichen Tages bat Kasachstans Präsident die von Russland geführte „Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit“ (OVKS) gegen eine terroristische Bedrohung um Beistand. Das Sicherheitsbündnis – Russland, Kirgisistan, Armenien, Weißrussland und Tadschikistan – schickte zum Schutz der Regierung Armeeangehörige in die ehemalige Sowjetrepublik. Schon am nächsten Tag trafen auf dem inzwischen befreiten Flugplatz von Almaty 2.500 Soldaten aus dem Bündnis ein. Angesichts der brisanten Situation in der Ukraine ist diese schnelle Reaktion kaum verwunderlich. Während China den kasachischen Präsidenten Qassym-Schomart Toqajew unterstützte und erklärte, dass von externen Kräften inspirierte Farbrevolutionen inakzeptabel seien, äußerte sich der Westen erwartungsgemäß besorgt über die Entsendung von OVKS-Truppen.
Bereits in den Nachtstunden des 7. Januar waren in Almaty das Stadtzentrum und alle Verwaltungsgebäude mit Ausnahme eines der Krankenhäuser vollständig unter Kontrolle der staatlichen Sicherheitskräfte. Insgesamt gab es Dutzende Tote auf beiden Seiten, ca. 1.000 Verletzte und ca. 4.000 Festnahmen. (4)
Unter dem Verdacht, Hochverrat begangen zu haben, wurde der ehemalige Chef des kasachischen Inlandsgeheimdienstes, Karim Masimov, nachdem er schon vorher im Zuge der gewaltsamen Protesten entlassen worden war, festgenommen. (5)
Am 7. Oktober kommentierte US-Außenminister Antony Blinken die angespannte Situation in Kasachstan. Dabei hinterfragte er die Rolle der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) und warnte die kasachische Führung vor Hilfe aus Russland:
"Eine Lektion der jüngsten Geschichte ist, dass sich die Russen, wenn sie einmal in deinem Haus sind, mitunter nur sehr schwierig loswerden lassen." (6)
Wenige Stunden später bezeichnete das russische Außenministerium diese Äußerung von Blinken als "rüpelhaft" und "giftig", verteidigte den OVKS-Einsatz in Kasachstan und nannte ihn völlig legitim. Gleichzeitig wiesen die russischen Diplomaten den US-Außenminister auf ihre Lektionen der Geschichte hin:
"Wenn US-Amerikaner in deinem Haus aufgetaucht sind, ist es manchmal schwer, am Leben zu bleiben, ohne ausgeraubt und vergewaltigt zu werden." (7)
Das sei die Lehre aus der 300 Jahre langen Geschichte des US-Staates. Die Urbewohner des nordamerikanischen Kontinents, die Koreaner, die Vietnamesen, die Iraker, die Panamaer, die Jugoslawen, die Libyer, die Syrer und viele andere Unglückliche, in deren Häusern sich dieser ungebetene Gast eingefunden habe, hätten diese Erfahrungen gemacht. (8)
Am 9. Januar teilte das kasachische Innenministerium mit, dass bei den schweren Unruhen in landesweit über 5000 Menschen festgenommen wurden. Ihnen werde unter anderem die Zerstörung von mehr als 100 Einkaufszentren oder Bankgebäuden zur Last gelegt, sagte der amtierende Innenminister Erlan Turgumbajew dem TV-Sender Chabar 24. (9) Während der Unruhen seien etwa 400 Fahrzeuge zerstört worden, die meisten davon Polizeiwagen. Für Montag, den 10. Januar 2022, ordnete Präsident Kasym-Schomart Tokajew einen Tag Staatstrauer an. Der landesweite Ausnahmezustand soll bis zum 19. Januar gelten.
Die frühe Einschätzung Chinas, dass es sich bei den gewaltsamen Protesten um den Versuch einer „farbigen Revolution“ handelt, scheint noch untertrieben zu sein. Der gezielte Angriff auf den Staat und die Bereitschaft, schon in einem sehr frühen Stadium brachiale Gewalt anzuwenden, lässt auf einen gelenkten Putschversuch schließen. Wie in der Ukraine waren nationalistische Gruppierungen am Werk, die gut vorbereitet die Aktionen durchführten. Nicht auszuschließen, dass sie von ehemaligen Afghanistankämpfern unterstützt wurden.
Wer hätte ein Interesse am Umsturz in Kasachstan? Kasachstans Nordgrenze zu Russland ist über 7000 Kilometer lang und die Südostgrenze zu China ist knapp 1.600 Kilometer lang. So ist die Situation in Kasachstan sowohl für die innere als auch für die äußere Sicherheit Russlands und Chinas von entscheidender Bedeutung. Für einen Krieg gegen Russland und China ist dagegen Kasachstan ein strategisch wichtiger „Flugzeugträger“.
Im US-Langzeitstrategiepapier TRADOC 525-3-1 „Win in a Complex World 2020-2040“ (2014) wird die Bedrohung durch Russland und China an erster Stelle genannt – eine Bedrohung, die abgebaut werden muss. Was der Abbau einer Bedrohung für Streitkräfte bedeutet, muss wohl nicht näher erklärt werden.
Nach Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation und der Sowjetunion erstellten die USA im August 1994 das TRADOC-Papier 525-5 „A Concept fort he Evolution of Full-Dominance Operations for the Strategic Army of the Early Twenty-First Century
(Ein Konzept für die Entwicklung von Operationen mit voller Dominanz für die strategische Armee des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts). (10)
Danach sollte sich der Übergang vom 20. in das 21. Jahrhundert über zwei Dekaden (von 1990 bis 2010) unter Anwendung der Schritte Aufruhr (Turmoil), Krise (Crisis), Konflikt (Conflict) und schließlich Krieg vollziehen. Dieses Drehbuch konnte man vom Irak bis in die Ukraine beobachten. Instrumente für die provozierten Umstürze sind die dynamischen Kräfte (Dynamik Forces at Work) mit dem Ziel der geostrategischen Ausrichtung. Für diese Politik wurde das Werkzeug "Operations Other Than War" geschaffen:
(Zum Vergrößern hier klicken)
Mit den alternativen Operationen (oberer Kreis OOTW) kann es dann in die regionalen Konflikte (linker Kreis) und sogar in einen großen Krieg gehen (rechter Kreis). Und alle drei Kreise haben eine gemeinsame Schnittmenge! Zu den einem Krieg vorgeschobenen Operationen zählen:
(Zum Vergrößern hier klicken)
Die Palette reicht von den Hilfsmaßnahmen in Somalia/Bosnien/Nordirland über den Kampf (gegen Infanterie) in Afghanistan bis hin zum Kampf zwischen komplexen, anpassungsfähigen Kräften und gepanzerten Mech-Kräften wie im Irak (Operation "Desert Storm").
Seit 30 Jahren versuchen die USA mit allen Mitteln, ihre unipolare Weltvorstellung umzusetzen. Nach dem Umsturz in der Ukraine 2014 hat sich Russland nicht mehr provozieren lassen und stattdessen Mitte Dezember 2021 in einem ungewöhnlichen Schritt seine Wünsche in zwei unterschriftsreifen Verträgen an die USA und die Nato übermittelt.
John Herbst, der während der Orangenen Revolution 2004 amerikanischer Botschafter in der Ukraine war, macht allerdings klar: „Moskaus Forderungen sind einfach inakzeptabel“. (11)
Am 10. Januar 2022 beginnen die Gespräche zwischen der stellvertretenden US-Außenministerin Wendy Sherman und ihrem russischen Amtskollegen Sergei Rjabkow in Genf, Brüssel und Wien. Im Vorfeld der russisch-amerikanischen Gespräche hat John Herbst schnellere Waffenlieferungen an die Ukraine gefordert. Der ehemalige amerikanische Botschafter in Kiew glaubt, dass die Krise in Kasachstan die Ukraine retten könnte. (12)
Nun scheint jedoch der Putsch niedergeschlagen zu sein; somit könnte Putin sogar gestärkt in die Verhandlungen gehen. Hoffen wir, dass die Gespräche dem Frieden dienen.
Fußnoten:
1) “Draft Treaty betweeen the USA and Russia on Security Guarantees“ Voltaire Network vom 17 December 2021
https://www.voltairenet.org/article215162.html
2) https://de.rt.com/international/129474-wie-proteste-in-kasachstan-gewalttaetig-wurden/
3) https://www.spiegel.de/ausland/kasachstan-demonstranten-besetzen-flughafen-in-almaty-a-b6812d2e-3d0a-4450-aaf5-6cfed6e9fb36
4) https://de.rt.com/asien/129430-live-ticker-zur-krise-in-kasachstan-ausnahmezustand-ganzen-land/
5) https://www.n-tv.de/der_tag/Kasachstan-Ex-Sicherheitschef-wegen-Landesverrats-festgenommen-article23044603.html;
https://azertag.az/de/...
6) https://de.rt.com/asien/129628-russland-weist-us-kritik-an/
7) https://de.rt.com/asien/129628-russland-weist-us-kritik-an/
8) Vgl. ebd.
9) https://www.nzz.ch/international/putin-laesst-in-den-ukraine-gespraechen-mit-biden-kaum-spielraum-ld.1663573
10) https://www.help4you.info/pdf/19940801_TRADOC_Pamphlet_525-5.pdf
11) https://www.nzz.ch/international/putin-laesst-in-den-ukraine-gespraechen-mit-biden-kaum-spielraum-ld.1663573
12) https://www.nzz.ch/international/putin-laesst-in-den-ukraine-gespraechen-mit-biden-kaum-spielraum-ld.1663573
Online-Flyer Nr. 784 vom 12.01.2022
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Putschversuch in Kasachstan
Soll Russland ein weiteres Mal provoziert werden?
Von Wolfgang Effenberger
Am 30. Dezember 2021 führten die Präsidenten Biden und Putin ein Telefongespräch, in dessen Mittelpunkt die Umsetzung der Vereinbarung über die Aufnahme von Verhandlungen über den von Putin am 17. Dezember 2021 veröffentlichten Entwurf eines bilateralen Vertrags mit Washington über Gewährung rechtsverbindlicher Sicherheitsgarantien für Russland stand. Dieser Vertrag sieht Garantien für den Frieden vor. Am 17. Dezember 2021 hatte Moskau einen Entwurf eines bilateralen Vertrags mit Washington veröffentlicht, welcher Garantien für den Frieden vorsieht, sowie den Entwurf eines Abkommens zu dessen Umsetzung. (1) Russlands Absichten zielen insgesamt darauf hin, die USA zur Einhaltung der Charta der Vereinten Nationen zu bewegen. In ihrem Gespräch Ende Dezember kamen beide Staatsoberhäupter überein, einen ernsthaften und substanziellen Dialog über diese Fragen zu führen. Die Verhandlungen sollen am 10. Januar in Genf und dann im Rahmen des Russland-NATO-Rates am 12. Januar in Brüssel stattfinden – am 13. Januar sollen die Verhandlungen mit der OSZE folgen. Drei Tage nach dem hoffnungsvollen Gespräch brachen am 2. Januar 2022 im Westen Kasachstans Proteste aus, nachdem sich die Regierung weigerte, die Preise für Flüssiggastreibstoff weiterhin durch Subventionen niedrig zu halten. (2)
Die Verdoppelung des Preises (von 60Tenge/0,12Euro auf 120 Tenge/0,24 EUR pro Liter verflüssigtes Erdgas) soll die Bürger auf die Straße gebracht haben. Obwohl der kasachische Präsident Qassym-Schomart Toqajew die Gaspreise deckelte, kam das Land nicht zur Ruhe. In der Folge drangen Demonstranten in die Büros der Regierungspartei Nur Otan ein, übernahmen die Kontrolle über zahlreiche öffentliche Gebäude Kasachstans, setzten sie teilweise in Brand, etwa das Bürgermeisteramt in Almaty, stürmten nationale Fernsehsender, zerstörten Militärfahrzeuge und entwaffneten Soldaten.
Am Nachmittag des 5. Januar wurde von der Nachrichtenagentur Reuters und dem unabhängigen Telegram-Kanal Orda gemeldet, dass Demonstranten den Flughafen der wichtigen Wirtschaftsstadt Almaty im Süden des Landes besetzt hätten. (3)
Am Abend des gleichen Tages bat Kasachstans Präsident die von Russland geführte „Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit“ (OVKS) gegen eine terroristische Bedrohung um Beistand. Das Sicherheitsbündnis – Russland, Kirgisistan, Armenien, Weißrussland und Tadschikistan – schickte zum Schutz der Regierung Armeeangehörige in die ehemalige Sowjetrepublik. Schon am nächsten Tag trafen auf dem inzwischen befreiten Flugplatz von Almaty 2.500 Soldaten aus dem Bündnis ein. Angesichts der brisanten Situation in der Ukraine ist diese schnelle Reaktion kaum verwunderlich. Während China den kasachischen Präsidenten Qassym-Schomart Toqajew unterstützte und erklärte, dass von externen Kräften inspirierte Farbrevolutionen inakzeptabel seien, äußerte sich der Westen erwartungsgemäß besorgt über die Entsendung von OVKS-Truppen.
Bereits in den Nachtstunden des 7. Januar waren in Almaty das Stadtzentrum und alle Verwaltungsgebäude mit Ausnahme eines der Krankenhäuser vollständig unter Kontrolle der staatlichen Sicherheitskräfte. Insgesamt gab es Dutzende Tote auf beiden Seiten, ca. 1.000 Verletzte und ca. 4.000 Festnahmen. (4)
Unter dem Verdacht, Hochverrat begangen zu haben, wurde der ehemalige Chef des kasachischen Inlandsgeheimdienstes, Karim Masimov, nachdem er schon vorher im Zuge der gewaltsamen Protesten entlassen worden war, festgenommen. (5)
Am 7. Oktober kommentierte US-Außenminister Antony Blinken die angespannte Situation in Kasachstan. Dabei hinterfragte er die Rolle der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) und warnte die kasachische Führung vor Hilfe aus Russland:
"Eine Lektion der jüngsten Geschichte ist, dass sich die Russen, wenn sie einmal in deinem Haus sind, mitunter nur sehr schwierig loswerden lassen." (6)
Wenige Stunden später bezeichnete das russische Außenministerium diese Äußerung von Blinken als "rüpelhaft" und "giftig", verteidigte den OVKS-Einsatz in Kasachstan und nannte ihn völlig legitim. Gleichzeitig wiesen die russischen Diplomaten den US-Außenminister auf ihre Lektionen der Geschichte hin:
"Wenn US-Amerikaner in deinem Haus aufgetaucht sind, ist es manchmal schwer, am Leben zu bleiben, ohne ausgeraubt und vergewaltigt zu werden." (7)
Das sei die Lehre aus der 300 Jahre langen Geschichte des US-Staates. Die Urbewohner des nordamerikanischen Kontinents, die Koreaner, die Vietnamesen, die Iraker, die Panamaer, die Jugoslawen, die Libyer, die Syrer und viele andere Unglückliche, in deren Häusern sich dieser ungebetene Gast eingefunden habe, hätten diese Erfahrungen gemacht. (8)
Am 9. Januar teilte das kasachische Innenministerium mit, dass bei den schweren Unruhen in landesweit über 5000 Menschen festgenommen wurden. Ihnen werde unter anderem die Zerstörung von mehr als 100 Einkaufszentren oder Bankgebäuden zur Last gelegt, sagte der amtierende Innenminister Erlan Turgumbajew dem TV-Sender Chabar 24. (9) Während der Unruhen seien etwa 400 Fahrzeuge zerstört worden, die meisten davon Polizeiwagen. Für Montag, den 10. Januar 2022, ordnete Präsident Kasym-Schomart Tokajew einen Tag Staatstrauer an. Der landesweite Ausnahmezustand soll bis zum 19. Januar gelten.
Die frühe Einschätzung Chinas, dass es sich bei den gewaltsamen Protesten um den Versuch einer „farbigen Revolution“ handelt, scheint noch untertrieben zu sein. Der gezielte Angriff auf den Staat und die Bereitschaft, schon in einem sehr frühen Stadium brachiale Gewalt anzuwenden, lässt auf einen gelenkten Putschversuch schließen. Wie in der Ukraine waren nationalistische Gruppierungen am Werk, die gut vorbereitet die Aktionen durchführten. Nicht auszuschließen, dass sie von ehemaligen Afghanistankämpfern unterstützt wurden.
Wer hätte ein Interesse am Umsturz in Kasachstan? Kasachstans Nordgrenze zu Russland ist über 7000 Kilometer lang und die Südostgrenze zu China ist knapp 1.600 Kilometer lang. So ist die Situation in Kasachstan sowohl für die innere als auch für die äußere Sicherheit Russlands und Chinas von entscheidender Bedeutung. Für einen Krieg gegen Russland und China ist dagegen Kasachstan ein strategisch wichtiger „Flugzeugträger“.
Im US-Langzeitstrategiepapier TRADOC 525-3-1 „Win in a Complex World 2020-2040“ (2014) wird die Bedrohung durch Russland und China an erster Stelle genannt – eine Bedrohung, die abgebaut werden muss. Was der Abbau einer Bedrohung für Streitkräfte bedeutet, muss wohl nicht näher erklärt werden.
Nach Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation und der Sowjetunion erstellten die USA im August 1994 das TRADOC-Papier 525-5 „A Concept fort he Evolution of Full-Dominance Operations for the Strategic Army of the Early Twenty-First Century
(Ein Konzept für die Entwicklung von Operationen mit voller Dominanz für die strategische Armee des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts). (10)
Danach sollte sich der Übergang vom 20. in das 21. Jahrhundert über zwei Dekaden (von 1990 bis 2010) unter Anwendung der Schritte Aufruhr (Turmoil), Krise (Crisis), Konflikt (Conflict) und schließlich Krieg vollziehen. Dieses Drehbuch konnte man vom Irak bis in die Ukraine beobachten. Instrumente für die provozierten Umstürze sind die dynamischen Kräfte (Dynamik Forces at Work) mit dem Ziel der geostrategischen Ausrichtung. Für diese Politik wurde das Werkzeug "Operations Other Than War" geschaffen:
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Mit den alternativen Operationen (oberer Kreis OOTW) kann es dann in die regionalen Konflikte (linker Kreis) und sogar in einen großen Krieg gehen (rechter Kreis). Und alle drei Kreise haben eine gemeinsame Schnittmenge! Zu den einem Krieg vorgeschobenen Operationen zählen:
- Civil Support (Zivile Unterstützung)
- Disaster Relief (Katastrophenhilfe)
- Peace Operations (Friedenseinsätze)
- Counterinsurgency (Aufstandsbekämpfung)
- Arms Control (Rüstungskontrolle)
- Conterterrorism (Konterterrorismus)
- Environmental Operations (Umweltbezogene Operationen)
- Noncombatant Evacutation (Evakuierung von Nichtkombattanten)
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Die Palette reicht von den Hilfsmaßnahmen in Somalia/Bosnien/Nordirland über den Kampf (gegen Infanterie) in Afghanistan bis hin zum Kampf zwischen komplexen, anpassungsfähigen Kräften und gepanzerten Mech-Kräften wie im Irak (Operation "Desert Storm").
Seit 30 Jahren versuchen die USA mit allen Mitteln, ihre unipolare Weltvorstellung umzusetzen. Nach dem Umsturz in der Ukraine 2014 hat sich Russland nicht mehr provozieren lassen und stattdessen Mitte Dezember 2021 in einem ungewöhnlichen Schritt seine Wünsche in zwei unterschriftsreifen Verträgen an die USA und die Nato übermittelt.
John Herbst, der während der Orangenen Revolution 2004 amerikanischer Botschafter in der Ukraine war, macht allerdings klar: „Moskaus Forderungen sind einfach inakzeptabel“. (11)
Am 10. Januar 2022 beginnen die Gespräche zwischen der stellvertretenden US-Außenministerin Wendy Sherman und ihrem russischen Amtskollegen Sergei Rjabkow in Genf, Brüssel und Wien. Im Vorfeld der russisch-amerikanischen Gespräche hat John Herbst schnellere Waffenlieferungen an die Ukraine gefordert. Der ehemalige amerikanische Botschafter in Kiew glaubt, dass die Krise in Kasachstan die Ukraine retten könnte. (12)
Nun scheint jedoch der Putsch niedergeschlagen zu sein; somit könnte Putin sogar gestärkt in die Verhandlungen gehen. Hoffen wir, dass die Gespräche dem Frieden dienen.
Fußnoten:
1) “Draft Treaty betweeen the USA and Russia on Security Guarantees“ Voltaire Network vom 17 December 2021
https://www.voltairenet.org/article215162.html
2) https://de.rt.com/international/129474-wie-proteste-in-kasachstan-gewalttaetig-wurden/
3) https://www.spiegel.de/ausland/kasachstan-demonstranten-besetzen-flughafen-in-almaty-a-b6812d2e-3d0a-4450-aaf5-6cfed6e9fb36
4) https://de.rt.com/asien/129430-live-ticker-zur-krise-in-kasachstan-ausnahmezustand-ganzen-land/
5) https://www.n-tv.de/der_tag/Kasachstan-Ex-Sicherheitschef-wegen-Landesverrats-festgenommen-article23044603.html;
https://azertag.az/de/...
6) https://de.rt.com/asien/129628-russland-weist-us-kritik-an/
7) https://de.rt.com/asien/129628-russland-weist-us-kritik-an/
8) Vgl. ebd.
9) https://www.nzz.ch/international/putin-laesst-in-den-ukraine-gespraechen-mit-biden-kaum-spielraum-ld.1663573
10) https://www.help4you.info/pdf/19940801_TRADOC_Pamphlet_525-5.pdf
11) https://www.nzz.ch/international/putin-laesst-in-den-ukraine-gespraechen-mit-biden-kaum-spielraum-ld.1663573
12) https://www.nzz.ch/international/putin-laesst-in-den-ukraine-gespraechen-mit-biden-kaum-spielraum-ld.1663573
Online-Flyer Nr. 784 vom 12.01.2022
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