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Sport
Die Ästhetisierung zugemüllter Stadien diffundiert
Kunstlederwelten
von Herrmann
"Fußball hat Konjunktur, und das nicht nur seit dem atemberaubenden neuen Stadion von Herzog/De Meuron, der Allianz Arena in München. Auch in intellektuellen und künstlerischen Kreisen kann man sich seit einigen Jahren ohne schalen oder hemdsärmeligen Beigeschmack bekennen: Fußball macht Spaß, Fußball ist interessant, an Fußball scheiden sich die Geister. Und Fußball hat mittlerweile aber auch viel mit Macht zu tun und darüber lässt sich ganz unterschiedlich diskutieren und streiten."
Schön, liebe Intellektuelle und Künstler, dass ihr mit der Konjunktur geht. Der Sport hatte ja lange genug auf euch warten müssen. Im Kielwasser der WM werden so allerhand Langzeitexperten an die Oberfläche gespült, die scheinbar nur auf die richtige Gelegenheit warteten, sich zu ihrer großen Liebe Fußball zu bekennen.
Das einleitende Zitat stammt übrigens aus dem Flyer zur Kunstausstellung "Rundlederwelten", mit der am 20.10. das Programm der DFB Kulturstiftung zur Weltmeisterschaft eröffnet wurde. Da wundert es erst mal wenig, dass der herkömmliche Fußballfan keine anerkennende Beachtung findet, schließlich gehört dieser auch nicht zur Zielgruppe der WM. Sonderbar erscheint es da, dass zu den auf dem Flyer erwähnten Medienpartnern unser aller Lieblingszeitschrift "11 Freunde" gehört. Jene 11 Freunde, die in ihrer Selbstdarstellung versprechen:
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
"11 FREUNDE blickt aus der Kurve aufs Spielfeld und bezieht dabei Position. Für die Fans und für das Spiel."
Habe ich das erste Zitat falsch verstanden? Ich hatte den Eindruck, die Fans werden für den hemdsärmeligen und schalen Beigeschmack verantwortlich gemacht. Um Missverständnisse zu vermeiden, habe ich einen Blick in das Programm der Berliner Festspiele geworfen. Da werden unter anderem Veranstaltungen im Martin-Gropius-Bau, so auch die "Rundlederwelten", angekündigt. Und hier ist noch deutlicher zu lesen, wie das alteingesessene Fußballvolk gesehen wird.
"Noch vor gut zehn Jahren dachte man beim Thema Sport eher an muffige Turnhallen und bei Fußball an prollige Rowdies und zugemüllte Stadien. Das hat sich grundlegend geändert: Fußball ist salonfähig geworden."
Also doch. Klar und deutlich. Das Lumpenproletariat trägt also die Schuld dafür, dass die schöngeistige Elite unseres Landes so lange ihren sehnsüchtigsten Wünschen nach Stadionerlebnissen nicht entsprechen konnte. Zum Glück sind die Verhältnisse heute andere.
"Sport bedeutet heute Lifestyle und bietet eine attraktive und breit anerkannte Bühne nicht nur für das sportliche Ereignis, sondern auch fürs Sehen und Gesehenwerden."
Soweit ist es wirklich schon gekommen. Man müsste sich schon beinahe schämen, diese Entwicklung zu kritisieren. Ein anderer Absatz im Programm der Festspiele trägt die Überschrift "Künstlerinnen und Künstler lieben Fußball". Wie es zu dieser plötzlichen Zuneigung kommt, erklärte die Kuratorin der Ausstellung, Dorothea Strauss, in einem rbb-Interview ganz einleuchtend:
"Die Ästhetisierung des Alltags hat ja auch bei der Ästhetisierung der Fußballstadien jetzt weitergemacht. Also da hat ja auch eine neue Ära begonnen, mit einer ganz neuen Stadionarchitektur. Also dort ist es eben auch sehr spannend, dass Fragen von Style und von Lebensstil und von Fashion durchaus auch dort diffundieren."
Aha, ich glaube, ich habe verstanden. Weil die neuen Stadien so ansehnlich geraten sind, ist der Sport, dem darin nachgegangen wird, für Kulturschaffende so interessant geworden. Ästhetisierung des Alltags, klare Sache. Hätte Hundertwasser die Fassade eines Pornokinos gestaltet, wäre da also ein ähnliches Interesse entstanden. Wäre im Gropuis-Bau dann jetzt die Ausstellung "Ledermaskenwelten" zu sehen? Wohl kaum.
Der wahre Grund, warum die Begeisterung der Freidenker für Fußball zur Zeit so groß ist, ist vielleicht ein ganz anderer. André Heller wollte es so. Irgendwie muss ein Bundeszuschuss von 30 Millionen Euro für ein Kulturprogramm ja gerechtfertigt werden. Wenn das Land der Dichter und Denker die WM ausrichtet, muss man die Abseitsregel nicht notwendigerweise kennen, um sich als Experte seinen Platz unter den Profiteuren zu sichern. Wie paradox dieser Trend ist, scheint kaum jemanden zu stören. Die "Berliner Zeitung" schon:
Szene-Treffpunkt von Salon-Hooligans
Bild: NRhZ-Archiv
"Diese Salon-Hooligans und Länderspielgucker. Wer heute zugibt, dass ihm Fußball egal ist, gilt rasch als asozial. Der Druck wächst. Parallel zur oft beklagten Kommerzialisierung, Medialisierung und Banalisierung des Spiels kommt nun so etwas wie die Artifizierung."
Und diese Artifizierung ist nur ein ganz kleiner Teil vom großen Glück, zu dem wir durch die kommende Weltmeisterschaft gezwungen werden. Vielleicht wird danach ja auch alles wieder gut. Der eine fühlt sich auch ohne Abitur im Stadion wieder wohl, der andere erkennt, dass Boules spielen unter Gleichgesinnten mit einem guten Glas Rotwein mehr Spaß macht, als Bier mit prolligen Rowdies zu trinken. Frau Strauss wird das Eröffnungsspiel von der Ehrentribüne aus verfolgen und sich neunzig Minuten fragen, wer von den Zweiundzwanzig nun dieser Ballack ist. Neben ihr wird die gesamte "11 Freunde"-Redaktion sitzen, da die wahrscheinlich ihr Kontingent an Pressekarten durch die Medienpartnerschaft mit der nationalen DFB Kulturstiftung bedeutend vergrößern konnte. Jeder hat sein Stück vom Kuchen bekommen, und wir hoffen, uns auch künftig noch an den Krümeln, die vom Tisch fallen, laben zu dürfen.
Online-Flyer Nr. 17 vom 09.11.2005
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Sport
Die Ästhetisierung zugemüllter Stadien diffundiert
Kunstlederwelten
von Herrmann
"Fußball hat Konjunktur, und das nicht nur seit dem atemberaubenden neuen Stadion von Herzog/De Meuron, der Allianz Arena in München. Auch in intellektuellen und künstlerischen Kreisen kann man sich seit einigen Jahren ohne schalen oder hemdsärmeligen Beigeschmack bekennen: Fußball macht Spaß, Fußball ist interessant, an Fußball scheiden sich die Geister. Und Fußball hat mittlerweile aber auch viel mit Macht zu tun und darüber lässt sich ganz unterschiedlich diskutieren und streiten."
Schön, liebe Intellektuelle und Künstler, dass ihr mit der Konjunktur geht. Der Sport hatte ja lange genug auf euch warten müssen. Im Kielwasser der WM werden so allerhand Langzeitexperten an die Oberfläche gespült, die scheinbar nur auf die richtige Gelegenheit warteten, sich zu ihrer großen Liebe Fußball zu bekennen.
Das einleitende Zitat stammt übrigens aus dem Flyer zur Kunstausstellung "Rundlederwelten", mit der am 20.10. das Programm der DFB Kulturstiftung zur Weltmeisterschaft eröffnet wurde. Da wundert es erst mal wenig, dass der herkömmliche Fußballfan keine anerkennende Beachtung findet, schließlich gehört dieser auch nicht zur Zielgruppe der WM. Sonderbar erscheint es da, dass zu den auf dem Flyer erwähnten Medienpartnern unser aller Lieblingszeitschrift "11 Freunde" gehört. Jene 11 Freunde, die in ihrer Selbstdarstellung versprechen:
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
"11 FREUNDE blickt aus der Kurve aufs Spielfeld und bezieht dabei Position. Für die Fans und für das Spiel."
Habe ich das erste Zitat falsch verstanden? Ich hatte den Eindruck, die Fans werden für den hemdsärmeligen und schalen Beigeschmack verantwortlich gemacht. Um Missverständnisse zu vermeiden, habe ich einen Blick in das Programm der Berliner Festspiele geworfen. Da werden unter anderem Veranstaltungen im Martin-Gropius-Bau, so auch die "Rundlederwelten", angekündigt. Und hier ist noch deutlicher zu lesen, wie das alteingesessene Fußballvolk gesehen wird.
"Noch vor gut zehn Jahren dachte man beim Thema Sport eher an muffige Turnhallen und bei Fußball an prollige Rowdies und zugemüllte Stadien. Das hat sich grundlegend geändert: Fußball ist salonfähig geworden."
Also doch. Klar und deutlich. Das Lumpenproletariat trägt also die Schuld dafür, dass die schöngeistige Elite unseres Landes so lange ihren sehnsüchtigsten Wünschen nach Stadionerlebnissen nicht entsprechen konnte. Zum Glück sind die Verhältnisse heute andere.
"Sport bedeutet heute Lifestyle und bietet eine attraktive und breit anerkannte Bühne nicht nur für das sportliche Ereignis, sondern auch fürs Sehen und Gesehenwerden."
Soweit ist es wirklich schon gekommen. Man müsste sich schon beinahe schämen, diese Entwicklung zu kritisieren. Ein anderer Absatz im Programm der Festspiele trägt die Überschrift "Künstlerinnen und Künstler lieben Fußball". Wie es zu dieser plötzlichen Zuneigung kommt, erklärte die Kuratorin der Ausstellung, Dorothea Strauss, in einem rbb-Interview ganz einleuchtend:
"Die Ästhetisierung des Alltags hat ja auch bei der Ästhetisierung der Fußballstadien jetzt weitergemacht. Also da hat ja auch eine neue Ära begonnen, mit einer ganz neuen Stadionarchitektur. Also dort ist es eben auch sehr spannend, dass Fragen von Style und von Lebensstil und von Fashion durchaus auch dort diffundieren."
Aha, ich glaube, ich habe verstanden. Weil die neuen Stadien so ansehnlich geraten sind, ist der Sport, dem darin nachgegangen wird, für Kulturschaffende so interessant geworden. Ästhetisierung des Alltags, klare Sache. Hätte Hundertwasser die Fassade eines Pornokinos gestaltet, wäre da also ein ähnliches Interesse entstanden. Wäre im Gropuis-Bau dann jetzt die Ausstellung "Ledermaskenwelten" zu sehen? Wohl kaum.
Der wahre Grund, warum die Begeisterung der Freidenker für Fußball zur Zeit so groß ist, ist vielleicht ein ganz anderer. André Heller wollte es so. Irgendwie muss ein Bundeszuschuss von 30 Millionen Euro für ein Kulturprogramm ja gerechtfertigt werden. Wenn das Land der Dichter und Denker die WM ausrichtet, muss man die Abseitsregel nicht notwendigerweise kennen, um sich als Experte seinen Platz unter den Profiteuren zu sichern. Wie paradox dieser Trend ist, scheint kaum jemanden zu stören. Die "Berliner Zeitung" schon:
Szene-Treffpunkt von Salon-Hooligans
Bild: NRhZ-Archiv
"Diese Salon-Hooligans und Länderspielgucker. Wer heute zugibt, dass ihm Fußball egal ist, gilt rasch als asozial. Der Druck wächst. Parallel zur oft beklagten Kommerzialisierung, Medialisierung und Banalisierung des Spiels kommt nun so etwas wie die Artifizierung."
Und diese Artifizierung ist nur ein ganz kleiner Teil vom großen Glück, zu dem wir durch die kommende Weltmeisterschaft gezwungen werden. Vielleicht wird danach ja auch alles wieder gut. Der eine fühlt sich auch ohne Abitur im Stadion wieder wohl, der andere erkennt, dass Boules spielen unter Gleichgesinnten mit einem guten Glas Rotwein mehr Spaß macht, als Bier mit prolligen Rowdies zu trinken. Frau Strauss wird das Eröffnungsspiel von der Ehrentribüne aus verfolgen und sich neunzig Minuten fragen, wer von den Zweiundzwanzig nun dieser Ballack ist. Neben ihr wird die gesamte "11 Freunde"-Redaktion sitzen, da die wahrscheinlich ihr Kontingent an Pressekarten durch die Medienpartnerschaft mit der nationalen DFB Kulturstiftung bedeutend vergrößern konnte. Jeder hat sein Stück vom Kuchen bekommen, und wir hoffen, uns auch künftig noch an den Krümeln, die vom Tisch fallen, laben zu dürfen.
Online-Flyer Nr. 17 vom 09.11.2005
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