SUCHE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Druckversion
Krieg und Frieden
Zum Krieg in der Ukraine
Hohe Zeit für Profiteure
Von Wolfgang Effenberger
Am Sonntagabend, dem 24. April 2022, machten US-Verteidigungsminister Lloyd Austin und sein Kabinettskollege, US-Außenminister Antony Blinken, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi ihre Aufwartung. Nach Einschätzung von Austin können die Ukrainer gewinnen, „wenn sie die richtige Ausrüstung und die richtige Unterstützung haben.“ (1) Diese Unterstützung wurde von beiden US-Ministern umgehend zugesagt. Russland dagegen müsse weiter geschwächt werden: „Wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass es zu so etwas wie dem Einmarsch in die Ukraine nicht mehr in der Lage ist“, sagte der Pentagon-Chef.
Wenn das das amerikanische Kriegsziel ist, dann wird sich der Krieg noch sehr lange hinziehen, viele Opfer fordern und viel Geld in die Kassen der US-Konzerne spülen. Für jeden ist offensichtlich, dass der große Gewinner der tragischen Entwicklung in Europa die Vereinigten Staaten von Amerika sind. In der Ukraine verbluten Nichtamerikaner für US-Interessen, und die US-Rüstungskonzerne boomen, ebenso wie die US-Energie/Gaskonzerne.
Da die weltgrößten Lieferanten von Weizen – die Ukraine und Russland – wohl künftig ausfallen werden, können die US-Farmer in die Marktlücke springen.
Außerdem stehen die 30 NATO-Staaten geschlossen hinter den USA, wie schon lange nicht mehr. „In nahezu allen Staaten ist das Zwei-Prozent-Ziel erreicht, selbst in Deutschland (Rüstungsausgaben machen 2 % des BIPs aus), was vor ein paar Wochen noch unvorstellbar gewesen ist“, sagte vor kurzem der ehemalige militärpolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Brigadegeneral a.D., Erich Vad. „Insofern ist das für die USA auch ein Vorteil, wenn man die wirtschaftlichen Konsequenzen sieht, aber die grossen Verlierer sind die Europäer, vor allem Deutschland“ (2). Die USA scheinen obendrein konsequent ihrem im Langzeitstrategiepapier TRADOC 525-3-1 (September 2014) festgelegten Ziel „Win in a Complex World 2020-2040“ näherzukommen. (3)
Nur fünf Wochen nach der Vorstellung des TRADOC-Pamphlets Ende Oktober 2014 warnten Roman Herzog, Gerhard Schröder und mehr als 60 andere Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien in dem Aufruf "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" vor einem Krieg und riefen zum Dialog mit Russland auf. (4)
Sie forderten eine neue Entspannungspolitik für Europa. Ihren Appell richteten sie an die Bundesregierung, die Bundestagsabgeordneten und die Medien:
„Wir, die Unterzeichner, appellieren an die Bundesregierung, ihrer Verantwortung für den Frieden in Europa gerecht zu werden. Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik für Europa. Das geht nur auf der Grundlage gleicher Sicherheit für alle und mit gleichberechtigten, gegenseitig geachteten Partnern. Die deutsche Regierung geht keinen Sonderweg, wenn sie in dieser verfahrenen Situation auch weiterhin zur Besonnenheit und zum Dialog mit Russland aufruft. Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer.
Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen. Das wäre unhistorisch, unvernünftig und gefährlich für den Frieden. Seit dem Wiener Kongress 1814 gehört Russland zu den anerkannten Gestaltungsmächten Europas. Alle, die versucht haben, das gewaltsam zu ändern, sind blutig gescheitert – zuletzt das größenwahnsinnige Hitler-Deutschland, das 1941 mordend auszog, auch Russland zu unterwerfen.
Wir appellieren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, als vom Volk beauftragte Politiker, dem Ernst der Situation gerecht zu werden und aufmerksam auch über die Friedenspflicht der Bundesregierung zu wachen. Wer nur Feindbilder aufbaut und mit einseitigen Schuldzuweisungen hantiert, verschärft die Spannungen in einer Zeit, in der die Signale auf Entspannung stehen müssten. Einbinden statt ausschließen muss das Leitmotiv deutscher Politiker sein.
Wir appellieren an die Medien, ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen als bisher. Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen. Jeder außenpolitisch versierte Journalist wird die Furcht der Russen verstehen, seit NATO-Mitglieder 2008 Georgien und die Ukraine einluden, Mitglieder im Bündnis zu werden. Es geht nicht um Putin. Staatenlenker kommen und gehen. Es geht um Europa. Es geht darum, den Menschen wieder die Angst vor Krieg zu nehmen. Dazu kann eine verantwortungsvolle, auf soliden Recherchen basierende Berichterstattung eine Menge beitragen."
Doch eine auf soliden Recherchen basierende Berichterstattung und das Engagement für den Frieden scheinen heute in noch weitere Ferne gerückt zu sein.
Ähnlich war die Situation, als im Mai 1904 die britische Regierung nach dem desaströsen Burenkrieg das "Committee of Imperial Defence" (CID) – einen "Verteidigungsrat" - gründete: Man wollte auf künftige Kriege besser vorbereitet sein. Im Bericht des Gründungskomitees wurde gefordert, dass künftig „eine definitive und auf soliden Daten beruhende Kriegspolitik formuliert werden kann“ (5). Das CID wurde bald zu einem bedeutenden Hintergrund-Gremium der britischen Regierung, es arbeitete bis 1939. Im CID wurde von 1905 an der Aufbau eines Frankreich unterstützenden Expeditionskorps (ca. 160.000 Mann), die Vorbereitung der Blockade Deutschlands und die Einbeziehung der britischen Dominions in die Kriegspläne vorbereitet – alles per Handschlag und am Parlament vorbei.
Der Direktor des CID, Konteradmiral Sir Charles Ottley, schrieb 1908 dem Ersten Seelord, eine Blockade Deutschlands sei während der gesamten drei Jahre seiner Amtszeit als Marinegeheimdienstchef ein ständiges Thema gewesen. Die Admiralität habe den Standpunkt vertreten, das Zusammenspiel aus der geografischen Lage und seiner herausragenden Seemacht gebe England hierzu eine einfache Methode an die Hand. Die Mühlen der Seestreitkräfte würden „die deutsche Industrie sowie die Bevölkerung vielleicht nur langsam ..., aber überaus fein zermahlen. Früher oder später würde Gras auf den Straßen Hamburgs wachsen, Tod und Untergang würde sich ausbreiten“. (6)
Die Akte mit den Kriegsplänen der Admiralität von 1907 enthält sieben Argumente für den Krieg:
Um ungehindert global ausplündern zu können, muss man nationale Strukturen auf Dauer beseitigen. 1914 ging es zunächst darum, die drei großen Dynastien auf dem europäischen Kontinent zu vernichten. Diese Absicht hatte Kardinal John Murphy Farley, Erzbischof von New York, schon früh erkannt. Auf dem Eucharistischen Weltkongress in Lourdes Ende Juli 1914 (22.-26.07.1914) – also nur wenige Stunden vor der Jahrhundertkatastrophe – warnte er: „Der Krieg, der in Vorbereitung ist, wird ein Kampf zwischen dem internationalen Kapital und den regierenden Dynastien sein. Das Kapital wünscht niemanden über sich zu haben, kennt keinen Gott oder Herrn und möchte alle Staaten als großes Bankgeschäft regieren lassen. Ihr Gewinn soll zur alleinigen Richtschnur der Regierenden werden …Business … einzig und allein.“ (8)
Am gleichen Tag nahm in den USA der Karikaturist Charles L. Bartholomew die amerikanischen Kriegsspekulanten in den Blick: Vor einem Rekrutierungsoffizier steht stramm ein riesiger Weizenmann mit der Aufschrift "U.S. Crop".
Ein amerikanischer Rekrut (9)
Der Offizier macht sich auf einem Papier mit der Aufschrift "Recruits World War" Notizen. Auf dem am Boden liegenden Papier ist zu lesen: "Crop Failure Abroad" (Ernteausfall im Ausland). Zeitgenössische Nachrichten berichten über massive Überschüsse in den USA und gestiegene Preise wegen des kommenden Weltkriegs. Die Vorhersage der britischen Admiralität von 1907 war unmittelbar eingetroffen.
So wie damals in Großbritannien bereits 1907 die Zerstörung Deutschlands angedacht wurde, hat US-Präsident Ronald Reagan mit seiner "National Security Decision Directive 54" (NSDD-54/2.September 1982) schon in den achtziger Jahren den Niedergang der Sowjetunion eingeleitet. Mit dieser Direktive wollte Reagan den Sowjetblock destabilisieren, den Warschauer Pakt untergraben und Moskaus Griff auf Osteuropa schwächen:
Mit der Sowjetunion verbündete Regierungen, die vom Sozialismus zurücktraten, liberale Reformen annahmen oder Unabhängigkeit von Moskau zeigten, würden, so versprach Reagan, von amerikanischer Unterstützung profitieren. „Zu den im NSDD-54 aufgelisteten Anreizen gehörten die Gewährung des "most favoured nation"-Status, Zugang zu amerikanischem Kapital und Krediten, die Mitgliedschaft im Internationalen Währungsfonds (IWF), kultureller und wissenschaftlicher Austausch sowie Besuche auf hoher Ebene.“ (10)
Nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 brachen dann in den ehemaligen Sowjetrepubliken die farbigen Revolutionen aus, die ihren Höhepunkt auf dem Maidan 2014 erreichten.
Briten wie US-Amerikaner sehen seit über hundert Jahren in einer möglichen Kooperation von Deutschland und Russland eine große Gefahr. Diesen Zusammenhang sprach am 4. Februar 2015 George Friedman, Gründer und Vorsitzende des führenden privaten US-amerikanischen Think Tanks »STRATFOR«, überraschend deutlich auf dem Chicago Council an.
Die USA hätten keine »Beziehungen« mit Europa, es gebe lediglich bilaterale Beziehungen zu einzelnen Staaten. „Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts, im Ersten und Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland... Seit einem Jahrhundert ist es für die Vereinigen Staaten das Hauptziel, die einzigartige Kombination zwischen deutschem Kapital, deutscher Technologie und russischen Rohstoffressourcen, russischer Arbeitskraft zu verhindern.“ (11)
Wie kann sich vor diesem Hintergrund der deutsche Kanzler Olaf Scholz zum Sprachrohr der USA machen und mit eiserner Miene verkünden: „Russland darf nicht gewinnen“? (12) Um das zu erreichen, will er T-72 Panzer aus Slowenien in die Ukraine liefern, im Gegenzug soll Slowenien Panzer aus deutscher Produktion erhalten. Das mag zwar vom militärischen Standpunkt aus sinnvoll sein, steht aber einer Friedensregelung diametral entgegen und zeigt, dass nur noch die emotionalisierte Logik des Krieges das Denken beherrscht. Ausgeklammert wird, dass Russland eine potente Nuklearmacht ist und bei Existenzbedrohung durchaus von Atomwaffen Gebrauch machen könnte.
Hat Europa und hier vor allem Deutschland nichts aus den kaum vorstellbaren Leiden der zwei Weltkriege gelernt?
Anmerkungen
1) https://www.gmx.at/magazine/politik/russland-krieg-ukraine/ukraine-krieg-news-ticker-us-verteidigungsminister-austin-richtigen-militaerausruestung-ukraine-krieg-gewinnen-36757878
2) https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-7-8-vom-24-april-2022.html
3) Ergänzt durch Multi-Domain Battle: Evolution of Combined Arms fort he 21st Century 2025-2040 October 2017
4) "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" https://www.zeit.de/politik/2014-12/aufruf-russland-dialog?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
5) M.V. Brett (Hrsg.): Journals and Letters von Lord Esher, Bd. III, London 1939, S. 46
6) Arthur Jacob Marder: From the Dreadnought to Scapa Flow. Barnsley 2014, S. 379
7) Zitiert wie Patrick Walsh: Schlafwandler? Von wegen! Wie Großbritannien seinen Krieg gegen Deutschland plante. In: Effenberger/Macgregor: Sie wollten den Krieg, S. 35
8) Michael von Taube: Der großen Katastrophe entgegen, Leipzig 1937, S.379
9) American Recruit vom 27.7.1914 unter https://forms.gle/t8RrH4ev56UuHzwZ7
10) https://alphahistory.com/coldwar/reagan-policy-soviet-bloc-nations-1982/
11) https://www.kultur-port.de/kolumne/buch/15983-wolfgang-bittner-der-neue-west-ost-konflikt-.html
12) https://www.zdf.de/nachrichten/video/scholz-bundestag-regierungsbefragung-ukraine-corona-100.html
Online-Flyer Nr. 790 vom 04.05.2022
Druckversion
Krieg und Frieden
Zum Krieg in der Ukraine
Hohe Zeit für Profiteure
Von Wolfgang Effenberger
Am Sonntagabend, dem 24. April 2022, machten US-Verteidigungsminister Lloyd Austin und sein Kabinettskollege, US-Außenminister Antony Blinken, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi ihre Aufwartung. Nach Einschätzung von Austin können die Ukrainer gewinnen, „wenn sie die richtige Ausrüstung und die richtige Unterstützung haben.“ (1) Diese Unterstützung wurde von beiden US-Ministern umgehend zugesagt. Russland dagegen müsse weiter geschwächt werden: „Wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass es zu so etwas wie dem Einmarsch in die Ukraine nicht mehr in der Lage ist“, sagte der Pentagon-Chef.
Wenn das das amerikanische Kriegsziel ist, dann wird sich der Krieg noch sehr lange hinziehen, viele Opfer fordern und viel Geld in die Kassen der US-Konzerne spülen. Für jeden ist offensichtlich, dass der große Gewinner der tragischen Entwicklung in Europa die Vereinigten Staaten von Amerika sind. In der Ukraine verbluten Nichtamerikaner für US-Interessen, und die US-Rüstungskonzerne boomen, ebenso wie die US-Energie/Gaskonzerne.
Da die weltgrößten Lieferanten von Weizen – die Ukraine und Russland – wohl künftig ausfallen werden, können die US-Farmer in die Marktlücke springen.
Außerdem stehen die 30 NATO-Staaten geschlossen hinter den USA, wie schon lange nicht mehr. „In nahezu allen Staaten ist das Zwei-Prozent-Ziel erreicht, selbst in Deutschland (Rüstungsausgaben machen 2 % des BIPs aus), was vor ein paar Wochen noch unvorstellbar gewesen ist“, sagte vor kurzem der ehemalige militärpolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Brigadegeneral a.D., Erich Vad. „Insofern ist das für die USA auch ein Vorteil, wenn man die wirtschaftlichen Konsequenzen sieht, aber die grossen Verlierer sind die Europäer, vor allem Deutschland“ (2). Die USA scheinen obendrein konsequent ihrem im Langzeitstrategiepapier TRADOC 525-3-1 (September 2014) festgelegten Ziel „Win in a Complex World 2020-2040“ näherzukommen. (3)
Nur fünf Wochen nach der Vorstellung des TRADOC-Pamphlets Ende Oktober 2014 warnten Roman Herzog, Gerhard Schröder und mehr als 60 andere Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien in dem Aufruf "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" vor einem Krieg und riefen zum Dialog mit Russland auf. (4)
Sie forderten eine neue Entspannungspolitik für Europa. Ihren Appell richteten sie an die Bundesregierung, die Bundestagsabgeordneten und die Medien:
„Wir, die Unterzeichner, appellieren an die Bundesregierung, ihrer Verantwortung für den Frieden in Europa gerecht zu werden. Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik für Europa. Das geht nur auf der Grundlage gleicher Sicherheit für alle und mit gleichberechtigten, gegenseitig geachteten Partnern. Die deutsche Regierung geht keinen Sonderweg, wenn sie in dieser verfahrenen Situation auch weiterhin zur Besonnenheit und zum Dialog mit Russland aufruft. Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer.
Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen. Das wäre unhistorisch, unvernünftig und gefährlich für den Frieden. Seit dem Wiener Kongress 1814 gehört Russland zu den anerkannten Gestaltungsmächten Europas. Alle, die versucht haben, das gewaltsam zu ändern, sind blutig gescheitert – zuletzt das größenwahnsinnige Hitler-Deutschland, das 1941 mordend auszog, auch Russland zu unterwerfen.
Wir appellieren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, als vom Volk beauftragte Politiker, dem Ernst der Situation gerecht zu werden und aufmerksam auch über die Friedenspflicht der Bundesregierung zu wachen. Wer nur Feindbilder aufbaut und mit einseitigen Schuldzuweisungen hantiert, verschärft die Spannungen in einer Zeit, in der die Signale auf Entspannung stehen müssten. Einbinden statt ausschließen muss das Leitmotiv deutscher Politiker sein.
Wir appellieren an die Medien, ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen als bisher. Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen. Jeder außenpolitisch versierte Journalist wird die Furcht der Russen verstehen, seit NATO-Mitglieder 2008 Georgien und die Ukraine einluden, Mitglieder im Bündnis zu werden. Es geht nicht um Putin. Staatenlenker kommen und gehen. Es geht um Europa. Es geht darum, den Menschen wieder die Angst vor Krieg zu nehmen. Dazu kann eine verantwortungsvolle, auf soliden Recherchen basierende Berichterstattung eine Menge beitragen."
Doch eine auf soliden Recherchen basierende Berichterstattung und das Engagement für den Frieden scheinen heute in noch weitere Ferne gerückt zu sein.
Ähnlich war die Situation, als im Mai 1904 die britische Regierung nach dem desaströsen Burenkrieg das "Committee of Imperial Defence" (CID) – einen "Verteidigungsrat" - gründete: Man wollte auf künftige Kriege besser vorbereitet sein. Im Bericht des Gründungskomitees wurde gefordert, dass künftig „eine definitive und auf soliden Daten beruhende Kriegspolitik formuliert werden kann“ (5). Das CID wurde bald zu einem bedeutenden Hintergrund-Gremium der britischen Regierung, es arbeitete bis 1939. Im CID wurde von 1905 an der Aufbau eines Frankreich unterstützenden Expeditionskorps (ca. 160.000 Mann), die Vorbereitung der Blockade Deutschlands und die Einbeziehung der britischen Dominions in die Kriegspläne vorbereitet – alles per Handschlag und am Parlament vorbei.
Der Direktor des CID, Konteradmiral Sir Charles Ottley, schrieb 1908 dem Ersten Seelord, eine Blockade Deutschlands sei während der gesamten drei Jahre seiner Amtszeit als Marinegeheimdienstchef ein ständiges Thema gewesen. Die Admiralität habe den Standpunkt vertreten, das Zusammenspiel aus der geografischen Lage und seiner herausragenden Seemacht gebe England hierzu eine einfache Methode an die Hand. Die Mühlen der Seestreitkräfte würden „die deutsche Industrie sowie die Bevölkerung vielleicht nur langsam ..., aber überaus fein zermahlen. Früher oder später würde Gras auf den Straßen Hamburgs wachsen, Tod und Untergang würde sich ausbreiten“. (6)
Die Akte mit den Kriegsplänen der Admiralität von 1907 enthält sieben Argumente für den Krieg:
- Der deutsche Handel wächst rasch.
- Der Pro-Kopf-Verbrauch von Getreide nimmt zu.
- Deutschland wird immer stärker abhängig davon, Lebensmittel und Rohstoffe aus dem Ausland zu beziehen.
- Es gibt nicht ausreichend neutrale Schiffe, um britische und deutsche Schiffe, die aufgrund eines Krieges festsitzen (und ansonsten Deutschland beliefern würden), zu ersetzen.
- Aufgrund ihrer geografischen Lage können Deutschlands Handelshäfen gut durch einen starken vom Wasser aus angreifenden Gegner geschlossen werden.
- Von dem Geld, das Deutschland aufgrund der Handelsausfälle entgehen würde, fände ein Großteil seinen Weg zwingend nach England.
- Selbst wenn man davon ausgeht, dass Deutschland Getreide usw. auf dem Landweg beziehen würde, wären die Preise sehr hoch.(7)
Um ungehindert global ausplündern zu können, muss man nationale Strukturen auf Dauer beseitigen. 1914 ging es zunächst darum, die drei großen Dynastien auf dem europäischen Kontinent zu vernichten. Diese Absicht hatte Kardinal John Murphy Farley, Erzbischof von New York, schon früh erkannt. Auf dem Eucharistischen Weltkongress in Lourdes Ende Juli 1914 (22.-26.07.1914) – also nur wenige Stunden vor der Jahrhundertkatastrophe – warnte er: „Der Krieg, der in Vorbereitung ist, wird ein Kampf zwischen dem internationalen Kapital und den regierenden Dynastien sein. Das Kapital wünscht niemanden über sich zu haben, kennt keinen Gott oder Herrn und möchte alle Staaten als großes Bankgeschäft regieren lassen. Ihr Gewinn soll zur alleinigen Richtschnur der Regierenden werden …Business … einzig und allein.“ (8)
Am gleichen Tag nahm in den USA der Karikaturist Charles L. Bartholomew die amerikanischen Kriegsspekulanten in den Blick: Vor einem Rekrutierungsoffizier steht stramm ein riesiger Weizenmann mit der Aufschrift "U.S. Crop".
Ein amerikanischer Rekrut (9)
Der Offizier macht sich auf einem Papier mit der Aufschrift "Recruits World War" Notizen. Auf dem am Boden liegenden Papier ist zu lesen: "Crop Failure Abroad" (Ernteausfall im Ausland). Zeitgenössische Nachrichten berichten über massive Überschüsse in den USA und gestiegene Preise wegen des kommenden Weltkriegs. Die Vorhersage der britischen Admiralität von 1907 war unmittelbar eingetroffen.
So wie damals in Großbritannien bereits 1907 die Zerstörung Deutschlands angedacht wurde, hat US-Präsident Ronald Reagan mit seiner "National Security Decision Directive 54" (NSDD-54/2.September 1982) schon in den achtziger Jahren den Niedergang der Sowjetunion eingeleitet. Mit dieser Direktive wollte Reagan den Sowjetblock destabilisieren, den Warschauer Pakt untergraben und Moskaus Griff auf Osteuropa schwächen:
Mit der Sowjetunion verbündete Regierungen, die vom Sozialismus zurücktraten, liberale Reformen annahmen oder Unabhängigkeit von Moskau zeigten, würden, so versprach Reagan, von amerikanischer Unterstützung profitieren. „Zu den im NSDD-54 aufgelisteten Anreizen gehörten die Gewährung des "most favoured nation"-Status, Zugang zu amerikanischem Kapital und Krediten, die Mitgliedschaft im Internationalen Währungsfonds (IWF), kultureller und wissenschaftlicher Austausch sowie Besuche auf hoher Ebene.“ (10)
Nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 brachen dann in den ehemaligen Sowjetrepubliken die farbigen Revolutionen aus, die ihren Höhepunkt auf dem Maidan 2014 erreichten.
Briten wie US-Amerikaner sehen seit über hundert Jahren in einer möglichen Kooperation von Deutschland und Russland eine große Gefahr. Diesen Zusammenhang sprach am 4. Februar 2015 George Friedman, Gründer und Vorsitzende des führenden privaten US-amerikanischen Think Tanks »STRATFOR«, überraschend deutlich auf dem Chicago Council an.
Die USA hätten keine »Beziehungen« mit Europa, es gebe lediglich bilaterale Beziehungen zu einzelnen Staaten. „Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts, im Ersten und Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland... Seit einem Jahrhundert ist es für die Vereinigen Staaten das Hauptziel, die einzigartige Kombination zwischen deutschem Kapital, deutscher Technologie und russischen Rohstoffressourcen, russischer Arbeitskraft zu verhindern.“ (11)
Wie kann sich vor diesem Hintergrund der deutsche Kanzler Olaf Scholz zum Sprachrohr der USA machen und mit eiserner Miene verkünden: „Russland darf nicht gewinnen“? (12) Um das zu erreichen, will er T-72 Panzer aus Slowenien in die Ukraine liefern, im Gegenzug soll Slowenien Panzer aus deutscher Produktion erhalten. Das mag zwar vom militärischen Standpunkt aus sinnvoll sein, steht aber einer Friedensregelung diametral entgegen und zeigt, dass nur noch die emotionalisierte Logik des Krieges das Denken beherrscht. Ausgeklammert wird, dass Russland eine potente Nuklearmacht ist und bei Existenzbedrohung durchaus von Atomwaffen Gebrauch machen könnte.
Hat Europa und hier vor allem Deutschland nichts aus den kaum vorstellbaren Leiden der zwei Weltkriege gelernt?
Anmerkungen
1) https://www.gmx.at/magazine/politik/russland-krieg-ukraine/ukraine-krieg-news-ticker-us-verteidigungsminister-austin-richtigen-militaerausruestung-ukraine-krieg-gewinnen-36757878
2) https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-7-8-vom-24-april-2022.html
3) Ergänzt durch Multi-Domain Battle: Evolution of Combined Arms fort he 21st Century 2025-2040 October 2017
4) "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" https://www.zeit.de/politik/2014-12/aufruf-russland-dialog?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
5) M.V. Brett (Hrsg.): Journals and Letters von Lord Esher, Bd. III, London 1939, S. 46
6) Arthur Jacob Marder: From the Dreadnought to Scapa Flow. Barnsley 2014, S. 379
7) Zitiert wie Patrick Walsh: Schlafwandler? Von wegen! Wie Großbritannien seinen Krieg gegen Deutschland plante. In: Effenberger/Macgregor: Sie wollten den Krieg, S. 35
8) Michael von Taube: Der großen Katastrophe entgegen, Leipzig 1937, S.379
9) American Recruit vom 27.7.1914 unter https://forms.gle/t8RrH4ev56UuHzwZ7
10) https://alphahistory.com/coldwar/reagan-policy-soviet-bloc-nations-1982/
11) https://www.kultur-port.de/kolumne/buch/15983-wolfgang-bittner-der-neue-west-ost-konflikt-.html
12) https://www.zdf.de/nachrichten/video/scholz-bundestag-regierungsbefragung-ukraine-corona-100.html
Online-Flyer Nr. 790 vom 04.05.2022
Druckversion
NEWS
KÖLNER KLAGEMAUER
FILMCLIP
FOTOGALERIE