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Arbeit und Soziales
Wie Klaus Schwab und das World Economic Forum versuchen, eine menschenfeindliche Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik zu etablieren
Transhumanismus als höchstes Stadium der Entfremdung
Von Rudolph Bauer
Klaus Schwab ist kein Unbekannter. Als Gründer und Vorstandsvorsitzender des World Economic Forum (WEF) ist er ein Scharlatan und brandgefährlich. Als Scharlatan wird er nicht ganz ernst genommen. Tenor: ein Spinner, der Prophet von Davos, ein aufgeblasener Wichtigtuer, der sich völlig überschätzt. Brandgefährlich ist er dennoch. Er steht für eine Tendenz. Er ist eine von vielen Hype-Maschinen, ein Selbstvermarkter - ein deutscher obendrein. Die Tendenz, für die er steht, ist die transhumane Wiedergeburt des Kapitalismus aus den Trümmern seines globalen Scheiterns. Schwab umschreibt dieses Ziel und den Weg dorthin auf salbungsvolle Weise. Wer ihm nicht folgt, dem droht er mit Verdammnis. Was davon zu halten ist? Eine Antwort aus dem ungewöhnlichen Blickwinkel von Karl Marx. Marx hat in seinen Frühschriften einen Begriff verwendet, der bei der Untersuchung der gegenwärtigen politisch-ökonomischen Verhältnisse erkenntnisleitend sein kann: den Begriff der Entfremdung. Im folgenden Beitrag wird aufgezeigt, dass das vom jungen Karl Marx thematisierte Phänomen der Entfremdung heute nichts von seiner gesellschaftskritischen Kraft eingebüßt hat. Es kehrt – gleichsam auf einer neuen Entwicklungsstufe – wieder. Verbunden mit dem vom späten Marx entwickelten Gedanken der Unterordnung („Subsumtion“) des Menschen unter das Kapital und dessen Erfordernisse lässt sich eine Gesellschaftsanalyse entwerfen, die der allgemeinen Theorie- und Sprachlosigkeit der Linken (oder was von dieser politischen Spezies noch übrig geblieben ist) Abhilfe verschaffen könnte.
Die „entfremdete Arbeit“ und die industriellen Revolutionen
Der Ausganggedanke beim jungen Marx ist „die entfremdete Arbeit“. In den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844 beschreibt er Entfremdung als einen Zustand, in dem die ursprüngliche natürliche und sinnliche Beziehung des Menschen zu sich selbst, zu seinen Mitmenschen, zu seiner Arbeit und dem Produkt seiner Arbeit sowie zur Natur gestört („entfremdet“, „verdinglich“, „entäußert“) ist. Unter den Bedingungen der Lohnarbeit, für deren Verrichtung die erforderlichen Produktionsmittel durch deren Eigentümer bereitgestellt werden, ist der vergesellschaftete Mensch im Kapitalismus sich selbst und seiner ursprünglichen Natur entfremdet.
Marx behandelt die „entfremdete Arbeit“ auf dem industriellen Entwicklungsniveau seiner Zeit, d. h. um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Es ist die Periode des Übergangs von der Agrar- zur Industriegesellschaft, die wirtschaftshistorisch als Erste industrielle Revolution bezeichnet wird. Mit Beginn der Zweiten industriellen Revolution gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die fabrikförmig-tayloristische Produktion weiterentwickelt und ausgeweitet. Der Beginn einer Dritten industriellen Revolution in den 1960er Jahren wird in Verbindung gebracht mit dem Aufkommen der Informations- und Kommunikationstechnologie. Damit verknüpft war die enorme Bedeutungszunahme der Print- und Elektronikmedien als Quellen der Information, der Unterhaltung und als Mittel der Steuerung und Manipulation im Bereich der Politik sowie des Konsums. In den 1970er und 1980er Jahren kamen Personal-Computer in Büros und privaten Haushalten zum Einsatz, in den 1990er Jahren das Internet als Vorankündigung einer weiteren, der Vierten industriellen Revolution.
Sämtliche Neuerungen hatten die Ausweitung der verschiedenen Formen der Entfremdung zur Folge. Die „entfremdete Arbeit“ bestimmte nunmehr nicht nur die fabrikförmige Produktion, den Hoch- und Tiefbau, sowie die Bereiche der Telekommunikation und des Transportwesens, wie es bei der Ersten und Zweiten industriellen Revolution zu beobachten war. Sie erstreckte sich zunehmend auf einen Großteil der Bürotätigkeiten, des Bank- und Versicherungswesens, der Medien für Kommunikation und Information, auf Kunst, Kultur und Unterhaltung, den Zahlungsverkehr und den Konsum, nicht zuletzt auf das Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen. Nicht ohne Grund ist die Rede von der Sozialwirtschaft, der Bildungs- und Gesundheitsökonomie.
Mit der Entwicklung der Produktivkräfte – vom mechanischen Webstuhl bis hin zur Kommerzialisierung von personenbezogenen Dienstleistungen – geht ein Prozess einher, in den zunehmend mehr Menschen als Lohnabhängige einbezogen und von ihrem Selbst, den Anderen, der Natur, ihrer Arbeit und dem Produkt ihrer Arbeit entfremdet werden. Eine Marx-Lektüre, wenn sie auf dem Stand der zeitgenössischen Studien zur Zeit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert verharrt, kann diese Entwicklung nicht angemessen nachvollziehen und neigt zu einer dogmatischen Soziologie des Proletariats.
Die moderne sozialwissenschaftliche „Arbeiter“-Definition hat erkannt, dass im Verlauf der Dritten industriellen Revolution das Unterscheidungskriterium „geistig vs. körperlich/manuell“ fragwürdig geworden ist. Die in diesem Veränderungsprozess erfolgte Einbeziehung neuer Gruppen von Lohnabhängigen in den kapitalistischen Entfremdungszusammenhang scheint – oberflächlich betrachtet – ein Ergebnis der fortschreitenden Entwicklung der Produktivkräfte zu sein.
Was aber ist die Triebfeder der Produktivkraftentwicklung? Diese Frage lässt sich vor dem Hintergrund der zentralen Rolle beantworten, die im Kapitalismus dem Profit und seiner Generierung zukommt. Steigende Profite stellen die ‚Normalität‘ kapitalistischer Produktion dar. In Zeiten einer Überproduktion bzw. nachlassender Kaufkraft stagnieren oder fallen die Profite, gerät die kapitalistische Produktionsweise in eine Krise. Mit den Worten des Wirtschaftswissenschftlers Wolfram Elsner: „In typischen politischen, sozialen und ökonomischen Konstellationen reflektieren die Profitraten und ihre Veränderungen typische Profitrealisierungsbedingungen, Konkurrenzbedingungen, Stimmungen, Erwartungen, Reaktionshandlungen und entsprechende makroökonomische Ergebnisse.“
Entfremdung, zyklische Produktivkraftentwicklung und Kriege
Die Industriellen Revolutionen I bis III lassen sich als kapitalistische Auswege aus Sozial- und Wirtschaftskrisen interpretieren. Diese signalisieren einen Paradigmenwechsel im Sinn der Theorie der Langen Wellen von Nikolai Kondratjew (1892-1938). Ihm zufolge führen zyklische Krisen zu innovationsinduzierten Investitionen: Indem massenhaft in neue Techniken investiert wird, werde ein neuer Aufschwung erzielt.
Die annähernde Zeitgleichheit von industriellen Umwälzungen, ökonomischer Auf- und Ab-Entwicklung im Verlauf der Kondratjew-Zyklen und großkriegerischen Auseinandersetzungen führt zu der Frage, ob zwischen diesen Phänomenen ein innerer Zusammenhang zu erkennen ist, der mit den Schwankungen der Profitrate in Verbindung steht.
Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der Einsicht in die Bedingungen und den Prozess der Mehrwertgewinnung und -steigerung im Rahmen kapitalistischer Produktion. Dabei sind zwei Methoden zur Steigerung der Profitraten zu unterscheiden: die Methode der Intensivierung und die der Extensivierung. Bei beiden Begriffen handelt es sich um dynamisch-relationale Termini, d.h. sie bezeichnen keine Zustände, sondern Handlungsrichtungen des industriellen Kapitals in seinem Streben nach Profitmaximierung. Eine Intensivierung („Verdichtung“) der Arbeit erfolgt dann, wenn das produzierte Arbeitsvolumen quantitativ und/oder qualitativ innerhalb einer bestimmten, vorgegebenen Arbeitszeit merklich erhöht wird. In diesem Fall arbeiten die Werktätigen nachhaltiger, der Arbeitsprozess wird intensiviert.
Mit den Worten von Karl Marx: „Der Exploitationsgrad [d. h. der Ausbeutungsgrad] der Arbeit hängt aber bei gegebenem Arbeitstag von der durchschnittlichen Intensität der Arbeit, und bei gegebener Intensität von der Länge des Arbeitstages ab. Von dem Exploitationsgrad der Arbeit hängt die Höhe der Mehrwertrate ab, also bei gegebener Gesamtmasse des variablen Kapitals die Größe des Mehrwerts, damit [i. S. v. folglich] die Größe des Profits.“ (MEW 25: 207)
Die gegenwärtige Periode lässt sich kennzeichnen als ein Zeitraum stagnierender bzw. sinkender Profitraten. Die Folgen sind vielfältige Bestrebungen des Kapitals, einen ihm entsprechenden Ausweg zu finden, indem zweierlei passiert: Einerseits wird versucht, die absolute und relative Mehrwertproduktion auf extensive und intensive Weise auszuweiten und zu erhöhen. Andererseits werden konkurrierende Anbieter der bisher bestehenden Produktionsstrukturen in den Konkurs getrieben oder insolvent gemacht. Das erleben wir gegenwärtig: Restaurants gehen Pleite, während Essendienste Konjunktur haben; Uber macht dem Taxigewerbe Konkurrenz; Amazon liefert nahezu alles, aber nahezu alle Buchhandlungen, Läden für Haushaltswaren, kleine Modegeschäfte usw. müssen mit ihrer Insolvenz rechnen; kleine Landwirtschaftxsberiebe kämpfen ums Überleben; Unterhaltungskünstler ringen um Gagen; Nachhilfelehrer werden durch elektronische Hilfsmittel ersetzt; Übersetzer durch Übersetzungsmaschinen; usw.
„Schöpferische Zerstörung“ und Vierte industrielle Revolution
Der kapitalistische Entwicklungspfad mittels der Zerstörung des Alten und Überlieferten zeigt sich im Zuge dessen, was Joseph Schumpeter auf euphemistische Weise die „schöpferische Zerstörung“ nannte. Die Zerschlagung herkömmlicher Produktionsstrukturen sei notwendig, um für die als notwendig erachteten Innovationen den Entwicklungsweg frei zu machen. Militärischen Verwüstungen und die ökonomisch ausgelösten Korrosionen sind charakteristisch für die laufende Gegenwart – beginnend mit dem Banken-Crash 2008 – und für die absehbare Zukunft.
Weitere Beispiele für Destruktion sind der Krieg in der Ukraine sowie die damit einher gehenden Widersprüche und Verwerfungen in der Politik. Zuvor bereits sind im Verlauf der Corona-Pandemie seit 2020 gesellschaftliche Konflikte, Spannungen und Widersprüche aufgebrochen, die tiefe Spuren hinterlassen haben. In ihrer Dramatik überhaupt noch nicht absehbar sind neben den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Maßnahmen die ökonomischen, sozialen und politischen Nah- und Fernwirkungen der antirussischen Sanktionen.
Im Anhang der Publikation „Vierte Industrielle Revolution“ (S. 171-228) zählt Klaus Schwab im Einzelnen u. a. folgende „tiefgreifende Veränderungen“ auf: „implantierbare Technologien“; „digitale Präsenz“; „mobiles Internet“; das „Internet der Dinge“; das „vernetzte Heim“; „intelligente Städte“; Entscheidungen per Algorithmen; „selbstfahrende Autos“; „Künstliche Intelligenz (KI) und Entscheidungsprozesse“; „Robotik und Dienstleistungen“; 3-D-Druck; „Neurotechnologien“.
Beim „Internet der Dinge“ beispielsweise nehmen laut Schwab 89 Prozent der Befragten an, dass 2025 der Wendepunkt erreicht ist, an dem eine Billion Sensoren mit dem Internet verbunden sein werden: „Bei kontinuierlich zunehmender Rechenleistung und fallenden Preisen für Hardware (…) ist es wirtschaftlich machbar, buchstäblich alles mit dem Internet zu verbinden. Intelligente Sensoren werden bereits zu sehr konkurrenzfähigen Preisen angeboten. Es wird alles intelligent und ans Internet angeschlossen, sodass auf der Grundlage zunehmender Analysekapazität mehr Kommunikation und neue datengesteuerte Dienste möglich werden.“ (A. a. O., S. 190)
Zu den positiven Effekten des Internets der Dinge zählten u. a. „effektivere Ressourcennutzung“, „steigende Produktivität“, „geringer Kosten für Dienstleistungen“, „Effizienz“, „Entstehung neuer Unternehmen“, „Entwicklung ‚digital vernetzbarer‘ Produkte“, „Erweiterung der Produkte um digitale Dienste“, „Dinge erhalten die Fähigkeit, ihre Umwelt umfassend wahrzunehmen und selbst zu reagieren und zu agieren“, „Entwicklung zusätzlicher Kenntnisse und Wertschöpfung auf der Grundlage vernetzter ‚intelligenter‘ Dinge“ (a. a. O., S 192). Als „negative Effekte“ des Internets der Dinge gelten unter anderem „Überwachungsmöglichkeiten“, die „Sicherheitsbedrohung durch Hacker“ und „Kontrollverlust“. Hinzu kommen „unbekannte oder zweischneidige Effekte“ wie die „Automation des Wissensnetzes (z. B. Analysen, Auswertungen, Diagnosen)“ und „höhere Auslastungsquoten“.
Mit dem Internet der Dinge seien enorme Auswirkungen auf die Produktions- und Arbeitswelt verbunden. In den Fabriken der Zukunft würden Informationstechnologie und Fertigungstechnik verschmelzen. Die digitale Vernetzung mache es möglich, Maschinen aufeinander abzustimmen, Zeit und Ressourcen einzusparen und individuellen Wünschen auch in geringen Stückzahlen auf wirtschaftliche Weise zu entsprechen. Das „Internet of Things“ sei bereits heute in vielen Unternehmen und auch im alltäglichen Leben nicht mehr wegzudenken: Maschinen seien untereinander vernetzt und übernähmen Aufgaben, die noch vor wenigen Jahren von Menschen durchgeführt wurden. Beispielsweise ließen sich Regale automatisch auffüllen oder Temperaturen in Büroräumen per App automatisch regulieren.
Die „Informatisierung“ nehme nicht nur in der Industrie konkrete Formen an. Selbst in klassischen handwerklichen Berufszweigen wie der Baubranche halte sie Einzug und schaffe neue Kommunikationsformen – sogar alltägliche Gebrauchsgegenstände seien durch Strich- oder QR-Codes mit dem Internet verbunden. Es handle sich teils um faktische, teils um zunächst noch potenzielle Werkzeuge, die zum einen geeignet seien zur Steigerung der Mehrwerterzeugung infolge der dadurch ermöglichten Intensivierung der Arbeit. Zum anderen begünstigten sie die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital.
Künstliche Intelligenz und Robotik
Auf gleiche Weise würden sich Künstliche Intelligenz (KI) und Robotik auf Dienstleistungstätigkeiten auswirken. „Muster zuordnen und Prozesse automatisieren kann KI gut. Deshalb eignet sich die Technik für viele Funktionen in großen Organisationen. Für die Zukunft ist ein Umfeld vorstellbar, in dem KI viele Aufgaben übernimmt, die heute noch von Menschen ausgeführt werden.“ (A. a. O., S. 205) Die erwarteten positiven Effekte zeigten sich v. a. beim Anstieg der relativen Mehrwertproduktion durch „Einsparungen, Effizienzsteigerung (und die) Erschließung von Innovation, Chancen für Kleinunternehmen, Startups (niedrige Einstiegsbarrieren, ‚Software als Service‘ für alles)“ (ebd.). Ähnlich würden KI und Robotik zahlreiche Berufe in der Fertigung, der Landwirtschaft, im Einzelhandel, bei Banken und Dienstleistungen beeinflussen bzw. überflüssig machen. Nicht zuletzt spielen sie auch im Rahmen des Militärisch-Industriellen Komplexes eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Auch die Entwicklung des Medizinisch-Industriellen Komplexes basiere auf tiefgreifenden Veränderungen digitaler und pharmakologischer Art. Schwab erwähnt u. a. „Big Data (als Instrument) zur Förderung von Forschung und Entwicklung im Pharmabereich“ (a. a. O., S. 208). Ferner verweist er auf die Rolle visueller Hilfen (Brillen, optische Geräte, Headsets und Technik zur Blickbewegungsregistrierung) u. a. in der Medizin und der Chirurgie. Digitale Geräte seien beispielsweise geeignet bei der Überwachung der Medikamenteneinnahme. Große Erwartungen seien mit der Rolle von KI in den Bereichen „Life Sciences, Krebsforschung, altersbedingte Erkrankungen und regenerative Medizin (verbunden)“ (a. a. O., S. 204). 3D-Drucker erzeugten per Bioprinting im Rahmen personalisierter Medizin menschliche Organe, die sich für Transplantationen eignen, ferner Zahnimplantate, Schrittmacher oder Stifte bei Knochenbrüchen.
Weitere Forschungs- und Entwicklungsfelder seien die Bearbeitung des Designs von Genomen durch Sequenzierung und Editierung, ferner die Nano- und Neurotechnologien. Zu letzterer „gehört die Überwachung der Hirntätigkeit und die Untersuchung, wie sich das Gehirn mit der Welt verändert und/oder welche Schnittstellen es gibt“ (a. a. O., S. 226) – Schnittstellen, die „das Verschwimmen der Grenzen zwischen Mensch und Maschine“ (a. a. O., S. 227) befürchten lassen.
Die „tiefgreifenden Veränderungen“, die Transhumanisten wie Schwab mit der Vierten industriellen Revolution verbindet, sind aufschlussreiche Beispiele dafür, mit Hilfe welcher digitalen und biotechnischen Innovationen das herrschende ökonomische System sich aus der Krise der kapitalistischen Produktionsweise zu befreien versucht. Damit einhergehen weitere Umwälzungen politischer und gesellschaftlicher Art. Die Veränderungen politischer Art betreffen sowohl die Ebene der nationalen und supranationalen Regierungssysteme als auch die geopolitische Dimension.
Für den Politikwissenschaftler Sheldon S. Wolin ist ein „umgekehrter Totalitarismus“ (Frankfurt/Main 2022) am Werk. Der Soziologe Bernd Hamm sprach schon 2004 von einem „neoliberale(n) Anschlag auf Demokratie und Gerechtigkeit“. Grund- und Menschenrechte würden ausgehebelt oder unterlaufen. „Fassadendemokratie und Tiefer Staat“ seien Stationen „auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter“. Geopolitisch würden Spannungen geschürt und Konflikte ausgetragen, bei denen Geheimdienste, Feindbilder, militärisches Eingreifen und wirtschaftliche Strafsanktionen tragende Rollen spielen. Neben den politischen Umwälzungen fänden auch massive gesellschaftliche Veränderungen statt. Die Bundesrepublik – vom US-Soziologen Richard Sennett als „eine unglückliche Kolonie der USA“ bezeichnet – erweise sich gesellschaftlich zunehmend als ein „Kaltes Land“.
Schwab erklärt: „Im Zuge der Vierten Industriellen Revolution verändert die digitale Vernetzung, die durch Software-Technologien möglich wird, unsere Gesellschaften grundlegend.“ (A. a. O., S. 171) Der tiefgreifende gesellschaftliche Umbruch betreffe nicht zuletzt die Arbeitswelt. In ihr wirkt sich die Intensivierung als Handlungsrichtung des industriellen Kapitals bei seinem Streben nach Profitmaximierung auf eine Art und Weise aus, dass sich die Entfremdung auf einer neuen Entwicklungsstufe wahrnehmen lässt.
Transhumanismus als höchste Stufe der Entfremdung
Die Selbstentfremdung des Menschen nimmt eine bisher unbekannte Dimension an, wenn technologische Übergänge zwischen Mensch und Maschine – zwischen dem Humanum, dem Menschlichen, und dem Transhumanum jenseits des Menschlichen – geschaffen werden. Die technologischen Übergänge machen die Arbeitenden nicht nur formal zu einem Glied des Maschinensystems, sondern sie unterordnen die Werktätigen unmittelbar und reell dem Kapital. Der Mensch ist sich dann in doppelter Weise entfremdet: als extensiv produktiver Lohnabhängiger (oder Solo-Selbständiger) zum einen, als intensiv produktive Maschine oder Maschinenteil andererseits.
Indem sich die Maschine dem Arbeiter inkorporiert, z. B. durch das Einpflanzen eines Chips, wird der arbeitende Mensch zum Teil einer Maschine oder in letzter Konsequenz selbst zu derselben. Damit ist der Weg geebnet für die unbegrenzte Extensivierung der Arbeit, indem der tätige Mensch rund um die Uhr abrufbar bzw. „im Einsatz“ und digital versklavt ist. Jenseits des Menschlichen beginnt die digitale Sklaverei.
Die Entfremdungserfahrungen wiederholen sich ebenso im Verhältnis zu den anderen Menschen: zum Gegenüber und zur Gesellschaft. Das Gegenüber erscheint als verdinglichter Maschinenmensch, die Gesellschaft als vergegenständlichtes Kollektiv. Der Werktätige, sich selbst äußerlich und von den Mitmenschen entfremdet, ist ein entfremdetes Objekt und nicht das Subjekt seiner Arbeit. Er ist vom Produkt seiner Arbeit auf eine Weise entfremdet, die ihn als Produzenten überflüssig und austauschbar erscheinen lässt.
Man kann sich diese Form der Verdinglichung so vorstellen, dass es keines besonderen Motivs zur Arbeit bedarf und keiner besonderen Beziehung zum Produkt; die Tätigkeit ist außengesteuert, das Ergebnis beliebig und fremder Willkür oder fremdem Kalkül unterworfen. Damit ist zugleich die Entfremdung von der Natur vollzogen. Der Mensch erlebt Natur weder als äußere lebendige Landschaft und Umwelt noch in Gestalt der eigenen Körperlichkeit. Beide – die Natur-Natur und die Körper-Natur – werden als begrenzt und unvollkommen wahrgenommen. Die ‚wahre‘ Vollkommenheit sei die des optimierbaren bzw. optimierten Menschen – in der dystopischen Vision der Ideologie des Transhumanismus die vollständig kontrollierbare, kalkulierbare und prognostizierbare Person.
Die Corona-Maßnahmen und der Transhumanismus
Die Einübung in den transhumanen Modus der Entfremdung hat in jüngster Zeit im Verlauf der staatlich verordneten Corona-Maßnahmen einen erschreckenden Höhepunkt erfahren. Der Mensch wurde als potenzieller Virenträger und Infektionsquelle durch Auflagen und Maßnahmen der Politik und des virologischen Establishments fremdbestimmt. Das Recht auf Eigenverantwortung, Selbstvorsorge und freie Entscheidung wurde den Bürgern entzogen. Als Gesunder eine Gefahr für die Anderen, galt im Umkehrschluss der Einzelne als Bedrohung der Gesellschaft.
Um sich und andere angeblich nicht zu gefährden, mussten die Menschen Abstände einhalten, ihre Hände desinfizieren, sich registrieren lassen, Apps verwenden, verpflichtend Masken tragen, sich Testungen unterziehen, sich Injektionen mit unzureichend erforschten Stoffen verabreichen lassen. Menschen in Alten- und Pflegeheimen durften nicht besucht werden, auch Sterbende nicht. Gaststätten und Restaurants waren geschlossen oder durften nur unter Auflagen betreten werden. Konformes Verhalten wurde als solidarisch gelobt.
Hingegen wurden kritisches Denken und die Bereitschaft, für die Wiederherstellung der demokratischen Rechte öffentlich zu demonstrieren, als egoistisch, gemeinschaftsschädlich und Anzeichen von Rechtsextremismus diffamiert, mit Hausdurchsuchungen geahndet und durch Berufsverbote bestraft. Es kam zu polizeilichen Ermittlungen bei Aktiven, übergriffigen und willkürlichen Festnahmen sowie zu brutalen Knüppeleinsätzen der Ordnungskräfte anlässlich von Demonstrationen.
Die zentrale These von Kees van der Pijl in seiner Studie „Die belagerte Welt“ (Ratzert 2021, S 125) lautet, „dass die Covid-Krise eine Antwort auf die wachsende Unruhe in der Weltbevölkerung ist und dass der Geheimdienst-IT-Medien-Block diese Antwort in Form eines autoritären Staates geben will, der mit dem gesamten Spektrum neuer digitaler Möglichkeiten zur permanenten Überwachung ausgestattet ist.“
Die Entfremdung von den Anderen kulminiert in einem gesamtgesellschaftlichen Ächtungsprozess: durch Ausgrenzung und Vorverurteilung, sowie mittels sozialer Spaltung. Betroffen waren Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn, Schüler und Lehrer, Junge und Alte, Kinder und Vorerkrankte, „Geimpfte“ und Geboosterte auf der einen Seite, so genannte „Corona-Leugner“, „Impfgegner“ und „Covidioten“ auf der anderen. Die zusätzliche Entfremdung von der Arbeit und vom Produkt der Arbeit vollzog sich durch die Befolgung von Quarantänevorschriften, Lockdown-Anweisungen und das Gebot von Home-Office und Home-Schooling.
Eine weitere Entfremdung von der Natur und von Geselligkeit wurde den Menschen einprägsam auferlegt durch das Verbot des Aufenthalts im Freien, durch die Schließung von Spielplätzen und Sportstätten, durch das Verbot von Theater- und Opernaufführungen, Konzerten, Open-Air-Veranstaltungen, Ausstellungen und öffentlichen Kultur-Veranstaltungen – nicht zuletzt auch durch das Untersagen von Kirchen-, Moschee- und Synagogenbesuchen. Bei Bestattungen war die Zahl der Trauergäste vorgeschrieben. Lehrer und Schüler begegnen sich mit Maske.
All dies geschah entsprechend der Ideologie des Transhumanismus, dass der Mensch als intellektuelles, physisches und psychisches Mängelwesen gilt, welches erst durch den Einsatz technologischer Verfahren der „Verpflichtung zum Fortschritt“ (Max More, der Futurist) gerecht wird. Auf vergleichbare Weise wurde die Bevölkerung in zwei Jahren Covid-19-Panik auf ständig lauernde Ansteckungs- und Erkrankungsgefahren eingestimmt und auf die Notwendigkeit verwiesen bzw. dazu verpflichtet, staatliche Anweisungen widerspruchslos zu befolgen und sich einem in seinen Neben- und Langzeitwirkungen unbekannten gentechnologischen Verfahren anzuvertrauen.
Der Ukraine-Krieg, antirussischer Rassismus und „Bruchlinien“
Eine Fortsetzung findet die „Mobilisierung der Angst“ (van der Pijl) und die Gewöhnung an transhumane Einstellungen seit dem Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine, die bereits 2014 mit den Maidan-Konfrontation begonnen haben. In den aus westlicher Sicht propagierten Feindszenarien vom „Schlächter Putin“ und „den Russen“ manifestiert sich ein rassistisches Menschenbild aus Selbstgerechtigkeit, Hass und Verachtung. Während die ‚eigene‘ Seite den kritiklosen Beifall der Medien sowie die regierungsseitige und parlamentarische politische Zustimmung erfährt – letztere auch in Gestalt von Sanktionen und der Bereitstellung von schwerem Kriegsgerät und Vernichtungswaffen –, werden ‚die Anderen‘ als bloße Objekte entmenschlicht und zur Ächtung freigegeben. Die angstbesetzte transhumane Eugenik-Ideologie, die sich in Vernichtungsphantasien wie „Russland ruinieren“ (Außenministerin Bärbock) äußert, findet viele Anhänger, die sich im Glauben des Fortschritts und der Aufklärung wähnen.
Es ist eine logische Konsequenz, dass Schwab als Autor der Schrift „Vierte Industrielle Revolution“ das Auftreten von Covid-19 und die Pandemie zum Anlass genommen hat, um sich erneut zu Wort zu melden und zusammen mit Thierry Malleret, dem Gründer des Global Risk Network beim Weltwirtschaftsforum, publizistisch den „Great Reset“ (Der große Umbruch. Cologny/Genf 2020) auszurufen.
Die durch das Corona-Virus medial und von den Regierungen ausgelöste Panik unterstreiche die angebliche Berechtigung der von Schwab zuvor schon mit Nachdruck erhobenen Forderungen nach tiefgreifenden Veränderungen zur Entwicklung der Produktivkräfte im Interesse der Mehrwertsteigerung (was er so nicht formuliert). Covid-19 habe „die Bruchlinien vergrößert, die unsere Volkswirtschaften und Gesellschaften bereits seit langem belasten. Zunehmende soziale Ungleichheiten, ein weit verbreitetes Gefühl der Ungerechtigkeit, sich vertiefende geopolitische Gräben, politische Polarisierung, wachsende Haushaltsdefizite und eine hohe Verschuldung, eine ineffektive oder nicht vorhandene globale Ordnungspolitik, exzessiver Finanzmarkt-Kapitalismus, Umweltzerstörung: Das sind nur einige (sic!) der größten Herausforderungen, die bereits vor der Pandemie bestanden. Die Coronakrise hat sie alle noch verschärft.“ (A. a. O., S. 291)
Die in der Schrift „Der große Umbruch“ verwendete Argumentationsfigur von Schwab/Malleret übernimmt einerseits ‚linke‘ Begründungsmuster, indem die Autoren beispielsweise orakeln: „Weltweit nehmen Bewegungen zu, die eine bessere Zukunft und einen Wechsel hin zu einem Wirtschaftssystem fordern, das unserem kollektiven Wohlergehen Vorrang vor bloßem BIP-Wachstum einräumt.“ (A. a. O., S. 300) Mit derlei Wachstums- und BIP-kritischen Äußerungen lenken sie ab von den objektiven politisch-ökonomischen Ursachen der aufgelisteten „Bruchlinien“. Diese scheinen gemäß Schwabs Beschreibung naturgegeben zu sein und „menschengemacht“. In Wahrheit aber lassen sie sich ursächlich zurückführen auf die Folgen der Überproduktion und die Stagnation bzw. den Fall der Profitraten.
Der Weg in die Entfremdungs-Hölle als „Ausweg aus der Krise“
Der „Great Reset“ und die Vierte industrielle Revolution sollen nach Schwabs billigen Lockversprechen das Fundament einer neuen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik bilden. Sie sollen einen Ausweg aus der krisenhaften Situation aufzeigen. In Wahrheit sind die meisten der vorgeschlagenen digitalen und biotechnologischen Innovationen und die damit in Aussicht gestellte Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik nichts anderes als Indikatoren für das anbrechende „Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ (Shoshana Zuboff) sowie Zeichen des „wachsende(n) Einfluss(es) der Pharmaindustrie und der Großstiftungen auf das Gesundheitswesen“ (Karl Heinz Roth).
Damit ist jedoch kein Ausweg aufgezeigt. Das „Reset“-Programm hat vielmehr eine Neuauflage des kapitalistischen Irrwegs mit der Absicht einer nach wie vor profitorientierten kapitalistischen Produktion zum Ziel. Es ergeben sich Formen der Entfremdung, die im Transhumanismus ideologisch überhöht werden und einer neuen Art faschistisches Regime den Weg bereiten. Sie propagieren einen „Umbruch“, der sich sowohl politisch als auch sozial zum Nachteil großer Teile der Weltbevölkerung auswirken wird. Hauptziel der WEF-Autoren ist der Fortbestand der kapitalistischen Strukturen und die weitreichende Privilegierung der herrschaftsprivilegierten Klassen.
Schwab, der Gründer und Vorstandsvorsitzende des WEF, ist angetreten, anerkannt zu werden als Zukunftsprophet, der dem kapitalistischen System, das er so nicht beim Namen nennt, in Anbetracht der tatsächlich „besorgniserregende(n) Perspektiven“ (a. a. O., S. 296) einen Ausweg aus der Krise aufzeigt. Dieser scheinbare Ausweg, für den er unermüdlich wirbt, mündet jedoch in eine neue, repressive und regressive Art der Entfremdung. Schwab, das WEF, sowie die Großstiftungen, Think Tanks und weltweiten NGOs, ihre „Netzwerk(e) & die Hintermänner“ (siehe Thomas Röper, Inside Corona, 2022) täuschen uns mit schönen Worten und Versprechungen darüber hinweg, dass ihre Zukunftsvision das Konzept des Totalitären Transhumanismus bedient.
Sie versprechen den Menschen Heilung durch ein System, das die Menschen kaputt macht. Sie wollen dem niedergehenden Kapitalismus zu einer neuen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Entwicklungsstufe verhelfen. Schwab/Malleret mahnen und locken zugleich: „Wir stehen jetzt an einem Scheideweg. Ein Weg wird uns in eine bessere Welt führen: integrativer, gerechter und respektvoller gegenüber Mutter Natur. Der andere wird uns in eine Welt führen, die der gleicht, die wir gerade hinter uns gelassen haben – nur schlimmer und ständig von bösen Überraschungen bedroht.“ (A. a. O., S. 300)
Fazit: Das raunende Orakel von Davos verspricht der gesamten Menschheit den „Weg … in eine bessere Welt“. Diese werde „integrativer“ sein; sprich: die Menschen werden noch mehr und unausweichlich in die transhumane Entfremdungs-Hölle verdammt und versklavt sein. Diese Welt werde „gerechter“ sein? Die Last der Subsumtion unter das Kapital wird auf alle davon Betroffenen in „gerechter“ Weise gleichmäßig verteilt werden; die große Mehrheit wird ohne Eigentum bleiben, mit Plastikgeld alimentiert, die Kluft zwischen Arm und Reich wird unüberwindbar. „Respektvoller gegenüber Mutter Natur“ soll es zugehen; daraus folgen: etwa Verbote von Waldspaziergängen, Artenvielfalt in künstlichen Reservaten, Impfzwang zum Zeichen der Ehrfurcht vor der Natur, Tiere und Menschen gechipt, Pflanzen genmanipuliert und hybrid, Smart Cities für den Konsumrausch.
Im Übrigen: Ein Scheideweg ist dann kein Scheideweg, falls dessen andere Abzweigung „in eine Welt führen (wird), die der gleicht, die wir gerade hinter uns gelassen haben – nur schlimmer und ständig von bösen Überraschungen bedroht“? Sowohl der eine als auch der andere Weg der Herren Schwab und Malleret sind Irrwege. Keiner der beiden Wege ist der rebellische revolutionäre Weg eines Karl Marx.
Siehe auch:
Ansprachen von Wladimir Putin und Xi Jinping beim "Davos Agenda 2021 online forum" im Januar 2021
Wer spricht hier?
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 765 vom 14.04.2021
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27367
Sonderansprache des chinesischen Präsidenten Xi Jinping auf der virtuellen Sitzung des Weltwirtschaftsforums 2022, 17.01.2022
Wer spricht hier? (2)
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 785 vom 26.01.2022
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27882
Auf dem Weg von Corona zu "Great Reset" und Transhumanismus
Das China-Tabu
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 760 vom 31.12.2020
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27204
Online-Flyer Nr. 790 vom 04.05.2022
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Arbeit und Soziales
Wie Klaus Schwab und das World Economic Forum versuchen, eine menschenfeindliche Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik zu etablieren
Transhumanismus als höchstes Stadium der Entfremdung
Von Rudolph Bauer
Klaus Schwab ist kein Unbekannter. Als Gründer und Vorstandsvorsitzender des World Economic Forum (WEF) ist er ein Scharlatan und brandgefährlich. Als Scharlatan wird er nicht ganz ernst genommen. Tenor: ein Spinner, der Prophet von Davos, ein aufgeblasener Wichtigtuer, der sich völlig überschätzt. Brandgefährlich ist er dennoch. Er steht für eine Tendenz. Er ist eine von vielen Hype-Maschinen, ein Selbstvermarkter - ein deutscher obendrein. Die Tendenz, für die er steht, ist die transhumane Wiedergeburt des Kapitalismus aus den Trümmern seines globalen Scheiterns. Schwab umschreibt dieses Ziel und den Weg dorthin auf salbungsvolle Weise. Wer ihm nicht folgt, dem droht er mit Verdammnis. Was davon zu halten ist? Eine Antwort aus dem ungewöhnlichen Blickwinkel von Karl Marx. Marx hat in seinen Frühschriften einen Begriff verwendet, der bei der Untersuchung der gegenwärtigen politisch-ökonomischen Verhältnisse erkenntnisleitend sein kann: den Begriff der Entfremdung. Im folgenden Beitrag wird aufgezeigt, dass das vom jungen Karl Marx thematisierte Phänomen der Entfremdung heute nichts von seiner gesellschaftskritischen Kraft eingebüßt hat. Es kehrt – gleichsam auf einer neuen Entwicklungsstufe – wieder. Verbunden mit dem vom späten Marx entwickelten Gedanken der Unterordnung („Subsumtion“) des Menschen unter das Kapital und dessen Erfordernisse lässt sich eine Gesellschaftsanalyse entwerfen, die der allgemeinen Theorie- und Sprachlosigkeit der Linken (oder was von dieser politischen Spezies noch übrig geblieben ist) Abhilfe verschaffen könnte.
Die „entfremdete Arbeit“ und die industriellen Revolutionen
Der Ausganggedanke beim jungen Marx ist „die entfremdete Arbeit“. In den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844 beschreibt er Entfremdung als einen Zustand, in dem die ursprüngliche natürliche und sinnliche Beziehung des Menschen zu sich selbst, zu seinen Mitmenschen, zu seiner Arbeit und dem Produkt seiner Arbeit sowie zur Natur gestört („entfremdet“, „verdinglich“, „entäußert“) ist. Unter den Bedingungen der Lohnarbeit, für deren Verrichtung die erforderlichen Produktionsmittel durch deren Eigentümer bereitgestellt werden, ist der vergesellschaftete Mensch im Kapitalismus sich selbst und seiner ursprünglichen Natur entfremdet.
Marx behandelt die „entfremdete Arbeit“ auf dem industriellen Entwicklungsniveau seiner Zeit, d. h. um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Es ist die Periode des Übergangs von der Agrar- zur Industriegesellschaft, die wirtschaftshistorisch als Erste industrielle Revolution bezeichnet wird. Mit Beginn der Zweiten industriellen Revolution gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die fabrikförmig-tayloristische Produktion weiterentwickelt und ausgeweitet. Der Beginn einer Dritten industriellen Revolution in den 1960er Jahren wird in Verbindung gebracht mit dem Aufkommen der Informations- und Kommunikationstechnologie. Damit verknüpft war die enorme Bedeutungszunahme der Print- und Elektronikmedien als Quellen der Information, der Unterhaltung und als Mittel der Steuerung und Manipulation im Bereich der Politik sowie des Konsums. In den 1970er und 1980er Jahren kamen Personal-Computer in Büros und privaten Haushalten zum Einsatz, in den 1990er Jahren das Internet als Vorankündigung einer weiteren, der Vierten industriellen Revolution.
Sämtliche Neuerungen hatten die Ausweitung der verschiedenen Formen der Entfremdung zur Folge. Die „entfremdete Arbeit“ bestimmte nunmehr nicht nur die fabrikförmige Produktion, den Hoch- und Tiefbau, sowie die Bereiche der Telekommunikation und des Transportwesens, wie es bei der Ersten und Zweiten industriellen Revolution zu beobachten war. Sie erstreckte sich zunehmend auf einen Großteil der Bürotätigkeiten, des Bank- und Versicherungswesens, der Medien für Kommunikation und Information, auf Kunst, Kultur und Unterhaltung, den Zahlungsverkehr und den Konsum, nicht zuletzt auf das Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen. Nicht ohne Grund ist die Rede von der Sozialwirtschaft, der Bildungs- und Gesundheitsökonomie.
Mit der Entwicklung der Produktivkräfte – vom mechanischen Webstuhl bis hin zur Kommerzialisierung von personenbezogenen Dienstleistungen – geht ein Prozess einher, in den zunehmend mehr Menschen als Lohnabhängige einbezogen und von ihrem Selbst, den Anderen, der Natur, ihrer Arbeit und dem Produkt ihrer Arbeit entfremdet werden. Eine Marx-Lektüre, wenn sie auf dem Stand der zeitgenössischen Studien zur Zeit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert verharrt, kann diese Entwicklung nicht angemessen nachvollziehen und neigt zu einer dogmatischen Soziologie des Proletariats.
Die moderne sozialwissenschaftliche „Arbeiter“-Definition hat erkannt, dass im Verlauf der Dritten industriellen Revolution das Unterscheidungskriterium „geistig vs. körperlich/manuell“ fragwürdig geworden ist. Die in diesem Veränderungsprozess erfolgte Einbeziehung neuer Gruppen von Lohnabhängigen in den kapitalistischen Entfremdungszusammenhang scheint – oberflächlich betrachtet – ein Ergebnis der fortschreitenden Entwicklung der Produktivkräfte zu sein.
Was aber ist die Triebfeder der Produktivkraftentwicklung? Diese Frage lässt sich vor dem Hintergrund der zentralen Rolle beantworten, die im Kapitalismus dem Profit und seiner Generierung zukommt. Steigende Profite stellen die ‚Normalität‘ kapitalistischer Produktion dar. In Zeiten einer Überproduktion bzw. nachlassender Kaufkraft stagnieren oder fallen die Profite, gerät die kapitalistische Produktionsweise in eine Krise. Mit den Worten des Wirtschaftswissenschftlers Wolfram Elsner: „In typischen politischen, sozialen und ökonomischen Konstellationen reflektieren die Profitraten und ihre Veränderungen typische Profitrealisierungsbedingungen, Konkurrenzbedingungen, Stimmungen, Erwartungen, Reaktionshandlungen und entsprechende makroökonomische Ergebnisse.“
Entfremdung, zyklische Produktivkraftentwicklung und Kriege
Die Industriellen Revolutionen I bis III lassen sich als kapitalistische Auswege aus Sozial- und Wirtschaftskrisen interpretieren. Diese signalisieren einen Paradigmenwechsel im Sinn der Theorie der Langen Wellen von Nikolai Kondratjew (1892-1938). Ihm zufolge führen zyklische Krisen zu innovationsinduzierten Investitionen: Indem massenhaft in neue Techniken investiert wird, werde ein neuer Aufschwung erzielt.
Die annähernde Zeitgleichheit von industriellen Umwälzungen, ökonomischer Auf- und Ab-Entwicklung im Verlauf der Kondratjew-Zyklen und großkriegerischen Auseinandersetzungen führt zu der Frage, ob zwischen diesen Phänomenen ein innerer Zusammenhang zu erkennen ist, der mit den Schwankungen der Profitrate in Verbindung steht.
Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der Einsicht in die Bedingungen und den Prozess der Mehrwertgewinnung und -steigerung im Rahmen kapitalistischer Produktion. Dabei sind zwei Methoden zur Steigerung der Profitraten zu unterscheiden: die Methode der Intensivierung und die der Extensivierung. Bei beiden Begriffen handelt es sich um dynamisch-relationale Termini, d.h. sie bezeichnen keine Zustände, sondern Handlungsrichtungen des industriellen Kapitals in seinem Streben nach Profitmaximierung. Eine Intensivierung („Verdichtung“) der Arbeit erfolgt dann, wenn das produzierte Arbeitsvolumen quantitativ und/oder qualitativ innerhalb einer bestimmten, vorgegebenen Arbeitszeit merklich erhöht wird. In diesem Fall arbeiten die Werktätigen nachhaltiger, der Arbeitsprozess wird intensiviert.
Mit den Worten von Karl Marx: „Der Exploitationsgrad [d. h. der Ausbeutungsgrad] der Arbeit hängt aber bei gegebenem Arbeitstag von der durchschnittlichen Intensität der Arbeit, und bei gegebener Intensität von der Länge des Arbeitstages ab. Von dem Exploitationsgrad der Arbeit hängt die Höhe der Mehrwertrate ab, also bei gegebener Gesamtmasse des variablen Kapitals die Größe des Mehrwerts, damit [i. S. v. folglich] die Größe des Profits.“ (MEW 25: 207)
Die gegenwärtige Periode lässt sich kennzeichnen als ein Zeitraum stagnierender bzw. sinkender Profitraten. Die Folgen sind vielfältige Bestrebungen des Kapitals, einen ihm entsprechenden Ausweg zu finden, indem zweierlei passiert: Einerseits wird versucht, die absolute und relative Mehrwertproduktion auf extensive und intensive Weise auszuweiten und zu erhöhen. Andererseits werden konkurrierende Anbieter der bisher bestehenden Produktionsstrukturen in den Konkurs getrieben oder insolvent gemacht. Das erleben wir gegenwärtig: Restaurants gehen Pleite, während Essendienste Konjunktur haben; Uber macht dem Taxigewerbe Konkurrenz; Amazon liefert nahezu alles, aber nahezu alle Buchhandlungen, Läden für Haushaltswaren, kleine Modegeschäfte usw. müssen mit ihrer Insolvenz rechnen; kleine Landwirtschaftxsberiebe kämpfen ums Überleben; Unterhaltungskünstler ringen um Gagen; Nachhilfelehrer werden durch elektronische Hilfsmittel ersetzt; Übersetzer durch Übersetzungsmaschinen; usw.
„Schöpferische Zerstörung“ und Vierte industrielle Revolution
Der kapitalistische Entwicklungspfad mittels der Zerstörung des Alten und Überlieferten zeigt sich im Zuge dessen, was Joseph Schumpeter auf euphemistische Weise die „schöpferische Zerstörung“ nannte. Die Zerschlagung herkömmlicher Produktionsstrukturen sei notwendig, um für die als notwendig erachteten Innovationen den Entwicklungsweg frei zu machen. Militärischen Verwüstungen und die ökonomisch ausgelösten Korrosionen sind charakteristisch für die laufende Gegenwart – beginnend mit dem Banken-Crash 2008 – und für die absehbare Zukunft.
Weitere Beispiele für Destruktion sind der Krieg in der Ukraine sowie die damit einher gehenden Widersprüche und Verwerfungen in der Politik. Zuvor bereits sind im Verlauf der Corona-Pandemie seit 2020 gesellschaftliche Konflikte, Spannungen und Widersprüche aufgebrochen, die tiefe Spuren hinterlassen haben. In ihrer Dramatik überhaupt noch nicht absehbar sind neben den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Maßnahmen die ökonomischen, sozialen und politischen Nah- und Fernwirkungen der antirussischen Sanktionen.
Im Anhang der Publikation „Vierte Industrielle Revolution“ (S. 171-228) zählt Klaus Schwab im Einzelnen u. a. folgende „tiefgreifende Veränderungen“ auf: „implantierbare Technologien“; „digitale Präsenz“; „mobiles Internet“; das „Internet der Dinge“; das „vernetzte Heim“; „intelligente Städte“; Entscheidungen per Algorithmen; „selbstfahrende Autos“; „Künstliche Intelligenz (KI) und Entscheidungsprozesse“; „Robotik und Dienstleistungen“; 3-D-Druck; „Neurotechnologien“.
Beim „Internet der Dinge“ beispielsweise nehmen laut Schwab 89 Prozent der Befragten an, dass 2025 der Wendepunkt erreicht ist, an dem eine Billion Sensoren mit dem Internet verbunden sein werden: „Bei kontinuierlich zunehmender Rechenleistung und fallenden Preisen für Hardware (…) ist es wirtschaftlich machbar, buchstäblich alles mit dem Internet zu verbinden. Intelligente Sensoren werden bereits zu sehr konkurrenzfähigen Preisen angeboten. Es wird alles intelligent und ans Internet angeschlossen, sodass auf der Grundlage zunehmender Analysekapazität mehr Kommunikation und neue datengesteuerte Dienste möglich werden.“ (A. a. O., S. 190)
Zu den positiven Effekten des Internets der Dinge zählten u. a. „effektivere Ressourcennutzung“, „steigende Produktivität“, „geringer Kosten für Dienstleistungen“, „Effizienz“, „Entstehung neuer Unternehmen“, „Entwicklung ‚digital vernetzbarer‘ Produkte“, „Erweiterung der Produkte um digitale Dienste“, „Dinge erhalten die Fähigkeit, ihre Umwelt umfassend wahrzunehmen und selbst zu reagieren und zu agieren“, „Entwicklung zusätzlicher Kenntnisse und Wertschöpfung auf der Grundlage vernetzter ‚intelligenter‘ Dinge“ (a. a. O., S 192). Als „negative Effekte“ des Internets der Dinge gelten unter anderem „Überwachungsmöglichkeiten“, die „Sicherheitsbedrohung durch Hacker“ und „Kontrollverlust“. Hinzu kommen „unbekannte oder zweischneidige Effekte“ wie die „Automation des Wissensnetzes (z. B. Analysen, Auswertungen, Diagnosen)“ und „höhere Auslastungsquoten“.
Mit dem Internet der Dinge seien enorme Auswirkungen auf die Produktions- und Arbeitswelt verbunden. In den Fabriken der Zukunft würden Informationstechnologie und Fertigungstechnik verschmelzen. Die digitale Vernetzung mache es möglich, Maschinen aufeinander abzustimmen, Zeit und Ressourcen einzusparen und individuellen Wünschen auch in geringen Stückzahlen auf wirtschaftliche Weise zu entsprechen. Das „Internet of Things“ sei bereits heute in vielen Unternehmen und auch im alltäglichen Leben nicht mehr wegzudenken: Maschinen seien untereinander vernetzt und übernähmen Aufgaben, die noch vor wenigen Jahren von Menschen durchgeführt wurden. Beispielsweise ließen sich Regale automatisch auffüllen oder Temperaturen in Büroräumen per App automatisch regulieren.
Die „Informatisierung“ nehme nicht nur in der Industrie konkrete Formen an. Selbst in klassischen handwerklichen Berufszweigen wie der Baubranche halte sie Einzug und schaffe neue Kommunikationsformen – sogar alltägliche Gebrauchsgegenstände seien durch Strich- oder QR-Codes mit dem Internet verbunden. Es handle sich teils um faktische, teils um zunächst noch potenzielle Werkzeuge, die zum einen geeignet seien zur Steigerung der Mehrwerterzeugung infolge der dadurch ermöglichten Intensivierung der Arbeit. Zum anderen begünstigten sie die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital.
Künstliche Intelligenz und Robotik
Auf gleiche Weise würden sich Künstliche Intelligenz (KI) und Robotik auf Dienstleistungstätigkeiten auswirken. „Muster zuordnen und Prozesse automatisieren kann KI gut. Deshalb eignet sich die Technik für viele Funktionen in großen Organisationen. Für die Zukunft ist ein Umfeld vorstellbar, in dem KI viele Aufgaben übernimmt, die heute noch von Menschen ausgeführt werden.“ (A. a. O., S. 205) Die erwarteten positiven Effekte zeigten sich v. a. beim Anstieg der relativen Mehrwertproduktion durch „Einsparungen, Effizienzsteigerung (und die) Erschließung von Innovation, Chancen für Kleinunternehmen, Startups (niedrige Einstiegsbarrieren, ‚Software als Service‘ für alles)“ (ebd.). Ähnlich würden KI und Robotik zahlreiche Berufe in der Fertigung, der Landwirtschaft, im Einzelhandel, bei Banken und Dienstleistungen beeinflussen bzw. überflüssig machen. Nicht zuletzt spielen sie auch im Rahmen des Militärisch-Industriellen Komplexes eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Auch die Entwicklung des Medizinisch-Industriellen Komplexes basiere auf tiefgreifenden Veränderungen digitaler und pharmakologischer Art. Schwab erwähnt u. a. „Big Data (als Instrument) zur Förderung von Forschung und Entwicklung im Pharmabereich“ (a. a. O., S. 208). Ferner verweist er auf die Rolle visueller Hilfen (Brillen, optische Geräte, Headsets und Technik zur Blickbewegungsregistrierung) u. a. in der Medizin und der Chirurgie. Digitale Geräte seien beispielsweise geeignet bei der Überwachung der Medikamenteneinnahme. Große Erwartungen seien mit der Rolle von KI in den Bereichen „Life Sciences, Krebsforschung, altersbedingte Erkrankungen und regenerative Medizin (verbunden)“ (a. a. O., S. 204). 3D-Drucker erzeugten per Bioprinting im Rahmen personalisierter Medizin menschliche Organe, die sich für Transplantationen eignen, ferner Zahnimplantate, Schrittmacher oder Stifte bei Knochenbrüchen.
Weitere Forschungs- und Entwicklungsfelder seien die Bearbeitung des Designs von Genomen durch Sequenzierung und Editierung, ferner die Nano- und Neurotechnologien. Zu letzterer „gehört die Überwachung der Hirntätigkeit und die Untersuchung, wie sich das Gehirn mit der Welt verändert und/oder welche Schnittstellen es gibt“ (a. a. O., S. 226) – Schnittstellen, die „das Verschwimmen der Grenzen zwischen Mensch und Maschine“ (a. a. O., S. 227) befürchten lassen.
Die „tiefgreifenden Veränderungen“, die Transhumanisten wie Schwab mit der Vierten industriellen Revolution verbindet, sind aufschlussreiche Beispiele dafür, mit Hilfe welcher digitalen und biotechnischen Innovationen das herrschende ökonomische System sich aus der Krise der kapitalistischen Produktionsweise zu befreien versucht. Damit einhergehen weitere Umwälzungen politischer und gesellschaftlicher Art. Die Veränderungen politischer Art betreffen sowohl die Ebene der nationalen und supranationalen Regierungssysteme als auch die geopolitische Dimension.
Für den Politikwissenschaftler Sheldon S. Wolin ist ein „umgekehrter Totalitarismus“ (Frankfurt/Main 2022) am Werk. Der Soziologe Bernd Hamm sprach schon 2004 von einem „neoliberale(n) Anschlag auf Demokratie und Gerechtigkeit“. Grund- und Menschenrechte würden ausgehebelt oder unterlaufen. „Fassadendemokratie und Tiefer Staat“ seien Stationen „auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter“. Geopolitisch würden Spannungen geschürt und Konflikte ausgetragen, bei denen Geheimdienste, Feindbilder, militärisches Eingreifen und wirtschaftliche Strafsanktionen tragende Rollen spielen. Neben den politischen Umwälzungen fänden auch massive gesellschaftliche Veränderungen statt. Die Bundesrepublik – vom US-Soziologen Richard Sennett als „eine unglückliche Kolonie der USA“ bezeichnet – erweise sich gesellschaftlich zunehmend als ein „Kaltes Land“.
Schwab erklärt: „Im Zuge der Vierten Industriellen Revolution verändert die digitale Vernetzung, die durch Software-Technologien möglich wird, unsere Gesellschaften grundlegend.“ (A. a. O., S. 171) Der tiefgreifende gesellschaftliche Umbruch betreffe nicht zuletzt die Arbeitswelt. In ihr wirkt sich die Intensivierung als Handlungsrichtung des industriellen Kapitals bei seinem Streben nach Profitmaximierung auf eine Art und Weise aus, dass sich die Entfremdung auf einer neuen Entwicklungsstufe wahrnehmen lässt.
Transhumanismus als höchste Stufe der Entfremdung
Die Selbstentfremdung des Menschen nimmt eine bisher unbekannte Dimension an, wenn technologische Übergänge zwischen Mensch und Maschine – zwischen dem Humanum, dem Menschlichen, und dem Transhumanum jenseits des Menschlichen – geschaffen werden. Die technologischen Übergänge machen die Arbeitenden nicht nur formal zu einem Glied des Maschinensystems, sondern sie unterordnen die Werktätigen unmittelbar und reell dem Kapital. Der Mensch ist sich dann in doppelter Weise entfremdet: als extensiv produktiver Lohnabhängiger (oder Solo-Selbständiger) zum einen, als intensiv produktive Maschine oder Maschinenteil andererseits.
Indem sich die Maschine dem Arbeiter inkorporiert, z. B. durch das Einpflanzen eines Chips, wird der arbeitende Mensch zum Teil einer Maschine oder in letzter Konsequenz selbst zu derselben. Damit ist der Weg geebnet für die unbegrenzte Extensivierung der Arbeit, indem der tätige Mensch rund um die Uhr abrufbar bzw. „im Einsatz“ und digital versklavt ist. Jenseits des Menschlichen beginnt die digitale Sklaverei.
Die Entfremdungserfahrungen wiederholen sich ebenso im Verhältnis zu den anderen Menschen: zum Gegenüber und zur Gesellschaft. Das Gegenüber erscheint als verdinglichter Maschinenmensch, die Gesellschaft als vergegenständlichtes Kollektiv. Der Werktätige, sich selbst äußerlich und von den Mitmenschen entfremdet, ist ein entfremdetes Objekt und nicht das Subjekt seiner Arbeit. Er ist vom Produkt seiner Arbeit auf eine Weise entfremdet, die ihn als Produzenten überflüssig und austauschbar erscheinen lässt.
Man kann sich diese Form der Verdinglichung so vorstellen, dass es keines besonderen Motivs zur Arbeit bedarf und keiner besonderen Beziehung zum Produkt; die Tätigkeit ist außengesteuert, das Ergebnis beliebig und fremder Willkür oder fremdem Kalkül unterworfen. Damit ist zugleich die Entfremdung von der Natur vollzogen. Der Mensch erlebt Natur weder als äußere lebendige Landschaft und Umwelt noch in Gestalt der eigenen Körperlichkeit. Beide – die Natur-Natur und die Körper-Natur – werden als begrenzt und unvollkommen wahrgenommen. Die ‚wahre‘ Vollkommenheit sei die des optimierbaren bzw. optimierten Menschen – in der dystopischen Vision der Ideologie des Transhumanismus die vollständig kontrollierbare, kalkulierbare und prognostizierbare Person.
Die Corona-Maßnahmen und der Transhumanismus
Die Einübung in den transhumanen Modus der Entfremdung hat in jüngster Zeit im Verlauf der staatlich verordneten Corona-Maßnahmen einen erschreckenden Höhepunkt erfahren. Der Mensch wurde als potenzieller Virenträger und Infektionsquelle durch Auflagen und Maßnahmen der Politik und des virologischen Establishments fremdbestimmt. Das Recht auf Eigenverantwortung, Selbstvorsorge und freie Entscheidung wurde den Bürgern entzogen. Als Gesunder eine Gefahr für die Anderen, galt im Umkehrschluss der Einzelne als Bedrohung der Gesellschaft.
Um sich und andere angeblich nicht zu gefährden, mussten die Menschen Abstände einhalten, ihre Hände desinfizieren, sich registrieren lassen, Apps verwenden, verpflichtend Masken tragen, sich Testungen unterziehen, sich Injektionen mit unzureichend erforschten Stoffen verabreichen lassen. Menschen in Alten- und Pflegeheimen durften nicht besucht werden, auch Sterbende nicht. Gaststätten und Restaurants waren geschlossen oder durften nur unter Auflagen betreten werden. Konformes Verhalten wurde als solidarisch gelobt.
Hingegen wurden kritisches Denken und die Bereitschaft, für die Wiederherstellung der demokratischen Rechte öffentlich zu demonstrieren, als egoistisch, gemeinschaftsschädlich und Anzeichen von Rechtsextremismus diffamiert, mit Hausdurchsuchungen geahndet und durch Berufsverbote bestraft. Es kam zu polizeilichen Ermittlungen bei Aktiven, übergriffigen und willkürlichen Festnahmen sowie zu brutalen Knüppeleinsätzen der Ordnungskräfte anlässlich von Demonstrationen.
Die zentrale These von Kees van der Pijl in seiner Studie „Die belagerte Welt“ (Ratzert 2021, S 125) lautet, „dass die Covid-Krise eine Antwort auf die wachsende Unruhe in der Weltbevölkerung ist und dass der Geheimdienst-IT-Medien-Block diese Antwort in Form eines autoritären Staates geben will, der mit dem gesamten Spektrum neuer digitaler Möglichkeiten zur permanenten Überwachung ausgestattet ist.“
Die Entfremdung von den Anderen kulminiert in einem gesamtgesellschaftlichen Ächtungsprozess: durch Ausgrenzung und Vorverurteilung, sowie mittels sozialer Spaltung. Betroffen waren Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn, Schüler und Lehrer, Junge und Alte, Kinder und Vorerkrankte, „Geimpfte“ und Geboosterte auf der einen Seite, so genannte „Corona-Leugner“, „Impfgegner“ und „Covidioten“ auf der anderen. Die zusätzliche Entfremdung von der Arbeit und vom Produkt der Arbeit vollzog sich durch die Befolgung von Quarantänevorschriften, Lockdown-Anweisungen und das Gebot von Home-Office und Home-Schooling.
Eine weitere Entfremdung von der Natur und von Geselligkeit wurde den Menschen einprägsam auferlegt durch das Verbot des Aufenthalts im Freien, durch die Schließung von Spielplätzen und Sportstätten, durch das Verbot von Theater- und Opernaufführungen, Konzerten, Open-Air-Veranstaltungen, Ausstellungen und öffentlichen Kultur-Veranstaltungen – nicht zuletzt auch durch das Untersagen von Kirchen-, Moschee- und Synagogenbesuchen. Bei Bestattungen war die Zahl der Trauergäste vorgeschrieben. Lehrer und Schüler begegnen sich mit Maske.
All dies geschah entsprechend der Ideologie des Transhumanismus, dass der Mensch als intellektuelles, physisches und psychisches Mängelwesen gilt, welches erst durch den Einsatz technologischer Verfahren der „Verpflichtung zum Fortschritt“ (Max More, der Futurist) gerecht wird. Auf vergleichbare Weise wurde die Bevölkerung in zwei Jahren Covid-19-Panik auf ständig lauernde Ansteckungs- und Erkrankungsgefahren eingestimmt und auf die Notwendigkeit verwiesen bzw. dazu verpflichtet, staatliche Anweisungen widerspruchslos zu befolgen und sich einem in seinen Neben- und Langzeitwirkungen unbekannten gentechnologischen Verfahren anzuvertrauen.
Der Ukraine-Krieg, antirussischer Rassismus und „Bruchlinien“
Eine Fortsetzung findet die „Mobilisierung der Angst“ (van der Pijl) und die Gewöhnung an transhumane Einstellungen seit dem Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine, die bereits 2014 mit den Maidan-Konfrontation begonnen haben. In den aus westlicher Sicht propagierten Feindszenarien vom „Schlächter Putin“ und „den Russen“ manifestiert sich ein rassistisches Menschenbild aus Selbstgerechtigkeit, Hass und Verachtung. Während die ‚eigene‘ Seite den kritiklosen Beifall der Medien sowie die regierungsseitige und parlamentarische politische Zustimmung erfährt – letztere auch in Gestalt von Sanktionen und der Bereitstellung von schwerem Kriegsgerät und Vernichtungswaffen –, werden ‚die Anderen‘ als bloße Objekte entmenschlicht und zur Ächtung freigegeben. Die angstbesetzte transhumane Eugenik-Ideologie, die sich in Vernichtungsphantasien wie „Russland ruinieren“ (Außenministerin Bärbock) äußert, findet viele Anhänger, die sich im Glauben des Fortschritts und der Aufklärung wähnen.
Es ist eine logische Konsequenz, dass Schwab als Autor der Schrift „Vierte Industrielle Revolution“ das Auftreten von Covid-19 und die Pandemie zum Anlass genommen hat, um sich erneut zu Wort zu melden und zusammen mit Thierry Malleret, dem Gründer des Global Risk Network beim Weltwirtschaftsforum, publizistisch den „Great Reset“ (Der große Umbruch. Cologny/Genf 2020) auszurufen.
Die durch das Corona-Virus medial und von den Regierungen ausgelöste Panik unterstreiche die angebliche Berechtigung der von Schwab zuvor schon mit Nachdruck erhobenen Forderungen nach tiefgreifenden Veränderungen zur Entwicklung der Produktivkräfte im Interesse der Mehrwertsteigerung (was er so nicht formuliert). Covid-19 habe „die Bruchlinien vergrößert, die unsere Volkswirtschaften und Gesellschaften bereits seit langem belasten. Zunehmende soziale Ungleichheiten, ein weit verbreitetes Gefühl der Ungerechtigkeit, sich vertiefende geopolitische Gräben, politische Polarisierung, wachsende Haushaltsdefizite und eine hohe Verschuldung, eine ineffektive oder nicht vorhandene globale Ordnungspolitik, exzessiver Finanzmarkt-Kapitalismus, Umweltzerstörung: Das sind nur einige (sic!) der größten Herausforderungen, die bereits vor der Pandemie bestanden. Die Coronakrise hat sie alle noch verschärft.“ (A. a. O., S. 291)
Die in der Schrift „Der große Umbruch“ verwendete Argumentationsfigur von Schwab/Malleret übernimmt einerseits ‚linke‘ Begründungsmuster, indem die Autoren beispielsweise orakeln: „Weltweit nehmen Bewegungen zu, die eine bessere Zukunft und einen Wechsel hin zu einem Wirtschaftssystem fordern, das unserem kollektiven Wohlergehen Vorrang vor bloßem BIP-Wachstum einräumt.“ (A. a. O., S. 300) Mit derlei Wachstums- und BIP-kritischen Äußerungen lenken sie ab von den objektiven politisch-ökonomischen Ursachen der aufgelisteten „Bruchlinien“. Diese scheinen gemäß Schwabs Beschreibung naturgegeben zu sein und „menschengemacht“. In Wahrheit aber lassen sie sich ursächlich zurückführen auf die Folgen der Überproduktion und die Stagnation bzw. den Fall der Profitraten.
Der Weg in die Entfremdungs-Hölle als „Ausweg aus der Krise“
Der „Great Reset“ und die Vierte industrielle Revolution sollen nach Schwabs billigen Lockversprechen das Fundament einer neuen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik bilden. Sie sollen einen Ausweg aus der krisenhaften Situation aufzeigen. In Wahrheit sind die meisten der vorgeschlagenen digitalen und biotechnologischen Innovationen und die damit in Aussicht gestellte Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik nichts anderes als Indikatoren für das anbrechende „Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ (Shoshana Zuboff) sowie Zeichen des „wachsende(n) Einfluss(es) der Pharmaindustrie und der Großstiftungen auf das Gesundheitswesen“ (Karl Heinz Roth).
Damit ist jedoch kein Ausweg aufgezeigt. Das „Reset“-Programm hat vielmehr eine Neuauflage des kapitalistischen Irrwegs mit der Absicht einer nach wie vor profitorientierten kapitalistischen Produktion zum Ziel. Es ergeben sich Formen der Entfremdung, die im Transhumanismus ideologisch überhöht werden und einer neuen Art faschistisches Regime den Weg bereiten. Sie propagieren einen „Umbruch“, der sich sowohl politisch als auch sozial zum Nachteil großer Teile der Weltbevölkerung auswirken wird. Hauptziel der WEF-Autoren ist der Fortbestand der kapitalistischen Strukturen und die weitreichende Privilegierung der herrschaftsprivilegierten Klassen.
Schwab, der Gründer und Vorstandsvorsitzende des WEF, ist angetreten, anerkannt zu werden als Zukunftsprophet, der dem kapitalistischen System, das er so nicht beim Namen nennt, in Anbetracht der tatsächlich „besorgniserregende(n) Perspektiven“ (a. a. O., S. 296) einen Ausweg aus der Krise aufzeigt. Dieser scheinbare Ausweg, für den er unermüdlich wirbt, mündet jedoch in eine neue, repressive und regressive Art der Entfremdung. Schwab, das WEF, sowie die Großstiftungen, Think Tanks und weltweiten NGOs, ihre „Netzwerk(e) & die Hintermänner“ (siehe Thomas Röper, Inside Corona, 2022) täuschen uns mit schönen Worten und Versprechungen darüber hinweg, dass ihre Zukunftsvision das Konzept des Totalitären Transhumanismus bedient.
Sie versprechen den Menschen Heilung durch ein System, das die Menschen kaputt macht. Sie wollen dem niedergehenden Kapitalismus zu einer neuen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Entwicklungsstufe verhelfen. Schwab/Malleret mahnen und locken zugleich: „Wir stehen jetzt an einem Scheideweg. Ein Weg wird uns in eine bessere Welt führen: integrativer, gerechter und respektvoller gegenüber Mutter Natur. Der andere wird uns in eine Welt führen, die der gleicht, die wir gerade hinter uns gelassen haben – nur schlimmer und ständig von bösen Überraschungen bedroht.“ (A. a. O., S. 300)
Fazit: Das raunende Orakel von Davos verspricht der gesamten Menschheit den „Weg … in eine bessere Welt“. Diese werde „integrativer“ sein; sprich: die Menschen werden noch mehr und unausweichlich in die transhumane Entfremdungs-Hölle verdammt und versklavt sein. Diese Welt werde „gerechter“ sein? Die Last der Subsumtion unter das Kapital wird auf alle davon Betroffenen in „gerechter“ Weise gleichmäßig verteilt werden; die große Mehrheit wird ohne Eigentum bleiben, mit Plastikgeld alimentiert, die Kluft zwischen Arm und Reich wird unüberwindbar. „Respektvoller gegenüber Mutter Natur“ soll es zugehen; daraus folgen: etwa Verbote von Waldspaziergängen, Artenvielfalt in künstlichen Reservaten, Impfzwang zum Zeichen der Ehrfurcht vor der Natur, Tiere und Menschen gechipt, Pflanzen genmanipuliert und hybrid, Smart Cities für den Konsumrausch.
Im Übrigen: Ein Scheideweg ist dann kein Scheideweg, falls dessen andere Abzweigung „in eine Welt führen (wird), die der gleicht, die wir gerade hinter uns gelassen haben – nur schlimmer und ständig von bösen Überraschungen bedroht“? Sowohl der eine als auch der andere Weg der Herren Schwab und Malleret sind Irrwege. Keiner der beiden Wege ist der rebellische revolutionäre Weg eines Karl Marx.
Siehe auch:
Ansprachen von Wladimir Putin und Xi Jinping beim "Davos Agenda 2021 online forum" im Januar 2021
Wer spricht hier?
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 765 vom 14.04.2021
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27367
Sonderansprache des chinesischen Präsidenten Xi Jinping auf der virtuellen Sitzung des Weltwirtschaftsforums 2022, 17.01.2022
Wer spricht hier? (2)
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 785 vom 26.01.2022
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27882
Auf dem Weg von Corona zu "Great Reset" und Transhumanismus
Das China-Tabu
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 760 vom 31.12.2020
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27204
Online-Flyer Nr. 790 vom 04.05.2022
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