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Aktueller Online-Flyer vom 26. Dezember 2024  

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Kultur und Wissen
Ein Zwischenruf
Querdenker: Von Guten und Bösen
Von Georg Meggle

Ich soll mich, um ein "Guter Querdenker" bleiben zu können, von den "bösen" abgrenzen. Warum denn, und mit welcher Begründung? Ich bin Querdenker. So hatte ich mich hier vor kurzem explizit geoutet (1) – und schon allein damit in manchen Wassergläsern einen Sturm entfacht. Auch in den Gläsern von manchen meiner engeren und so auch gleich um mich besorgten Freundinnen und Freunde. Ich hätte das "doch sicher nur als ein weiteres philosophisches Plädoyer für den Skeptizismus gemeint und dabei gewiss nicht auch an die Querulanten gedacht, die sich in den Corona-Protesten derzeit selber das altehrwürdige Label 'Querdenker' umgehängt hätten. Drum: Grenz Dich jetzt – um Gottes willen! – ganz schnell von diesen üblen Leuten ab!"


Prof. Dr. Georg Meggle

Aufruf zur Abgrenzung

Warum sollte ich? Etwa, weil diese Abgrenzungsforderung nicht nur der Tenor einiger Freunde ist, vielmehr auch der des derzeit vorherrschenden medialen Narrativs?

Weil ich sonst Gefahr laufen würde, mit Gruppen in Verbindung gebracht zu werden, mit denen ich in der Tat möglichst wenig zu tun haben möchte?

Weil auch ich andernfalls zum Objekt nachrichtendienstlicher Beobachtungen werden könnte?

Oder – was, wie viele von uns selber bereits leidvoll haben erfahren müssen – wirklich noch viel schlimmer wäre: Weil ich sonst befürchten müsste, dass ohne diese Distanzierung sogar einige meiner engsten Freunde nicht länger meine Freunde bleiben würden?

Klar, all dies wären verdammt starke Gründe dafür, dem Drängen nachzugeben und mich als "guter" Quer- beziehungsweise Selbstdenker von den "bösen" abzugrenzen.

Welche Abgrenzungsgründe gibt es?

Was macht mich zögern? Dreierlei: Zum einen, dass ich, wenn ich denn wirklich selbst ein echter Selbstdenker sein und bleiben möchte, auch noch so starken Außenappellen nicht einfach reflexhaft folgen darf.

Zweitens, dass sich einige meiner besten Freunde – und somit letztlich auch ich selbst – auf beiden Seiten finden. Keinen davon will ich als Freund verlieren und mich so auch nicht selbst verleugnen müssen.

Und drittens: Weil mir, sobald ich etwas genauer hinschaue, schlicht und einfach nicht klar genug ist, was einen angeblich guten Querdenker von dem für bös gehaltenen unterscheidet. Und sollte ich genau dies nicht schon wissen, ehe ich, wie auf allen Kanälen derzeit lauthals gefordert und vorexerziert, schließlich gar auch noch selber dazu beitrage, die letzteren – "die Bösen" – blanko zum öffentlichen Abschuss freizugeben? In diesem Beitrag geht es nur um diesen dritten Grund.

Teil I: Begriffsdiagnose
I.1 Querdenker ist, wer ...


Wen wollen bzw. sollten wir als einen echten Querdenker bezeichnen? Mein Vorschlag, wie das Wort schon sagt: Nur einen Denker, dessen Denken quer zum offiziellen bzw. dominierenden Denken (seiner Zeit) liegt; und auch nur einen Denker, der ein Selbstdenker ist, also einer, der etwas nicht schon deshalb für wahr bzw. für richtig hält, weil das auch irgendwelche Anderen tun. Mein Musterbeispiel für einen echten Querdenker: Sokrates.

Damit es auch ja klar ist: Mir geht es im Folgenden nur um echte Querdenker, also um die, die wirklich welche sind, also die genannten zwei Bedingungen erfüllen; nicht um die, die von irgendjemandem, gar auch von sich selbst, einfach so genannt werden. Das ist ein großer Unterschied.

I.2 Kampfbegriffe

Diesen Unterschied zwischen Sein und So-Bezeichnet-Werden gibt es bei vielen Begriffen. Er ist je wichtiger, desto umstrittener ein Begriff ist. Und bei den so genannten Kampfbegriffen, zu denen offensichtlich nunmehr auch die Querdenker-Bezeichnung gehört, entscheidet diese Differenz im Extremfall sogar über Leben und Tod.

Darum noch mal: Es geht im Folgenden nur darum, wer ein Querdenker ist (also zurecht so benannt wird), nicht darum, wer von irgendjemandem einfach so – und somit eventuell letztlich zu Unrecht so – bezeichnet wird.

Mir selbst ist dieser Unterschied und dessen Relevanz erstmals beim Terrorismus-Begriff wirklich deutlich geworden: Nicht jeder, der als "Terrorist" bezeichnet wird, ist auch ein solcher; und nicht jeder, der einer ist, wird auch so bezeichnet. Die mächtigsten und die schlimmsten meist am allerwenigsten.

Notabene Terrorismus: Meine folgenden Ausführungen sind stark von den Erfahrungen geprägt, die ich im Kontext meiner Untersuchungen zur Logik des Terrorismus-Begriffs gemacht habe. Vielleicht sehe ich gewisse Parallelen deshalb etwas anders – und mitunter vielleicht auch etwas schärfer – als andere.

Kampfbegriffe sind stark wertende Begriffe. Die mit ihnen verbundenen Wertungen können positive wie negative sein. Beispiele für erstere: Demokratie, Freiheit, Humanität, Menschenrechte, Menschenwürde, Sicherheit, Gesundheit, Rationalität, Wissenschaftlichkeit, Einheit, Identität und Solidarität. Beispiele für letztere: Diktatur, Knechtschaft, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Apartheidregime, Fake News, Verschwörungstheoretiker, XYZ-Leugner, Unwissenschaftlich, Staatsfeind, Schwurbler, Spalter und Sektierer.

Die deskriptive Bedeutung dieser Begriffe – ihr jeweiliger kognitiver Kern – ist jeweils verschieden; ihr Wertungsaspekt hingegen ist in jeder dieser beiden Klassen jeweils derselbe: entweder stark positiv oder stark negativ. Neutrale Begriffe wären als Kampfbegriffe untauglich.

Der Unterschied zwischen ein X sein und ein "X" genannt werden, ist auch für die positiv konnotierten Kampfbegriffe relevant. Nicht jeder, der sich einen Demokraten nennt, ist auch ein solcher. Dito ist nicht jeder, der sich selber als einen Querdenker bezeichnet, wirklich ein solcher.

Und für beide (positive wie negative) Sorten von (Kampf-)Begriffen gilt natürlich auch: Man fällt nicht schon allein deshalb nicht unter ihn, nur weil jemand sagt, dass dem nicht so sei. Aus der Verwischung und Ignorierung dieser kleinen Unterschiede resultiert ein Großteil der extremen Macht politischer Propaganda.

I.3 Das Kampfbegriff-Gesetz

Für einen effektiven Einsatz dieser Begriffe als Kampfbegriffe kommt es fast nur auf deren Wertungsaspekt an. Dann gilt nämlich das Gesetz:

[Gesetz 1] Bei Kampfbegriffen ist der Impact des Wertungs-Aspekts zu ihrem kognitiven Kern umgekehrt proportional.

Je unklarer der kognitive Kern eines Kampfbegriffs ist, desto stärker ist seine (positive bzw. negative) wertende Kraft auf der kulturellen und politischen Bühne – und umgekehrt. Ihre größte Wirkung entfalten diese Begriffe daher genau dann, wenn das Gewicht ihres kognitiven Kerns gegen null geht. Bzw., wie die Emotivisten richtig gesehen hatten: Genau dann, wenn sich ihre Bedeutung auf den Unterschied zwischen "Bravo!" ("Hossianah!") und "Pfui!" ("Kreuzige ihn!") reduziert.

Dieses Gesetz erklärt ziemlich viel. Wo es primär nur auf das Ausdrücken von Wertungen ankommt, ist es nicht verwunderlich, wenn allein schon jede Wortmeldung, die auf den kognitiven Kern abzuheben versucht, nicht nur nicht erwünscht ist, vielmehr bereits als eine feindliche Operation angesehen und entsprechend negativ sanktioniert wird.

Und damit dies so ist und bleiben kann, wird die Entscheidung darüber, auf wen die betreffenden Begriffe zutreffen (sollen) oder nicht, dem öffentlichen Streit möglichst entzogen und an spezielle Institutionen delegiert; früher an kirchliche (Inquisition), heute an staatliche bzw. staatlich geförderte (Staatspräsident, eine Regierungskommission oder irgendwelche eigens zu diesem Zweck bestellte "XYZ"-Beauftragte bzw. so genannte Faktenchecker.)

Und insofern das Ziel primär die Verstärkung eines "Hossianah" oder eines "Kreuzige ihn!" ist, spielen auch alle Unterschiede zwischen den diversen kognitiven Begriffskernen keinerlei Rolle mehr.

Und so kommt im semantischen Krieg denn auch keiner dieser Rufe für sich allein: Wer sozial gekreuzigt werden soll, wird zudem mit einem ganzen Bündel negativer Kampfbegriffe gesteinigt. Sowohl das "Bravo!" als auch das "Pfui!" lassen sich durch den multiplen und möglichst breit gestreuten Einsatz von Munition aus dem Wertebegriffarsenal beliebig verstärken. Auch der Einsatz der schärfsten Munition, der Antisemitismus-Vorwurf, fehlt daher – verständlicherweise vor allem in Deutschland und Österreich – so gut wie nie.

I.4 Das Abgrenzung-Gesetz

Ein zweites Gesetz ist mir ebenfalls erst beim "Terrorismus" wirklich evident geworden. Inzwischen bin ich überzeugt, dass man ohne das Wissen um dieses Gesetz von unserer ganzen Weltgeschichte so gut wie gar nichts versteht:

[Gesetz 2] Die "Bösen", das sind nur (bzw. zumindest primär) die anderen.

Teilt man die Menschen, wie üblich, dichotomisch in "die Guten" und "die Bösen" ein, so folgt aus diesem Gesetz unmittelbar: "Die Guten", das sind (primär) wir.

Eine weitere Variante dieses Gesetzes spricht nicht von "den Bösen", sondern "nur" von "den Blöden, den Irrationalen, den Idioten". Die entsprechende Folgerung wäre: "Die Klugen, die Intelligenten, die Rationalen", das sind (primär) wir.

Dieses offenbar universell gültige Gesetz ist so einfach, dass es kaum einer weiteren Erklärung bedarf. Trotzdem – oder gar deshalb: Es dürfte eines der von den Menschen in der Praxis am meisten befolgten und zugleich beim eigenen Nachdenken, so es überhaupt zu einem solchen kommt, am meisten ignorierten Gesetze sein.

Es gilt übrigens nicht nur für die großen kultur- und geopolitischen Außenbezirke, auch für alle Innen-Bereiche. Ein Musterbeispiel: unsere Querdenkerdebatten.

I.5 "Querdenker" im Corona-Zeitalter – ein Kampfbegriff

Meine Behauptung im vorigen Telepolis-Artikel war: Dank Corona ist der Querdenker-Begriff im Kampf um die richtige Corona-Einstellung zum "ultimativen Schimpfwort mutiert". So ist es. Wobei "Dank Corona" in einem doppelten – eng verknüpften – Sinne zu lesen ist:

(a) Infolge des Protests der Corona-Skeptiker gegen die dominante Corona-Politik, und

(b) im Gefolge der sozialen Ausgrenzung dieser Skeptiker durch die Befürworter dieser Politik.

Bei der Ausgrenzung der Anderen fungiert dieser Begriff derzeit als der zentrale Kampfbegriff. Konkurrieren kann mit ihm allenfalls noch der Begriff Corona-Leugner. Die beiden Gesetze eins und zwei entfalten auch in diesem Kontext ihre volle synergetische Kraft.

Für den vernichtenden Einsatz des Querdenker-Begriffs gibt es im Kontext von Corona-Debatten "keine rote Linie". Auch keine kognitiv semantische. Überprüfen Sie bitte doch einfach mal selbst, inwieweit die im letzten Absatz von I.3 noch ganz allgemein beschriebenen Folgen solcher Kampfbegriff-Einsätze auch bei dem speziellen Totschlag-Begriff "Querdenker" zutreffen. (Meines Erachtens: rundum. Für mich korrigierende Rückmeldungen wäre ich dankbar.)

I.6 Ich prognostiziere

Nachdem die Querdenker-Szene von einigen ‚Vordenkern‘ bereits blanko zu Staatsfeinden erklärt worden ist und en bloc als "Extremisten", "Rassisten", "Faschisten" etc. beschimpft wird, dürfte es nicht mehr lange dauern, bis auch für sie der übliche nächste Schritt folgt: Auch die Querdenker werden, wenn es so weitergeht, in Kürze (wie die kanadischen Trucker) zu "Terroristen" erklärt werden und schließlich auch als solche behandelt. Sie werden – dämonisiert und selbst von ihren bislang lieben Nachbarn denunziert – mehr und mehr zu Outlaws.

Dies ist, wie die Geschichte des (seinerseits maximal terroristischen) Krieges gegen den Terror nun schon mehrfach gezeigt hat, der sicherste Weg, aus Dissidenten auch wirklich Terroristen zu machen.

Warnung: Diese Entwicklung ist das Ende jeder Debatte. Aus einem semantischen Bürgerkrieg wird schnell auch ein realer. (Ein echter Selbstdenker könnte jetzt fragen: Soll er das gar?)

Teil II Begriffs-Therapie

Wie lässt sich dieser Verlauf noch revidieren? (Falls man das will.) Worin könnte das unbedingt notwendige Minimum einer semantischen Bürgerkriegsprophylaxe bestehen?

II.1 Die Therapie – sie wäre simpel

Der einfachste und wirksamste Weg, den ich kenne, wäre für die meisten Kämpfer an der Werte-Front mit Sicherheit freilich zugleich der schwierigste:

Folgen Sie nicht länger blind den Gesetzen 1 & 2!

Zur Erinnerung:

[Gesetz 1] Bei Kampfbegriffen ist der Impact des Wertungs-Aspekts zu ihrem kognitiven Kern umgekehrt proportional.

[Gesetz 2] Die "Bösen", das sind nur (bzw. zumindest primär) die Anderen.

Versuchen Sie stattdessen,

(a) möglichst klar zu benennen, was sie mit den von Ihnen verwendeten Wörtern (Demokraten, Wissenschaftlichkeit, Terrorismus und Antisemitismus z.B.) wirklich jeweils meinen, und

(b) zwischen Tatsachenbehauptungen einerseits und Wertungen andererseits möglichst weitgehend zu trennen.

Am besten immer. Vor allem aber im Umgang mit dem gesamten Corona-Komplex. Bei dessen diversen Narrativen. Insbesondere bei den derzeitigen C-Querdenker-Debatten. Also auch beim eigenen – hoffentlich etwas gewissenhafteren – Gebrauch des Querdenkerbegriffs.

II.2 Zwei Arten des Querdenkens, positionales vs. systemisches

Ein (Corona-) Querdenker ist jemand nur dann, wenn er ein Selbst-Denker ist, "dessen Denken quer zum offiziellen bzw. dominierenden (Corona-)Denken seiner Zeit liegt". (Siehe I.2 oben.) Das Denken eines Querdenkers passt nicht zu dem Denken (zu bestimmten Narrativen) dessen, zu dem er quer denkt.

Natürlich ist diese Erklärung nur eine sehr grobe. Sie schreit nach Verfeinerungen. Ist, wer quer denkt, damit nicht auch schon ein Selbstdenker? Und umgekehrt: Ist, wer ein Selbstdenker ist, nicht auch schon jemand, der quer denkt? Das wären Fragen, wie sie in einem guten Philosophieseminar sofort fällig wären. Hier aber dürften die folgenden Erinnerungspunkte noch wichtiger sein.

Dass ein Denken von mir nicht zu dem Denken eines anderen passt, kann zweierlei heißen. Erstens, dass, was ich denke (für wahr halte bzw. glaube), unverträglich ist mit dem, was der andere denkt. Zweitens, dass die Art und Weise, wie ich denke, sich von der Denkungsart des Anderen unterscheidet.

Im ersteren Fall liegt ein positionales Querdenken vor: Die von uns vertretenen inhaltlichen Positionen sind unverträglich. Ein Querdenken der zweiten Art könnte man hingegen als ein systemisches Querdenken bezeichnen. Es geht bei ihm nicht (nur) um alternative Glaubensinhalte, sondern um alternative Denkweisen.

Obwohl in den Verurteilungen des Corona-Querdenkens verständlicherweise vor allem die radikalere zweite Art im Mittelpunkt steht, konzentriere ich mich hier nur auf die erstere. Auf die Zweite komme ich vielleicht später mal – in einem resümierenden Kommentar zu dem ganzen derzeitigen C-Querdenker-Zeug – zurück.

Auch ein nur positionaler Querdenker ist nicht immer ein solcher. Und schon gar nicht mit allem, was er selber für richtig und wahr hält. Ein Querdenkertum ist, außer im kleinkindlichen Trotzalter oder in der Pubertät, in der Regel auf einen bestimmten Themenbereich bezogen, meist sogar auf ganz bestimmte – selektive – inhaltliche Positionen. Auf bestimmte Gebiete und Positionen in Sachen Corona zum Beispiel.

Wer über ein Querdenkertum etwas genauer nachdenken bzw. dieses gar begründet bewerten will, sollte diese Kontext-Bezüglichkeiten nicht aus den Augen verlieren.

II.3 Hilfreich wäre: eine Corona-Matrix

Mit anderen Worten: Ein begründetes Urteil über ein Corona-Querdenken setzt schon einen hinreichend guten Überblick über die relevanten Corona-Kontexte voraus. Für einen solchen Überblick wäre eine grobe Landkarte der verschiedenen Dimensionen und Bereiche des gesamten Corona-Komplexes hilfreich, wenn nicht gar nötig. Eine solche Orientierungshilfe fehlt meines Wissens bisher. (Kann mir hier jemand auf die Sprünge helfen?)

Im Idealfall hätte eine solche Karte die Form einer Taxonomie bzw. Matrix des gesamten Corona-Komplexes. Die nächsten Paragrafen sind vielleicht ein erster grober Ansatz dazu.

II.4 Corona-Dimensionen und Bereiche

Der Corona-Komplex ist vielschichtig. Er hat mehrere sich überschneidende Dimensionen:
  • eine medizinische (mit den Bereichen bzw. Disziplinen der Human- und Veterinärmedizin, der Virologie, der Epidemiologie, der Pharmazie, der Sozialpsychologie etc.);
  • eine ökonomische (mit den Bereichen Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft, globale Finanzwirtschaft, politische Ökonomie etc.);
  • eine rechtliche (differenziert in Menschenrechte, Völkerrecht, Länderrecht, Arbeitsrecht, Versammlungsrecht etc.);
  • eine gesellschaftliche und politische;
  • und eine mediale
Und bei all diesen sich ersichtlich überschneidenden Dimensionen und Bereichen wäre, wie üblich, jeweils zwischen einer systematischen (theoretischen) versus einer historischen (primär ereignisbezogenen) Betrachtungsweise zu unterscheiden.

Dabei kann die betreffende "Historie" extrem weit oder eng konzipiert sein: zum Beispiel, um nur auf die erste oben genannte Dimension abzuheben, von der medizinischen Vorgeschichte in den frühen Kulturen bis heute – oder von dem Auftauchen eines speziellen Virentyps in "Irgendwo" Ende 2019 über die diversen Pandemie-Wellen der letzten zwei Jahre bis hin zur wirklich letzten Verlautbarung von Seiten spezieller epidemiologischer Überwachungszentren von gestern; spezifiziert eventuell zudem für die diversen Verlaufsgeschichten einer so genannten Pandemie in den diversen Kontinenten und Ländern. (Warum "so genannt"? Dazu: Die Corona-Panik – Ein Irrtum?)

Die zwei wichtigsten Dimensionen fehlen in der obigen Liste noch: die praktische und die ethische.
  • Die praktische Dimension umfasst alle möglichen Antworten auf die Frage "Was tun"? Bzw. genauer: Welches Tun und Lassen ist/wäre im Corona-Kontext am vernünftigsten? (Relevante Theorien-Bereiche: Institutionentheorie, Rationale Entscheidungs- und Spieltheorie).
  • Die ethische: Deren Kernfrage ist: Welches Tun und Lassen ist/wäre im Corona-Kontext moralisch richtig? (Ethik, Normentheorie, Praktische Ethik). Diese Frage ist/wäre auch in diesem Kontext – also auch in der Corona-Querdenker-Debatte – die allerwichtigste.
II.5 Corona-Positionen
II.5.1 Allgemeines


In allen genannten Bereichen (Disziplinen) dieser Corona-Dimensionen gibt es für die großen theoretischen Grundsatzfragen wie für alle Detailfragen jeweils Dutzende von verschiedenen Ansätzen. Über deren Potenziale und Grenzen streiten sich – in jedem dieser Bereiche – weltweit Abertausende von Experten.

Und jeder dieser Experten hat über diesen oder jenen C-relevanten Punkt mehr oder weniger seine eigene mehr oder weniger gut begründete Meinung. Kurz: Zum Corona-Komplex gibt es in allen Bereichen unübersehbar viele Meinungen, unübersehbar viele C-Positionen.

Nicht alle diese Positionen sind für den öffentlichen Streit darüber, wie mit Corona und dem Corona-Komplex am besten umzugehen ist, gleichermaßen relevant. Der öffentliche Fokus sollte, denke ich, auf den praktisch-ethisch relevanten Grundsatzfragen liegen. Bislang ist das nicht der Fall.

Die adäquate Beurteilung einer jeden ethisch relevanten Corona-Position (egal, ob Pro oder Contra) erfordert dreierlei: bestinformierten Umgang mit den Fakten, zumindest ein Minimum an Logik und klare ethische Prinzipien. In der Corona-Debatte fehlt es meist an allen dreien.

Was die Ermittlung der Fakten angeht, so sind dafür die jeweils einschlägigen empirischen Wissenschaften und die mit diesen Fakten befassten praktischen Disziplinen (der Medizin zum Beispiel) zuständig. Ein wohlinformierter Umgang mit den Fakten ist aber anspruchsvoller; er setzt nicht nur ein Wissen über Fakten voraus, vielmehr auch ein Wissen um die Bedeutung (Relevanz) dieser Fakten.

Und dazu gehört etwa auch das Wissen, dass nicht alle Fakten auch wissenschaftlich erfassbare (mit Hilfe der derzeitigen Wissenschaftssprachen hinreichend beschreibbare) Fakten sind.

Dieser Unterschied zwischen Faktenwissen einerseits und Wissen um die Bedeutung dieser Fakten andererseits ist auch im Corona-Komplex von größter Wichtigkeit. Wie in diesem Kontext vielen inzwischen etwas klarer geworden sein dürfte: Fall-Zahlen alleine besagen fast gar nichts. Trotzdem steigt bei den meisten bei steigenden Inzidenzzahlen immer noch zugleich die Panik. Liegt das wirklich nur an der Differenz zwischen Stammhirn und Cortex?

Wissenschaftlichkeit bzw. Unwissenschaftlichkeit gehören, wie schon in I.2 oben vermerkt, selbst zu den beliebtesten politischen Kampfbegriffen. Auch für sie gilt, wie die politischen Schmalspurdebatten seit 2 Jahren jeden Tag im Corona-Krieg zeigen, das Gesetz 1 (das der umgekehrten Proportionalität von Wertung und kognitivem Inhalt).

Dasselbe gilt auch für die in der Regel mit einem zumindest minimal logischen Denken in Verbindung gebrachten Kampfbegriffe Rationalität versus Irrationalität. Für den Umgang mit diesen hehren Begriffen empfehle ich die Faustregel: Traue denen, die sie am meisten verwenden, am allerwenigsten!

II.5.2 Konkrete praktisch sowie ethische Fragen – und Positionen

Zu den heißesten Problemen aus der praktisch-ethischen Corona-Dimension gehören u.a. diese: Wie vernünftig bzw. ethisch begründbar waren/sind
  • die Ausrufung der Corona-Pandemie?
  • die diversen oktroyierten Präventions- und Reaktionsmaßnahmen, wie etwa
    * Masken (in den diversen Kontexten)?
    * Versammlungsverbote?
    * Quarantäne-Regelungen?
    * Individuelle und/oder kollektive Isolation von Gefährdeten?
    * Genereller bzw. lokal begrenzter Lockdown?
    * Impfregelungen / Impfzwang?
    * Umgang mit Impfverweigerern?
  • die diversen Einschränkungen elementarer Grundrechte?
  • die Einführung genereller (nicht nur Corona-bezogener) Überwachungssysteme?
Die Pros und Contras zu all diesen Dingen sind der Kernbrennstoff der derzeitigen öffentlichen Corona-Debatten; und so auch der Corona-Querdenkerdebatten. Als Querdenker gilt schon, wer irgendetwas, was von den Covid-Offiziösen bejaht wird, negiert bzw. auch nur in Zweifel zieht.

II.6 Praktische Relevanz der C-Matrix

Dass die oben skizzierte Corona-Matrix für eine erste Vermessung der Corona-Forschungslandschaft von Nutzen sein könnte, das scheint mir außer Frage zu sein. Sie könnte aber, und nur darauf kommt es mir in diesem Artikel an, auch für eine bessere Ortsbestimmung im derzeit eher von beidseitigem Hass statt von geteilter Ratio geprägten Streit um das so genannte Corona-Querdenkertum dienlich sein.

Was aber voraussetzt, dass die – schon oben monierte und m.E. ohnehin generell nötige – Trennung zwischen Tatsachenbehauptungen einerseits und Wertungen andererseits möglichst strikt durchgehalten wird. (Minimal-Logik ist sowieso unverzichtbar.)

Unter dieser Voraussetzung wäre die wichtigste Frage in diesem Streit für jedes der obigen (II.4) Problemfelder schlicht und einfach diese: Worin unterscheidet sich die jeweilige Corona-Querdenkerposition von der jeweils dominierenden denn wirklich? Beruht der Streit auf einem Unterschied in der Sache? Oder auf einem in der Wertung? Oder gar auf beidem?

Sollte man das nicht wissen, ehe man bereit ist, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen? Mit dieser Frage hatte ich meine Weigerung, mich blindlings an der Verurteilung von C-Querdenkern zu beteiligen, gleich zu Anfang begründet. Wenn jetzt auch nur ein paar Leute bereit sind, mir in dieser Weigerung zu folgen, dann habe ich schon alles erreicht, was man mit einer solchen Telepolis-Wortmeldung zu erreichen derzeit vielleicht gerade noch erhoffen kann.


Georg Meggle ist nach Professuren für Logik und Wissenschaftstheorie (Münster), Ethik (Saarbrücken) und Philosophische Anthropologie (Leipzig) im Wintersemester regelmäßig Gastdozent an der American University in Cairo (AUC). Letzte Seminarthemen: Migrationsethik, Fake News und Kollektive Identitäten. Das nächste Thema: Transhumanismus. Seine akademischen Erfahrungen resümiert er im Kapitel (74) des frei zugänglichen eBooks von 2021 (Denken. Reden. Handeln / Thinking. Talking. Acting, hg. von J. L. Brandl, D. Messelken, S. Wedman. 2021). Relevant ist zudem der § 1 von Kapitel (75).


Erstveröffentlichung bei telepolis am 21. Juni 2022


Fußnote:

1 Über einen zum non-plus-ultra-Schimpfwort mutierten Begriff
Ich bin Querdenker
Von Georg Meggle
NRhZ 784 vom 12.01.2022
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27861

Online-Flyer Nr. 797  vom 31.08.2022

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