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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Globales
Aspekte zur Situation in Somalia
In Somalia droht eine Hungersnot
Von Heinrich Frei

Während wir in der Schweiz, Deutschland und Österreich befürchten, in diesem Winter weniger heizen zu können, droht in Somalia eine Hungersnot wie zwischen Oktober 2010 und April 2012, als laut der UNO 258.000 Menschen umgekommen sind. Nach drei schlechten Regenzeiten und durch den Bürgerkrieg, der nun schon über 30 Jahre dauert, sind heute 4,1 Millionen Menschen in Somalia von einer Hungerkrise betroffen. Somalia zählt 2,9 Millionen interne Flüchtlinge bei einer Einwohnerzahl von 17 Millionen. Diese Menschen haben in Städten wie Mogadischu und Kismaayo Zuflucht gesucht, um zu überleben. Durch die Dürre, durch ausfallende Ernten, durch Verlust ihres Viehes haben viele Bauern und Nomaden ihre Lebensgrundlage verloren. Schätzungsweise sind in Somalia 1,4 Millionen Kinder unterernährt. Krankheiten, niedrige Impfraten und ein geringer Zugang zu sauberem Wasser verschlimmern die Mangelernährung. Meistens kann nur, wer Geld hat, seine Kinder in die Schule schicken und einen Arzt aufsuchen.

Somalier informierten in Zürich über Somalia

Nur Scecdon Olad und Bashir Gobdon informierten am Samstag, den 10. September 2022 im Rahmen der Jahresversammlung des Hilfswerkes Swisso Kalmo in Zürich an der Gartenhofstrasse 7 über die Lage in Somalia und über die Tätigkeit von Swisso Kalmo in Merka. (1)


Nur Scecdon Olad und Bashir Gobdon (Foto: Heinrich Frei)

Bashir Gobdon hofft, dass die somalische Diaspora im Ausland, arabische Staaten und auch das Welternährungsprogramm Somalia noch stärker helfen werden die Hungerkrise zu bewältigen. Aber man wisse nicht wie das möglich sein werde, so Gobdon, «denn Gebiete in Süd- und Zentralsomalia werden von den Milizen der Al Shabab kontrolliert, die im Krieg steht mit der Regierung in Mogadischu. In den Gebieten, die unter der Herrschaft der Al Shabab stehen, ist es nicht möglich Hilfe zu bringen.»

Junge Männer finden bei der Al Shabab «Verdienst»

Durch die allgemeine Misere gelingt es der Al Shabab immer mehr junge Leute zu rekrutierten. Junge arbeitslose Männer suchen bei dieser Organisation eine Möglichkeit zum Leben, Verdienst. «Das ist das Allerschlimmste», so Gobdon. «In den Regionen, die vom Krieg und der Dürre am meisten betroffen sind, müsste man vor Ort helfen, aber das hat bisher nicht funktioniert. Die Menschen fliehen, weil sie dort nicht mehr leben können. Sie haben keine andere Wahl.» - Bashir Gobdon selbst floh als junger Mann aus Somalia, als er unter dem Regime von Siad Barre in den Krieg ziehen sollte.

Al Shabab finanziert sich mit Erpressungszahlungen

Jetzt ist der Krieg mit der Al Shabab kein täglicher Krieg mehr. Es sind eher Anschläge, die verübt werden. gegen Hotels, gegen die eigenen Leute gegen das eigene Volk. Wer keine Schutzgelder entrichtet riskiert sein Leben. Das «Einkommen» der Al Shabab durch mafiöse Erpressungszahlungen soll größer sein als die Steuereinnahmen der Regierung», sagt Bashir Gobdon. Wer ein Haus baut, zahlt der Al Shabab eine Gebühr, auch wenn er dazu einen Kredit aufnehmen muss, wie ein somalischer Bekannter von uns in Mogadischu erlebte, der ein Haus für eine Verwandte baute.

«Die Attacken der Al Shabab richten sich heute auch gegen die neue Regierung. Einige Stämme sind nicht an der Regierung beteiligt. Also bombardiert Al Shabab die Hotels, die im Besitze von Stammesangehörigen sind, die an der Regierung beteiligt sind», so Bashir Gobdon.

Mukhtar Robo früher ein führendes Al Shabab Mitglied in der Regierung

Mukhtar Robo war früher ein führendes Al Shabab Mitglied. Jetzt ist er in der neuen Regierung für Religionsfragen zuständig. (2) «Das ist ein Versuch, dass auch ein ehemaliges Mitglied der Al Shabab sich an der Regierung beteiligen kann, wenn man die Al Shabab nicht besiegen kann. Was kann man machen? Man muss versuchen Kontakte aufzunehmen. 2006 war Mukhtar Robo ein islamischer Führer, in der Periode der Union der islamischen Gerichte, die mit der heutigen Al Shabab nichts zu tun hat. Es ist der zweite Versuch ein ehemaliges Mitglied der Al Shabab einzubinden. Es ist wichtig, dass dieser Minister den jungen Leuten erklärt, dass dieser Krieg nichts mit dem Islam zu tun hat, Es geht bei diesem Konflikt um andere Interessen der Gruppierung Al Shabab.»

2006 während der Herrschaft der Union der Islamischen Gerichte, in der auch Mukhtar Robo eine führende Rolle spielte, wurden die Warlords aus Mogadischu vertrieben. In Mogadischu wurde damals unter der kurzen Herrschaft der Union erstmals seit 16 Jahren ein gewisses Maß an Frieden und Ordnung hergestellt. Durch die militärische Intervention Äthiopiens wurde die Regierung der Union der Islamischen Gerichte aber schon Ende des Jahres 2006 vertrieben. Hinter der Intervention Äthiopiens standen damals die USA. (3)

In Nepal kam nach dem langen Bürgerkrieg mit den Maoisten auch eine Vereinbarung zu Stande, man hat sich versöhnt. Die Maoisten sind heute in der Regierung. (4) Auch in Kolumbien kamen Vereinbarungen mit den Aufständischen zustande.

Handel mit dem somalischen Shilling funktioniert nicht

«Die große Schwierigkeit ist: Der Handel mit dem somalischen Shilling funktioniert nicht. Es läuft alles über den Dollar. Bezahlt wird in Somalia mit Mobiltelefonen ohne Bargeld. Die Einheit Somalias müsste wieder hergestellt werden, das Land stabilisiert werden, damit der Zahlungsverkehr mit einer eigenen Währung wieder funktioniert. Für Menschen, die keine Angehörigen im Ausland haben die sie unterstützen ist die Lage viel schlimmer geworden, durch die Teuerung. Es gibt heute zwei Gruppen die Armen und Leute, die durch den Krieg etwas verdient haben.» führte Bashir Gobdon aus.

Schulen, Universitäten, Spitäler, Wasser- und Stromversorgung privat

Schulen, Universitäten und Spitäler in Somalia werden von privaten Unternehmen betrieben, auch die Versorgung mit Wasser, Elektrizität kontrollieren private Firmen. Versuche dies zu ändern sind gescheitert, denn der Regierung stehen keine Mittel zur Verfügung, um solche Einrichtungen zu finanzieren und dafür neue Leute einzustellen. «Die Regierung hat mit der Weltbank eine Vereinbarung, dass sie nicht neue Mitarbeiter einstellt. Damit können auch keine öffentlichen Schulen und Spitäler eröffnet werden.» so Bashir Gobdon.

Türkei betreibt Hafen und Flugplatz von Mogadischu

Der Hafen und der Flugplatz in Mogadischu werden von der Türkei betrieben mit modernen Einrichtungen und das funktioniert gut. Frachtschiffe von der Ukraine mit Getreide kommen jetzt auch nach Somalia. Al Shabab wird auch in diesen Einrichtungen «Steuern» einziehen nimmt man an.

AMISOM und 5000 somalische Soldaten in Eritrea

Die AMISOM, die ausländische Truppe der Afrikanischen Union unterstützt die somalische Regierung seit Jahren im Kampf gegen Al Shabab. «Solange die Regierung das Land nicht vollständig kontrolliert, wird AMISOM nicht abziehen», denkt Bashir Gobdon.

«Ein großes Problem sind heute die 5000 somalischen Soldaten die seit zweieinhalb Jahren in Asmara, in Eritrea sind, die zurückwollen. Die frühere somalische Regierung unter dem Präsidenten Formaggio hatte mit Eritrea vereinbart, diese Somalier in Eritrea auszubilden. Bei den Fußballweltmeisterschaften in Katar die in diesem November beginnen, hätten diese Soldaten als Schutztruppe eingesetzt werden sollen, was im Moment nicht mehr aktuell ist. Diese 5000 Soldaten sollten nun nach Somalia zurückkommen. Am Krieg in Äthiopien haben sie nicht teilgenommen, wie man vermutet hat. Aber Asmara, Eritrea erwartet von Somalia jetzt eine Entschädigung für die Soldaten, die dort gelebt haben. Die Frage ist auch, so Bashir Gobdon, «Was für eine Rolle werden sie in Somalia haben? Wer bezahlt ihnen den Sold? Wenn diese 5000 zurückkehren, würde man die ausländischen Soldaten der Afrikanischen Union, der AMISOM nicht mehr brauchen, AMISOM könnte durch diese somalischen Soldaten aus Eritrea ersetzt werden.»

Die USA fliegen in Somalia wieder Bombenangriffe

Laut dem britischen Radio BBC hat sich kürzlich der somalische Verteidigungsminister Abdikadir Mohamed Nur mit General Michael Langley getroffen, dem Kommandanten des Africa Command der USA. Das US Africa Command ist in Stuttgart stationiert.  (5)

Unter dem US-Präsidenten Joe Biden sollen auch wieder etwa 300 US-Soldaten in Somalia anwesend sein. Die USA fliegen wieder wie früher Angriffe gegen Al Shabab. Bashir Gobdon: «Die Amerikaner operieren in Absprache mit der somalischen Regierung.»

Die Bombardierungen der Vereinigten Staaten Amerikas werden auch wieder viele zivile Opfer fordern wie die Bombardierungen und außergerichtlichen Hinrichtungen mit Drohnen in Somalia unter den US-Präsidenten Bush, Obama und Trump. Wird mit diesen Angriffen nicht der Hass auf die USA geschürt? (6)


Eingang zum Ambulatorium von Swisso Kalmo in Merka (Foto: Swisso Kalmo)

Nur Scecdon Olad war nach 12 Jahren wieder in Merka

Nur Scecdon Olad konnte im letzten Jahr nach einem Unterbruch von 12 Jahren wieder nach Merka reisen und das Ambulatorium besuchen, das er mit seiner Frau Magda Nur-Frei vor über dreißig Jahren eröffnet hatte. Jahrelang war ein solcher Besuch zu gefährlich. Wie Nur Scecdon Olad ausführte hat es Im Ambulatorium wenig Personal, es sind weniger als 20 Leute, die dort arbeiten und wenig Patientinnen und Patienten. Die andere medizinische Einrichtung in Merka, das Regionalspital in Merka funktioniert nicht gut und es hat keinen Arzt mehr. Man hofft aber immer noch, dass es wieder einmal klappen wird. - Von 2016 bis 2018 wurde diese Klinik von Swisso Kalmo geführt, unterstützt durch Beiträge des DEZA, des Departementes für Entwicklung und Zusammenarbeit der Schweiz. - Nur Scecdon Olad möchte im nächsten Jahr nach Merka zurückkehren und dort die Leitung von Swisso Kalmo übernehmen.




Konsultationen im Ambulatorium von Swisso Kalmo in Merka (Fotos: Swisso Kalmo)

Im Zentrum von Merka hat es heute ein weiteres Spital mit einem Arzt, der momentan keinen Lohn bezieht. Die Elders von Merka (die Gemeindeältesten) sorgen dafür, dass der Arzt doch etwas Geld bekommt. In diesem neuen Spital gibt es einen Operationssaal, einen Röntgenapparat und ein Gerät für Herzuntersuchungen.

Vorschlag zur Neuorganisation des Ambulatoriums in Merka

Nur Scecdon Olad hat in Merka den Mitarbeitern vorgeschlagen, dass man sich Gedanken machen sollte, wie sich das Ambulatorium von der Unterstützung aus der Schweiz lösen könnte. Das Ambulatorium sollte von den Almosen wegkommen und Wege finden, sich zu privatisieren. Man könnte zum Beispiel für ein paar Stunden einen Arzt engagieren. Es sind auch sehr viele Reparaturen an den Baulichkeiten fällig, An der Jahresversammlung in Zürich am 10. September 2022 hat Nur Scecdon Olad einen detaillierten Vorschlag zur Neuorganisation des Ambulatoriums in Merka vorgelegt.






Straßenbilder von Merka (Screenshots aus dem Video Film von Swisso Kalmo 2021)

Merka: Ähnliche desolate Lage wie in anderen somalischen Ortschaften

Nur Scecdon Olad: «Die Stadt Merka wirkt ärmlicher als früher, und die Businessleute, die es in Merka gibt, sind untätig, und man sieht sie im Kaffeehaus sitzen. Viele Leute, die in ihren eigenen Häusern lebten, sind ausgezogen, haben die Häuser für wenig Geld verkauft und sind nach Mogadischu gezogen. Das Militär, das in Merka stationiert ist, wird von der somalischen Regierung bezahlt. Merka ist in zwei Teile geteilt. Das alte Spital, das bis vor drei Jahren von Swisso Kalmo für kurze Zeit geführt wurde, ist die Grenze. Im Süden regiert der Stamm der Biomal. Im Zentrum und Norden regieren andere Stämme. Die AMISOM-Truppen, die von der Afrikanischen Union finanziert werden, regieren im Süden, was schon immer so gewesen ist. Die Biomal sind für Merka sehr wichtig. Die Situation in Merka ist nicht gefährlich, die Zufahrtsstraße dem Meer entlang ist ohne Gefahr passierbar. Benützt man aber die normale Straße über das Land begegnet man in der Nähe der Stadt Afgoyee den Al Shabab, die die Passanten kontrollieren.

Vor einiger Zeit hat die Regierung am Tag die Region kontrolliert, und in der Nacht regierte Al Shabab. Die Al Shabaab stehen zwanzig Kilometer vor Merka Richtung Mogadischu. Leute benützen aber auch Boote auf dem Indischen Ozean, um von Mogadischu nach Merka zu gelangen. In der Monsunzeit fahren aber keine Boote. Die Regierung in Merka wird vom Stamm der Biomal beherrscht, der aber unfähig ist die Situation zu verbessern. Sie profitieren von der Situation. Das Sultanat, die Atschuran, die früher Merka regiert haben, sind verschwunden. Leider ist die heutige Regionalregierung nicht fähig mit der Zentralregierung in Mogadischu zusammenzuarbeiten.


Fußnoten:

(1) Website Swisso Kalmo: www.swisso-kalmo.ch
(2) Mukhtar Robow | Counter Extremism Project
(3) Union islamischer Gerichte – Wikipedia
(4) Nepals Regierung und Maoisten einigen sich auf Verfassung | Zürichsee-Zeitung (zsz.ch)
(5) Somalia - BBC News Somali minister and US commander hold security talks
(6) www.globalresearch.ca/us-bombs-somalia-third-time-this-summer/5790659

Online-Flyer Nr. 798  vom 19.09.2022

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