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Literatur
Ekkehard Lieberam: "Sisyphus lässt grüßen" - Die Leiden der Linken und das Leiden an den LINKEN
Leidenslektüre
Rezension von Rudolph Bauer

Zeitgleich mit der „Leipziger Erklärung“ der Partei Die Linke erscheint die Schrift „Sisyphos lässt grüßen“ von Ekkehard Lieberam in zweiter und aktualisierter Auflage. In Leipzig hat sich Die Linke jüngst von ihren Programmformulierungen bei der Gründung 2007 und beim Erfurter Parteitag 2011 verabschiedet. Der Grund: „Seitdem hat sich die Welt weitergedreht.“ Wer die 2016, 2019 und jetzt 2022 im pad-Verlag veröffentlichten Schriften von Ekkehard Lieberam liest, kann daraus ablesen, wie und warum sich Die Linke seit ihrer Gründung „gedreht“ hat – „weitergedreht“ in Richtung ihrer Anpassung an den parlamentarischen Politikbetrieb, die Ideologie des Westens und den Nato-Imperialismus gegen Russland und China. Oder, um einzelne Worte der vorausgegangenen Broschüre-Titel zu gebrauchen: „weitergedreht“ in Richtung Mitregieren, Integration und prinzipieller Abwendung von Grundsätzen marxistischer Theorie und sozialistischer Praxis.

Partei der Berufspolitiker und Parteiangestellten

Mit dem Titel „Sisyphos lässt grüßen“ will der Autor die Analogie aufzeigen „zwischen der Geschichte linker Parteien im kapitalistischen Deutschland und der Legende vom altgriechischen tragischen Helden Sisyphus“. Lieberam schreibt: „Sisyphos befördert einen großen Stein den Berg hinauf. Der Stein rollte zurück. Er rollt ihn wieder den Berg hinauf. Und wieder rollt er zurück. Ähnliches geschieht im Parteien- und Parlamentssystem mit linken systemoppositionellen Parteien.“

Die Ursache dieser Entwicklung entdeckt Lieberam bei Wolfgang Abendroth (1906 – 1985) und in dessen Geschichte der Sozialdemokratie: „Mit dem politischen Erfolg der Partei entsteht in ihr eine ‚Sozialschicht‘ von ‚Berufspolitikern und Parteiangestellten‘. Diese entwickelt eigene Interessen, die sich grundlegend von denen der Lohnarbeiter unterscheiden. … Die Partei entwickelt sich von einer Oppositionspartei zu einer Staatspartei.“

Robert Michels (1876-1936) hat diese Erklärung bereits in seiner Theorie vom Ehernen Gesetz der Oligarchie entwickelt: Die ursprünglich ‚idealistischen‘ Zielsetzungen sozialdemokratischer (oder auch ökologischer) Parteien werden, machtpolitisch bedingt, in Richtung auf das neue Ziel der eigenen Machterhaltung verlagert. Johannes Agnoli (1925-2003) hat seine Kritik am Wahl- und Pluralismus-Konzept des parlamentarischen Parteiensystems in seiner, zusammen mit Peter Brückner (1922-1982) verfassten Schrift „Die Transformation der Demokratie“ noch weitaus deutlicher und radikaler formuliert.

Auf Michels und Agnoli nimmt Lieberam keinen Bezug. Am Beispiel der Partei Die Linke liefert er aber die Begründung dafür, dass Michels und Agnoli treffend analysiert und argumentiert haben, wenn sie, ebenso wie er, aber viel früher, zu dem Ergebnis kamen, dass „auch linke Parteien … Vorhof der Staatsmacht (sind) und … – im Fall politischer Erfolge – zum ‚Politikbetrieb‘ (werden)“.

Ein Schritt in Richtung Marx, Lenin und Mao

Die hier besprochene Broschüre enthält außer einem Vorwort zehn Beiträge aus den Jahren 2016 bis 2021. Es handelt sich um Referate, Thesen, Zeitungsartikel, Interviews und um eine Buchbesprechung. Lieberam rezensiert die – drei Jahre vor Wagenknechts Schrift „Die Selbstgerechten“ – ebenfalls im pad-Verlag erschienene und lesenswerte Broschüre „Die Kultur-Linke und ihr Problem mit Grenzen“ von Hans-Jürgen Bandelt.

Lieberams Schriften sind exemplarisch, weil sie die Veränderungsprozesse der Partei sehr genau und treffend nachzeichnen. Wahrlich, eine Leidenslektüre für all diejenigen, die wissen möchten, wie es seit 2007 dazu gekommen ist, dass die Partei sich heute mit der Floskel begnügt, seitdem habe sich die Welt „weitergedreht“. Denn – darüber schweigt Die Linke – die „weitergedreht(e)“ Welt ist keineswegs „weiter“, sondern immer noch eine kapitalistische, eine imperialistische, eine profitgetriebene und militaristische.

„Sisyphos lässt grüßen“, die neue Broschüre von Ekkehard Lieberam, befördert, wie der antike Held, „einen großen Stein den Berg hinauf. Der Stein rollte zurück. Er (Sisyphos) rollt ihn wieder den Berg hinauf. Und wieder rollt er zurück.“ Wäre es da nicht zielführender, statt „an der LINKEN“ und als „Linke“ zu leiden, über eine revolutionäre Theorie und Praxis nachzudenken und darüber zu schreiben?

Diese Frage ist nicht rhetorisch gemeint. Sie zieht die Konsequenz aus der Lektüre der Lieberam-Schriften. Insofern ist die hier besprochene Broschüre ein Schritt hin zur Wiederentdeckung der Kritik der Politischen Ökonomie eines Karl Marx, der Leninistischen Partei- und Imperialismus-Theorie sowie der rätedemokratischen (Sowjet-)Praxis. Aber auch ein Schritt hin zur Rezeption der Erfahrungen Chinas, Kubas und anderer Ansätze einer gesellschaftlichen, ökonomischen und  politischen Revolution.


Ekkehard Lieberam: „Sisyphus lässt grüßen“. Die Leiden der Linken und das Leiden an den LINKEN



Bergkamen: pad-Verlag 2022 (Schriftenreihe des Forum Gesellschaft  Politik e. V.). 6 Euro – Direkt zu bestellen per Mail unter: pad-verlag@gmx.net


Ders.: Am Krankenbett der Linkspartei. Therapie: Mehr Marx als Murks. Bergkamen: pad-Verlag 2019
Ders.: (Mit-)Regieren als Integrationsfalle. „Wild nicht erlegt – dafür Flinte verloren“. Bergkamen: pad-Verlag 2016

Online-Flyer Nr. 804  vom 30.12.2022

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