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Globales
Debatte um Iran-Artikel
"Völlig absurd" oder "wahr"?
Von Kamal Koushan und Yavuz Özoguz

Die NRhZ hat im November und Dezember 2022 zwei Kommentare von Yavuz Özoguz zur Situation im Iran veröffentlicht: "Warum lässt die Bevölkerung in Deutschland sich so leicht irreleiten? Wenn die eigenen Iran-Fantasien zum Wahrheitshindernis werden" und "Anmerkungen zur deutschsprachigen medialen Gülle – Hält der Iran einen unschuldigen belgischen Entwicklungshelfer gefangen?" Daraufhin hat Kamal Koushan einen Leserbrief verfasst, in dem er die Kommentare von Yavuz Özoguz kritisiert. Die NRhZ hat Yavuz Özoguz die Gelegenheit gegeben, darauf einzugehen. Das hat er getan. Beides – Leserbrief und Erwiderung – sind nachfolgend zu lesen.


Kamal Koushan (PEGAH Wuppertal e.V.) schreibt:

In den beiden jüngst bei euch veröffentlichten Artikeln „Wenn die eigenen Iran-Fantasien zum Wahrheitshindernis werden“ und „Hält der Iran einen unschuldigen belgischen Entwicklungshelfer gefangen?“ behauptet deren Autor, Herr Yavuz Özoguz, unter anderem, in der westlichen Welt wolle man die Gesellschaft von Gott entfernen, weil man, wie er meint, eine gottlose Gesellschaft besser ausbeuten könne – als sei nicht gerade die Religion über Jahrhunderte hinweg eines der Hauptinstrumente zur Ausbeutung der Menschen gewesen! Der Autor fährt fort mit der Behauptung, die Gründung der islamischen Republik Iran habe den Grundstein zum „Widerstand gegen die Ausbeutung“ gelegt. Dass Widerstand gegen Ausbeutung eines der treibenden Elemente der Revolution von 1978 war, sei unbestritten – dass aber die dadurch entstandene Islamische Republik für den Kampf gegen Ausbeutung stehe, diese Aussage dürfte jeden verwundern, der die Gründe und Ursachen der Proteste im Iran ansatzweise kennt. Diese Proteste sind nicht zuletzt auch auf zunehmende Verarmung und wirtschaftliche Verelendung der Massen unter der jetzigen Regierung im Iran zurückzuführen, die nicht allein durch die westlichen Sanktionen zu erklären ist.

Des weiteren versteigt sich Herr Özoguz zu der Unterstellung, bei der von den Protestierenden verwendeten Parole „Frau! Leben! Freiheit!“ ginge es, ohne dass die Protestierenden dies merkten, um die Freiheit des Westens, den „verlorenen Iran“ wieder ausplündern zu können – und das von demselben Mann, der sich einige Absätze zuvor noch gegen die Unterstellung, das iranische Volk könne ein absurdes und unmenschliches Rechtssystem über vier Jahrzehnte lang mitgetragen haben, verwahrt hat. Und man fragt sich, ob etwa Herr Özoguz selbst nicht merkt, dass er gerade die von ihm so kritisierte Heuchelei selbst betreibt, wenn er die Proteste im Iran als von „Agenten“ gesteuerte Unruhen abtut, denen die „ärmeren Iraner“ gezeigt hätten, dass sie hinter der Regierung stünden. Womit er selbst dem Iran gegenüber ebenjene unkritische Haltung einnimmt, die er den Menschen im Westen vorwirft.

Völlig absurd aber wird seine eigene Argumentation, wenn er die Gewalt und Willkür, mit der die iranische Regierung jeden Protest zu ersticken versucht, und die Flucht so vieler Menschen davor als bloßes Ergebnis einer von westlichen Medien erzeugten „Scheinwelt“ abtut – mit dem infamen Argument, wenn die Unterdrückung real wäre, könnten sie ja wohl gar nicht ausreisen! (Man erzähle das z.B. all jenen, die unter Lebensgefahr aus der DDR geflohen sind). Herr Özoguz sehnt sich offenbar nach einer heilen islamischen Welt, die er in der Islamischen Republik Iran finden will. Unnötig zu sagen, dass es sie dort ebenso wenig gibt wie anderswo.

Und zum Schluss bleibt, wie der Autor selbst schreibt, noch der Begriff „Freiheit“. „Noch nie gab es eine Freiheit, bei der die Armen glücklicher wurden“, sagt er. Mag sein, aber ein System der Unfreiheit und Unterdrückung, bei dem irgendjemand glücklicher wurde – abgesehen vielleicht von den wenigen Herrschenden – hat es erst recht noch nie gegeben. Sicher haben falsch verstandene – oder missbrauchte – Begriffe von Freiheit auch dazu beigetragen, die Kluft zwischen arm und reich zu vergrößern, wie der Autor nicht ganz unberechtigt anmerkt. Aber Gleichheit ohne Freiheit gibt es nicht, denn wo Unfreiheit herrscht, wird sie immer dazu führen, dass die Unfreien von den Herrschenden ausgebeutet werden. Ja, es läuft auch ganz gewiss vieles verkehrt im Umgang der westlichen Welt mit dem Iran. Zu behaupten, die westliche Politik sei frei von Eigennutz, frei von Heuchelei und Doppelmoral, kann gewiss keinem ehrlichen Menschen in den Sinn kommen. Und gewiss stecken hinter der Kritik westlicher Regierungen an der iranischen Politik oft genug eigene Machtinteressen. Das anzuprangern, ist ganz gewiss richtig -aber dann muss man es auch bei allen Seiten gleichermaßen kritisieren, woimmer es auftritt. Denn davon ist keine Politik frei, auch nicht die der von Herrn Özoguz so hoch gelobten Islamischen Republik Iran, deren Regierung so heuchlerisch die Forderungen der Protestierenden als bloße „Unruhestiftung“ hinzustellen sucht. Und es bleibt dabei, dass man nicht ein Übel gegen das andere ausspielen kann, wie Herr Özoguz die Fehler und Untaten westlicher Mächte gegen die des Iran aufzuwiegen versucht – zweimal Minus ergibt hier eben nicht Plus.


Yavuz Özoguz (Muslim-Markt) erwidert:

Auffällig bei den Protesten im Iran - und das bestreiten auch die Iraner nicht - ist die Tatsache, dass sie von den reichen (überfütterten) jungen Leuten in den Großstädten ausgehen und nicht von dem ärmeren Teil der Bevölkerung oder den Bauern mitgetragen werden. Selbst ein Jürgen Todenhöfer, der vor wenigen Wochen selbst vorort gereist ist, um sich selbst ein Bild zu machen, musste erstaunt feststellen, dass die Lage im Iran anders ist, als hier geschildert, worauf er Morddrohungen erhalten hat (was er auch in Facebook thematisiert hat). Die Lage eines Volkes sollte man an nachprüfbaren Zahlen und Fakten beurteilen und nicht an schwammigen Aussagen, die keine eindeutige Information beinhalten. Am weitesten von der Wahrheit driftet man ab, wenn den von westlichen Wunschvorstellungen "gefärbten Nachrichten" glaubt.

Es gibt keinen Zweifel, dass die Islamische Republik Iran die Quelle des Widerstandes gegen die Westliche Vereinnahmung in Syrien, Libanon, Irak, Jemen, Sudan und vielen anderen Ländern ist. Die Kriegsführung dort - z.B. mit der "lupenreinen" Monarchie gegen Jemen - erfolgt auf die brutalste Art und Weise, und es ist der Iran, der an der Seite der armen Jemeniten steht, während der Westen die reichen Saudis unterstützt. Im eigenen Land wird - obwohl ein unvorstellbarer Wirtschaftskrieg gegen das Land tobt - eine täglich bessere Gesundheitsversorgung mit selbst hergestellten Medikamenten, eine täglich bessere Infrastruktur und vor allem ein täglich verbessertes Ausbildungssystem bescheinigt. Iran hat über 50 Prozent Studentinnen, auch in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Vergleiche dazu alle Westlichen Staaten. Als die vom Westen in Pakistan aufgebauten und finanzierten Taliban den Frauen in Afghanistan den Zugang zur Uni verweigert haben, waren es nicht die westlichen Staaten, die jenen Frauen Stipendien und Aufenthaltstitel angeboten haben, sondern der Iran. Iran versorgt (bezogen auf die eigene Bevölkerungszahl) mit die höchste Zahl an Flüchtlingen in der Welt. Eine weltweit leicht zu beobachtende Korrelation besteht zwischen Armut und Zahl der Kinder. Je ärmer ein Volk ist, desto mehr Kinder hat es. Irans Geburtenrate ist inzwischen fast so niedrig wie die von Deutschland.

Bei keinen Protesten der Welt der letzten Zeit wurden so viele teils völlig unbewaffnete Sicherheitskräfte von den "Protestierenden" umgebracht wie zuletzt im Iran. Nicht einmal bei der gewaltigen islamischen Revolution ist man auf die Sicherheitskräfte losgegangen. Im Iran wurden aber nach unterschiedlichen Zählungen fast 100 Sicherheitskräfte ermordet. Die Videos, wie ein einfacher unbewaffneter Verkehrspolizist von einigen "Demonstranten" zu Tode geprügelt wird, sind viral gegangen, weil die Mörder sie verbreitet haben. Kein einziger "Anführer" jener Proteste hat sich jemals von jenen Verbrechen distanziert. Kein eiziger hat zu gewaltlosem Widerstand aufgerufen.

Die islamische Republik Iran ist meilenweit von seinen eigenen Idealen entfernt. Aber will man die Heiligkeit seiner Zeit - oder irdisch ausgedrückt - den Kopf des Widerstandes gegen das Unrecht auf Erden, identifizieren, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder man kennt den Moses seiner Zeit direkt. Das trifft nur auf wenige Menschen in der Welt zu, selbst einige Iraner glauben diesbezüglich mehr CNN und BBC, die sehr intensiv in Farsi senden. Oder aber man schaut darauf, wen der Pharao der Zeit am heftigsten, intensivsten und langwierigsten bekämpft, und das ist zweifelsohne die Islamische Republik Iran - repräsentiert durch die Person Imam Chamenei. Wenn aber jemand bis heute nicht erkannt hat, dass das politische Hauptübel dieser Welt und die größte Unterdrückung der Menschheit von den USA und dem damit verbundenen System des Raubtierkapitalismus ausgeht, der wird auch weder den Iran noch irgendein anderes Land verstehen. Und wenn eine Protestbewegung sich Hilfe vom Westen erhofft und das auch klar durch englische Plakate ausdrückt (die wenigsten Iraner können englisch), dann ist klar, welcher Geist hinter jenen "Protesten" steckt.


Artikel, auf die die Debatte Bezug nimmt:

Kommentar
Warum lässt die Bevölkerung in Deutschland sich so leicht irreleiten?
Wenn die eigenen Iran-Fantasien zum Wahrheitshindernis werden
Von Yavuz Özoguz
NRhZ 802 vom 30.11.2022
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=28366

Kommentar
Anmerkungen zur deutschsprachigen medialen Gülle
Hält der Iran einen unschuldigen belgischen Entwicklungshelfer gefangen?
Von Yavuz Özoguz
NRhZ 803 vom 16.12.2022
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=28388

Online-Flyer Nr. 805  vom 23.01.2023

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