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Ein historischer Rückblick
Aufstand in Nahost – erneuter Auftakt zum Zerfall einer Weltmacht?
Von Wolfgang Effenberger
107 Jahre nach dem arabischen Aufstand (1916-1918) gegen die damaligen osmanischen Besatzer ist ein weiterer bewaffneter Aufstand der Araber ausgebrochen – dieses Mal gegen die israelische Besatzung. Der Aufstand von 1916 war von Großbritannien zu einem Zeitpunkt gesteuert, als sich die Niederlage der herrschenden osmanischen Türken bereits abzeichnete, das verbündete Deutschland aber noch hoffte, einen tragfähigen Frieden aushandeln zu können. (1) Könnte sich vor der sich abzeichnenden Niederlage der Vereinigten Staaten und der NATO im Ukraine-Krieg die Geschichte wiederholen? Bei genauerem Hinsehen wird klar, dass die heutige Situation bewusst durch eine menschenverachtende Geopolitik herbeigeführt wurde.
Am 16. Mai 1916 unterzeichneten der britische Außenminister Edward Grey und der französische Botschafter in London, Paul Cambon, eine geheime Vereinbarung (Sykes-Picot), „die wie keine andere in der Neuzeit die Geschichte des Nahen Ostens prägen und beeinflussen sollte“. (2) Nicht nur das – sie beeinflusste auch den weiteren Verlauf des Ersten Weltkriegs entscheidend.
Das zeigt ein Blick in die "lntimen Papiere" (3) des Beraters von US-Präsident Woodrow Wilson, Colonel Mandell House. Einen Tag nach der Unterzeichnung schrieb er an seinen Präsidenten: „... es war offensichtlich, dass nach der Beseitigung unserer Probleme mit Deutschland die Schwierigkeiten mit der Entente beginnen wurden, und die Auflösung hat mir Kopfschmerzen bereitet. Je mehr ich von Absprachen der Regierungen untereinander weiß, umso mehr beeindruckt mich ihre hässliche Selbstsucht. Großzügigkeit ist etwas völlig Unbekanntes, und alles, was wir für die Entente getan haben, wird über Nacht vergessen sein, wenn wir jetzt auf Konfrontationskurs gehen.“ (4) House kabelte an Grey und warnte ihn, „dass im Fall einer Zurückweisung des amerikanischen Angebots [Vermittlung bei Friedensverhandlungen und materielle Unterstützung, W. E.] seitens der Entente die Vereinigten Staaten ihre Neutralität schützen müssten … Er bestand nicht darauf, dass sofort eine Konferenz einberufen würde, wenn die Entente an einen Durchbruch durch militärischen Erfolg während des Sommers glaubte.“ (5) Am 23. Mai 1916 schrieb House an Grey: „England und Frankreich scheinen zu denken, dass die Zusammenarbeit, zu der Amerika in einer gerechten Lösung der ärgerlichen Fragen, die sich unweigerlich nach dem
Frieden ergeben, bereit ist, den zweifelhaften Vorteil, den sie bei einer Zerschlagung Deutschlands gewinnen würden, nicht aufwiegt.“ (6)
Vier Tage später machte House Sir Edward Grey auf die Aussage des deutschen Kanzlers aufmerksam, „dass Deutschland auf der Grundlage der Karte, wie sie aktuell aussieht, zum Frieden bereit wäre, das hieße nichts anderes als ein siegreicher Frieden für Deutschland“ (7). Greys Antwort fiel zurückhaltend aus. Colonel House wandte sich nun noch einmal an den französischen Botschafter Jean Jules Jusserand. Der machte ihm unmissverständlich klar, dass die Franzosen auf keinen Fall Frieden wollten. Ihr Ziel war es, Deutschland vernichtend zu schlagen. In geheimen Verhandlungen hatte Frankreich sich nämlich bereits das Einverständnis Russlands für die Annexion des Rheinlands mit seinen Millionen deutschen Bewohnern gesichert sowie Großbritanniens Anerkennung einer französischen Einflusssphäre in Syrien. (8) „Die einfachste Erklärung der französischen Haltung war aber die, dass die Weiterführung des Krieges die beste und letzte Chance bot, Deutschland als einen gefährlichen politischen Rivalen auszuschalten.“ (9) Daher war der Vorschlag von House für Jusserand nicht attraktiv. Am 8. Juni berichtete Colonel House Sir Edward Grey über seine Gespräche mit Jusserand und zählte die Gründe auf; warum Frankreich alles andere als Frieden wollte. „Was Frankreich wahrscheinlich jetzt herausholen könnte, ist ein Frieden großenteils auf der Basis des Status quo ante, vielleicht mit der Annexion Elsass-Lothringens, wenn Deutschland anderweitig entschädigt wird, zum Beispiel in Kleinasien. Russland könnte einen warmen Seehafen bekommen und Italien das, was ihm zusteht ... Wenn Sie keine besseren Mittel zur Beurteilung der Situation haben als wir, dann scheint es für die Alliierten wenig Grund zum Optimismus zu geben. Natürlich nagt die Blockade an Deutschland und macht ihm ernste Sorgen, aber nach unseren Informationen kann es auf unbestimmte Zeit weiter durchhalten, solange die Nahrungsmittelversorgung funktioniert.“ (10) Aus den Aufzeichnungen von Colonel House geht eindeutig hervor, dass Großbritannien und Frankreich Deutschland auf jeden Fall vernichten wollten. Sie mussten wenig Angst haben, dass die Vereinigten Staaten die Unterstützung der Entente einstellen würden, da die einflussreichen Kreise in den USA (Banken und Rüstungsindustrie) (11) auf den Kriegseintritt des Landes hinarbeiteten.
Zum Zeitpunkt des Sykes-Picot-Abkommens standen im Nahen Osten die Araber noch auf der Seite des Osmanischen Reiches. Im November 1914 hatte der Sultan in seiner Eigenschaft als Kalif zum "Heiligen Krieg" gegen die ungläubigen Feinde Frankreich und vor allem Großbritannien aufgerufen. London versprach nun den Arabern nach dem Sieg über die Osmanen einen unabhängigen arabischen Staat, um sie für den Kampf gegen die Türken zu gewinnen. Der britische Vorschlag, das Kalifat wieder "in arabische Hände" zu legen, wurde vom Scherifen Hussein von Mekka aus der Prophetenfamilie der Bani Haschim (Haschimiten) bereitwillig aufgenommen. Er wollte nicht nur religiöser, sondern auch politischer Führer eines künftigen arabischen Einheitsstaates werden. (12)
Der Hochkommissar des britischen Protektorats Ägypten, Henry McMahon, setzte in diesem Spiel seinen Joker ein, den legendären Thomas Edward Lawrence ("Lawrence von Arabien"). Dieser charismatische Brite konnte nur drei Wochen nach dem Sykes-Picot Abkommen die Araber unter Führung des Scherifen zum offenen Aufstand gegen die Osmanen motivieren. Dadurch wurden die Nachschub- und Verbindungslinien der Osmanen auf der arabischen Halbinsel empfindlich gestört, was schließlich zum Abzug der Türken führte. Die Versprechungen Londons sollten sich jedoch bald als Chimäre erweisen. Nur ein gutes Jahr später nämlich erklärte der britische Außenminister Arthur James Balfour im Namen seiner Regierung, die Errichtung einer "jüdischen Heimstatt" in Palästina zu unterstützen. Auch an dieser so genannten Balfour-Deklaration hatte Mark Sykes mitgewirkt. Gleichzeitig mit der Balfour-Deklaration beschloss die französische Chambre des Deutes, das Parlament, eine fast gleichlautende Deklaration, die jedoch bereits von einem "Etat des Juifs", also einem Judenstaat, sprach. Mit der Übernahme der Ziele der Zionistischen Weltorganisation sollten angesichts der ungünstigen Kriegsentwicklung die USA zu einem Kriegseintritt aufseiten der Entente bewegt werden. Dazu wollte die Entente die starke jüdische Gemeinde in den USA auf ihre Seite ziehen. Noch wichtiger dürfte aber die Schaffung eines pro-britischen Brückenkopfs im Nahen Osten gewesen sein. Es galt, die britische Einflusssphäre zwischen dem Kontrollgebiet gemäß des Sykes-Picot-Abkommens (samt dem Suezkanal) und Indien zu schützen und sich den Zugriff auf die strategisch immer wichtiger werdenden Erdöllagerstätten zu bewahren. In diesem Kontext konnte die zionistische Bewegung bei der Durchsetzung britischer Interessen in der künftigen Einflusszone die Rolle eines "natürlichen Verbündeten" spielen.
Damit waren schon lange vor der osmanischen Niederlage die Weichen für eine katastrophale Entwicklung gestellt, die den Nahen Osten zu dem Pulverfass gemacht hat, das er heute ist. Zunächst mussten die Briten die Fiktion einer britisch-arabischen Waffenbrüderschaft aufrechterhalten. Im Januar 1918 verfasste die britische Regierung gemeinsam mit Frankreich eine Deklaration über die "Befreiungsmission", die den "von den Türken unterdrückten Völkern" nach dem Sieg die Souveränität verhieß — gemäß Woodrow Wilsons 14-Punkte-Plan, der in Punkt 1 festhielt: „Offene, öffentlich abgeschlossene Friedensverträge. Danach sollen keinerlei geheime internationale Abmachungen mehr bestehen, sondern die Diplomatie soll immer aufrichtig und vor aller Welt getrieben werden.“ In den folgenden Punkten des Plans wurde allen Völkern der Erde das Recht auf Selbstbestimmung zugesprochen. In diesen 14 wohl von Wilson ehrlich gemeinten Punkten sahen London und Paris jedoch den Fehdehandschuh eines weiteren Mitbewerbers um die Neuordnung der Region mit ihren vermuteten reichen Erdölschätzen.
Während der Oktoberrevolution 1917 enthüllten die Bolschewiken die "verbrecherischen" Pläne des gestürzten Zaren und seiner "imperialistischen Helfershelfer" – so kam auch eine Kopie des Sykes-Picot-Abkommens und damit das doppelbödige Spiel der Briten ans Tageslicht.
Die Balfour-Deklaration und die Folgen
Nicht zuletzt wegen des Antisemitismus im zaristischen Russland – die deutschen Soldaten waren dort von den Juden als Befreier begrüßt worden – zeigten sich die osteuropäischen Juden in Amerika deutschfreundlich – sehr zum Ärger der amerikanischen und der britischen Regierung. Letztere glaubte sogar an eine gegen Großbritannien gerichtete deutsch-jüdische Verschwörung. (13) In Amerika hatte die zionistische Bewegung unter Führung des Oberrichters Louis D. Brandeis (1856-1941) und mit Unterstützung des Präsidenten große Fortschritte gemacht, während sie in England durch die führenden Vertreter des englischen Judentums, insbesondere Oberrabbiner S. H. Hertz und Lord Walter Rothschild, gefördert wurde.
In den wenig spektakulären Zeilen an Lord Rothschild erkannte der britische Außenminister Balfour den Anspruch der Juden an, in Palästina ihre neue Heimat zu errichten. Vor der ersten Einwanderungsperiode zwischen 1882 und 1903 lebten circa 24 000 Juden in Palästina. Bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs war ihre Zahl auf 85 000 angestiegen; damit hatten die Juden bereits einen Bevölkerungsanteil von 12,3 Prozent erreicht. Einschränkend wurde allerdings betont, dass nichts geschehen würde, „was die bürgerlichen und religiösen Rechte der dort bestehenden nicht-jüdischen Gemeinschaften verletzen kann“ (14). Die Balfour-Erklärung ging als "jüdische Magna Charta" in die Geschichte ein.
Für den jüdischen Historiker Amos Elon gründete sich die britische Absichtserklärung zumindest teilweise auf den Wunsch, „die Unterstützung deutschfreundlicher amerikanischer Juden zu gewinnen“. (15)
Das ist mehr als gelungen. Die im Kaiserreich positive Einstellung der Juden in Deutschland und der meisten auf der Welt wurde durch den Judenhass der Nationalsozialisten und den Holocaust im Zweiten Weltkrieg dauerhaft ins Gegenteil verkehrt.
Heute steht das politische Amerika auf der Seite der Zionisten. Vor diesem Hintergrund wurde am 16. Oktober 2023 die von Russland in den Sicherheitsrat eingebrachte Resolution abgelehnt. In dem Entwurfstext forderte Russland einen humanitären Waffenstillstand, die Freilassung aller Geiseln, den Zugang zu Hilfsgütern und die sichere Evakuierung der Zivilbevölkerung. Während China, Gabun, Mosambik, Russland und die Vereinigten Arabischen Emirate zustimmten, enthielten sich Albanien, Brasilien, Ecuador, Ghana, Malta und die Schweiz. Abgelehnt wurde der Antrag von Frankreich, Japan, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten. Zur Begründung der Ablehnung sagte die Ständige Vertreterin der USA bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, „ihr Land könne den russischen Resolutionsentwurf nicht unterstützen, da er den Terrorismus der Hamas ignoriere und die Opfer entehre.“
Der Ständige Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen, Wassili Alexejewitsch Nebensja, bedauerte, dass die westlichen Länder den weltweiten Hoffnungen auf eine Beendigung der Gewalt durch den Rat nicht nachgekommen seien und die Resolution „aus rein egoistischen und politischen Interessen“ blockiert hätten.
UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths appellierte an die Internationale Verantwortung. „Die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich, die Europäische Union und die arabische Welt“ seien alle in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass das Leben von Zivilisten geschützt sei und Kriegsregeln eingehalten würden. Dies beinhalte, Zivilisten – auch jene, die sich bewegen – zu schützen, keine zivile Infrastruktur anzugreifen und dafür zu sorgen, dass es Korridore für Hilfe gebe.
Das Osmanische Reich zerfiel damals in Folge des arabischen Aufstands, was auch den Niedergang des verbündeten Deutschlands einläutete und letztlich zum Friedensdiktat von Versailles führte. Deutschland musste die Alleinschuld am Ersten Weltkrieg unterschreiben, riesige Gebietsverluste hinnehmen und bis ins 21. Jahrhundert hinein Reparationen bzw. Zinsen zahlen. „Das ist kein Frieden“, sagte der französische Marschall Ferdinand Foch damals über den Versailler Vertrag, „es ist ein Waffenstillstand auf 20 Jahre.“ (16) Am 1. September 1939 kehrte der Krieg zurück, der als Zweiter Weltkrieg in die Geschichte einging. Der spätere französische Präsident Charles de Gaulle selbst sprach im September 1941 in einer Radioansprache in London von „la nouvelle Guerre de Trente Ans“ (17) und der damalige britische Premier Winston Churchill schrieb 1944 an Stalin von einem „dreißigjährigen Krieg von 1914 an“ (18).
Heute ist Deutschland durch seine Vasallentreue zu den USA und die bedingungslose Unterstützung Israels in Gefahr, erneut für alle Verwerfungen aufkommen zu müssen.
Israel wird irgendwann seine besetzten Gebiete räumen und Platz für einen Staat Palästina machen müssen, was natürlich eine vernichtende Niederlage für die USA bedeuten und das Ende ihrer globalen Vorherrschaft einläuten wird. Das Abstimmungsergebnis bei der russischen Resolution macht mit der Zustimmung der Vereinigten Arabischen Emirate auch deutlich, dass die Teilung der Welt voranschreitet. Das US-Projekt zur Wiederbelebung des am 15. September 2020 abgeschlossenen" Abraham-Abkommens" zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrein (Später folgten Abkommen mit Marokko und dem Sudan) hat an Zugkraft verloren. Das Abkommen stellte einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel gegenüber der Nahostpolitik der letzten Jahrzehnte dar. Es erlaubte eine Normalisierung der Beziehungen Israels zu seinen Nachbarstaaten, ohne dass hierfür die Gründung eines palästinensischen Staates und der Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten verlangt wird. (19) Das scheint nun leider Geschichte zu sein.
Die deutlich erkennbare Machtdynamik im Globalen Süden dürfte langfristig Russland und China stärken. So ist es wahrscheinlich, dass die BRICS-Staaten zukünftig ein größeres politisches Gewicht darstellen und maßgeblich den Friedensprozess im Nahen Osten steuern werden. Die Ära des Petrodollars geht zu Ende – und damit auch die globale Vorherrschaft der USA. „Die sich abzeichnenden Trends sind daher ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der Multipolarität in der Weltordnung“. (20)
Der schockierende Angriff der Hamas auf Israel hat einen Anfang und ein Ende für den Nahen Osten eingeleitet. „Was fast unaufhaltsam begonnen hat, ist der nächste Krieg - ein Krieg, der blutig, kostspielig und in seinem Verlauf und Ausgang quälend unvorhersehbar sein wird. Was für jeden, der es zugeben möchte, zu Ende ist, ist die Illusion, dass die Vereinigten Staaten sich aus einer Region zurückziehen könnten, die die nationale Sicherheitsagenda der USA im letzten halben Jahrhundert dominiert hat“, (21) heißt in einem Foreign Affairs-Artikel vom 10. Oktober 2023, und der brasilianische Journalist Pepe Escobar konstatierte vier Tage später:
„Schon jetzt ist klar, dass der Stellvertreterkrieg des Hegemons gegen Russland in der Ukraine und der israelische "Krieg gegen den Terror" in Gaza nur parallele Fronten eines einzigen, sich auf erschreckende Weise entwickelnden globalen Krieges sind“. (22)
Wie wollen die USA angesichts der widerstrebenden politischen Kräfte im Land, eines überbordenden Militärbudgets und einer unsicheren Zukunft des Dollars weiterhin ihre unipolaren Zielsetzungen umsetzen? Nicht zu vergessen die fehlenden militärischen Erfolge seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs (Korea, Vietnam, Afghanistan…). So kann es also durchaus sein, dass der Aufstand der arabischen Welt gegen die Israel-Politik des Westens der Anfang vom Ende der postkolonialen westlichen Globalherrschaft ist.
Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete „atomare Gefechtsfeld“ in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Zuletzt erschienen vom ihm „Schwarzbuch EU & NATO“ (2020) sowie "Die unterschätzte Macht" (2022)
Fußnoten:
1) Am 12. Dezember 1916 wurde die deutsche Friedensnote den Vertretern von Spanien, den Vereinigten Staaten von Amerika, allen neutralen Staaten, dem Papst sowie allen feindlichen Staatenübergeben.
Theobald von Bethmann Hollweg, Reichstagrede, 80. Sitzung des Reichstags, Dienstag, den 12. Dezember 1916, in: Verhandlungen des Reichstags, 13. Legislaturperiode. II. Session, Band 308. Stenographische Berichte: Von der 61. Sitzung am 7. Juni 1916 bis zur 80. Sitzung am 12. Dezember 1916, Berlin 1916, S. 2331-2332.
https://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0202_bet&object=facsimile&pimage=2&v=100&nav=&l=de
2) Hermann, Rainer: »100 Jahre Sykes-Picot-Abkommen. Wurzel des Nahostkonflikts«, unter http://www.faz.net/aktuell/politik/der-erste-weltkrieg/100-jahre-sykes-picot-abkommen-wurzel-des-nahostkonfl ikts-14232164 htm 1 ?printPagedArticle= true#pagelndex_2
3) The Intimate Papers of Colonel House, 2 Bände des außenpolitischen Beraters des US-Präsidenten Woodrow Wilson, Edward Mandell House (genannt Colonel House)
4) Seymour, Charles: The Intimate Papers of Colonel House, 2 Bände, Cambridge/ Mass. 1926, Band 2, S. 285
5) Zitiert wie Wolfgang Effenberger: Geo-Imperialismus Die Zerstörung der Welt. Rottenburg 2016, S. 260.
6) Ebda., S. 261
7) Ebda.
8) Ebda.
9) Ebda.
10) “That is, Italian-speaking districts of the Tyrol and Gorizia. Whether Trieste, the population of which was two thirds Italian, and the western coast of Istria ought to go to Italy, Colonel House did not make clear at this time.” Seymour, Charles: The Intimate Papers of Colonel House, 2 Bände, Cambridge/ Mass. 1926, Band 2, Fußnote 2, S. 291.
11) Report of the Special Committee an Invest:. gation of the Munition Industry (The Nye Report), U. S. Congress, Senate, 74th Congress, 2nd sess., 24. February 1936, S. 3-13.
12) Fürtig, Henner: »Zwischen Kolonialismus und Nationenbildung«, 1. Februar 2013, unter http://www.bpb.de/izpb/156593/zwischen-kolonialismus-und-nationen bildung?p=a1
13) Vgl. Elon, Amos: Zu einer anderen Zeit Porträt der jüdisch-deutschen Epoche (1743-1933). München /Wien 2003, S. 251.
14) Bethell, Nicholas: Das Palästina-Dreieck. Juden und Araber im Kampf um das britische Mandat, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1979, S. 13. [18] Goldmann, Felix: »Zukunftsarbeit!«, in /dR, 1917, Heft 7, S. 298
15) Amos Elon a.a.O. 2003, S. 251
16) https://www.zeit.de/zeit-geschichte/2019/01/pariser-friedenskonferenz-1919-erster-weltkrieg-friedensschluss-kartografie/seite-3?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com
17) Antoine Prost/Jay Winter, Penser la Grande Guerre. Un essai d'historiographie, Paris 2004, S. 33.
18) Briefwechsel Stalins mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman 1941–1945, Berlin 1961, S. 254. – In seinem Buch The Gathering Storm, Boston 1948, S. VII, kommt Churchill auf den Begriff zurück.
19) https://dgap.org/de/forschung/publikationen/die-abraham-abkommen
20) https://www.indianpunchline.com/us-faces-defeat-in-geopolitical-war-in-gaza/
21) The End of America’s Exit Strategy in the Middle East
https://www.foreignaffairs.com/middle-east/israel-hamas-end-americas-exit-strategy-suzanne-maloney?utm_medium=promo_email&utm_source=special_send&utm_campaign=israel_hamas_prospects&utm_content=20231016&utm_term=promo-email-prospects
22) https://strategic-culture.su/news/2023/10/14/slouching-towards-the-final-solution/
Online-Flyer Nr. 821 vom 08.11.2023
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Ein historischer Rückblick
Aufstand in Nahost – erneuter Auftakt zum Zerfall einer Weltmacht?
Von Wolfgang Effenberger
107 Jahre nach dem arabischen Aufstand (1916-1918) gegen die damaligen osmanischen Besatzer ist ein weiterer bewaffneter Aufstand der Araber ausgebrochen – dieses Mal gegen die israelische Besatzung. Der Aufstand von 1916 war von Großbritannien zu einem Zeitpunkt gesteuert, als sich die Niederlage der herrschenden osmanischen Türken bereits abzeichnete, das verbündete Deutschland aber noch hoffte, einen tragfähigen Frieden aushandeln zu können. (1) Könnte sich vor der sich abzeichnenden Niederlage der Vereinigten Staaten und der NATO im Ukraine-Krieg die Geschichte wiederholen? Bei genauerem Hinsehen wird klar, dass die heutige Situation bewusst durch eine menschenverachtende Geopolitik herbeigeführt wurde.
Am 16. Mai 1916 unterzeichneten der britische Außenminister Edward Grey und der französische Botschafter in London, Paul Cambon, eine geheime Vereinbarung (Sykes-Picot), „die wie keine andere in der Neuzeit die Geschichte des Nahen Ostens prägen und beeinflussen sollte“. (2) Nicht nur das – sie beeinflusste auch den weiteren Verlauf des Ersten Weltkriegs entscheidend.
Das zeigt ein Blick in die "lntimen Papiere" (3) des Beraters von US-Präsident Woodrow Wilson, Colonel Mandell House. Einen Tag nach der Unterzeichnung schrieb er an seinen Präsidenten: „... es war offensichtlich, dass nach der Beseitigung unserer Probleme mit Deutschland die Schwierigkeiten mit der Entente beginnen wurden, und die Auflösung hat mir Kopfschmerzen bereitet. Je mehr ich von Absprachen der Regierungen untereinander weiß, umso mehr beeindruckt mich ihre hässliche Selbstsucht. Großzügigkeit ist etwas völlig Unbekanntes, und alles, was wir für die Entente getan haben, wird über Nacht vergessen sein, wenn wir jetzt auf Konfrontationskurs gehen.“ (4) House kabelte an Grey und warnte ihn, „dass im Fall einer Zurückweisung des amerikanischen Angebots [Vermittlung bei Friedensverhandlungen und materielle Unterstützung, W. E.] seitens der Entente die Vereinigten Staaten ihre Neutralität schützen müssten … Er bestand nicht darauf, dass sofort eine Konferenz einberufen würde, wenn die Entente an einen Durchbruch durch militärischen Erfolg während des Sommers glaubte.“ (5) Am 23. Mai 1916 schrieb House an Grey: „England und Frankreich scheinen zu denken, dass die Zusammenarbeit, zu der Amerika in einer gerechten Lösung der ärgerlichen Fragen, die sich unweigerlich nach dem
Frieden ergeben, bereit ist, den zweifelhaften Vorteil, den sie bei einer Zerschlagung Deutschlands gewinnen würden, nicht aufwiegt.“ (6)
Vier Tage später machte House Sir Edward Grey auf die Aussage des deutschen Kanzlers aufmerksam, „dass Deutschland auf der Grundlage der Karte, wie sie aktuell aussieht, zum Frieden bereit wäre, das hieße nichts anderes als ein siegreicher Frieden für Deutschland“ (7). Greys Antwort fiel zurückhaltend aus. Colonel House wandte sich nun noch einmal an den französischen Botschafter Jean Jules Jusserand. Der machte ihm unmissverständlich klar, dass die Franzosen auf keinen Fall Frieden wollten. Ihr Ziel war es, Deutschland vernichtend zu schlagen. In geheimen Verhandlungen hatte Frankreich sich nämlich bereits das Einverständnis Russlands für die Annexion des Rheinlands mit seinen Millionen deutschen Bewohnern gesichert sowie Großbritanniens Anerkennung einer französischen Einflusssphäre in Syrien. (8) „Die einfachste Erklärung der französischen Haltung war aber die, dass die Weiterführung des Krieges die beste und letzte Chance bot, Deutschland als einen gefährlichen politischen Rivalen auszuschalten.“ (9) Daher war der Vorschlag von House für Jusserand nicht attraktiv. Am 8. Juni berichtete Colonel House Sir Edward Grey über seine Gespräche mit Jusserand und zählte die Gründe auf; warum Frankreich alles andere als Frieden wollte. „Was Frankreich wahrscheinlich jetzt herausholen könnte, ist ein Frieden großenteils auf der Basis des Status quo ante, vielleicht mit der Annexion Elsass-Lothringens, wenn Deutschland anderweitig entschädigt wird, zum Beispiel in Kleinasien. Russland könnte einen warmen Seehafen bekommen und Italien das, was ihm zusteht ... Wenn Sie keine besseren Mittel zur Beurteilung der Situation haben als wir, dann scheint es für die Alliierten wenig Grund zum Optimismus zu geben. Natürlich nagt die Blockade an Deutschland und macht ihm ernste Sorgen, aber nach unseren Informationen kann es auf unbestimmte Zeit weiter durchhalten, solange die Nahrungsmittelversorgung funktioniert.“ (10) Aus den Aufzeichnungen von Colonel House geht eindeutig hervor, dass Großbritannien und Frankreich Deutschland auf jeden Fall vernichten wollten. Sie mussten wenig Angst haben, dass die Vereinigten Staaten die Unterstützung der Entente einstellen würden, da die einflussreichen Kreise in den USA (Banken und Rüstungsindustrie) (11) auf den Kriegseintritt des Landes hinarbeiteten.
Zum Zeitpunkt des Sykes-Picot-Abkommens standen im Nahen Osten die Araber noch auf der Seite des Osmanischen Reiches. Im November 1914 hatte der Sultan in seiner Eigenschaft als Kalif zum "Heiligen Krieg" gegen die ungläubigen Feinde Frankreich und vor allem Großbritannien aufgerufen. London versprach nun den Arabern nach dem Sieg über die Osmanen einen unabhängigen arabischen Staat, um sie für den Kampf gegen die Türken zu gewinnen. Der britische Vorschlag, das Kalifat wieder "in arabische Hände" zu legen, wurde vom Scherifen Hussein von Mekka aus der Prophetenfamilie der Bani Haschim (Haschimiten) bereitwillig aufgenommen. Er wollte nicht nur religiöser, sondern auch politischer Führer eines künftigen arabischen Einheitsstaates werden. (12)
Der Hochkommissar des britischen Protektorats Ägypten, Henry McMahon, setzte in diesem Spiel seinen Joker ein, den legendären Thomas Edward Lawrence ("Lawrence von Arabien"). Dieser charismatische Brite konnte nur drei Wochen nach dem Sykes-Picot Abkommen die Araber unter Führung des Scherifen zum offenen Aufstand gegen die Osmanen motivieren. Dadurch wurden die Nachschub- und Verbindungslinien der Osmanen auf der arabischen Halbinsel empfindlich gestört, was schließlich zum Abzug der Türken führte. Die Versprechungen Londons sollten sich jedoch bald als Chimäre erweisen. Nur ein gutes Jahr später nämlich erklärte der britische Außenminister Arthur James Balfour im Namen seiner Regierung, die Errichtung einer "jüdischen Heimstatt" in Palästina zu unterstützen. Auch an dieser so genannten Balfour-Deklaration hatte Mark Sykes mitgewirkt. Gleichzeitig mit der Balfour-Deklaration beschloss die französische Chambre des Deutes, das Parlament, eine fast gleichlautende Deklaration, die jedoch bereits von einem "Etat des Juifs", also einem Judenstaat, sprach. Mit der Übernahme der Ziele der Zionistischen Weltorganisation sollten angesichts der ungünstigen Kriegsentwicklung die USA zu einem Kriegseintritt aufseiten der Entente bewegt werden. Dazu wollte die Entente die starke jüdische Gemeinde in den USA auf ihre Seite ziehen. Noch wichtiger dürfte aber die Schaffung eines pro-britischen Brückenkopfs im Nahen Osten gewesen sein. Es galt, die britische Einflusssphäre zwischen dem Kontrollgebiet gemäß des Sykes-Picot-Abkommens (samt dem Suezkanal) und Indien zu schützen und sich den Zugriff auf die strategisch immer wichtiger werdenden Erdöllagerstätten zu bewahren. In diesem Kontext konnte die zionistische Bewegung bei der Durchsetzung britischer Interessen in der künftigen Einflusszone die Rolle eines "natürlichen Verbündeten" spielen.
Damit waren schon lange vor der osmanischen Niederlage die Weichen für eine katastrophale Entwicklung gestellt, die den Nahen Osten zu dem Pulverfass gemacht hat, das er heute ist. Zunächst mussten die Briten die Fiktion einer britisch-arabischen Waffenbrüderschaft aufrechterhalten. Im Januar 1918 verfasste die britische Regierung gemeinsam mit Frankreich eine Deklaration über die "Befreiungsmission", die den "von den Türken unterdrückten Völkern" nach dem Sieg die Souveränität verhieß — gemäß Woodrow Wilsons 14-Punkte-Plan, der in Punkt 1 festhielt: „Offene, öffentlich abgeschlossene Friedensverträge. Danach sollen keinerlei geheime internationale Abmachungen mehr bestehen, sondern die Diplomatie soll immer aufrichtig und vor aller Welt getrieben werden.“ In den folgenden Punkten des Plans wurde allen Völkern der Erde das Recht auf Selbstbestimmung zugesprochen. In diesen 14 wohl von Wilson ehrlich gemeinten Punkten sahen London und Paris jedoch den Fehdehandschuh eines weiteren Mitbewerbers um die Neuordnung der Region mit ihren vermuteten reichen Erdölschätzen.
Während der Oktoberrevolution 1917 enthüllten die Bolschewiken die "verbrecherischen" Pläne des gestürzten Zaren und seiner "imperialistischen Helfershelfer" – so kam auch eine Kopie des Sykes-Picot-Abkommens und damit das doppelbödige Spiel der Briten ans Tageslicht.
Die Balfour-Deklaration und die Folgen
Nicht zuletzt wegen des Antisemitismus im zaristischen Russland – die deutschen Soldaten waren dort von den Juden als Befreier begrüßt worden – zeigten sich die osteuropäischen Juden in Amerika deutschfreundlich – sehr zum Ärger der amerikanischen und der britischen Regierung. Letztere glaubte sogar an eine gegen Großbritannien gerichtete deutsch-jüdische Verschwörung. (13) In Amerika hatte die zionistische Bewegung unter Führung des Oberrichters Louis D. Brandeis (1856-1941) und mit Unterstützung des Präsidenten große Fortschritte gemacht, während sie in England durch die führenden Vertreter des englischen Judentums, insbesondere Oberrabbiner S. H. Hertz und Lord Walter Rothschild, gefördert wurde.
In den wenig spektakulären Zeilen an Lord Rothschild erkannte der britische Außenminister Balfour den Anspruch der Juden an, in Palästina ihre neue Heimat zu errichten. Vor der ersten Einwanderungsperiode zwischen 1882 und 1903 lebten circa 24 000 Juden in Palästina. Bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs war ihre Zahl auf 85 000 angestiegen; damit hatten die Juden bereits einen Bevölkerungsanteil von 12,3 Prozent erreicht. Einschränkend wurde allerdings betont, dass nichts geschehen würde, „was die bürgerlichen und religiösen Rechte der dort bestehenden nicht-jüdischen Gemeinschaften verletzen kann“ (14). Die Balfour-Erklärung ging als "jüdische Magna Charta" in die Geschichte ein.
Für den jüdischen Historiker Amos Elon gründete sich die britische Absichtserklärung zumindest teilweise auf den Wunsch, „die Unterstützung deutschfreundlicher amerikanischer Juden zu gewinnen“. (15)
Das ist mehr als gelungen. Die im Kaiserreich positive Einstellung der Juden in Deutschland und der meisten auf der Welt wurde durch den Judenhass der Nationalsozialisten und den Holocaust im Zweiten Weltkrieg dauerhaft ins Gegenteil verkehrt.
Heute steht das politische Amerika auf der Seite der Zionisten. Vor diesem Hintergrund wurde am 16. Oktober 2023 die von Russland in den Sicherheitsrat eingebrachte Resolution abgelehnt. In dem Entwurfstext forderte Russland einen humanitären Waffenstillstand, die Freilassung aller Geiseln, den Zugang zu Hilfsgütern und die sichere Evakuierung der Zivilbevölkerung. Während China, Gabun, Mosambik, Russland und die Vereinigten Arabischen Emirate zustimmten, enthielten sich Albanien, Brasilien, Ecuador, Ghana, Malta und die Schweiz. Abgelehnt wurde der Antrag von Frankreich, Japan, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten. Zur Begründung der Ablehnung sagte die Ständige Vertreterin der USA bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, „ihr Land könne den russischen Resolutionsentwurf nicht unterstützen, da er den Terrorismus der Hamas ignoriere und die Opfer entehre.“
Der Ständige Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen, Wassili Alexejewitsch Nebensja, bedauerte, dass die westlichen Länder den weltweiten Hoffnungen auf eine Beendigung der Gewalt durch den Rat nicht nachgekommen seien und die Resolution „aus rein egoistischen und politischen Interessen“ blockiert hätten.
UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths appellierte an die Internationale Verantwortung. „Die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich, die Europäische Union und die arabische Welt“ seien alle in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass das Leben von Zivilisten geschützt sei und Kriegsregeln eingehalten würden. Dies beinhalte, Zivilisten – auch jene, die sich bewegen – zu schützen, keine zivile Infrastruktur anzugreifen und dafür zu sorgen, dass es Korridore für Hilfe gebe.
Das Osmanische Reich zerfiel damals in Folge des arabischen Aufstands, was auch den Niedergang des verbündeten Deutschlands einläutete und letztlich zum Friedensdiktat von Versailles führte. Deutschland musste die Alleinschuld am Ersten Weltkrieg unterschreiben, riesige Gebietsverluste hinnehmen und bis ins 21. Jahrhundert hinein Reparationen bzw. Zinsen zahlen. „Das ist kein Frieden“, sagte der französische Marschall Ferdinand Foch damals über den Versailler Vertrag, „es ist ein Waffenstillstand auf 20 Jahre.“ (16) Am 1. September 1939 kehrte der Krieg zurück, der als Zweiter Weltkrieg in die Geschichte einging. Der spätere französische Präsident Charles de Gaulle selbst sprach im September 1941 in einer Radioansprache in London von „la nouvelle Guerre de Trente Ans“ (17) und der damalige britische Premier Winston Churchill schrieb 1944 an Stalin von einem „dreißigjährigen Krieg von 1914 an“ (18).
Heute ist Deutschland durch seine Vasallentreue zu den USA und die bedingungslose Unterstützung Israels in Gefahr, erneut für alle Verwerfungen aufkommen zu müssen.
Israel wird irgendwann seine besetzten Gebiete räumen und Platz für einen Staat Palästina machen müssen, was natürlich eine vernichtende Niederlage für die USA bedeuten und das Ende ihrer globalen Vorherrschaft einläuten wird. Das Abstimmungsergebnis bei der russischen Resolution macht mit der Zustimmung der Vereinigten Arabischen Emirate auch deutlich, dass die Teilung der Welt voranschreitet. Das US-Projekt zur Wiederbelebung des am 15. September 2020 abgeschlossenen" Abraham-Abkommens" zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrein (Später folgten Abkommen mit Marokko und dem Sudan) hat an Zugkraft verloren. Das Abkommen stellte einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel gegenüber der Nahostpolitik der letzten Jahrzehnte dar. Es erlaubte eine Normalisierung der Beziehungen Israels zu seinen Nachbarstaaten, ohne dass hierfür die Gründung eines palästinensischen Staates und der Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten verlangt wird. (19) Das scheint nun leider Geschichte zu sein.
Die deutlich erkennbare Machtdynamik im Globalen Süden dürfte langfristig Russland und China stärken. So ist es wahrscheinlich, dass die BRICS-Staaten zukünftig ein größeres politisches Gewicht darstellen und maßgeblich den Friedensprozess im Nahen Osten steuern werden. Die Ära des Petrodollars geht zu Ende – und damit auch die globale Vorherrschaft der USA. „Die sich abzeichnenden Trends sind daher ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der Multipolarität in der Weltordnung“. (20)
Der schockierende Angriff der Hamas auf Israel hat einen Anfang und ein Ende für den Nahen Osten eingeleitet. „Was fast unaufhaltsam begonnen hat, ist der nächste Krieg - ein Krieg, der blutig, kostspielig und in seinem Verlauf und Ausgang quälend unvorhersehbar sein wird. Was für jeden, der es zugeben möchte, zu Ende ist, ist die Illusion, dass die Vereinigten Staaten sich aus einer Region zurückziehen könnten, die die nationale Sicherheitsagenda der USA im letzten halben Jahrhundert dominiert hat“, (21) heißt in einem Foreign Affairs-Artikel vom 10. Oktober 2023, und der brasilianische Journalist Pepe Escobar konstatierte vier Tage später:
„Schon jetzt ist klar, dass der Stellvertreterkrieg des Hegemons gegen Russland in der Ukraine und der israelische "Krieg gegen den Terror" in Gaza nur parallele Fronten eines einzigen, sich auf erschreckende Weise entwickelnden globalen Krieges sind“. (22)
Wie wollen die USA angesichts der widerstrebenden politischen Kräfte im Land, eines überbordenden Militärbudgets und einer unsicheren Zukunft des Dollars weiterhin ihre unipolaren Zielsetzungen umsetzen? Nicht zu vergessen die fehlenden militärischen Erfolge seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs (Korea, Vietnam, Afghanistan…). So kann es also durchaus sein, dass der Aufstand der arabischen Welt gegen die Israel-Politik des Westens der Anfang vom Ende der postkolonialen westlichen Globalherrschaft ist.
Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete „atomare Gefechtsfeld“ in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Zuletzt erschienen vom ihm „Schwarzbuch EU & NATO“ (2020) sowie "Die unterschätzte Macht" (2022)
Fußnoten:
1) Am 12. Dezember 1916 wurde die deutsche Friedensnote den Vertretern von Spanien, den Vereinigten Staaten von Amerika, allen neutralen Staaten, dem Papst sowie allen feindlichen Staatenübergeben.
Theobald von Bethmann Hollweg, Reichstagrede, 80. Sitzung des Reichstags, Dienstag, den 12. Dezember 1916, in: Verhandlungen des Reichstags, 13. Legislaturperiode. II. Session, Band 308. Stenographische Berichte: Von der 61. Sitzung am 7. Juni 1916 bis zur 80. Sitzung am 12. Dezember 1916, Berlin 1916, S. 2331-2332.
https://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0202_bet&object=facsimile&pimage=2&v=100&nav=&l=de
2) Hermann, Rainer: »100 Jahre Sykes-Picot-Abkommen. Wurzel des Nahostkonflikts«, unter http://www.faz.net/aktuell/politik/der-erste-weltkrieg/100-jahre-sykes-picot-abkommen-wurzel-des-nahostkonfl ikts-14232164 htm 1 ?printPagedArticle= true#pagelndex_2
3) The Intimate Papers of Colonel House, 2 Bände des außenpolitischen Beraters des US-Präsidenten Woodrow Wilson, Edward Mandell House (genannt Colonel House)
4) Seymour, Charles: The Intimate Papers of Colonel House, 2 Bände, Cambridge/ Mass. 1926, Band 2, S. 285
5) Zitiert wie Wolfgang Effenberger: Geo-Imperialismus Die Zerstörung der Welt. Rottenburg 2016, S. 260.
6) Ebda., S. 261
7) Ebda.
8) Ebda.
9) Ebda.
10) “That is, Italian-speaking districts of the Tyrol and Gorizia. Whether Trieste, the population of which was two thirds Italian, and the western coast of Istria ought to go to Italy, Colonel House did not make clear at this time.” Seymour, Charles: The Intimate Papers of Colonel House, 2 Bände, Cambridge/ Mass. 1926, Band 2, Fußnote 2, S. 291.
11) Report of the Special Committee an Invest:. gation of the Munition Industry (The Nye Report), U. S. Congress, Senate, 74th Congress, 2nd sess., 24. February 1936, S. 3-13.
12) Fürtig, Henner: »Zwischen Kolonialismus und Nationenbildung«, 1. Februar 2013, unter http://www.bpb.de/izpb/156593/zwischen-kolonialismus-und-nationen bildung?p=a1
13) Vgl. Elon, Amos: Zu einer anderen Zeit Porträt der jüdisch-deutschen Epoche (1743-1933). München /Wien 2003, S. 251.
14) Bethell, Nicholas: Das Palästina-Dreieck. Juden und Araber im Kampf um das britische Mandat, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1979, S. 13. [18] Goldmann, Felix: »Zukunftsarbeit!«, in /dR, 1917, Heft 7, S. 298
15) Amos Elon a.a.O. 2003, S. 251
16) https://www.zeit.de/zeit-geschichte/2019/01/pariser-friedenskonferenz-1919-erster-weltkrieg-friedensschluss-kartografie/seite-3?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com
17) Antoine Prost/Jay Winter, Penser la Grande Guerre. Un essai d'historiographie, Paris 2004, S. 33.
18) Briefwechsel Stalins mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman 1941–1945, Berlin 1961, S. 254. – In seinem Buch The Gathering Storm, Boston 1948, S. VII, kommt Churchill auf den Begriff zurück.
19) https://dgap.org/de/forschung/publikationen/die-abraham-abkommen
20) https://www.indianpunchline.com/us-faces-defeat-in-geopolitical-war-in-gaza/
21) The End of America’s Exit Strategy in the Middle East
https://www.foreignaffairs.com/middle-east/israel-hamas-end-americas-exit-strategy-suzanne-maloney?utm_medium=promo_email&utm_source=special_send&utm_campaign=israel_hamas_prospects&utm_content=20231016&utm_term=promo-email-prospects
22) https://strategic-culture.su/news/2023/10/14/slouching-towards-the-final-solution/
Online-Flyer Nr. 821 vom 08.11.2023
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