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Kultur und Wissen
HIStory: James McGill Buchanan
Ein dritter Weg des Marktradikalismus jenseits von Hayek und Friedman
Von Hermann Ploppa
Heute stelle ich Ihnen den Ökonomen James McGill Buchanan vor. Buchanan war ein marktradikaler und rassistischer Theoretiker aus den amerikanischen Südstaaten in den 1950er und 1960er Jahren. Ein wichtiger Berater des US-Präsidenten Ronald Reagan und der faschistischen Junta in Chile. Wir erleben den sagenhaften Aufstieg von bizarren Gestalten, die sich sogar bis in höchste Regierungsämter vorarbeiten. Leute, die früher niemand für voll genommen hätte. Da hat Donald Trump in den USA schon für vier Jahre das Präsidentenamt ausgefüllt. Und alles spricht dafür, dass Trump ab November des Jahres 2024 wieder in das Weiße Haus einziehen wird. Da sehen wir in Argentinien einen ungekämmten Rocker-Typen, der bei Wahlkampfveranstaltungen mit einer Motor-Kettensäge herumfuchtelt. Damit wollte er den Staat Argentinien zersägen. Jener Javier Milei gewann dann sogar die Präsidentschaftswahlen haushoch. Politische Extremisten wie Ronald Reagan in den USA und Margaret Thatcher in Großbritannien hatten schon Großes geleistet, um die ihnen anvertrauten Nationalstaaten in den Ruin zu treiben. Und ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode. Denn hinter all diesen Exzentrikern stehen starke Gemeinschaften, die sich zum Ziel gesetzt haben, den Staat zu zerschlagen, um Platz zu schaffen für eine absolute, neofeudale Macht der Superreichen und der Globalkonzerne.
Für diese staats- und verfassungsfeindlichen Netzwerke wurde der irreführende Begriff des „Neoliberalismus“ in Umlauf gebracht. Diese Netzwerke vollziehen ihre Wühlarbeit seit nunmehr bereits einhundert Jahren. Ihr Gründervater ist der österreichische Edelmann und Soziologe Ludwig von Mises. Dessen bester Schüler wiederum war Friedrich von Hayek. Seitdem haben sich unzählige Denkrichtungen des Marktradikalismus aus diesem Stamm herausgebildet. Bekannt ist neben der Schule des Friedrich von Hayek noch die Ideologie des Milton Friedman. Für diese Ideologen war klar, dass dem Endsieg ihrer Weltanschauung nicht sofort und auf einen Schlag zum Sieg zu verhelfen ist. Hayek sagte, dass man mindestens vier Generationen Aufbauarbeit benötigen würde, bis man in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien das Meinungsmonopol erringt. Nun, dieses Ziel ist mittlerweile erreicht. In diesem Meinungsmonopol der Marktradikalen haben sich nunmehr viele neue Fraktionen gebildet. Die neueste und härteste Fraktion der Marktradikalen bezeichnen sich selber als „Anarcho-Kapitalisten“. Der Staat soll nach Meinung der Anarcho-Kapitalisten zugunsten der totalen Herrschaft der Oligarchen komplett zerschlagen werden. Der Meisterdenker dieser Fraktion heißt Murray Rothbard. Ihm huldigt der neue argentinische Präsident Javier Milei.
Natürlich wird die Mehrheit der Bevölkerung niemals einem Programm zustimmen, das die eigene totale Entrechtung und Enteignung anstrebt. Also lassen sich die Marktradikalen immer Huckepack nehmen von Protestbewegungen oder auch von konservativen Strömungen in den jeweiligen Ländern. So haben sich die Marktradikalen in den USA mit den Evangelikalen aus dem Bibelgürtel verbündet, um schon den Hauch von sozialen Reformen zu bekämpfen und die USA auf einen apokalyptischen Endzeitkurs in der Außenpolitik festzunageln. In Deutschland versuchen die Marktradikalen, Teile der Neuen Demokratiebewegung zu unterwandern und zu übernehmen.
Und wir sprechen heute über eine Seitenströmung des amerikanischen Marktradikalismus, die sich in den Südstaaten von Rassisten und Eugenikern nach oben tragen ließ. Wir sprechen heute über den marktradikalen und rassistischen Ideologen James McGill Buchanan.
So langsam wird auch in Deutschland bekannt, welchen immensen Einfluss marktradikale Vordenker auf das politische und gesellschaftliche Geschehen sich erarbeitet haben. Die Satiresendung „Die Anstalt“ <1> hat einem breiten Publikum mit einem Schlag die enorme Macht des diskreten Ökonomen-Netzwerks der Mont Pelerin-Gesellschaft deutlich gemacht. Nach wie vor mangelt es jedoch an einem wirklich differenzierten Verständnis dieses leider so erfolgreichen Hegemonie-Projekts. Da wird vom „Neoliberalismus“ gesprochen. Das hat seine Ursache darin, dass sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein diskretes Netzwerk von Ökonomen formierte. In der so genannten Mont Pelerin Gesellschaft versammelten sich aber alle möglichen Wirtschaftsexperten. Sie alle einte lediglich die Abneigung gegen jede Form von Planwirtschaft.
In den Anfangsjahren der Mont Pelerin Society gehörten zu diesem Netzwerk denn auch Politiker und Ökonomen wie Ludwig Erhard, Alfred Müller-Armack, Alexander Rüstow oder Wilhelm Röpke. Die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik dieser echten Vertreter des Neoliberalismus (oder auch: Ordo-Liberalismus, oder Rheinischer Kapitalismus) dachten gar nicht daran, den Staat als proaktive Gestaltungsmacht zu zerschlagen, den öffentlichen Raum zu privatisieren oder die Gewerkschaften zu schwächen. Im Gegenteil, im Einklang mit dem New Deal-Konsens der Eisenhower-Jahre und dem Sozialstaatskonzept von William Henry Beveridge in England wurden Löhne und Arbeiterrechte mit Unterstützung der Neoliberalen massiv ausgebaut <2>.
Doch die Neoliberalen dieser Epoche sind mittlerweile ausgestorben.
Geblieben sind jene Fraktionen der Mont Pelerin-Szene, für die der Begriff „Marktradikalismus“ am besten passt. Denn die österreichische Schule um Ludwig von Mises sowie Friedrich von Hayek; und auf der anderen Seite die Chicago-Schule um Milton Friedman und Frank Knight sind charakterisiert durch die radikale Ablehnung eines gestalterischen, proaktiven Staates. Sie knüpften an die liberale Schule des 18. Jahrhunderts an. Sowohl die Österreicher als auch die Chicago-Fraktion verabscheuten jede Einwirkung des Staates. Zerschlagung der Gewerkschaften, eine radikale Privatisierung des öffentlichen Sektors sowie eine rigide Durchsetzung ökonomischer Grundsätze in praktisch allen Lebensbereichen werden wie von Zauberhand alles richten.
Aber es gab noch eine dritte Spielart des Marktradikalismus.
Der Weg führt uns in die Südstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika. Genauer gesagt: in die Hallen der Gelehrsamkeit von Virginia. Da finden wir James McGill Buchanan. Für diese dritte Spielart des Marktradikalismus Buchanans ist das rassistische Milieu der Südstaaten prägend. James McGill Buchanan begann seine Karriere als Hochschullehrer an der Universität von Virginia, in den Südstaaten. Virginia ist belastet durch eine schwere Hypothek, nämlich einer besonders perfiden Form des Rassismus. Der Rassismus wurde hier aus dem dumpfen Bierhallen-Rassismus erhoben in den Stand einer empirisch belegbaren „Wissenschaft“. Koryphäen der Biologie, Psychologie oder auch der Soziologie meinten anhand von Tabellen und Statistiken beweisen zu können, dass Sozialpolitik sinnlos ist, weil ein großer Teil der Gesellschaft genetisch bedingt unfähig seien für die Teilnahme an demokratischer Partizipation. Zu den Menschen, die man „eliminieren“ wollte, zählten Behinderte, Arme, Außenseiter, Quertreiber und vor allem alle Menschen, die man nicht den weißen Herrenmenschen zugehörig betrachtete. Diese Leute mussten sterilisiert, kastriert, lebenslang eingesperrt oder an der Heirat mit weißen Herrenmenschen per Gesetz gehindert werden.
Die Wissenschaftler berieten die Politiker und Behörden dabei, solche rassistisch-eugenischen Vorgaben in reale Maßnahmen umzusetzen. Mit Unterstützung der eugenisch orientierten Universität von Richmond in Virginia wurden Rassentrennungsgesetze durchgedrückt. Die Vorlage für die Gesetzestexte verfasste ein gewisser Harry Laughlin, seines Zeichens Geschäftsführer des Eugenics Record Office. Das Eugenics Record Office sammelte und veröffentliche zahlreiche Schriften, die die Menschen unterteilte in erwünschte Personen und auf der anderen Seite in „minderwertige“ Individuen. Natürlich waren nach dieser Anschauung Angehörige der weißen Rasse den Angehörigen der schwarzen Rasse rein genetisch gesehen weit überlegen. Oder besser: die Weißen und die „Farbigen“ (coloured). „Farbig“ sind alle Amerikaner, die nicht „reinrassig“ weiß sind. Weiße und „Farbige“ wurden strikt getrennt. Als „Farbig“ galt, wer auch nur einen hundertvierundzwanzigstel Anteil an nicht-weißen Vorfahren hatte.
Das hatte Konsequenzen über den Großen Teich bis nach Deutschland. Denn die Nürnberger Rassengesetze aus dem Jahre 1934 sind eins zu eins eine Übernahme der Rassengesetze des US-Bundesstaates Virginia! In Anerkennung dieser Verdienste bekam Harry Laughlin die Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg zuerkannt. Laughlin nahm die Ehrung vor Ort in Heidelberg sehr gerne persönlich entgegen. <3>.
In dieser Tradition befand sich noch jener Universitätspräsident Colgate Whitehead Darden jr., der im Jahre 1956 den siebenunddreißigjährigen James McGill Buchanan mit einem Lehrstuhl an der Universität Virginia bedachte, damit dieser ihm ex cathedra bei der Ausarbeitung seiner rassistischen Agenda behilflich sein konnte. Es brach eine wilde Zeit an. Denn die Rassentrennung war in allen Bereichen des Lebens unübersehbar im Staate Virginia. „Farbige“ durften nicht an denselben Schulen und Universitäten lernen und lehren wie ihre weißen Mitbürger. Dass zudem die Ausstattung der Universitäten für die „Farbigen“ jeder Beschreibung spottete, ließen sich die farbigen Studenten nicht mehr länger gefallen. Universitätsstreiks an den Unis zweiter Klasse fanden ein breites Echo in den gesamten USA. Die Regierung von Virginia fackelte nicht allzu lange. Als die Proteste sehr laut wurden, schloss der Gouverneur von Virginia kurzerhand alle öffentlichen Schulen des Staates.
Doch wie sollte es nach der zwangsweisen Befriedung der Schulen und Universitäten weitergehen? Ratlosigkeit machte sich breit.
Aber ein gewisser Milton Friedman von der Universität Chicago hatte scheinbar die Lösung parat: die Eltern sollten Schulgutscheine (so genannte: school vouchers) erhalten, mit denen sie dann ihre Kinder auf private Schulen und Unis schicken konnten. So nutzte man den Kampf gegen die Rassentrennung (Segregation) geschickt aus, um dem marktradikalen Projekt der Schulprivatisierung auf die Sprünge zu helfen. Die Schulprivatisierung in Virginia war das Einstiegsprojekt, an dem James Buchanan maßgeblich mitwirkte. Wenn auch auf Druck der Bundesregierung in Washington die öffentlichen Schulen dann doch wieder ihre Tore öffnen mussten, und die Schulprivatisierung zunächst ad acta gelegt wurde, so hatte Buchanan hier seine ersten Pflöcke gesetzt.
Bei den Studentenunruhen von 1968 war Buchanan bereits Professor an der Universität von Los Angeles. Sein Hass gegen die Studentenrevolte brachte ihn schnell in das Lager des neuen Gouverneurs von Kalifornien, eines gewissen Ronald Reagan. Der ging mit äußerster militärischer Härte nicht nur gegen protestierende Studenten, sondern auch gegen friedfertige Hippies vor. Unter anderem durch die Bekanntschaft mit Buchanan schärfte Reagan sein Profil als knallharter marktradikaler Politiker.
James Buchanan hatte derweil ein geschlossenes theoretisches Gebäude erstellt. Am ehesten ist Buchanan breiteren Kreisen in der Wissenschaft bekannt geworden durch seine Public-Choice-Theorie, die er zusammen mit Gordon Tullock in dem Bestseller The Calculus of Consent <4> öffentlich machte. Für die Entwicklung dieser Theorie erhielt James Buchanan 1986 den Wirtschaftsnobelpreis.
Der Mensch wird in diesem Gedankengebäude vom Zoon Politikon sozusagen zum Zoon Oekonomikon umgedeutet. Alle politischen Prozesse sind ausschließlich nur durch ökonomische Beweggründe erklärbar. Politik wird zur Unterabteilung der Wirtschaft degradiert. Politiker handeln keinesfalls, um dem Gemeinwohl zu dienen. Vielmehr versuchen sie, aus dem politischen Geschäft materielle Vorteile zu ziehen. Das zeigt sich, so Buchanan, daran, dass Politiker nicht nur in Zeiten der Wirtschaftsflaute fleißig staatliches Geld in die Wirtschaft pumpen, sondern auch in Zeiten der Hochkonjunktur, wo nach der Lehre von John Maynard Keynes der Staat viel eher Geld aus der Wirtschaft herausnehmen sollte, um eine Überhitzung zu vermeiden. Denn die Politiker wollen ja wiedergewählt werden. Also müssen sie sich mit Geschenken aus dem öffentlichen Füllhorn beliebt machen. So entsteht zwangsläufig eine immer krasser ausufernde Staatsverschuldung.
James Buchanan geht in seiner Geringschätzung der Rolle des Staates wesentlich weiter als Friedrich von Hayek oder Milton Friedman. Denn für Buchanan ist der Staat nichts anderes als eine Horde von Freibeutern. Der Staat hat keine Legitimation, den Besitzenden und Erfolgreichen ihr Geld durch Steuerabgaben zu entreißen und es den Besitzlosen zuzuwerfen. Der Staat hat kein Recht, selber die Alters- und Gesundheitsvorsorge zu organisieren. Damit wird nur den Faulen und Unfähigen ihr lustiges Leben verzuckert. Menschen, die keine private Altersvorsorge abschließen, müssen nach den Worten von Buchanan – ich zitiere: „behandelt werden wie untergeordnete Mitglieder der Spezies, Tieren ähnlich, die in Abhängigkeit leben.“ <5>
Damit ist Professor James Buchanan eingebettet in eine lange Tradition in der Geschichte der USA, besonders aber in die Besonderheiten der Südstaaten. Im Grunde macht Buchanan da weiter, wo im 19. Jahrhundert, noch vor dem Bürgerkrieg zwischen Süd- und Nordstaaten, der Politiker und Sklavenhalter John C. Calhoun die Vorzüge der Sklavenhalterwirtschaft zu preisen wusste.
Calhoun verkündete damals überaus angriffslustig, die Bundesregierung in Washington sei ein unnützer Parasitenkörper, der den Leuten, die Werte schaffen, eben diese Werte dreist entreißt, und sie dann den Unnützen zuwirft. Dabei vergaß Calhoun nur allzu gerne, dass er seinen Reichtum wohl kaum aus eigener Kraft geschaffen hatte. Sein erhebliches Vermögen presste er aus dem Blut und Schweiß seiner bedauernswerten Sklaven.
Doch Calhoun stand mit seiner Meinung keineswegs alleine da in den USA. Konservatismus und Feindschaft gegen den Staat gehen in den USA traditionell eine Verbindung ein. Anders als in Europa, wo Konservatismus bislang jedenfalls immer einher ging mit der Forderung nach einem starken Staat.
Und genau diese Polarität: hier die Linken, die mit einem starken proaktiven Staat soziale Ungleichheiten abbauen wollen; und dort die Rechten, die einen schwachen Staat wollen, um ihre Privilegien auszubauen, findet sich im heutigen politischen Koordinatensystem der USA wieder.
James Buchanan hielt sein eigenes Milieu für das Maß aller Dinge, wenn er den Satz prägte, der da lautete: „Jeder Mensch strebt nach Herrschaft über eine Welt von Sklaven.“ <6>
Die weltpolitischen Ereignisse spielten Buchanan in die Hände. Mittlerweile gab es nämlich schon die ersten Staaten, denen mit roher Gewalt marktradikale Rezepte aufgezwungen wurden. Am 11. September 1973 wurde bei einem Militärputsch in Chile der gewählte Präsident Salvador Allende ermordet. An seine Stelle übernahm eine blutige Junta unter General Agosto Pinochet das Kommando.
Allgemein bekannt ist die Rolle, die der Ökonom Milton Friedman mit seinen Schülern bei der Transformation der chilenischen Gesellschaft nach dem Putsch von Augusto Pinochet 1973 gespielt hat. Friedmans „Chicago Boys“; das waren Ökonomen aus Lateinamerika, die an Friedmans Fakultät in Chicago ihre Ausbildung erhielten. Diese Chicago Boys hatten nun ihre marktradikalen Experimente unter der Duldungsstarre der Bevölkerung von Chile an einer kompletten nationalen Ökonomie ausprobieren dürfen. James Buchanan war seit 1980 an der neuen, autoritären Verfassung Chiles federführend beteiligt. Von oben herab dekretierte er der Junta den Grundsatz, dass der Staat so weit wie möglich zu entmachten sei.
Buchanans Macht und Einfluss nehmen zu, als er ein eigenes Institut an der George Mason-Universität zugeteilt bekommt, die nur durch den Potomac-Fluss von der Bundeshauptstadt Washington entfernt ist. Da er mit der politischen Maschine von Ronald Reagan sowieso schon seit den späten 1960er Jahren eng verzahnt ist, genießt Buchanan nunmehr den Status eines Chefökonomen mit direktem Zugang zum Weißen Haus.
Und nun gesellt sich zu den exzellenten Kontakten noch das große Geld. Denn der Multimilliardär Charles G. Koch investierte schon lange in das konservative Rollback der USA. Ganz ähnlich wie der Industrie-Tycoon Richard Mellon Scaife, der alleine 600 Millionen US-Dollar in rechte Denkfabriken und Politiker gesteckt hatte, schuf auch Charles Koch mit gigantischen Geldmitteln künstliche wissenschaftliche Netzwerke. Da aber marktradikale Programme alleine keine politischen Bewegungen erzeugen können, lassen sie sich immer wieder gerne von bestimmten konservativen Protestbewegungen Huckepack nehmen. Die synthetischen Marktradikalen geben den erdverwachsenen Konservativen den intellektuellen Hauch. Dafür transportieren die konservativen die marktradikalen Losungen an jeden Biertisch im Hinterland von Texas. Die heimliche Macht von Charles Koch wuchs im Laufe der Jahre immer mehr an. Kochs Gelder sind so weit eingesickert in undurchdringliche marktradikale Netzwerke, dass man in den USA schon von der „Koch-Krake“ (auf Englisch im Original: „Kochtopus“) spricht. Charles G. Koch hatte in den Siebziger Jahren in die synthetische, von ihm angestiftete libertäre Bewegung investiert. Sein Bruder David war sogar selber als Vizepräsidentschaftskandidat in der von ihm finanzierten Libertären Partei aufgetreten. Zudem hatten sie als deren Chefideologen den Anarcho-Kapitalisten Murray Rothbard aufbauen lassen. Jedoch kam die Libertäre Partei nicht über den Status einer Splitterpartei hinaus. Entnervt ließen die Koch-Brüder die Libertäre Partei fallen. Und investierten fortan in James McGill Buchanan als ihrem bevorzugten Rennpferd. Das lohnte sich umso mehr, da Buchanan 1986 den Wirtschaftsnobelpreis zuerkannt bekam.
Finanziell üppig gepolstert und mit direktem Zugang zum Oval Office, war Buchanan nun auf dem Gipfelpunkt seiner Karriere angelangt. Doch nun folgte der tiefe Fall. Koch hatte das Label „James Buchanan“ gekauft, und schlachtete es ohne Rücksicht auf dessen Namenspatron skrupellos für seine Zwecke aus. Buchanan zog sich verbittert zurück auf sein Altenteil.
Buchanans Geschichte zeigt, wie Wissenschaftler, die Standesdünkel und Vorurteile verinnerlicht haben, sich vor den Karren skrupelloser Kapitalisten spannen lassen. Wie eine diskrete und geschickte Hintergrundarbeit dafür sorgt, dass der seit Franklin Delano Roosevelt bestehende Konsens einer gerechten Sozialpolitik geräuschlos über den Haufen geworfen werden konnte.
Das Pendel schwingt über die Jahrzehnte und Jahrhunderte immer wieder herum von einer hemmungslosen Ausnutzung von Privilegien hin zu einer sozial ausgewogeneren Politik, und wieder zurück. Im Augenblick geht die Pendelbewegung immer noch weiter hin zu einer immer rücksichtsloseren Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen weniger Superreicher. Der Pendelschwung wird von interessierter Seite immer wieder angeschoben.
Wenn wir das begreifen, können wir vielleicht das Pendel wieder in die Richtung gerechterer Gesellschaftsordnungen zurückschwingen lassen. Wir lernen aus der Geschichte, wie wir die Zukunft besser machen.
Fußnoten:
<1> ZDF Die Anstalt vom 7.11.2017
https://www.youtube.com/watch?v=vzUNwWpk6CE
<2> Sebastian Müller: Der Anbruch des Neoliberalismus – Westdeutschlands Wandel in den 1970er-Jahren. Wien 2016
<3> Edwin Black: The War against the Weak – Eugenis and America’s Campaign to create a Master Race. New York 2003. S.312; Hermann Ploppa: Hitlers amerikanische Lehrer – Die Eliten der USA als Geburtshelfer des Nationalsozialismus. S.152.
<4> James Buchanan, Gordon Tullock: The Calculus of Consent: The Logical Foundations of Constitutional Democracy. University of Michigan Press, 1962.
<5> MacLean, S.212: „… are to be treated as subordinate members of the species, akin to animals who are dependent.”
<6> MacLean, S.150: “Each person seeks mastery over a world of slaves.”
Erstveröffentlichung am 26. April 2024 bei apolut
Online-Flyer Nr. 830 vom 11.05.2024
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HIStory: James McGill Buchanan
Ein dritter Weg des Marktradikalismus jenseits von Hayek und Friedman
Von Hermann Ploppa
Heute stelle ich Ihnen den Ökonomen James McGill Buchanan vor. Buchanan war ein marktradikaler und rassistischer Theoretiker aus den amerikanischen Südstaaten in den 1950er und 1960er Jahren. Ein wichtiger Berater des US-Präsidenten Ronald Reagan und der faschistischen Junta in Chile. Wir erleben den sagenhaften Aufstieg von bizarren Gestalten, die sich sogar bis in höchste Regierungsämter vorarbeiten. Leute, die früher niemand für voll genommen hätte. Da hat Donald Trump in den USA schon für vier Jahre das Präsidentenamt ausgefüllt. Und alles spricht dafür, dass Trump ab November des Jahres 2024 wieder in das Weiße Haus einziehen wird. Da sehen wir in Argentinien einen ungekämmten Rocker-Typen, der bei Wahlkampfveranstaltungen mit einer Motor-Kettensäge herumfuchtelt. Damit wollte er den Staat Argentinien zersägen. Jener Javier Milei gewann dann sogar die Präsidentschaftswahlen haushoch. Politische Extremisten wie Ronald Reagan in den USA und Margaret Thatcher in Großbritannien hatten schon Großes geleistet, um die ihnen anvertrauten Nationalstaaten in den Ruin zu treiben. Und ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode. Denn hinter all diesen Exzentrikern stehen starke Gemeinschaften, die sich zum Ziel gesetzt haben, den Staat zu zerschlagen, um Platz zu schaffen für eine absolute, neofeudale Macht der Superreichen und der Globalkonzerne.
Für diese staats- und verfassungsfeindlichen Netzwerke wurde der irreführende Begriff des „Neoliberalismus“ in Umlauf gebracht. Diese Netzwerke vollziehen ihre Wühlarbeit seit nunmehr bereits einhundert Jahren. Ihr Gründervater ist der österreichische Edelmann und Soziologe Ludwig von Mises. Dessen bester Schüler wiederum war Friedrich von Hayek. Seitdem haben sich unzählige Denkrichtungen des Marktradikalismus aus diesem Stamm herausgebildet. Bekannt ist neben der Schule des Friedrich von Hayek noch die Ideologie des Milton Friedman. Für diese Ideologen war klar, dass dem Endsieg ihrer Weltanschauung nicht sofort und auf einen Schlag zum Sieg zu verhelfen ist. Hayek sagte, dass man mindestens vier Generationen Aufbauarbeit benötigen würde, bis man in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien das Meinungsmonopol erringt. Nun, dieses Ziel ist mittlerweile erreicht. In diesem Meinungsmonopol der Marktradikalen haben sich nunmehr viele neue Fraktionen gebildet. Die neueste und härteste Fraktion der Marktradikalen bezeichnen sich selber als „Anarcho-Kapitalisten“. Der Staat soll nach Meinung der Anarcho-Kapitalisten zugunsten der totalen Herrschaft der Oligarchen komplett zerschlagen werden. Der Meisterdenker dieser Fraktion heißt Murray Rothbard. Ihm huldigt der neue argentinische Präsident Javier Milei.
Natürlich wird die Mehrheit der Bevölkerung niemals einem Programm zustimmen, das die eigene totale Entrechtung und Enteignung anstrebt. Also lassen sich die Marktradikalen immer Huckepack nehmen von Protestbewegungen oder auch von konservativen Strömungen in den jeweiligen Ländern. So haben sich die Marktradikalen in den USA mit den Evangelikalen aus dem Bibelgürtel verbündet, um schon den Hauch von sozialen Reformen zu bekämpfen und die USA auf einen apokalyptischen Endzeitkurs in der Außenpolitik festzunageln. In Deutschland versuchen die Marktradikalen, Teile der Neuen Demokratiebewegung zu unterwandern und zu übernehmen.
Und wir sprechen heute über eine Seitenströmung des amerikanischen Marktradikalismus, die sich in den Südstaaten von Rassisten und Eugenikern nach oben tragen ließ. Wir sprechen heute über den marktradikalen und rassistischen Ideologen James McGill Buchanan.
So langsam wird auch in Deutschland bekannt, welchen immensen Einfluss marktradikale Vordenker auf das politische und gesellschaftliche Geschehen sich erarbeitet haben. Die Satiresendung „Die Anstalt“ <1> hat einem breiten Publikum mit einem Schlag die enorme Macht des diskreten Ökonomen-Netzwerks der Mont Pelerin-Gesellschaft deutlich gemacht. Nach wie vor mangelt es jedoch an einem wirklich differenzierten Verständnis dieses leider so erfolgreichen Hegemonie-Projekts. Da wird vom „Neoliberalismus“ gesprochen. Das hat seine Ursache darin, dass sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein diskretes Netzwerk von Ökonomen formierte. In der so genannten Mont Pelerin Gesellschaft versammelten sich aber alle möglichen Wirtschaftsexperten. Sie alle einte lediglich die Abneigung gegen jede Form von Planwirtschaft.
In den Anfangsjahren der Mont Pelerin Society gehörten zu diesem Netzwerk denn auch Politiker und Ökonomen wie Ludwig Erhard, Alfred Müller-Armack, Alexander Rüstow oder Wilhelm Röpke. Die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik dieser echten Vertreter des Neoliberalismus (oder auch: Ordo-Liberalismus, oder Rheinischer Kapitalismus) dachten gar nicht daran, den Staat als proaktive Gestaltungsmacht zu zerschlagen, den öffentlichen Raum zu privatisieren oder die Gewerkschaften zu schwächen. Im Gegenteil, im Einklang mit dem New Deal-Konsens der Eisenhower-Jahre und dem Sozialstaatskonzept von William Henry Beveridge in England wurden Löhne und Arbeiterrechte mit Unterstützung der Neoliberalen massiv ausgebaut <2>.
Doch die Neoliberalen dieser Epoche sind mittlerweile ausgestorben.
Geblieben sind jene Fraktionen der Mont Pelerin-Szene, für die der Begriff „Marktradikalismus“ am besten passt. Denn die österreichische Schule um Ludwig von Mises sowie Friedrich von Hayek; und auf der anderen Seite die Chicago-Schule um Milton Friedman und Frank Knight sind charakterisiert durch die radikale Ablehnung eines gestalterischen, proaktiven Staates. Sie knüpften an die liberale Schule des 18. Jahrhunderts an. Sowohl die Österreicher als auch die Chicago-Fraktion verabscheuten jede Einwirkung des Staates. Zerschlagung der Gewerkschaften, eine radikale Privatisierung des öffentlichen Sektors sowie eine rigide Durchsetzung ökonomischer Grundsätze in praktisch allen Lebensbereichen werden wie von Zauberhand alles richten.
Aber es gab noch eine dritte Spielart des Marktradikalismus.
Der Weg führt uns in die Südstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika. Genauer gesagt: in die Hallen der Gelehrsamkeit von Virginia. Da finden wir James McGill Buchanan. Für diese dritte Spielart des Marktradikalismus Buchanans ist das rassistische Milieu der Südstaaten prägend. James McGill Buchanan begann seine Karriere als Hochschullehrer an der Universität von Virginia, in den Südstaaten. Virginia ist belastet durch eine schwere Hypothek, nämlich einer besonders perfiden Form des Rassismus. Der Rassismus wurde hier aus dem dumpfen Bierhallen-Rassismus erhoben in den Stand einer empirisch belegbaren „Wissenschaft“. Koryphäen der Biologie, Psychologie oder auch der Soziologie meinten anhand von Tabellen und Statistiken beweisen zu können, dass Sozialpolitik sinnlos ist, weil ein großer Teil der Gesellschaft genetisch bedingt unfähig seien für die Teilnahme an demokratischer Partizipation. Zu den Menschen, die man „eliminieren“ wollte, zählten Behinderte, Arme, Außenseiter, Quertreiber und vor allem alle Menschen, die man nicht den weißen Herrenmenschen zugehörig betrachtete. Diese Leute mussten sterilisiert, kastriert, lebenslang eingesperrt oder an der Heirat mit weißen Herrenmenschen per Gesetz gehindert werden.
Die Wissenschaftler berieten die Politiker und Behörden dabei, solche rassistisch-eugenischen Vorgaben in reale Maßnahmen umzusetzen. Mit Unterstützung der eugenisch orientierten Universität von Richmond in Virginia wurden Rassentrennungsgesetze durchgedrückt. Die Vorlage für die Gesetzestexte verfasste ein gewisser Harry Laughlin, seines Zeichens Geschäftsführer des Eugenics Record Office. Das Eugenics Record Office sammelte und veröffentliche zahlreiche Schriften, die die Menschen unterteilte in erwünschte Personen und auf der anderen Seite in „minderwertige“ Individuen. Natürlich waren nach dieser Anschauung Angehörige der weißen Rasse den Angehörigen der schwarzen Rasse rein genetisch gesehen weit überlegen. Oder besser: die Weißen und die „Farbigen“ (coloured). „Farbig“ sind alle Amerikaner, die nicht „reinrassig“ weiß sind. Weiße und „Farbige“ wurden strikt getrennt. Als „Farbig“ galt, wer auch nur einen hundertvierundzwanzigstel Anteil an nicht-weißen Vorfahren hatte.
Das hatte Konsequenzen über den Großen Teich bis nach Deutschland. Denn die Nürnberger Rassengesetze aus dem Jahre 1934 sind eins zu eins eine Übernahme der Rassengesetze des US-Bundesstaates Virginia! In Anerkennung dieser Verdienste bekam Harry Laughlin die Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg zuerkannt. Laughlin nahm die Ehrung vor Ort in Heidelberg sehr gerne persönlich entgegen. <3>.
In dieser Tradition befand sich noch jener Universitätspräsident Colgate Whitehead Darden jr., der im Jahre 1956 den siebenunddreißigjährigen James McGill Buchanan mit einem Lehrstuhl an der Universität Virginia bedachte, damit dieser ihm ex cathedra bei der Ausarbeitung seiner rassistischen Agenda behilflich sein konnte. Es brach eine wilde Zeit an. Denn die Rassentrennung war in allen Bereichen des Lebens unübersehbar im Staate Virginia. „Farbige“ durften nicht an denselben Schulen und Universitäten lernen und lehren wie ihre weißen Mitbürger. Dass zudem die Ausstattung der Universitäten für die „Farbigen“ jeder Beschreibung spottete, ließen sich die farbigen Studenten nicht mehr länger gefallen. Universitätsstreiks an den Unis zweiter Klasse fanden ein breites Echo in den gesamten USA. Die Regierung von Virginia fackelte nicht allzu lange. Als die Proteste sehr laut wurden, schloss der Gouverneur von Virginia kurzerhand alle öffentlichen Schulen des Staates.
Doch wie sollte es nach der zwangsweisen Befriedung der Schulen und Universitäten weitergehen? Ratlosigkeit machte sich breit.
Aber ein gewisser Milton Friedman von der Universität Chicago hatte scheinbar die Lösung parat: die Eltern sollten Schulgutscheine (so genannte: school vouchers) erhalten, mit denen sie dann ihre Kinder auf private Schulen und Unis schicken konnten. So nutzte man den Kampf gegen die Rassentrennung (Segregation) geschickt aus, um dem marktradikalen Projekt der Schulprivatisierung auf die Sprünge zu helfen. Die Schulprivatisierung in Virginia war das Einstiegsprojekt, an dem James Buchanan maßgeblich mitwirkte. Wenn auch auf Druck der Bundesregierung in Washington die öffentlichen Schulen dann doch wieder ihre Tore öffnen mussten, und die Schulprivatisierung zunächst ad acta gelegt wurde, so hatte Buchanan hier seine ersten Pflöcke gesetzt.
Bei den Studentenunruhen von 1968 war Buchanan bereits Professor an der Universität von Los Angeles. Sein Hass gegen die Studentenrevolte brachte ihn schnell in das Lager des neuen Gouverneurs von Kalifornien, eines gewissen Ronald Reagan. Der ging mit äußerster militärischer Härte nicht nur gegen protestierende Studenten, sondern auch gegen friedfertige Hippies vor. Unter anderem durch die Bekanntschaft mit Buchanan schärfte Reagan sein Profil als knallharter marktradikaler Politiker.
James Buchanan hatte derweil ein geschlossenes theoretisches Gebäude erstellt. Am ehesten ist Buchanan breiteren Kreisen in der Wissenschaft bekannt geworden durch seine Public-Choice-Theorie, die er zusammen mit Gordon Tullock in dem Bestseller The Calculus of Consent <4> öffentlich machte. Für die Entwicklung dieser Theorie erhielt James Buchanan 1986 den Wirtschaftsnobelpreis.
Der Mensch wird in diesem Gedankengebäude vom Zoon Politikon sozusagen zum Zoon Oekonomikon umgedeutet. Alle politischen Prozesse sind ausschließlich nur durch ökonomische Beweggründe erklärbar. Politik wird zur Unterabteilung der Wirtschaft degradiert. Politiker handeln keinesfalls, um dem Gemeinwohl zu dienen. Vielmehr versuchen sie, aus dem politischen Geschäft materielle Vorteile zu ziehen. Das zeigt sich, so Buchanan, daran, dass Politiker nicht nur in Zeiten der Wirtschaftsflaute fleißig staatliches Geld in die Wirtschaft pumpen, sondern auch in Zeiten der Hochkonjunktur, wo nach der Lehre von John Maynard Keynes der Staat viel eher Geld aus der Wirtschaft herausnehmen sollte, um eine Überhitzung zu vermeiden. Denn die Politiker wollen ja wiedergewählt werden. Also müssen sie sich mit Geschenken aus dem öffentlichen Füllhorn beliebt machen. So entsteht zwangsläufig eine immer krasser ausufernde Staatsverschuldung.
James Buchanan geht in seiner Geringschätzung der Rolle des Staates wesentlich weiter als Friedrich von Hayek oder Milton Friedman. Denn für Buchanan ist der Staat nichts anderes als eine Horde von Freibeutern. Der Staat hat keine Legitimation, den Besitzenden und Erfolgreichen ihr Geld durch Steuerabgaben zu entreißen und es den Besitzlosen zuzuwerfen. Der Staat hat kein Recht, selber die Alters- und Gesundheitsvorsorge zu organisieren. Damit wird nur den Faulen und Unfähigen ihr lustiges Leben verzuckert. Menschen, die keine private Altersvorsorge abschließen, müssen nach den Worten von Buchanan – ich zitiere: „behandelt werden wie untergeordnete Mitglieder der Spezies, Tieren ähnlich, die in Abhängigkeit leben.“ <5>
Damit ist Professor James Buchanan eingebettet in eine lange Tradition in der Geschichte der USA, besonders aber in die Besonderheiten der Südstaaten. Im Grunde macht Buchanan da weiter, wo im 19. Jahrhundert, noch vor dem Bürgerkrieg zwischen Süd- und Nordstaaten, der Politiker und Sklavenhalter John C. Calhoun die Vorzüge der Sklavenhalterwirtschaft zu preisen wusste.
Calhoun verkündete damals überaus angriffslustig, die Bundesregierung in Washington sei ein unnützer Parasitenkörper, der den Leuten, die Werte schaffen, eben diese Werte dreist entreißt, und sie dann den Unnützen zuwirft. Dabei vergaß Calhoun nur allzu gerne, dass er seinen Reichtum wohl kaum aus eigener Kraft geschaffen hatte. Sein erhebliches Vermögen presste er aus dem Blut und Schweiß seiner bedauernswerten Sklaven.
Doch Calhoun stand mit seiner Meinung keineswegs alleine da in den USA. Konservatismus und Feindschaft gegen den Staat gehen in den USA traditionell eine Verbindung ein. Anders als in Europa, wo Konservatismus bislang jedenfalls immer einher ging mit der Forderung nach einem starken Staat.
Und genau diese Polarität: hier die Linken, die mit einem starken proaktiven Staat soziale Ungleichheiten abbauen wollen; und dort die Rechten, die einen schwachen Staat wollen, um ihre Privilegien auszubauen, findet sich im heutigen politischen Koordinatensystem der USA wieder.
James Buchanan hielt sein eigenes Milieu für das Maß aller Dinge, wenn er den Satz prägte, der da lautete: „Jeder Mensch strebt nach Herrschaft über eine Welt von Sklaven.“ <6>
Die weltpolitischen Ereignisse spielten Buchanan in die Hände. Mittlerweile gab es nämlich schon die ersten Staaten, denen mit roher Gewalt marktradikale Rezepte aufgezwungen wurden. Am 11. September 1973 wurde bei einem Militärputsch in Chile der gewählte Präsident Salvador Allende ermordet. An seine Stelle übernahm eine blutige Junta unter General Agosto Pinochet das Kommando.
Allgemein bekannt ist die Rolle, die der Ökonom Milton Friedman mit seinen Schülern bei der Transformation der chilenischen Gesellschaft nach dem Putsch von Augusto Pinochet 1973 gespielt hat. Friedmans „Chicago Boys“; das waren Ökonomen aus Lateinamerika, die an Friedmans Fakultät in Chicago ihre Ausbildung erhielten. Diese Chicago Boys hatten nun ihre marktradikalen Experimente unter der Duldungsstarre der Bevölkerung von Chile an einer kompletten nationalen Ökonomie ausprobieren dürfen. James Buchanan war seit 1980 an der neuen, autoritären Verfassung Chiles federführend beteiligt. Von oben herab dekretierte er der Junta den Grundsatz, dass der Staat so weit wie möglich zu entmachten sei.
Buchanans Macht und Einfluss nehmen zu, als er ein eigenes Institut an der George Mason-Universität zugeteilt bekommt, die nur durch den Potomac-Fluss von der Bundeshauptstadt Washington entfernt ist. Da er mit der politischen Maschine von Ronald Reagan sowieso schon seit den späten 1960er Jahren eng verzahnt ist, genießt Buchanan nunmehr den Status eines Chefökonomen mit direktem Zugang zum Weißen Haus.
Und nun gesellt sich zu den exzellenten Kontakten noch das große Geld. Denn der Multimilliardär Charles G. Koch investierte schon lange in das konservative Rollback der USA. Ganz ähnlich wie der Industrie-Tycoon Richard Mellon Scaife, der alleine 600 Millionen US-Dollar in rechte Denkfabriken und Politiker gesteckt hatte, schuf auch Charles Koch mit gigantischen Geldmitteln künstliche wissenschaftliche Netzwerke. Da aber marktradikale Programme alleine keine politischen Bewegungen erzeugen können, lassen sie sich immer wieder gerne von bestimmten konservativen Protestbewegungen Huckepack nehmen. Die synthetischen Marktradikalen geben den erdverwachsenen Konservativen den intellektuellen Hauch. Dafür transportieren die konservativen die marktradikalen Losungen an jeden Biertisch im Hinterland von Texas. Die heimliche Macht von Charles Koch wuchs im Laufe der Jahre immer mehr an. Kochs Gelder sind so weit eingesickert in undurchdringliche marktradikale Netzwerke, dass man in den USA schon von der „Koch-Krake“ (auf Englisch im Original: „Kochtopus“) spricht. Charles G. Koch hatte in den Siebziger Jahren in die synthetische, von ihm angestiftete libertäre Bewegung investiert. Sein Bruder David war sogar selber als Vizepräsidentschaftskandidat in der von ihm finanzierten Libertären Partei aufgetreten. Zudem hatten sie als deren Chefideologen den Anarcho-Kapitalisten Murray Rothbard aufbauen lassen. Jedoch kam die Libertäre Partei nicht über den Status einer Splitterpartei hinaus. Entnervt ließen die Koch-Brüder die Libertäre Partei fallen. Und investierten fortan in James McGill Buchanan als ihrem bevorzugten Rennpferd. Das lohnte sich umso mehr, da Buchanan 1986 den Wirtschaftsnobelpreis zuerkannt bekam.
Finanziell üppig gepolstert und mit direktem Zugang zum Oval Office, war Buchanan nun auf dem Gipfelpunkt seiner Karriere angelangt. Doch nun folgte der tiefe Fall. Koch hatte das Label „James Buchanan“ gekauft, und schlachtete es ohne Rücksicht auf dessen Namenspatron skrupellos für seine Zwecke aus. Buchanan zog sich verbittert zurück auf sein Altenteil.
Buchanans Geschichte zeigt, wie Wissenschaftler, die Standesdünkel und Vorurteile verinnerlicht haben, sich vor den Karren skrupelloser Kapitalisten spannen lassen. Wie eine diskrete und geschickte Hintergrundarbeit dafür sorgt, dass der seit Franklin Delano Roosevelt bestehende Konsens einer gerechten Sozialpolitik geräuschlos über den Haufen geworfen werden konnte.
Das Pendel schwingt über die Jahrzehnte und Jahrhunderte immer wieder herum von einer hemmungslosen Ausnutzung von Privilegien hin zu einer sozial ausgewogeneren Politik, und wieder zurück. Im Augenblick geht die Pendelbewegung immer noch weiter hin zu einer immer rücksichtsloseren Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen weniger Superreicher. Der Pendelschwung wird von interessierter Seite immer wieder angeschoben.
Wenn wir das begreifen, können wir vielleicht das Pendel wieder in die Richtung gerechterer Gesellschaftsordnungen zurückschwingen lassen. Wir lernen aus der Geschichte, wie wir die Zukunft besser machen.
Fußnoten:
<1> ZDF Die Anstalt vom 7.11.2017
https://www.youtube.com/watch?v=vzUNwWpk6CE
<2> Sebastian Müller: Der Anbruch des Neoliberalismus – Westdeutschlands Wandel in den 1970er-Jahren. Wien 2016
<3> Edwin Black: The War against the Weak – Eugenis and America’s Campaign to create a Master Race. New York 2003. S.312; Hermann Ploppa: Hitlers amerikanische Lehrer – Die Eliten der USA als Geburtshelfer des Nationalsozialismus. S.152.
<4> James Buchanan, Gordon Tullock: The Calculus of Consent: The Logical Foundations of Constitutional Democracy. University of Michigan Press, 1962.
<5> MacLean, S.212: „… are to be treated as subordinate members of the species, akin to animals who are dependent.”
<6> MacLean, S.150: “Each person seeks mastery over a world of slaves.”
Erstveröffentlichung am 26. April 2024 bei apolut
Online-Flyer Nr. 830 vom 11.05.2024
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