SUCHE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Druckversion
Globales
Gazainfo 136
Anmerkungen zu Gaza
Von Gustav Schiedel (Gaza-Info)
Zum Beispiel: Der 10jährige Yazan Kafarneh starb bereits Anfang März im südlichen Gazastreifen. Weiterhin wird Hunger von Israel und seinen Verbündeten als Waffe eingesetzt, auch von Ländern wie Österreich, das monatelang Hilfsgelder für die UNRWA und Entwicklungshilfegelder für Gaza sperrte. Kritik an diesem Genozid oder gar konkrete Hilfe für die Hungernden werden kriminalisiert. So wurde der Hilfsverein Rahma Austria (2) wegen seiner Hilfstransporte für Gaza belangt, Kontengelder gesperrt, hunderte SpenderInnen von Beamten verhört und über ihre Motive befragt und Spendengelder beschlagnahmt. Geld, mit dem viele Verhungernde zumindest für einige Wochen hätten gerettet werden können.
#wärmstens #ceasefirenow (Montage: Rudolph Bauer)
Ich darf das, ich bin Israeli
Zionisten reden vom "Endsieg" (Netanyahu, israelischer Premier und Anwärter für den Internationalen Gerichtshof), vom "totalen Krieg" (Israel Katz, israelischer Außenminister), Verteidigungsminister Galant redet von menschlichen Tieren, wenn er die Sperre von Wasser und Nahrung für die Palästinenser anordnet, der Minister für Nationale Sicherheit Ben Gvir fordert für palästinensische Gefangene die Essensrationen zu senken, bevor mit einem Kopfschuss für die Entlastung überfüllter israelischer Gefängnisse gesorgt werden soll, die ehemalige Justizministerin Miri Regev sagt, sie sei stolz, Faschistin zu sein, Finanzminister Bezalel Smotrich stellt Palästinenser vor die Wahl, das Land zu verlassen, als "minderwertige" Ausländer in einem exklusiv jüdischen Staat zu leben oder zu sterben, und die frühere Innenministerin Ayelet Shaked fordert, die Mütter von Märtyrern zu töten, damit sie keine weiteren "kleinen Schlangen" großziehen können...usw. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen, um den Zionismus als zutiefst menschenverachtendes System bloßzustellen, aber diese Kritik wurde untersagt (damit sie nicht mehr gesagt wird), denn sie soll angeblich antisemitisch sein. Damit wollen wir uns in diesem Gazainfo näher auseinandersetzen.
Wegen überwältigenden Erfolgs prolongiert: Antisemitismusvorwürfe aus der Ecke des philozionistischen Antisemitismus
Ob im Verfassungsschutzbericht, den Parlamenten oder auf politischen Pressekonferenzen, aktuell werden immer neue Gesetzesverschärfungen gegen Zionismuskritik angekündigt, Berufsverbote verhängt und Demonstrationen wie politische Veranstaltungen verboten: Im Namen des Kampfes gegen "Propaganda, Lüge und Desinformation", "Befürwortung eines Angriffskriegs" (oder wahlweise dem Verdacht auf "Befürwortung von Terrorismus bzw. einer terroristischen Vereinigung" oder auch nur der vom Verfassungsschutz befürchteten "Delegitimierung des Staates") oder wegen "Hetze", "Fakenews" und "Hatespeech" wird heute offen die Meinungsfreiheit beschränkt und nur mehr die herrschende Meinung (als Meinung der Herrschenden) als einzig wahre Berichterstattung erlaubt. Die üblichen FaktencheckerInnen ersetzen heute das Wahrheitsministerium und gelten als super glaubwürdig, obwohl oder eben weil sie wie Herolde noch nie die offiziellen Regierungsverlautbarungen in Frage gestellt haben. Einige prominente wie auch einige eher totgeschwiegene Verfahren haben auch juristisch gezeigt, wohin die Reise geht: Es dürfen ganz einfach nur mehr bestimmte Meinungen vertreten, geglaubt oder auch nur konsumiert werden, denn auch der Besuch von Feindsendern ist bei Strafe verboten. Mit Riesenschritten schreitet die Faschisierung des Systems voran, die sich noch dazu als "bürgerlich-demokratischer" Antifaschismus tarnt. Um als kollektiver Wertewesten wieder "kriegstüchtig" zu werden, ist nicht nur die massive Aufrüstung und die Umstellung auf "Kriegsproduktion" erforderlich, sondern auch die Gleichschaltung der Medien und damit die Intensivierung von Propaganda und Zensur. Das betrifft Themenkomplexe wie etwa die derzeit nur pausierende Pandemie, die ständig als russischer Angriffskrieg bezeichnete Aggression gegen Russland und vor allem den als israelische Selbstverteidigung verharmlosten Völkermord an der palästinensischen Zivilbevölkerung.
Während dort die israelischen Massaker noch intensiviert wurden und ein apokalyptisches Ausmaß erreicht haben, war in den Mainstreammedien in den letzten Tagen und Wochen kaum noch etwas Wesentliches aus Gaza zu erfahren. Der Völkermord ist derzeit kein Thema mehr, auch wenn sich die aktuelle "Nahost"-Nichtberichterstattung sehr nach dem berüchtigten rosa Elefanten im Raum anfühlt, der einfach nicht auf Dauer ignoriert werden kann. Offensichtlich haben die zuständigen think tanks entschieden, die Berichterstattung über den Genozid vorübergehend einzustellen, da es trotz einer atemberaubend einseitigen prozionistischen Positionierung von Politik, Justiz und Mainstream zu einer wachsenden Solidarisierung mit Gaza gekommen ist. Denn trotz der verordneten Gehirnwäsche haben viele Menschen weder ihre Empathiefähigkeit verloren noch ihre Urteilskraft, um zwischen den Zeilen zu lesen, auch wenn der Skandal täglicher Kriegsverbrechen aktuell durch Sport, Adelsschicksale, vorgespieltes Parteiengezänk und die ständig aufgewärmte Russophobie verdrängt wird. Der Imperialismus verhält sich damit wie ein Kind, das sich die Hand vor die Augen hält und sagt: „Ich bin nicht da. Oder wie der Klamaukbulle aus der Komödie, der vor dem explodierenden Haus steht und der Menge zuruft: „Gehen Sie weiter, es gibt hier absolut nichts zu sehen!“
Ist Atmen antisemitisch?
Handelt es sich etwa um eine Form der Wiedergutmachung, wenn die deutsche wie die österreichische Regierung immer öfter Partei für den zionistischen Siedlerkolonialismus ergreifen und versuchen, jede noch so leise Kritik daran als Antisemitismus zu brandmarken oder im Gegenteil um die Fortsetzung einer menschenverachtenden Politik, die sich in einer Beihilfe zum Völkermord äußert?
Dieser angebliche Kampf gegen Antisemitismus, der israelische Apartheid und Siedlerkolonialismus verteidigt, ist einfach und bequem, denn an der Seite der Herrschenden und der offiziell Mächtigen muss man weder Repression noch die Diffamierung in den Mainstreammedien fürchten. Das bis an die Zähne bewaffnete Israel wird von allen imperialistischen Staaten politisch beschützt, finanziert und militärisch hochgerüstet. Auch wenn sie sich selbst als neue Schindlers fühlen und präsentieren mögen, sind weder die westlich imperialistischen Eliten mit ihren Lakaien noch der politisch-liberale Mainstream mit unterdrückten Jüdinnen und Juden solidarisch, sondern ausschließlich mit zionistisch-kolonialistischen Völkermördern und einer illegalen Besatzungsmacht, mit faschistischen Siedlerbanden und einer rechtsradikalen israelischen Regierung, gegen die sogar vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelt wird.
Obwohl einige Entwicklungen in sämtlichen westlich-imperialistischen Ländern beobachtet werden können, sind es insbesondere die Nazinachfolgestaaten Österreich und Deutschland mit der Schweiz im Schlepptau, die durch eine besonders aggressive prozionistische Politik und eine besondere Einseitigkeit auffallen. Das zeigte sich unter anderem im Abstimmungsverhalten in der UN oder in der Einstellung von Hilfsgeldern an die hungernde palästinensische Bevölkerung, auch wenn sich das offizielle Feindbild wie auch die Form der Propaganda vorübergehend verändert haben mögen. In seiner aggressiven Politik wird Israel insbesondere von neokonservativen, kolonialistischen und proimperialistischen Kräften rechts von der Mitte unterstützt, aber auch immer noch von einigen Strömungen, die von sich selbst behaupten, links oder sogar linksradikal zu sein. Wie ist das möglich angesichts der ungeheuren Verbrechen, die wir bis zur vor kurzem verordneten Informationssperre täglich in den Medien beobachten konnten?
Auch hier bestimmt nicht das Bewusstsein, sondern der Schein das Sein. Die europäische Linke neigt dazu, wie der Pawlowschke Hund auf Reizwörter zu reagieren, wobei die Form (und ihre korrekte Anwendung) oft wichtiger erscheint als ihr tatsächlicher Inhalt. Es geht um das "richtige" Wording, Naming und Framing, nicht um konkrete Veränderung oder gar um Menschenrechte und Gerechtigkeit; also darum, wie etwas benannt wird und nicht, wie es wirklich ist. Anfällig für linke Etikettenschwindler werden sie sich automatisch mit Israel solidarisieren, solange dessen Propagandaabteilung behauptet, Opfer eines konstruierten Antisemitismus zu sein oder in moralischer Selbsterhöhung mit konstruierten Vorwürfen gegen alle vorgeht, die es trotz Hasbara und Zensur immer noch wagen, sich gegen Siedlerkolonialismus, ethnische Säuberung und Apartheid zu äußern.
Westlich-imperialistische Verdrehung und Instrumentalisierung des Antisemitismusbegriffs: nur ein zionistischer Jude ist ein guter Jude.
Quantität übertrumpft wieder Qualität: So wie sie sich nach der massiven Zunahme von Corona- Tests über steigende positive Fallzahlen erschreckten, beklagen sich die zuständigen Institutionen aktuell über einen neuerlichen Anstieg des Antisemitismus: aber wenn bisher legale wie legitime Meinungsäußerungen plötzlich unter dem inflationären Vorwurf des Antisemitismus geahndet werden, gilt heute nicht mehr der Rassismus, sondern die Rassismuskritik als antisemitisch. Dafür wurde unter Federführung proisraelischer Think Tanks der Antisemitismusbegriff zunächst auf eine bestimmte und schließlich auf jede antizionistische Kritik ausgeweitet, bevor er mittlerweile fast völlig darauf reduziert wurde, während gleichzeitig der real bestehende Antisemitismus weitgehend ignoriert wird.
Es ist nicht zutreffend, diese proisraelische Positionierung als Philosemitismus zu etikettieren, denn das würde im modernen Verständnis des ohnehin fragwürdigen Semitismusbegriffs die Liebe zu allem "Jüdischen" implizieren. Es handelt sich dagegen um Philozionismus oder eigentlich um einen philozionistischen Antisemitismus: Diese Haltung zeigt sich nicht zuletzt in der Haltung zu antizionistischen Jüdinnen und Juden. Diese sehen sich derzeit genauso häufig mit konstruierten Antisemitismusvorwürfen konfrontiert wie nichtjüdische AntiimperialistInnen und sind gleichfalls von Saalverboten, Veranstaltungsabsagen, Berufs- und Sprechverboten und juristischen Anklagen betroffen. Gegen Intellektuelle wie etwa Norman Finkelstein, Judith Butler oder antizionistische jüdische Organisationen wie "Not in our names" werden regelrechte Kampagnen inszeniert. Dabei handelt es sich aber nur in der Intensität um ein neues Phänomen, hat aber eine lange Vorgeschichte, die noch älter ist als die Nakba. Als self-hating oder antisemitic Jews werden jüdische Menschen, die es wagen, Kritik am Zionismus, an Israel oder seiner rechtsradikalen Regierung zu äußern, seit langem benannt.
Dieser philozionistische Antisemitismus zeigte sich beispielsweise, als der österreichische Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka jüdischen Demonstrant:innen, die im Parlament gegen den Genozid im Gazastreifen protestieren, zuschreit, sie sollten sich schämen und ihnen einen falschen moralischen Kompass und lustigerweise Antisemitismus unterstellt. Es zeigt aber auch, dass die eifrigsten ZionistInnen gar keine Jüdinnen sind (man denke nur an die Evangelikalen in den USA), weshalb etwa die Gleichsetzung von Antizionismus mit Antisemitismus eine äußerst kurzsichtige und ignorante Verdrehung der eigentlichen Bedeutung des Antisemitismusbegriffs darstellt. Auch (österreichische) Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler, die österreichische Antwort auf Annalena Baerbock (Zitat: "Die Impfpflicht ist der einzige Weg raus aus der Demokratie"), verwendet die Termini Antisemitismus und Antizionismus seit Jahren als Synonyme und beweist damit, dass sie sich weder mit dem einen noch mit dem anderen ernsthaft auseinandergesetzt hat. Als beispielsweise Omri Boehm, deutsch-israelischer Philosoph mit äußerst bescheidener Kritik am israelischen Krieg, zur Eröffnung der Wiener Festwochen auf dem Judenplatz sprechen sollte, betonte Edtstadler, sie finde es falsch "dass man jemandem, der Kritik an Israel übt, die keine Kritik an Israel ist, sondern purer Antizionismus und damit Antisemitismus, tatsächlich eine Bühne mitten in Wien gibt"... (3)
Nicht Gegenentwurf, sondern Ergänzung
Wie antisemitisch PhilzionistInnen selbst sind, zeigt sich deutlich, falls Ihnen erlaubt wird, im Namen des angeblichen Anti-antisemitismus oder bürgerlichen Antifaschismus gegen die vermeintlich "bösen", weil antizionistischen JüdInnen vorzugehen. Unter zionistischer Deutungshoheit, was denn Antisemitismus überhaupt sei, darf jetzt raus gelassen werden, was sonst sanktionslos nur mehr gegen Muslime oder Araber gesagt werden darf.
Dazu ist es hilfreich, sich die Geschichte des zionistischen Auftretens auf der Weltbühne in Erinnerung zu rufen. Entgegen anderslautender Gerüchten entstand der Zionismus nicht als Gegenentwurf zum Antisemitismus, sondern als dessen Ergänzung. Der Zionismus reagierte auf die Assimilation, nicht auf den Antisemitismus. Nicht die Antisemiten betrachtete der Zionismus als Gegner, sondern die Assimilationsbestrebungen wie auch die internationalistischen und vor allem sozialistischen Strömungen im Judentum. Herzl schrieb bereits davon, dass die "Antisemiten die verlässlichsten Freunde und die antisemitischen Länder unsere Verbündeten" sein würden (4) und er versprach, dass der Zionismus den "Umsturzparteien" die jüdischen Unterstützer abwerben würde. Zionismus galt von Anfang an als durchaus kompatibel mit antisemitischen Ideen, wie es auch Karl Kraus treffend auf den Punkt brachte: "Während die einen rufen: hinaus mit euch Juden!" kommt von der anderen Seite das Echo: "Jawohl hinaus mit uns Juden!" Die deutsche Monarchie, die der zionistische Quereinsteiger Herzl für die Idee eines deutschen Protektorats in Palästina gewinnen wollte, verhielt sich daher trotz ihrer geäußerten Sympathie für die zionistische Bewegung und deutscher Interessen in der Region zurückhaltend. Denn, so ließ der Kaiser Herzl wissen, er wollte weder in der Öffentlichkeit noch in den jüdischen Gemeinden als Antisemit gelten (5), auch wenn er ihm gleichzeitig mitteilte, dass er lieber "heute als morgen" die Juden los sein wollte.5 Also nicht der Antizionismus, sondern eine prozionistische Haltung wurde als antisemitisch verstanden. Das war übrigens auch der Grund, warum Zionisten als vernachlässigbare Minderheit aus Synagogen hinausgeworfen und wegen ihres reaktionären Nationalismus sowohl von jüdischen Liberalen wie auch von den meisten gläubigen JüdInnen, die den Zionismus als Blasphemie betrachten, abgelehnt wurden. Diese Ursprünge sollten nicht vergessen werden, wenn heute der Zionismus ein Monopol über das Judentum beansprucht und damit Jüd:innen weltweit in Geiselhaft für zionistische Interessen nehmen möchte.
Als Zionisten und Hasbara-Trolle gegen die Verleihung des Hannah Arendtpreises für Masha Gessen protestierten, (6) war das unbeabsichtigt komisch, denn auch Hannah Arendt war einst dem Vorwurf ausgesetzt, selbsthassende oder antisemitische Jüdin zu sein. Schuld dafür war der Umstand, dass Hannah Arendt in ihrer Berichterstattung über den Prozess gegen Adolf Eichmann ("Eichmann in Jerusalem" (7)) auch die zionistische Kollaboration mit den Nazis thematisiert hatte. Das ärgerte die israelische Politik, die schließlich den Eichmannprozess dafür instrumentalisieren wollten, Israel als die eigentliche Bastion gegen den deutschen Faschismus zu präsentieren und damit sowohl den Anspruch auf Wiedergutmachungszahlungen wie auch auf gefälligst kritiklose politische Unterstützung zu erheben. Während Arendt also zu Lebzeiten von Zionisten geschmäht wurde, möchte der Zionismus heute bestimmen, wem der Hannah Arendtpreis verliehen werden darf und wem nicht.
Die Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus ist jedenfalls genauso unrichtig, antisemitisch und pauschalisierend wie die Gleichsetzung von Opus dei mit dem Christentum und unterstellt JüdInnen, ihr Glaube oder ihre Kultur sei identisch mit einer nationalistisch- reaktionären Ideologie wie dem Zionismus. Das sieht indirekt sogar die zionistisch orientierte IHRA-Antisemitismusdefinition so, wenn sie die "Kollektive Verantwortlichmachung der Juden für die Handlungen des Staates Israel" als antisemitisch deklariert. Dabei handelt es sich um einen der wenigen Punkte, denen man in der IHRA Resolution vorbehaltlos zustimmen kann. (8) Weil Judentum und Zionismus nämlich 2 Paar Schuhe sind, was aber im Umkehrschluss auch bedeutet, dass es genau so antisemitisch ist, zu behaupten, die Kritik am Zionismus sei dasselbe wie die Kritik am Judentum. Ähnlich besagt ein Punkt der IRHA, es sei antisemitisch, von Israel ein anderes (wie etwa ein moralischeres) Verhalten zu erwarten oder zu verlangen als von jedem anderen Staat. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass Israel auch kein unmoralischeres Verhalten erlaubt werden sollte als jedem anderen Staat. Doch Israel erwartet unter Androhung der Antisemitismuskeule genau das, nämlich dass die ganze Welt über seine Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wohlwollend hinwegsieht und gefälligst mit Militärhilfe und standing ovations in westlichen Parlamenten belohnt.
Anmerkung: Der Autor dieses Beitrages telefoniert seit nunmehr 16 Jahren in unregelmäßigen Abständen mit einem Genossen aus dem Gazastreifen. Diese Gespräche werden von ihm transkribiert und unter dem Titel „Gazainfos“ an interessierte Kreise versandt. Da es aus einsichtigen Gründen zur Zeit kaum möglich ist, den Kontakt mit dem Genossen im Gaza-Streifen zu halten, versendet der Autor hier seine eigenen, höchst fachkundigen „Anmerkungen zu Gaza“. LeserInnen der „Neuen Rheinischen Zeitung“ welche in Zukunft in die Versandliste der „Gaza Infos“ aufgenommen werden möchten, schreiben eine diesbezügliche Mail an: gazainfo@gmx.at (Kurzer Text: „Ich bitte in die Versandliste der Gaza-Infos aufgenommen zu werden“ genügt. Die Gaza-Infos enthalten wie erwähnt politische Analysen von einem Genossen von vor Ort. Somit sind sie ein unschätzbares Zeitdokument. (9) (mh)
Fußnoten:
2 https://rahma-austria.at/de/ (Letzter Zugriff Juli 2024)
3 https://www.derstandard.at/story/3000000218984/aktivist-versuchte-ministerin-edtstadler-mit-farbe-zuueberschuetten (Letzter Zugriff Juli 2024)
4 Herzl, Theodor: Tagbücher Bd.1 S. 93, Jüdischer Verlag Berlin 1922 4Herzl, Theodor: Tagbücher Bd.3 S. 51/52, Jüdischer Verlag Berlin 1923
5 vgl. Nicosia, Francis R. (1989): Hitler und der Zionismus, Das 3. Reich und die Palästinafrage 1933-1939. Druffel-Verlag, Leoni am Starnberger See, 39-47
6 https://www.nzz.ch/feuilleton/masha-gessen-erhaelt-den-hannah-arendt-preis-und-redet-sich-ins-abseitsld.1771194 (Letzter Zugriff Juli 2024)
7 http://irwish.de/PDF/Dienste+Kriege/Arendt-Eichmann_in_Jerusalem.pdf (Letzter Zugriff Juli 2024)
8 Es gibt wesentlich seriösere Antisemitismusdefinitionen wie die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus, die nicht wie die IHRA Definition in erster Linie darauf abzielen, die Politik Israels zu legitimieren und KolonialismuskritikerInnen zu kriminalisieren
9 Vergleiche dazu http://nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27545 (Letzter Zugriff Juli 2024)
Online-Flyer Nr. 833 vom 24.07.2024
Druckversion
Globales
Gazainfo 136
Anmerkungen zu Gaza
Von Gustav Schiedel (Gaza-Info)
Zum Beispiel: Der 10jährige Yazan Kafarneh starb bereits Anfang März im südlichen Gazastreifen. Weiterhin wird Hunger von Israel und seinen Verbündeten als Waffe eingesetzt, auch von Ländern wie Österreich, das monatelang Hilfsgelder für die UNRWA und Entwicklungshilfegelder für Gaza sperrte. Kritik an diesem Genozid oder gar konkrete Hilfe für die Hungernden werden kriminalisiert. So wurde der Hilfsverein Rahma Austria (2) wegen seiner Hilfstransporte für Gaza belangt, Kontengelder gesperrt, hunderte SpenderInnen von Beamten verhört und über ihre Motive befragt und Spendengelder beschlagnahmt. Geld, mit dem viele Verhungernde zumindest für einige Wochen hätten gerettet werden können.
#wärmstens #ceasefirenow (Montage: Rudolph Bauer)
Ich darf das, ich bin Israeli
Zionisten reden vom "Endsieg" (Netanyahu, israelischer Premier und Anwärter für den Internationalen Gerichtshof), vom "totalen Krieg" (Israel Katz, israelischer Außenminister), Verteidigungsminister Galant redet von menschlichen Tieren, wenn er die Sperre von Wasser und Nahrung für die Palästinenser anordnet, der Minister für Nationale Sicherheit Ben Gvir fordert für palästinensische Gefangene die Essensrationen zu senken, bevor mit einem Kopfschuss für die Entlastung überfüllter israelischer Gefängnisse gesorgt werden soll, die ehemalige Justizministerin Miri Regev sagt, sie sei stolz, Faschistin zu sein, Finanzminister Bezalel Smotrich stellt Palästinenser vor die Wahl, das Land zu verlassen, als "minderwertige" Ausländer in einem exklusiv jüdischen Staat zu leben oder zu sterben, und die frühere Innenministerin Ayelet Shaked fordert, die Mütter von Märtyrern zu töten, damit sie keine weiteren "kleinen Schlangen" großziehen können...usw. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen, um den Zionismus als zutiefst menschenverachtendes System bloßzustellen, aber diese Kritik wurde untersagt (damit sie nicht mehr gesagt wird), denn sie soll angeblich antisemitisch sein. Damit wollen wir uns in diesem Gazainfo näher auseinandersetzen.
Wegen überwältigenden Erfolgs prolongiert: Antisemitismusvorwürfe aus der Ecke des philozionistischen Antisemitismus
Ob im Verfassungsschutzbericht, den Parlamenten oder auf politischen Pressekonferenzen, aktuell werden immer neue Gesetzesverschärfungen gegen Zionismuskritik angekündigt, Berufsverbote verhängt und Demonstrationen wie politische Veranstaltungen verboten: Im Namen des Kampfes gegen "Propaganda, Lüge und Desinformation", "Befürwortung eines Angriffskriegs" (oder wahlweise dem Verdacht auf "Befürwortung von Terrorismus bzw. einer terroristischen Vereinigung" oder auch nur der vom Verfassungsschutz befürchteten "Delegitimierung des Staates") oder wegen "Hetze", "Fakenews" und "Hatespeech" wird heute offen die Meinungsfreiheit beschränkt und nur mehr die herrschende Meinung (als Meinung der Herrschenden) als einzig wahre Berichterstattung erlaubt. Die üblichen FaktencheckerInnen ersetzen heute das Wahrheitsministerium und gelten als super glaubwürdig, obwohl oder eben weil sie wie Herolde noch nie die offiziellen Regierungsverlautbarungen in Frage gestellt haben. Einige prominente wie auch einige eher totgeschwiegene Verfahren haben auch juristisch gezeigt, wohin die Reise geht: Es dürfen ganz einfach nur mehr bestimmte Meinungen vertreten, geglaubt oder auch nur konsumiert werden, denn auch der Besuch von Feindsendern ist bei Strafe verboten. Mit Riesenschritten schreitet die Faschisierung des Systems voran, die sich noch dazu als "bürgerlich-demokratischer" Antifaschismus tarnt. Um als kollektiver Wertewesten wieder "kriegstüchtig" zu werden, ist nicht nur die massive Aufrüstung und die Umstellung auf "Kriegsproduktion" erforderlich, sondern auch die Gleichschaltung der Medien und damit die Intensivierung von Propaganda und Zensur. Das betrifft Themenkomplexe wie etwa die derzeit nur pausierende Pandemie, die ständig als russischer Angriffskrieg bezeichnete Aggression gegen Russland und vor allem den als israelische Selbstverteidigung verharmlosten Völkermord an der palästinensischen Zivilbevölkerung.
Während dort die israelischen Massaker noch intensiviert wurden und ein apokalyptisches Ausmaß erreicht haben, war in den Mainstreammedien in den letzten Tagen und Wochen kaum noch etwas Wesentliches aus Gaza zu erfahren. Der Völkermord ist derzeit kein Thema mehr, auch wenn sich die aktuelle "Nahost"-Nichtberichterstattung sehr nach dem berüchtigten rosa Elefanten im Raum anfühlt, der einfach nicht auf Dauer ignoriert werden kann. Offensichtlich haben die zuständigen think tanks entschieden, die Berichterstattung über den Genozid vorübergehend einzustellen, da es trotz einer atemberaubend einseitigen prozionistischen Positionierung von Politik, Justiz und Mainstream zu einer wachsenden Solidarisierung mit Gaza gekommen ist. Denn trotz der verordneten Gehirnwäsche haben viele Menschen weder ihre Empathiefähigkeit verloren noch ihre Urteilskraft, um zwischen den Zeilen zu lesen, auch wenn der Skandal täglicher Kriegsverbrechen aktuell durch Sport, Adelsschicksale, vorgespieltes Parteiengezänk und die ständig aufgewärmte Russophobie verdrängt wird. Der Imperialismus verhält sich damit wie ein Kind, das sich die Hand vor die Augen hält und sagt: „Ich bin nicht da. Oder wie der Klamaukbulle aus der Komödie, der vor dem explodierenden Haus steht und der Menge zuruft: „Gehen Sie weiter, es gibt hier absolut nichts zu sehen!“
Ist Atmen antisemitisch?
Handelt es sich etwa um eine Form der Wiedergutmachung, wenn die deutsche wie die österreichische Regierung immer öfter Partei für den zionistischen Siedlerkolonialismus ergreifen und versuchen, jede noch so leise Kritik daran als Antisemitismus zu brandmarken oder im Gegenteil um die Fortsetzung einer menschenverachtenden Politik, die sich in einer Beihilfe zum Völkermord äußert?
Dieser angebliche Kampf gegen Antisemitismus, der israelische Apartheid und Siedlerkolonialismus verteidigt, ist einfach und bequem, denn an der Seite der Herrschenden und der offiziell Mächtigen muss man weder Repression noch die Diffamierung in den Mainstreammedien fürchten. Das bis an die Zähne bewaffnete Israel wird von allen imperialistischen Staaten politisch beschützt, finanziert und militärisch hochgerüstet. Auch wenn sie sich selbst als neue Schindlers fühlen und präsentieren mögen, sind weder die westlich imperialistischen Eliten mit ihren Lakaien noch der politisch-liberale Mainstream mit unterdrückten Jüdinnen und Juden solidarisch, sondern ausschließlich mit zionistisch-kolonialistischen Völkermördern und einer illegalen Besatzungsmacht, mit faschistischen Siedlerbanden und einer rechtsradikalen israelischen Regierung, gegen die sogar vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelt wird.
Obwohl einige Entwicklungen in sämtlichen westlich-imperialistischen Ländern beobachtet werden können, sind es insbesondere die Nazinachfolgestaaten Österreich und Deutschland mit der Schweiz im Schlepptau, die durch eine besonders aggressive prozionistische Politik und eine besondere Einseitigkeit auffallen. Das zeigte sich unter anderem im Abstimmungsverhalten in der UN oder in der Einstellung von Hilfsgeldern an die hungernde palästinensische Bevölkerung, auch wenn sich das offizielle Feindbild wie auch die Form der Propaganda vorübergehend verändert haben mögen. In seiner aggressiven Politik wird Israel insbesondere von neokonservativen, kolonialistischen und proimperialistischen Kräften rechts von der Mitte unterstützt, aber auch immer noch von einigen Strömungen, die von sich selbst behaupten, links oder sogar linksradikal zu sein. Wie ist das möglich angesichts der ungeheuren Verbrechen, die wir bis zur vor kurzem verordneten Informationssperre täglich in den Medien beobachten konnten?
Auch hier bestimmt nicht das Bewusstsein, sondern der Schein das Sein. Die europäische Linke neigt dazu, wie der Pawlowschke Hund auf Reizwörter zu reagieren, wobei die Form (und ihre korrekte Anwendung) oft wichtiger erscheint als ihr tatsächlicher Inhalt. Es geht um das "richtige" Wording, Naming und Framing, nicht um konkrete Veränderung oder gar um Menschenrechte und Gerechtigkeit; also darum, wie etwas benannt wird und nicht, wie es wirklich ist. Anfällig für linke Etikettenschwindler werden sie sich automatisch mit Israel solidarisieren, solange dessen Propagandaabteilung behauptet, Opfer eines konstruierten Antisemitismus zu sein oder in moralischer Selbsterhöhung mit konstruierten Vorwürfen gegen alle vorgeht, die es trotz Hasbara und Zensur immer noch wagen, sich gegen Siedlerkolonialismus, ethnische Säuberung und Apartheid zu äußern.
Westlich-imperialistische Verdrehung und Instrumentalisierung des Antisemitismusbegriffs: nur ein zionistischer Jude ist ein guter Jude.
Quantität übertrumpft wieder Qualität: So wie sie sich nach der massiven Zunahme von Corona- Tests über steigende positive Fallzahlen erschreckten, beklagen sich die zuständigen Institutionen aktuell über einen neuerlichen Anstieg des Antisemitismus: aber wenn bisher legale wie legitime Meinungsäußerungen plötzlich unter dem inflationären Vorwurf des Antisemitismus geahndet werden, gilt heute nicht mehr der Rassismus, sondern die Rassismuskritik als antisemitisch. Dafür wurde unter Federführung proisraelischer Think Tanks der Antisemitismusbegriff zunächst auf eine bestimmte und schließlich auf jede antizionistische Kritik ausgeweitet, bevor er mittlerweile fast völlig darauf reduziert wurde, während gleichzeitig der real bestehende Antisemitismus weitgehend ignoriert wird.
Es ist nicht zutreffend, diese proisraelische Positionierung als Philosemitismus zu etikettieren, denn das würde im modernen Verständnis des ohnehin fragwürdigen Semitismusbegriffs die Liebe zu allem "Jüdischen" implizieren. Es handelt sich dagegen um Philozionismus oder eigentlich um einen philozionistischen Antisemitismus: Diese Haltung zeigt sich nicht zuletzt in der Haltung zu antizionistischen Jüdinnen und Juden. Diese sehen sich derzeit genauso häufig mit konstruierten Antisemitismusvorwürfen konfrontiert wie nichtjüdische AntiimperialistInnen und sind gleichfalls von Saalverboten, Veranstaltungsabsagen, Berufs- und Sprechverboten und juristischen Anklagen betroffen. Gegen Intellektuelle wie etwa Norman Finkelstein, Judith Butler oder antizionistische jüdische Organisationen wie "Not in our names" werden regelrechte Kampagnen inszeniert. Dabei handelt es sich aber nur in der Intensität um ein neues Phänomen, hat aber eine lange Vorgeschichte, die noch älter ist als die Nakba. Als self-hating oder antisemitic Jews werden jüdische Menschen, die es wagen, Kritik am Zionismus, an Israel oder seiner rechtsradikalen Regierung zu äußern, seit langem benannt.
Dieser philozionistische Antisemitismus zeigte sich beispielsweise, als der österreichische Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka jüdischen Demonstrant:innen, die im Parlament gegen den Genozid im Gazastreifen protestieren, zuschreit, sie sollten sich schämen und ihnen einen falschen moralischen Kompass und lustigerweise Antisemitismus unterstellt. Es zeigt aber auch, dass die eifrigsten ZionistInnen gar keine Jüdinnen sind (man denke nur an die Evangelikalen in den USA), weshalb etwa die Gleichsetzung von Antizionismus mit Antisemitismus eine äußerst kurzsichtige und ignorante Verdrehung der eigentlichen Bedeutung des Antisemitismusbegriffs darstellt. Auch (österreichische) Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler, die österreichische Antwort auf Annalena Baerbock (Zitat: "Die Impfpflicht ist der einzige Weg raus aus der Demokratie"), verwendet die Termini Antisemitismus und Antizionismus seit Jahren als Synonyme und beweist damit, dass sie sich weder mit dem einen noch mit dem anderen ernsthaft auseinandergesetzt hat. Als beispielsweise Omri Boehm, deutsch-israelischer Philosoph mit äußerst bescheidener Kritik am israelischen Krieg, zur Eröffnung der Wiener Festwochen auf dem Judenplatz sprechen sollte, betonte Edtstadler, sie finde es falsch "dass man jemandem, der Kritik an Israel übt, die keine Kritik an Israel ist, sondern purer Antizionismus und damit Antisemitismus, tatsächlich eine Bühne mitten in Wien gibt"... (3)
Nicht Gegenentwurf, sondern Ergänzung
Wie antisemitisch PhilzionistInnen selbst sind, zeigt sich deutlich, falls Ihnen erlaubt wird, im Namen des angeblichen Anti-antisemitismus oder bürgerlichen Antifaschismus gegen die vermeintlich "bösen", weil antizionistischen JüdInnen vorzugehen. Unter zionistischer Deutungshoheit, was denn Antisemitismus überhaupt sei, darf jetzt raus gelassen werden, was sonst sanktionslos nur mehr gegen Muslime oder Araber gesagt werden darf.
Dazu ist es hilfreich, sich die Geschichte des zionistischen Auftretens auf der Weltbühne in Erinnerung zu rufen. Entgegen anderslautender Gerüchten entstand der Zionismus nicht als Gegenentwurf zum Antisemitismus, sondern als dessen Ergänzung. Der Zionismus reagierte auf die Assimilation, nicht auf den Antisemitismus. Nicht die Antisemiten betrachtete der Zionismus als Gegner, sondern die Assimilationsbestrebungen wie auch die internationalistischen und vor allem sozialistischen Strömungen im Judentum. Herzl schrieb bereits davon, dass die "Antisemiten die verlässlichsten Freunde und die antisemitischen Länder unsere Verbündeten" sein würden (4) und er versprach, dass der Zionismus den "Umsturzparteien" die jüdischen Unterstützer abwerben würde. Zionismus galt von Anfang an als durchaus kompatibel mit antisemitischen Ideen, wie es auch Karl Kraus treffend auf den Punkt brachte: "Während die einen rufen: hinaus mit euch Juden!" kommt von der anderen Seite das Echo: "Jawohl hinaus mit uns Juden!" Die deutsche Monarchie, die der zionistische Quereinsteiger Herzl für die Idee eines deutschen Protektorats in Palästina gewinnen wollte, verhielt sich daher trotz ihrer geäußerten Sympathie für die zionistische Bewegung und deutscher Interessen in der Region zurückhaltend. Denn, so ließ der Kaiser Herzl wissen, er wollte weder in der Öffentlichkeit noch in den jüdischen Gemeinden als Antisemit gelten (5), auch wenn er ihm gleichzeitig mitteilte, dass er lieber "heute als morgen" die Juden los sein wollte.5 Also nicht der Antizionismus, sondern eine prozionistische Haltung wurde als antisemitisch verstanden. Das war übrigens auch der Grund, warum Zionisten als vernachlässigbare Minderheit aus Synagogen hinausgeworfen und wegen ihres reaktionären Nationalismus sowohl von jüdischen Liberalen wie auch von den meisten gläubigen JüdInnen, die den Zionismus als Blasphemie betrachten, abgelehnt wurden. Diese Ursprünge sollten nicht vergessen werden, wenn heute der Zionismus ein Monopol über das Judentum beansprucht und damit Jüd:innen weltweit in Geiselhaft für zionistische Interessen nehmen möchte.
Als Zionisten und Hasbara-Trolle gegen die Verleihung des Hannah Arendtpreises für Masha Gessen protestierten, (6) war das unbeabsichtigt komisch, denn auch Hannah Arendt war einst dem Vorwurf ausgesetzt, selbsthassende oder antisemitische Jüdin zu sein. Schuld dafür war der Umstand, dass Hannah Arendt in ihrer Berichterstattung über den Prozess gegen Adolf Eichmann ("Eichmann in Jerusalem" (7)) auch die zionistische Kollaboration mit den Nazis thematisiert hatte. Das ärgerte die israelische Politik, die schließlich den Eichmannprozess dafür instrumentalisieren wollten, Israel als die eigentliche Bastion gegen den deutschen Faschismus zu präsentieren und damit sowohl den Anspruch auf Wiedergutmachungszahlungen wie auch auf gefälligst kritiklose politische Unterstützung zu erheben. Während Arendt also zu Lebzeiten von Zionisten geschmäht wurde, möchte der Zionismus heute bestimmen, wem der Hannah Arendtpreis verliehen werden darf und wem nicht.
Die Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus ist jedenfalls genauso unrichtig, antisemitisch und pauschalisierend wie die Gleichsetzung von Opus dei mit dem Christentum und unterstellt JüdInnen, ihr Glaube oder ihre Kultur sei identisch mit einer nationalistisch- reaktionären Ideologie wie dem Zionismus. Das sieht indirekt sogar die zionistisch orientierte IHRA-Antisemitismusdefinition so, wenn sie die "Kollektive Verantwortlichmachung der Juden für die Handlungen des Staates Israel" als antisemitisch deklariert. Dabei handelt es sich um einen der wenigen Punkte, denen man in der IHRA Resolution vorbehaltlos zustimmen kann. (8) Weil Judentum und Zionismus nämlich 2 Paar Schuhe sind, was aber im Umkehrschluss auch bedeutet, dass es genau so antisemitisch ist, zu behaupten, die Kritik am Zionismus sei dasselbe wie die Kritik am Judentum. Ähnlich besagt ein Punkt der IRHA, es sei antisemitisch, von Israel ein anderes (wie etwa ein moralischeres) Verhalten zu erwarten oder zu verlangen als von jedem anderen Staat. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass Israel auch kein unmoralischeres Verhalten erlaubt werden sollte als jedem anderen Staat. Doch Israel erwartet unter Androhung der Antisemitismuskeule genau das, nämlich dass die ganze Welt über seine Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wohlwollend hinwegsieht und gefälligst mit Militärhilfe und standing ovations in westlichen Parlamenten belohnt.
Anmerkung: Der Autor dieses Beitrages telefoniert seit nunmehr 16 Jahren in unregelmäßigen Abständen mit einem Genossen aus dem Gazastreifen. Diese Gespräche werden von ihm transkribiert und unter dem Titel „Gazainfos“ an interessierte Kreise versandt. Da es aus einsichtigen Gründen zur Zeit kaum möglich ist, den Kontakt mit dem Genossen im Gaza-Streifen zu halten, versendet der Autor hier seine eigenen, höchst fachkundigen „Anmerkungen zu Gaza“. LeserInnen der „Neuen Rheinischen Zeitung“ welche in Zukunft in die Versandliste der „Gaza Infos“ aufgenommen werden möchten, schreiben eine diesbezügliche Mail an: gazainfo@gmx.at (Kurzer Text: „Ich bitte in die Versandliste der Gaza-Infos aufgenommen zu werden“ genügt. Die Gaza-Infos enthalten wie erwähnt politische Analysen von einem Genossen von vor Ort. Somit sind sie ein unschätzbares Zeitdokument. (9) (mh)
Fußnoten:
2 https://rahma-austria.at/de/ (Letzter Zugriff Juli 2024)
3 https://www.derstandard.at/story/3000000218984/aktivist-versuchte-ministerin-edtstadler-mit-farbe-zuueberschuetten (Letzter Zugriff Juli 2024)
4 Herzl, Theodor: Tagbücher Bd.1 S. 93, Jüdischer Verlag Berlin 1922 4Herzl, Theodor: Tagbücher Bd.3 S. 51/52, Jüdischer Verlag Berlin 1923
5 vgl. Nicosia, Francis R. (1989): Hitler und der Zionismus, Das 3. Reich und die Palästinafrage 1933-1939. Druffel-Verlag, Leoni am Starnberger See, 39-47
6 https://www.nzz.ch/feuilleton/masha-gessen-erhaelt-den-hannah-arendt-preis-und-redet-sich-ins-abseitsld.1771194 (Letzter Zugriff Juli 2024)
7 http://irwish.de/PDF/Dienste+Kriege/Arendt-Eichmann_in_Jerusalem.pdf (Letzter Zugriff Juli 2024)
8 Es gibt wesentlich seriösere Antisemitismusdefinitionen wie die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus, die nicht wie die IHRA Definition in erster Linie darauf abzielen, die Politik Israels zu legitimieren und KolonialismuskritikerInnen zu kriminalisieren
9 Vergleiche dazu http://nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27545 (Letzter Zugriff Juli 2024)
Online-Flyer Nr. 833 vom 24.07.2024
Druckversion
NEWS
KÖLNER KLAGEMAUER
FOTOGALERIE