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Literatur
Fabio Vighi: Covid-19 und die Pandemie als Amoklauf des Finanzkapitals
Einer, der nicht in den Corona-Panik-Chor eingestimmt hat
Vorwort von Prof. Dr. Rudolph Bauer
Einer der wenigen Sozial- und Geisteswissenschaftler mit gesellschaftskritischem Hintergrund, die in den vier Corona-Jahren von 2020 bis 2023 nicht in den staatlich, medial, „impf“-medizinisch und virologisch-pharmazeutisch dirigierten Panik-Chor einstimmten, war Fabio Vighi. Er lehrt an der Universität Cardiff in England als Professor für Philosophie und Kritische Theorie. Zu seinen Forschungsthemen gehört ebenso die psychoanalytische Theorie (Freud und Lacan) wie der Film. Sein Interesse erstreckt sich ferner auf die politische Ökonomie und die Ideologiekritik.
Ausgehend vom tragfähigen Fundament eines dergestalt umfassenden Denk-und Analyseansatzes, war es dem aus Italien gebürtigen Vighi möglich, die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen und Zusammenhänge zu erkennen, welche von den meisten der im Wissenschaftsbetrieb Tätigen aufgrund ihrer fachspezifisch verengten Sicht nicht erschlossen werden konnten und können.
Vighi war sich außerdem nicht zu schade, noch während der Pandemie seine An- und Einsichten in Aufsatzform zu veröffentlichen. Statt an einem 400-Seiten-Buch zu arbeiten, das erst nach der Pandemie erschienen wäre, hat er den intellektuellen Mut besessen, sich bei laufendem Prozess ohne Wenn und Aber zu positionieren – und sich auf diese Weise den Anfeindungen auch jener Kolleginnen und Kollegen auszusetzen, die als universitäre Staatsdiener ihrer Funktion als Ideologieproduzenten Genüge tun.
Auch in Deutschland wurden kritische Wissenschaftler von ihren – soll man sie wirklich so nennen? – Kollegen als „Verschwörungsideolog(inne)n“, „Pandemieverharmloser(inne)n und Impfskeptiker(inne)n“ geächtet. „Schwere ökonomische Krisen und gesellschaftliche Umbrüche“, so war der Verleumdungs-Suada eines psychologisch unbedarften deutschen Armutsforschers zu entnehmen, würden „häufig zu politischen Verirrungen oder geistigen Verwirrungen“ führen.
Die Rede war von „Linksintellektuellen, die durch den pandemischen Schock offenbar aus der Bahn geworfen wurden und im Netz kursierende Verschwörungsmythen übernommen haben“. Scham- und bedenkenlos wurden diese samt „Anthroposoph(inn)en, Esoteriker/innen, Evangelikale, Impfgegner/innen, Prepper wie Egozentriker/innen, Psychopath(inn)en und politische Querulant(inn)en“ ins Lager der „Rechtspopulisten, Rechtsextremisten und Neonazis“ katapultiert.
Angesichts der geifernden Befürworter des autoritären Corona-Regimes aus dem „linken“ akademischen und Attac-Umfeld ist es ein verdienstvolles Aufklärungsprogramm, die in der Zeit zwischen Juni 2020 und Oktober 2023 veröffentlichten Covid-19-Aufsätze von Fabio Vighi auf Deutsch und als Print-Broschüre zugänglich zu machen. Die Wieder- bzw. Neu-Veröffentlichung seiner Beiträge kann ggfs. eine nachträgliche Neubetrachtung des Corona-Dilemmas auslösen und zur Aufarbeitung des Versagens (gerade auch bei den „Linken“) führen. Denn Vighi argumentiert marxistisch – marxistisch, aber nicht dogmatisch.
Vighi zufolge lässt sich die totalitäre Pandemie-Kampagne im politisch-ökonomischen Kontext der globalen Finanzkrisen verorten. Der eigentliche Corona-„Patient“ war und ist der Kapitalismus. Oder, aus anderer Perspektive: Der Kapitalismus als Finanzkapitalismus trägt das „tödliche“ Virus in sich und macht die Gesellschaft krank. Der Stellvertreterkrieg in der Ukraine und der israelische Genozid in Gaza bilden die Fortsetzung dieses „Notfallkapitalismus“
Im ersten der folgenden Aufsätze, erschienen im Juni 2020, bezieht sich Vighi auf Marx, der die „Universalität der Arbeit als organischen Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur theoretisierte“. Die Arbeit sei „die elementare ideologische Vorlage, durch die sich alle kapitalistischen Gesellschaften bestätigen“: „Das Arbeitszeitdogma ist die spezifisch moderne Form der Entfremdung.“ Daher sei die „Krise des globalisierten zeitgenössischen Kapitalismus eine Krise der Mehrwertproduktion, die ihren Ursprung in der allgegenwärtigen und beispiellosen
Automatisierung seit den 1970er Jahren hat.“ Im anschließenden Aufsatz, der im August 2021 veröffentlicht wurde, zeigt Vighi anhand einer gut recherchierten Chronik, dass sich die Weltwirtschaft – ähnlich wie beim Bankencrash 2008 – in der Zeit zwischen Juni 2019 und März 2020 am Rande eines kolossalen Zusammenbruchs befunden hat. Vighis Zusammenfassung lautet: (1.) Die Lockdowns und die weltweite Aussetzung wirtschaftlicher Transaktionen sollten es der US-Zentralbank Fed ermöglichen, die angeschlagenen Finanzmärkte mit frisch gedrucktem Geld zu überschwemmen, um eine Hyperinflation zu vermeiden. (2.) Die Massenimpfprogramme und Gesundheitspässe sollten als Säulen eines neo-feudalen Regimes der weiteren kapitalistischen Akkumulation installiert werden. Das Virus bildete dieletzte Überlebenschance des angeschlagenen Finanzkapitalismus, indem es die Voraussetzung schuf für den „Paradigmenwechsel vom Liberalismus zum oligarchischen Autoritarismus“.
Im dritten Beitrag vom Oktober 2021 knüpft Vighi bei der schon im ersten Aufsatz betonten These an, dass es dem Kapital infolge des eskalierenden technologischen Fortschritts immer weniger gelinge, aus der Arbeitskraft Mehrwert zu schöpfen. „Das bedeutet, dass die Grundlagen unserer Welt nicht mehr in der gesellschaftlich notwendigen Arbeit liegen.“ Um zu überleben, sei das System bereit, seinen demokratischen Rahmen zu opfern und ein Regime zu übernehmen, das nicht zuletzt von Katastrophen-Narrativen unterstützt wird: „Indem sie an unser persönliches Schuldgefühl für die ‚Zerstörung des Planeten‘ appellieren, sind die kommenden Klima-Lockdowns die ideale Fortsetzung der Co-vid-Beschränkungen.“
Vighi nennt als weitere mögliche Auswege einen Cyber-Terroranschlag auf das Bankensystem oder einen neuen Krieg gegen den Terror. Er verweist ferner auf die Gefahren der Biopolitik bei der „Verwaltung desmenschlichen Überschusses“ und auf die neue Funktion der Wissenschaft als Religionsersatz, wie sie Jacques Lacan bereits 1974 warnend beschrieben hatte: „Wissenschaft ist im Prozess, sich selbst an die Stelle der Religion zu setzen, und sie ist noch despotischer, stumpfsinniger und obskurantistischer.“
Im Aufsatz „Denkpause“ vom Mai 2022 – inzwischen hatte der Stellvertreterkrieg in der Ukraine begonnen – stellt Franco Vighi fest, das politisch-ökonomische System sei „auf exogene Krisen angewiesen, um die Bevölkerung abzulenken und zu manipulieren“. Der Ukraine-Krieg lenke ab von „dem wahren Schrecken des totalen sozialen Zusammenbruchs durch Schulden- und Börsencrash“: „Die gegenwärtige bio-und geopolitische Gewalt (Virus, Krieg und andere zukünftige globale Notfälle) ist ein integraler Bestandteil dieser selbstzerstörerischen Entwicklung; ein bewusster Versuch, die Implosion mit autoritären Mitteln zu bewältigen.“
Als kritischer Rezipient der Vighi-Argumentation scheint mir die Ergänzung nicht abwegig, dass der Autor den Krieg zwar zu Recht als Ablenkung bezeichnet, aber dass Kriege nicht nur der Ablenkung und Manipulation dienen. Denn Kriege bringen das kapitalistische Profitsystem, das auf der Ausbeutung der wertschöpfenden Arbeit basiert, wieder in Schwung: Die permanente Herstellung von Kriegsgeräten und Waffen „belebt“ permanent die Produktionsgewinne des Militärisch-industriellen Komplexes; die Zerstörung von Gebäuden und Infrastruktur „belebt“ die Profite der Wiederaufbau-Ökonomie; selbst der Heldentod „belebt“ – nämlich die Profite der Bestattungsunternehmen. Die irrwitzig erscheinende Phantasie, „Russland ruinieren“ zu wollen, entspricht zusätzlich einer Profitgier, die nach dem „Sieg über Putin“ die russischen Bodenschätze sich anzueignen anschickt, um die für deren Gewinnung erforderliche Arbeit profitabel auszubeuten.
Vighi verweist in seinem Beitrag vom Oktober 2023, der hier im Band als letzter der Aufsätze veröffentlich wird, einen anderen, ebenfalls gewinnbringenden Bereich des Produktionssektors. Dieser ist täuschend verpackt als moralisierendes Narrativ „eines ‚grünen Übergangs‘ zu einem ‚Niedrigenergie‘-Kapitalismus“. Das räuberische Bestreben nach Profit – so die treffende Argumentation – verbinde sich mit der Rhetorik ökologischer Bedenken und sozialer Verantwortung.
Die gesamte Klimawandel-Debatte verkenne (ich ergänze: nicht zuletzt auch auf Seiten der „Linken“), dass der kapitalistische Wachstumsfetisch eines totalitären Rahmens bedarf, um „nachhaltig“ zu wirken. Vighi erläutert dies an den 17 „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (englisch: Sustainable Development Goals, SDGs), wie sie in der „Agenda 2030“ formuliert wurden. Dieses UN-Programm wirke wie folgt:
„Aus der ‚Beseitigung der Armut‘ (wird) eine Armutsverwaltung, aus ‚Null Hunger‘ eine Lebensmittelrationierung, aus ‚guter Gesundheit und Wohlbefinden‘ eine Impfpflicht, aus ‚erschwinglicher und sauberer Energie‘ eine Energiearmut, aus ‚menschenwürdiger Arbeit und Wirtschaftswachstum‘ eine sich immer weiter verschärfende Wohlstandsungleichheit, aus ‚nachhaltigen Städten und Gemeinden‘ eine städtische Apartheid, aus ‚verantwortungsvollem Konsum und ‚verantwortungsvoller Produktion‘ wird Massenelend; ‚Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen‘ werden in ‚gerechte Kriege‘ umgewandelt.“
Das letzte Kapitel führt über den Argumentationsrahmen hinaus, den Vighi im Zusammenhang von Corona entworfen hatte. Der heutige Staat ist nicht nur der „Schutzengel des Finanzkapitals“. Er ist auch der (kriegerische!) Schutzengel – oder besser: Luzifer – der kapitalistischen Warenproduktion.
Corona, Krieg und Klima bilden den Dreiklang eines Korporatismus, wie er schon einmal unter Benito Mussolini und im Nationalsozialismus die Menschheit nicht nur in Schrecken versetzt hat, sondern sie auszulöschen drohte. Vighi unterlässt es, Mussolini und Hitler zu nennen. Zu Recht; denn der neue Totalitarismus tarnt sich bunt.
Fabio Vighi: Covid-19 und die Pandemie als Amoklauf des Finanzkapitals
pad-Verlag, Bergkamen 2024, 80 Seiten, 7 Euro, bestellen per eMail: pad-verlag@gmx.net
Der italienische Philosoph und Gesellschaftswissenschaftler Fabio Vighi hat die Frage aufgeworfen, warum die herrschenden Klasssen sich darauf geeinigt haben, angesichts von Corona die globale Profitmaschine im Rahmen einschränkender Maßnahmen anzuhalten. Niemand sollte sich der Illusion hingeben, das System habe sich aus Mitleid mit vulnerablen Gruppen der Bevölkerung für den Stillstand entschieden. Fabio Vighi beschreibt und analysiert fir Pandemiepolitik im breiten Kontext der globalen Finanzkrisen, denn der eigentliche Patient ist der Kapitalismus.
Vighi: „Die Inflation ist nützlich, um den autoritären Übergang zu einer zweistufigen globalen Gesellschaft zu bewältigen, in der nur sehr Wenige die Kontrolle über die Geldmenge haben, während die meisten durch Armut, Kontrolle und Angst unterworfen sind. Das ist, kurz gesagt, die kriminelle Entwicklung des zeitgenössischen Kapitalismus. Und die Inflation ist auch gegen die Staatsverschuldung nützlich, da die Masse der inflationären Liquidität, die in die Märkte geworfen wird, sowohl die Zinssätze als auch die Anleiherenditen drückt.
INHALT: Die fehlende Ursache: Zeit, Arbeit und Wert im Zeitalter des Coronavirus / Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung -Systemkollaps und Pandemiesimulation / Das lange Covid der Zentralbanker: Ein unhaltbarer Zustand / Rote Pille oder blaue Pille? -Varianten, Inflation und der kontrollierte Abriss der Gesellschaft / Nachdenken und Innehalten: Geld ohne Wert in einer sich schnell auflösenden Welt / Willkommen im Niedriglohnkapitalismus oder: Proletarier tragt Gesichtsmasken / Über den Autor
Online-Flyer Nr. 839 vom 20.11.2024
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Literatur
Fabio Vighi: Covid-19 und die Pandemie als Amoklauf des Finanzkapitals
Einer, der nicht in den Corona-Panik-Chor eingestimmt hat
Vorwort von Prof. Dr. Rudolph Bauer
Einer der wenigen Sozial- und Geisteswissenschaftler mit gesellschaftskritischem Hintergrund, die in den vier Corona-Jahren von 2020 bis 2023 nicht in den staatlich, medial, „impf“-medizinisch und virologisch-pharmazeutisch dirigierten Panik-Chor einstimmten, war Fabio Vighi. Er lehrt an der Universität Cardiff in England als Professor für Philosophie und Kritische Theorie. Zu seinen Forschungsthemen gehört ebenso die psychoanalytische Theorie (Freud und Lacan) wie der Film. Sein Interesse erstreckt sich ferner auf die politische Ökonomie und die Ideologiekritik.
Ausgehend vom tragfähigen Fundament eines dergestalt umfassenden Denk-und Analyseansatzes, war es dem aus Italien gebürtigen Vighi möglich, die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen und Zusammenhänge zu erkennen, welche von den meisten der im Wissenschaftsbetrieb Tätigen aufgrund ihrer fachspezifisch verengten Sicht nicht erschlossen werden konnten und können.
Vighi war sich außerdem nicht zu schade, noch während der Pandemie seine An- und Einsichten in Aufsatzform zu veröffentlichen. Statt an einem 400-Seiten-Buch zu arbeiten, das erst nach der Pandemie erschienen wäre, hat er den intellektuellen Mut besessen, sich bei laufendem Prozess ohne Wenn und Aber zu positionieren – und sich auf diese Weise den Anfeindungen auch jener Kolleginnen und Kollegen auszusetzen, die als universitäre Staatsdiener ihrer Funktion als Ideologieproduzenten Genüge tun.
Auch in Deutschland wurden kritische Wissenschaftler von ihren – soll man sie wirklich so nennen? – Kollegen als „Verschwörungsideolog(inne)n“, „Pandemieverharmloser(inne)n und Impfskeptiker(inne)n“ geächtet. „Schwere ökonomische Krisen und gesellschaftliche Umbrüche“, so war der Verleumdungs-Suada eines psychologisch unbedarften deutschen Armutsforschers zu entnehmen, würden „häufig zu politischen Verirrungen oder geistigen Verwirrungen“ führen.
Die Rede war von „Linksintellektuellen, die durch den pandemischen Schock offenbar aus der Bahn geworfen wurden und im Netz kursierende Verschwörungsmythen übernommen haben“. Scham- und bedenkenlos wurden diese samt „Anthroposoph(inn)en, Esoteriker/innen, Evangelikale, Impfgegner/innen, Prepper wie Egozentriker/innen, Psychopath(inn)en und politische Querulant(inn)en“ ins Lager der „Rechtspopulisten, Rechtsextremisten und Neonazis“ katapultiert.
Angesichts der geifernden Befürworter des autoritären Corona-Regimes aus dem „linken“ akademischen und Attac-Umfeld ist es ein verdienstvolles Aufklärungsprogramm, die in der Zeit zwischen Juni 2020 und Oktober 2023 veröffentlichten Covid-19-Aufsätze von Fabio Vighi auf Deutsch und als Print-Broschüre zugänglich zu machen. Die Wieder- bzw. Neu-Veröffentlichung seiner Beiträge kann ggfs. eine nachträgliche Neubetrachtung des Corona-Dilemmas auslösen und zur Aufarbeitung des Versagens (gerade auch bei den „Linken“) führen. Denn Vighi argumentiert marxistisch – marxistisch, aber nicht dogmatisch.
Vighi zufolge lässt sich die totalitäre Pandemie-Kampagne im politisch-ökonomischen Kontext der globalen Finanzkrisen verorten. Der eigentliche Corona-„Patient“ war und ist der Kapitalismus. Oder, aus anderer Perspektive: Der Kapitalismus als Finanzkapitalismus trägt das „tödliche“ Virus in sich und macht die Gesellschaft krank. Der Stellvertreterkrieg in der Ukraine und der israelische Genozid in Gaza bilden die Fortsetzung dieses „Notfallkapitalismus“
Im ersten der folgenden Aufsätze, erschienen im Juni 2020, bezieht sich Vighi auf Marx, der die „Universalität der Arbeit als organischen Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur theoretisierte“. Die Arbeit sei „die elementare ideologische Vorlage, durch die sich alle kapitalistischen Gesellschaften bestätigen“: „Das Arbeitszeitdogma ist die spezifisch moderne Form der Entfremdung.“ Daher sei die „Krise des globalisierten zeitgenössischen Kapitalismus eine Krise der Mehrwertproduktion, die ihren Ursprung in der allgegenwärtigen und beispiellosen
Automatisierung seit den 1970er Jahren hat.“ Im anschließenden Aufsatz, der im August 2021 veröffentlicht wurde, zeigt Vighi anhand einer gut recherchierten Chronik, dass sich die Weltwirtschaft – ähnlich wie beim Bankencrash 2008 – in der Zeit zwischen Juni 2019 und März 2020 am Rande eines kolossalen Zusammenbruchs befunden hat. Vighis Zusammenfassung lautet: (1.) Die Lockdowns und die weltweite Aussetzung wirtschaftlicher Transaktionen sollten es der US-Zentralbank Fed ermöglichen, die angeschlagenen Finanzmärkte mit frisch gedrucktem Geld zu überschwemmen, um eine Hyperinflation zu vermeiden. (2.) Die Massenimpfprogramme und Gesundheitspässe sollten als Säulen eines neo-feudalen Regimes der weiteren kapitalistischen Akkumulation installiert werden. Das Virus bildete dieletzte Überlebenschance des angeschlagenen Finanzkapitalismus, indem es die Voraussetzung schuf für den „Paradigmenwechsel vom Liberalismus zum oligarchischen Autoritarismus“.
Im dritten Beitrag vom Oktober 2021 knüpft Vighi bei der schon im ersten Aufsatz betonten These an, dass es dem Kapital infolge des eskalierenden technologischen Fortschritts immer weniger gelinge, aus der Arbeitskraft Mehrwert zu schöpfen. „Das bedeutet, dass die Grundlagen unserer Welt nicht mehr in der gesellschaftlich notwendigen Arbeit liegen.“ Um zu überleben, sei das System bereit, seinen demokratischen Rahmen zu opfern und ein Regime zu übernehmen, das nicht zuletzt von Katastrophen-Narrativen unterstützt wird: „Indem sie an unser persönliches Schuldgefühl für die ‚Zerstörung des Planeten‘ appellieren, sind die kommenden Klima-Lockdowns die ideale Fortsetzung der Co-vid-Beschränkungen.“
Vighi nennt als weitere mögliche Auswege einen Cyber-Terroranschlag auf das Bankensystem oder einen neuen Krieg gegen den Terror. Er verweist ferner auf die Gefahren der Biopolitik bei der „Verwaltung desmenschlichen Überschusses“ und auf die neue Funktion der Wissenschaft als Religionsersatz, wie sie Jacques Lacan bereits 1974 warnend beschrieben hatte: „Wissenschaft ist im Prozess, sich selbst an die Stelle der Religion zu setzen, und sie ist noch despotischer, stumpfsinniger und obskurantistischer.“
Im Aufsatz „Denkpause“ vom Mai 2022 – inzwischen hatte der Stellvertreterkrieg in der Ukraine begonnen – stellt Franco Vighi fest, das politisch-ökonomische System sei „auf exogene Krisen angewiesen, um die Bevölkerung abzulenken und zu manipulieren“. Der Ukraine-Krieg lenke ab von „dem wahren Schrecken des totalen sozialen Zusammenbruchs durch Schulden- und Börsencrash“: „Die gegenwärtige bio-und geopolitische Gewalt (Virus, Krieg und andere zukünftige globale Notfälle) ist ein integraler Bestandteil dieser selbstzerstörerischen Entwicklung; ein bewusster Versuch, die Implosion mit autoritären Mitteln zu bewältigen.“
Als kritischer Rezipient der Vighi-Argumentation scheint mir die Ergänzung nicht abwegig, dass der Autor den Krieg zwar zu Recht als Ablenkung bezeichnet, aber dass Kriege nicht nur der Ablenkung und Manipulation dienen. Denn Kriege bringen das kapitalistische Profitsystem, das auf der Ausbeutung der wertschöpfenden Arbeit basiert, wieder in Schwung: Die permanente Herstellung von Kriegsgeräten und Waffen „belebt“ permanent die Produktionsgewinne des Militärisch-industriellen Komplexes; die Zerstörung von Gebäuden und Infrastruktur „belebt“ die Profite der Wiederaufbau-Ökonomie; selbst der Heldentod „belebt“ – nämlich die Profite der Bestattungsunternehmen. Die irrwitzig erscheinende Phantasie, „Russland ruinieren“ zu wollen, entspricht zusätzlich einer Profitgier, die nach dem „Sieg über Putin“ die russischen Bodenschätze sich anzueignen anschickt, um die für deren Gewinnung erforderliche Arbeit profitabel auszubeuten.
Vighi verweist in seinem Beitrag vom Oktober 2023, der hier im Band als letzter der Aufsätze veröffentlich wird, einen anderen, ebenfalls gewinnbringenden Bereich des Produktionssektors. Dieser ist täuschend verpackt als moralisierendes Narrativ „eines ‚grünen Übergangs‘ zu einem ‚Niedrigenergie‘-Kapitalismus“. Das räuberische Bestreben nach Profit – so die treffende Argumentation – verbinde sich mit der Rhetorik ökologischer Bedenken und sozialer Verantwortung.
Die gesamte Klimawandel-Debatte verkenne (ich ergänze: nicht zuletzt auch auf Seiten der „Linken“), dass der kapitalistische Wachstumsfetisch eines totalitären Rahmens bedarf, um „nachhaltig“ zu wirken. Vighi erläutert dies an den 17 „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (englisch: Sustainable Development Goals, SDGs), wie sie in der „Agenda 2030“ formuliert wurden. Dieses UN-Programm wirke wie folgt:
„Aus der ‚Beseitigung der Armut‘ (wird) eine Armutsverwaltung, aus ‚Null Hunger‘ eine Lebensmittelrationierung, aus ‚guter Gesundheit und Wohlbefinden‘ eine Impfpflicht, aus ‚erschwinglicher und sauberer Energie‘ eine Energiearmut, aus ‚menschenwürdiger Arbeit und Wirtschaftswachstum‘ eine sich immer weiter verschärfende Wohlstandsungleichheit, aus ‚nachhaltigen Städten und Gemeinden‘ eine städtische Apartheid, aus ‚verantwortungsvollem Konsum und ‚verantwortungsvoller Produktion‘ wird Massenelend; ‚Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen‘ werden in ‚gerechte Kriege‘ umgewandelt.“
Das letzte Kapitel führt über den Argumentationsrahmen hinaus, den Vighi im Zusammenhang von Corona entworfen hatte. Der heutige Staat ist nicht nur der „Schutzengel des Finanzkapitals“. Er ist auch der (kriegerische!) Schutzengel – oder besser: Luzifer – der kapitalistischen Warenproduktion.
Corona, Krieg und Klima bilden den Dreiklang eines Korporatismus, wie er schon einmal unter Benito Mussolini und im Nationalsozialismus die Menschheit nicht nur in Schrecken versetzt hat, sondern sie auszulöschen drohte. Vighi unterlässt es, Mussolini und Hitler zu nennen. Zu Recht; denn der neue Totalitarismus tarnt sich bunt.
Fabio Vighi: Covid-19 und die Pandemie als Amoklauf des Finanzkapitals
pad-Verlag, Bergkamen 2024, 80 Seiten, 7 Euro, bestellen per eMail: pad-verlag@gmx.net
Der italienische Philosoph und Gesellschaftswissenschaftler Fabio Vighi hat die Frage aufgeworfen, warum die herrschenden Klasssen sich darauf geeinigt haben, angesichts von Corona die globale Profitmaschine im Rahmen einschränkender Maßnahmen anzuhalten. Niemand sollte sich der Illusion hingeben, das System habe sich aus Mitleid mit vulnerablen Gruppen der Bevölkerung für den Stillstand entschieden. Fabio Vighi beschreibt und analysiert fir Pandemiepolitik im breiten Kontext der globalen Finanzkrisen, denn der eigentliche Patient ist der Kapitalismus.
Vighi: „Die Inflation ist nützlich, um den autoritären Übergang zu einer zweistufigen globalen Gesellschaft zu bewältigen, in der nur sehr Wenige die Kontrolle über die Geldmenge haben, während die meisten durch Armut, Kontrolle und Angst unterworfen sind. Das ist, kurz gesagt, die kriminelle Entwicklung des zeitgenössischen Kapitalismus. Und die Inflation ist auch gegen die Staatsverschuldung nützlich, da die Masse der inflationären Liquidität, die in die Märkte geworfen wird, sowohl die Zinssätze als auch die Anleiherenditen drückt.
INHALT: Die fehlende Ursache: Zeit, Arbeit und Wert im Zeitalter des Coronavirus / Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung -Systemkollaps und Pandemiesimulation / Das lange Covid der Zentralbanker: Ein unhaltbarer Zustand / Rote Pille oder blaue Pille? -Varianten, Inflation und der kontrollierte Abriss der Gesellschaft / Nachdenken und Innehalten: Geld ohne Wert in einer sich schnell auflösenden Welt / Willkommen im Niedriglohnkapitalismus oder: Proletarier tragt Gesichtsmasken / Über den Autor
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