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Lokales
Zur gescheiterten Nazi-Demo am 19. 11. in Köln
Durchfall des braunen Aufmarschs...
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

Es war seit 1997 mindestens der siebte Naziaufmarsch in Köln, den ich gesehen habe, und dieser endete am kläglichsten von allen. Wochenlang kreißte im Nazinetz der Berg, so daß man eine Eroberung Kölns durch braune Heerscharen hätte erwarten können. Doch heraus kamen gerade mal 50 braune Mäuslein. Überwiegend Jugendliche, die Hälfte mit obligater Glatze, deutsche Mädels, die in jeder Disco unauffällig durchgehen würden, der Chefordner mit Intellektuellenbrille und Palästinensertuch und nicht zuletzt die unvermeidliche Oma mit Dauerwelle und Handtäschchen.

Allen voran Nazieinpeitscher Axel Reitz

Diesem Aufzug stolzierte der bundesweit bekannte Nazieinpeitscher Axel Reitz ("Kampfbund Deutscher Sozialisten") voran, der seine Bedeutung durch weitaus greifenden Sturmschritt und metallischen Befehlston ("Ordner zu mir!") zu unterstreichen suchte. So standen sie denn doch noch auf Kölner Boden, dank einer so genannten "Fortsetzungsfeststellungsklage" vor dem Verwaltungsgericht. Ihr ursprünglicher obszöner Plan, am 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, zum Hohn der Opfer ihrer geistigen Vorfahren grölend an der Synagoge aufzulaufen, war ihnen zunächst untersagt worden.

Nazi-Einpeitscher Axel Reitz
Nazi-Einpeitscher Axel Reitz
Foto: NRhZ-Archiv


Doch am Samstag durften sie in Wahrnehmung ihres Demonstrationsrechts wenigstens in die Nähe des DGB-Hauses am Hans-Böckler-Platz ziehen, das sie als Ersatz-Haßobjekt ausgemacht hatten. Gegendemonstranten, ein Großaufgebot Polizei, Presse und Fotografen warteten in der Novemberkälte zwei Stunden auf den Einmarsch der überschaubaren braunen Kolonnen. Am gegenüberliegenden Antifa-Zentrum LC 36 prangte ein großes Transparent mit dem angemessenen Un-Willkommensgruß "Arschgeigen". Doch der nationale Durchmarsch unter dem Kommandoführer Reitz endete, fast Mitleid erregend, nach ein paar Metern an der nächsten Telefonzelle im polizeilichen Absperrkordon vor dem Bahnhof West.

Gegen-Demo auf der LC
Gegen-Demo auf der LC
Foto: NRhZ-Archiv


"Kamerad aus dem Ruhrgebiet" provoziert Niederlage

Zunächst hatte Reitz anordnungsgemäß über Mikrophon sämtliche polizeilichen Auflagen zu verlesen. Was übrigens schon die Hälfte der Zeit in Anspruch nahm, die dem "nationalen Widerstand" noch bleiben sollte. Dass Reitz die Gelegenheit wahrnahm, die von der Polizei ausdrücklich benannten verbotenen Naziparolen zur Freude der "Kameraden" mit besonderem, höhnischem, Nachdruck vorzutragen, blieb denn auch an diesem Tag der einzige "Lichtblick" aus Nazisicht. Dank der polizeilichen Auflagenliste waren also, gegen die gut gemeinten Absichten der Verwaltungsbehörde, Nazisprüche zu hören wie "Deutschland den Deutschen", "Ausländer raus" oder "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" - ein Spruch übrigens, den anders als das Kölner Polizeipräsidium manche Staatsanwaltschaften und Verwaltungsgerichte immer noch nicht als Ausdruck originaler Nazigesinnung erkennen wollen.

Doch dieser Triumph sollte auch der einzige bleiben, den die 50 Nazis einheimsen konnten. Nur als unfreiwillige Satire musste wirken, dass ein von Axel Reitz als "Kamerad aus dem Ruhrgebiet" angekündigter Redner angesichts dieser Bruchlandung der Nazi-Sturmabteilung auf Kölner Boden triumphierend ins Mikrophon schrie: "Und wir haben doch gesiegt!" Denn der vermeintliche Endsieg sollte gerade vier Minuten später in einer totalen Niederlage enden; so schnell war noch nie ein Nazispuk in Köln vorbei wie an diesem Samstag.

Schuld daran war gerade der erwähnte Schreihals aus dem Ruhrgebiet. Der konnte es einfach nicht lassen, das Datum des 9. November in einer Weise anzusprechen, die glatt gegen die polizeilichen Auflagen verstieß. In denen hieß es ausdrücklich, daß Rechtfertigungen der NS-Zeit und ihrer Verbrechen zu unterlassen seien. Der Mini-Goebbels aber feierte den 9. November "als Symbol für einen Tag, an dem unser Volk aufgestanden ist gegen das abgrundtief Böse."

Verherrlichung der "Reichskristallnacht"

Jedem war sofort klar, worauf der Redner anspielte und was er bezweckte - es war eine kaum versteckte Verherrlichung der "Reichskristallnacht" und eine Diffamierung ihrer Opfer in nazistischem Originalton: "Es ist ein Tag der Freude für unser Volk. Es ist ein Tag, an den unsere Feinde noch lange denken werden. Es ist ein Tag, an dem der Protest endlich zu Taten geworden ist. Es ist ein Tag, an dem eine Gruppe, die sich in der Vergangenheit nur zu gern als Opfer und Unschuldslämmer präsentiert haben, ihre längst verdiente Quittung bekommen hat!"

Daß der "Kamerad" dann schnell den Haken schlug: "Deshalb gedenken wir...dem Fall der Mauer am 9. November 1989", konnte die anwesenden "Experten" aus Antifa-Szene, Presse und Polizei nicht täuschen. Es gehört ja zur Infamie des neonazistischen Sprachgebrauchs, bis an die Grenze der offenen Hetze, und für die "Szene" auf jeden Fall verständlich, Untaten und verbrecherische Ideologie des NS-Faschismus zu verklären, dann aber zwecks juristischer Absicherung vorzuschützen, man habe etwas ganz anderes gemeint.


"Kameraden" der USA und Palästinas
Foto: NRhZ-Archiv


Auch die Inanspruchnahme der durch rechte Gesinnungsgenossen 1919 ermordeten jüdischen Kommunistin Rosa Luxemburg - "Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden" - durch Reitzens "Kampfbund" gehört zu diesen Ablenkungs- und Selbstschutz-Tricks. Die versammelte Polizeiführung, allen voran der persönlich anwesende Polizeipräsident Steffenhagen, verstand aber sehr wohl, was beabsichtigt war: die Verherrlichung von Verbrechen der NS-Diktatur. So brach sie die Hetzrede nach dreieinhalb Minuten ab und löste die Naziversammlung auf. Diese sei nämlich eine Fortsetzung der schon am 9. November verbotenen Veranstaltung - und daher zu verbieten. Axel Reitz blieb nichts übrig, als seine geschlagenen Truppen unter den Abschiedswünschen der Antifa wie "Gute Heimfahrt!" einzusammeln und abzuziehen. Nicht ohne eine "weitere Fortsetzungsfeststellungsklage" anzukündigen und anzudrohen: "Wir kommen wieder!"

Bürokratie nicht nur gegen die "Rechten"

Die Forderung einer antifaschistischen Gegenkundgebung, die unter Motti wie "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" und "Keine Meinungsfreiheit für die Mörder von morgen" vor dem DGB-Haus kurz vor der Ankunft der Neonazis stattgefunden hatte, konnte an diesem Samstag also - fast - erfüllt werden. Die hatte zum Beispiel Peter Trinogga von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes formuliert. Er betonte, dass nach Artikel 139 des Grundgesetzes die antifaschistischen Auflagen des Potsdamer Abkommens nach wie vor in Kraft seien. Würde also das Grundgesetz beachtet, so dürfte es solche Naziaufmärsche gar nicht geben, sagte Trinogga. Dann wäre auch der polizeiliche Umweg über die "öffentliche Sicherheit und Ordnung" nicht erforderlich.

Polizei bewacht DGB-Haus
Polizei bewacht DGB-Haus
Foto: NRhZ-Archiv


Denn bei aller aktuellen Genugtuung über das Scheitern des braunen Aufzugs am Samstag darf man eines nicht übersehen: Die bürokratischen Methoden des Einsperrens und Einkesselns, des "Neutralisierens" und Austrocknens politischer Versammlungen und Demonstrationen werden seit längerem nicht nur gegen die offen agierende Naziszene angewandt. Sie stellen im Prinzip eine Gefährdung des Demonstrationsrechts dar und bleiben zweischneidig auch dann, wenn sie im Einzelfall die "Rechten" treffen. Zumindest solange dieser Staat sich nicht wieder auf die parteilich antifaschistischen Grundlagen der Verfassung zurückbesinnt. Das aber ist heute weniger zu erwarten als je.

Die Rede von Peter Trinogga finden Sie unter "Faschismus ist keine Meinung" weiter unten.
Über die Zusammenhänge von "Neoliberalismus Und Rechtsextremismus In Europa" informiert übrigens am 3. Dezember eine Tagung in der Alten Feuerwache. VeranstalterIn ist die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Externe Links:

Rosa-Luxemburg-Stiftung Infos und Anmeldung unter:
www.rls-nrw.de
post@rls-nrw.de


Online-Flyer Nr. 19  vom 23.11.2005

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