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Krieg und Frieden
Aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 50
Ankündigung der US-Raketenstationierung – ein genialer Schachzug?
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann zur Lage in Sachen Frieden
Urplötzlich erhält im Hinblick auf das Thema Krieg und Frieden die angekündigte Stationierung von US-Raketen in Deutschland einen vieles andere verdrängenden Stellenwert. Wodurch ist das verursacht? Ausgangspunkt ist das am Rande des NATO-Gipfels in Washington verkündete "Joint Statement from United States and Germany on Long-Range Fires Deployment in Germany" vom 10. Juli 2024 – zu deutsch: "Gemeinsame Erklärung der Vereinigten Staaten und Deutschlands zur Stationierung von Langstreckenfeuerwaffen in Deutschland". Darin heißt es in deutscher Übersetzung: "Nach Gesprächen im Vorfeld des NATO-Gipfels haben die Regierungen der Vereinigten Staaten und Deutschlands die folgende gemeinsame Erklärung veröffentlicht: Die Vereinigten Staaten werden im Jahr 2026 mit der episodischen Stationierung der Langstreckenfeuerfähigkeiten ihrer Multi-Domain Task Force in Deutschland beginnen – als Teil der Planung für eine dauerhafte Stationierung dieser Fähigkeiten in der Zukunft. Im Endausbau werden diese konventionellen Langstreckenfeuereinheiten SM-6, Tomahawk und in der Entwicklung befindliche Hyperschallwaffen umfassen, die eine deutlich größere Reichweite haben als die derzeitigen landgestützten Feuerwaffen in Europa. Die Ausübung dieser fortgeschrittenen Fähigkeiten wird das Engagement der Vereinigten Staaten für die NATO und ihren Beitrag zur integrierten Abschreckung in Europa demonstrieren." Gerne wird dieses Themenfeld von Kräften aufgegriffen, die sich im Fahrwasser der NATO-Propaganda bewegen.
Ablenkungsmanöver?
Dabei gerät auch aus dem Blickfeld, dass das 1991 infolge des INF-Vertrags aufgelöste 56. Feldartillerie-Kommando schon seit November 2021 reaktiviert ist, das wie in den 1980er-Jahren über nuklear bestückbare Raketensysteme verfügt, die Moskau in wenigen Minuten "enthaupten" können – angesiedelt in Mainz-Kastel, einem Stadtteil von Wiesbaden unweit des Hauptquartiers der US Army Europe (USAREUR). In der britischen Zeitung "The Sun" ist am 10. November 2021 zu lesen: "Die Vereinigten Staaten haben zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg eine nukleare Einheit in Deutschland reaktiviert, die mit Hyperschall-Langstreckenraketen vom Typ 'Dark Eagle' ausgerüstet ist." Dem Artikel ist eine Grafik vorangestellt, in der es heißt: "Die Raketen können Russland in 6 Minuten treffen." Das entspricht in etwa der bereits in den 1980er-Jahren genannten Vorwarnzeit. Weiter "The Sun": "Es wurde angenommen, dass die USA bei der Entwicklung einer Hyperschallwaffe ins Hintertreffen geraten sind, bis im vergangenen Monat bekannt wurde, dass die USA die Lieferung der 'Dark Eagle' abgeschlossen haben. Generalleutnant L. Neil Thurgood habe erklärt: "Beginnend mit einem leeren Blatt Papier im März 2019 haben wir zusammen mit unseren Industriepartnern und gemeinsamen Diensten diese Hardware in etwas mehr als zwei Jahren geliefert. Jetzt können die Soldaten mit der Ausbildung beginnen."
Beim Friedensratschlag im Dezember 2022 in Kassel referierte Lühr Henken in Vertretung für Joachim Wernicke zu "Dark Eagle – ein Déjà-vu mit Pershing 2" und schilderte die damit verbundenen Gefahren. In einem Nachruf auf den Friedensaktivisten Wolfgang Jung aus der US-Militärregion Ramstein/Kaiserslautern thematisiert der stellvertretende Freidenker-Vorsitzende Klaus Hartmann im Juli 2024 die Dark-Eagle-Hyperschallraketen mit ihrer Reichweite von über 2.500 Kilometern und der extrem verkürzten Vorwarnzeit: "Damit kommt die ... verbotene Waffengattung nach Deutschland (Clay-Kaserne Wiesbaden) zurück, das damit wie schon im Kalten Krieg mögliche Abschussrampe, Zielscheibe und Schlachtfeld eines Atomkrieges wird." Wikipedia beschreibt "Dark Eagle" als "eine vom US-amerikanischen Rüstungs- und Technologiekonzern Lockheed Martin für die US-Streitkräfte entwickelte Hyperschallwaffe größerer Reichweite", die das Waffenarsenal von US-Army und US-Navy ergänzen solle. Nebenstehend ist bei wikipedia das Foto einer mobilen Dark-Eagle-Startrampe zu sehen. Somit können diese mobilen Abschussrampen auch abseits von Wiesbaden und Deutschland, z.B. unmittelbar an der russischen Grenze unterwegs sein.
Aber es ist nicht nur das Dark-Eagle-Raketen-System, das es zu betrachten gilt. In einer der von Wolfgang Jung und Fee Strieffler verfassten LUFTPOST-Ausgabe vom 9. Dezember 2020 ist zu lesen: "Mit der Errichtung ihres Raketenabwehrschildes in Europa haben sich die USA gleichzeitig die Möglichkeit verschafft, das landgestützte Aegis-Raketenabwehrsystem mit Cruise Missiles größerer Reichweite und das mobile THAAD-Sytem mit Raketen größerer Reichweite zu bestücken, die auch Atomsprengköpfe tragen können. Damit ist eine noch gefährlichere Bedrohungslage für Europa und Russland entstanden als zu Zeiten des Krefelder Appells, denn die US-Mittelstreckenraketen sind jetzt viel näher an die russische Westgrenze herangerückt und die Vorwarnzeit für russische Abwehrmaßnahmen ist dadurch extrem kurz geworden."
Es stellt sich die Frage, warum diese Sachverhalte in der Friedensbewegung nicht längst wesentlich prägnanter auf die Tagesordnung gesetzt sind, und warum erst jetzt die Ankündigung einer angeblich zunächst sporadischen Stationierung ab 2026 ins Blickfeld gerückt wird. Das sieht ganz nach einem Manöver aus, mit dem das Ziel verfolgt wird, sowohl von den bereits existierenden Raketensystemen sowie vom Stellvertreterkrieg des US-Imperiums gegen Russland und vom Genozid Israels in Gaza abzulenken. Dies ist insbesondere bei Kräften in der Friedensbewegung zu beobachten, die systematisch das Feindbild Russland bedienen – die wie Reiner Braun vom "International Peace Bureau" vom "völkerrechtswidrigen Angriff Putins" reden, Putin als "einen mit Betrug gewählter Herrscher" bezeichnen oder wie in einer Pressemitteilung zum 3. Oktober 2024 erklären, dass die "unmittelbare Kriegsschuld Russlands außer Frage steht".
Disput in der Friedensbewegung
Bei den UZ-Friedenstagen, die in Berlin im August 2024 stattgefunden haben, zeigt sich, wie der Blick auf das Thema der beabsichtigten Raketenstationierung verengt werden soll. Den Umstand, dass es schon längst (mobile) Raketensysteme gibt, mit denen Russland bedroht wird, soll ausgeblendet werden. Andreas Neumann meldet sich im Rahmen der Podiumsdiskussion "Zeitenwende des Imperialismus?" wie folgt zu Wort:
"Wir sind uns – denke ich – alle einig in der Einschätzung der NATO – dass es die NATO ist, die der Hauptkriegstreiber in Zusammenhang mit dem US-Imperium in der Welt ist. Im Wahlprogramm der DKP steht es auch ganz richtig. Dort wird der Austritt aus der NATO gefordert. Und es wird gefordert, das ausländische Militär aus Deutschland zu verbannen. Wichtig finde ich in diesem Zusammenhang deutlich zu machen, wie das geht. Es gibt zwei Verträge – den NATO-Vertrag, der mit 1-Jahresfrist gekündigt werden kann, und den so genannten Truppenstationierungsvertrag, der seit 1990 mit 2-Jahresfrist gekündigt werden kann und über dessen Kündigung sämtliche Militäreinrichtungen der USA und der NATO aus Deutschland verschwinden könnten: Die Kriegsdrehscheibe Ramstein, EUCOM, AFRICOM, die Atomwaffen in Büchel: alles wäre weg, wenn nur dieser eine Vertrag gekündigt wurde. Wir stellen allerdings in der Friedensbewegung immer wieder fest, dass, wenn wir dieses Thema ansprechen, da starke Vorbehalte sind, das zum Konsens der Friedensbewegung zu machen. Das verstehen wir nicht. Da spielen z.B. Bündnisse, die wie das Friedensbündnis NRW vom 'International Peace Bureau' gestützt werden, eine Rolle, wo auch verhindert werden soll, dass das zum Konsens wird. An Reiner Braun die Frage: wir stellen immer wieder fest, dass NATO-Sprech verwendet wird, dass vom völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gesprochen wird. Auch in Zusammenhang mit der Demo am 3. Oktober ist die Rede von der 'unmittelbaren Kriegsschuld' Russlands. Warum müssen in der Pressemitteilung, die Du mitzuverantworten hast, solche einseitigen, Feindbild bedienenden Formulierungen enthalten sein? Warum muss Putin als 'mit Betrug gewählter Herrscher' Russlands bezeichnet werden, wie Du das 2014 bei der Ostermarschrede in Berlin getan hat?"
Reiner Braun reagiert allergisch. Er tut die von ihm stammenden Zitate als "irgendwelche" ab. Wir sollten aufhören mit dem Gerede "wenn Du nicht gegen die NATO bist, bist Du nicht für den Frieden" – etwas, was so niemand gesagt hat. Es folgt die abwiegelnde Behauptung, die NATO-Frage sei in der Friedensbewegung nicht konsensfähig. Er unterstellt denen, die ein breites Bündnis hinter einer wirkmächtigen Forderung wie der nach Kündigung des Truppenstationierungsvertrags und der Ablehnung des Schürens von Feindbildern vereinen möchten, "Sektierertum". Es ist immer wieder erstaunlich, wie vonseiten führender Funktionäre der Friedensbewegung versucht wird, mögliche, wirkmächtige Forderungen als nicht konsensfähig hinzustellen, bevor der Versuch unternommen ist, sie zum Konsens zu machen. Die Kernaufgabe – so der Funktionär – sei es, alle Kräfte gegen die (angekündigte) Raketenstationierung zu gewinnen. Das sieht ganz nach einem bewussten Ablenkungsmanöver aus.
Was ist rechtsextrem?
In einer Erklärung der Organisatoren vom 3. Oktober heißt es, es gebe "keine Zusammenarbeit mit der AfD und anderen rechtsextremen Kräften. Entsprechende Äußerungen... haben auf der Kundgebung und unserem Sternmarsch am 3. Oktober in Berlin keinen Platz." Einer der Redner am 3. Oktober in Berlin ist aber der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner, der einen Aufruf von SPD-Politikern zu verantworten hat und damit in (rechts-)extremer Weise Feindbilder bedient und militärische Unterstützung – also Waffenlieferungen – befürwortet.
"Wir verurteilen den kriegerischen Überfall Russlands auf die Ukraine vom 24.02.2022 und den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg… Der russische Angriffskrieg hinterlässt verbrannte Erde in der Ukraine, schadet auch der russischen Bevölkerung massiv und ist durch nichts zu rechtfertigen – durch nichts. Die Ukraine muss sich gegen diesen Überfall verteidigen, verteidigen können und dürfen! Dafür braucht und erhält sie internationale Unterstützung auch von Deutschland: Humanitär, ökonomisch, auch militärisch..."
Und dann macht er sich zum Sprachrohr der faschistoiden, rechtsextremen Propaganda der israelischen Regierung, indem in Zusammenhang mit dem Genozid Israels an der palästinensischen Bevölkerung formuliert wird: "Wir verurteilen den terroristischen Überfall unter Führung der radikal islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Dieser völkerrechtswidrige grausame Terror kostete etwa 1200 Menschenleben und 239 Unschuldige wurden entführt... Der Angriff ist durch nichts zu rechtfertigen – durch nichts! Israel muss sich gegen terroristische Angriffe verteidigen – verteidigen dürfen und können. Gerade in Deutschland haben wir allen Grund festzustellen, dass die Sicherheit Israels gegen Terrorismus nicht verhandelbar ist..."
Es geht auch anders
Dass es in der Friedensbewegung auch anders – ohne Friedensdemagogie – geht, zeigt die Demonstration am 3. Oktober 2024 vor der CLAY-KASERNE in Wiesbaden-Erbenheim. Hier an einem wesentlichen Ort des Geschehens fordern die Initiatoren, die den friedlichen Widerstand stärken wollen, was in Berlin fehlt: "Schluss mit dem Schüren von Feindbildern zwischen den Völkern! Kündigung des Vertrags über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte [also des so genannten Truppenstationierungsvertrags]! Die NATO schützt uns nicht mehr – daher Austritt aus dieser eskalierenden statt friedensstiftenden Organisation!"
Veröffentlichung aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 50 (September 2024) – Grundsatzschrift über die Freiheit des Denkens – bissig – streitbar – schön und wahr und (manchmal) satirisch.
Mehr dazu und wie es sich bestellen lässt, hier: http://www.das-krokodil.com/
Siehe auch:
Full Spectrum Peace
Die Friedensbewegung befreien!
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 834 vom 14.08.2024
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=29193
Online-Flyer Nr. 837 vom 11.10.2024
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Krieg und Frieden
Aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 50
Ankündigung der US-Raketenstationierung – ein genialer Schachzug?
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann zur Lage in Sachen Frieden
Urplötzlich erhält im Hinblick auf das Thema Krieg und Frieden die angekündigte Stationierung von US-Raketen in Deutschland einen vieles andere verdrängenden Stellenwert. Wodurch ist das verursacht? Ausgangspunkt ist das am Rande des NATO-Gipfels in Washington verkündete "Joint Statement from United States and Germany on Long-Range Fires Deployment in Germany" vom 10. Juli 2024 – zu deutsch: "Gemeinsame Erklärung der Vereinigten Staaten und Deutschlands zur Stationierung von Langstreckenfeuerwaffen in Deutschland". Darin heißt es in deutscher Übersetzung: "Nach Gesprächen im Vorfeld des NATO-Gipfels haben die Regierungen der Vereinigten Staaten und Deutschlands die folgende gemeinsame Erklärung veröffentlicht: Die Vereinigten Staaten werden im Jahr 2026 mit der episodischen Stationierung der Langstreckenfeuerfähigkeiten ihrer Multi-Domain Task Force in Deutschland beginnen – als Teil der Planung für eine dauerhafte Stationierung dieser Fähigkeiten in der Zukunft. Im Endausbau werden diese konventionellen Langstreckenfeuereinheiten SM-6, Tomahawk und in der Entwicklung befindliche Hyperschallwaffen umfassen, die eine deutlich größere Reichweite haben als die derzeitigen landgestützten Feuerwaffen in Europa. Die Ausübung dieser fortgeschrittenen Fähigkeiten wird das Engagement der Vereinigten Staaten für die NATO und ihren Beitrag zur integrierten Abschreckung in Europa demonstrieren." Gerne wird dieses Themenfeld von Kräften aufgegriffen, die sich im Fahrwasser der NATO-Propaganda bewegen.
Ablenkungsmanöver?
Dabei gerät auch aus dem Blickfeld, dass das 1991 infolge des INF-Vertrags aufgelöste 56. Feldartillerie-Kommando schon seit November 2021 reaktiviert ist, das wie in den 1980er-Jahren über nuklear bestückbare Raketensysteme verfügt, die Moskau in wenigen Minuten "enthaupten" können – angesiedelt in Mainz-Kastel, einem Stadtteil von Wiesbaden unweit des Hauptquartiers der US Army Europe (USAREUR). In der britischen Zeitung "The Sun" ist am 10. November 2021 zu lesen: "Die Vereinigten Staaten haben zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg eine nukleare Einheit in Deutschland reaktiviert, die mit Hyperschall-Langstreckenraketen vom Typ 'Dark Eagle' ausgerüstet ist." Dem Artikel ist eine Grafik vorangestellt, in der es heißt: "Die Raketen können Russland in 6 Minuten treffen." Das entspricht in etwa der bereits in den 1980er-Jahren genannten Vorwarnzeit. Weiter "The Sun": "Es wurde angenommen, dass die USA bei der Entwicklung einer Hyperschallwaffe ins Hintertreffen geraten sind, bis im vergangenen Monat bekannt wurde, dass die USA die Lieferung der 'Dark Eagle' abgeschlossen haben. Generalleutnant L. Neil Thurgood habe erklärt: "Beginnend mit einem leeren Blatt Papier im März 2019 haben wir zusammen mit unseren Industriepartnern und gemeinsamen Diensten diese Hardware in etwas mehr als zwei Jahren geliefert. Jetzt können die Soldaten mit der Ausbildung beginnen."
Beim Friedensratschlag im Dezember 2022 in Kassel referierte Lühr Henken in Vertretung für Joachim Wernicke zu "Dark Eagle – ein Déjà-vu mit Pershing 2" und schilderte die damit verbundenen Gefahren. In einem Nachruf auf den Friedensaktivisten Wolfgang Jung aus der US-Militärregion Ramstein/Kaiserslautern thematisiert der stellvertretende Freidenker-Vorsitzende Klaus Hartmann im Juli 2024 die Dark-Eagle-Hyperschallraketen mit ihrer Reichweite von über 2.500 Kilometern und der extrem verkürzten Vorwarnzeit: "Damit kommt die ... verbotene Waffengattung nach Deutschland (Clay-Kaserne Wiesbaden) zurück, das damit wie schon im Kalten Krieg mögliche Abschussrampe, Zielscheibe und Schlachtfeld eines Atomkrieges wird." Wikipedia beschreibt "Dark Eagle" als "eine vom US-amerikanischen Rüstungs- und Technologiekonzern Lockheed Martin für die US-Streitkräfte entwickelte Hyperschallwaffe größerer Reichweite", die das Waffenarsenal von US-Army und US-Navy ergänzen solle. Nebenstehend ist bei wikipedia das Foto einer mobilen Dark-Eagle-Startrampe zu sehen. Somit können diese mobilen Abschussrampen auch abseits von Wiesbaden und Deutschland, z.B. unmittelbar an der russischen Grenze unterwegs sein.
Aber es ist nicht nur das Dark-Eagle-Raketen-System, das es zu betrachten gilt. In einer der von Wolfgang Jung und Fee Strieffler verfassten LUFTPOST-Ausgabe vom 9. Dezember 2020 ist zu lesen: "Mit der Errichtung ihres Raketenabwehrschildes in Europa haben sich die USA gleichzeitig die Möglichkeit verschafft, das landgestützte Aegis-Raketenabwehrsystem mit Cruise Missiles größerer Reichweite und das mobile THAAD-Sytem mit Raketen größerer Reichweite zu bestücken, die auch Atomsprengköpfe tragen können. Damit ist eine noch gefährlichere Bedrohungslage für Europa und Russland entstanden als zu Zeiten des Krefelder Appells, denn die US-Mittelstreckenraketen sind jetzt viel näher an die russische Westgrenze herangerückt und die Vorwarnzeit für russische Abwehrmaßnahmen ist dadurch extrem kurz geworden."
Es stellt sich die Frage, warum diese Sachverhalte in der Friedensbewegung nicht längst wesentlich prägnanter auf die Tagesordnung gesetzt sind, und warum erst jetzt die Ankündigung einer angeblich zunächst sporadischen Stationierung ab 2026 ins Blickfeld gerückt wird. Das sieht ganz nach einem Manöver aus, mit dem das Ziel verfolgt wird, sowohl von den bereits existierenden Raketensystemen sowie vom Stellvertreterkrieg des US-Imperiums gegen Russland und vom Genozid Israels in Gaza abzulenken. Dies ist insbesondere bei Kräften in der Friedensbewegung zu beobachten, die systematisch das Feindbild Russland bedienen – die wie Reiner Braun vom "International Peace Bureau" vom "völkerrechtswidrigen Angriff Putins" reden, Putin als "einen mit Betrug gewählter Herrscher" bezeichnen oder wie in einer Pressemitteilung zum 3. Oktober 2024 erklären, dass die "unmittelbare Kriegsschuld Russlands außer Frage steht".
Disput in der Friedensbewegung
Bei den UZ-Friedenstagen, die in Berlin im August 2024 stattgefunden haben, zeigt sich, wie der Blick auf das Thema der beabsichtigten Raketenstationierung verengt werden soll. Den Umstand, dass es schon längst (mobile) Raketensysteme gibt, mit denen Russland bedroht wird, soll ausgeblendet werden. Andreas Neumann meldet sich im Rahmen der Podiumsdiskussion "Zeitenwende des Imperialismus?" wie folgt zu Wort:
"Wir sind uns – denke ich – alle einig in der Einschätzung der NATO – dass es die NATO ist, die der Hauptkriegstreiber in Zusammenhang mit dem US-Imperium in der Welt ist. Im Wahlprogramm der DKP steht es auch ganz richtig. Dort wird der Austritt aus der NATO gefordert. Und es wird gefordert, das ausländische Militär aus Deutschland zu verbannen. Wichtig finde ich in diesem Zusammenhang deutlich zu machen, wie das geht. Es gibt zwei Verträge – den NATO-Vertrag, der mit 1-Jahresfrist gekündigt werden kann, und den so genannten Truppenstationierungsvertrag, der seit 1990 mit 2-Jahresfrist gekündigt werden kann und über dessen Kündigung sämtliche Militäreinrichtungen der USA und der NATO aus Deutschland verschwinden könnten: Die Kriegsdrehscheibe Ramstein, EUCOM, AFRICOM, die Atomwaffen in Büchel: alles wäre weg, wenn nur dieser eine Vertrag gekündigt wurde. Wir stellen allerdings in der Friedensbewegung immer wieder fest, dass, wenn wir dieses Thema ansprechen, da starke Vorbehalte sind, das zum Konsens der Friedensbewegung zu machen. Das verstehen wir nicht. Da spielen z.B. Bündnisse, die wie das Friedensbündnis NRW vom 'International Peace Bureau' gestützt werden, eine Rolle, wo auch verhindert werden soll, dass das zum Konsens wird. An Reiner Braun die Frage: wir stellen immer wieder fest, dass NATO-Sprech verwendet wird, dass vom völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gesprochen wird. Auch in Zusammenhang mit der Demo am 3. Oktober ist die Rede von der 'unmittelbaren Kriegsschuld' Russlands. Warum müssen in der Pressemitteilung, die Du mitzuverantworten hast, solche einseitigen, Feindbild bedienenden Formulierungen enthalten sein? Warum muss Putin als 'mit Betrug gewählter Herrscher' Russlands bezeichnet werden, wie Du das 2014 bei der Ostermarschrede in Berlin getan hat?"
Reiner Braun reagiert allergisch. Er tut die von ihm stammenden Zitate als "irgendwelche" ab. Wir sollten aufhören mit dem Gerede "wenn Du nicht gegen die NATO bist, bist Du nicht für den Frieden" – etwas, was so niemand gesagt hat. Es folgt die abwiegelnde Behauptung, die NATO-Frage sei in der Friedensbewegung nicht konsensfähig. Er unterstellt denen, die ein breites Bündnis hinter einer wirkmächtigen Forderung wie der nach Kündigung des Truppenstationierungsvertrags und der Ablehnung des Schürens von Feindbildern vereinen möchten, "Sektierertum". Es ist immer wieder erstaunlich, wie vonseiten führender Funktionäre der Friedensbewegung versucht wird, mögliche, wirkmächtige Forderungen als nicht konsensfähig hinzustellen, bevor der Versuch unternommen ist, sie zum Konsens zu machen. Die Kernaufgabe – so der Funktionär – sei es, alle Kräfte gegen die (angekündigte) Raketenstationierung zu gewinnen. Das sieht ganz nach einem bewussten Ablenkungsmanöver aus.
Was ist rechtsextrem?
In einer Erklärung der Organisatoren vom 3. Oktober heißt es, es gebe "keine Zusammenarbeit mit der AfD und anderen rechtsextremen Kräften. Entsprechende Äußerungen... haben auf der Kundgebung und unserem Sternmarsch am 3. Oktober in Berlin keinen Platz." Einer der Redner am 3. Oktober in Berlin ist aber der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner, der einen Aufruf von SPD-Politikern zu verantworten hat und damit in (rechts-)extremer Weise Feindbilder bedient und militärische Unterstützung – also Waffenlieferungen – befürwortet.
"Wir verurteilen den kriegerischen Überfall Russlands auf die Ukraine vom 24.02.2022 und den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg… Der russische Angriffskrieg hinterlässt verbrannte Erde in der Ukraine, schadet auch der russischen Bevölkerung massiv und ist durch nichts zu rechtfertigen – durch nichts. Die Ukraine muss sich gegen diesen Überfall verteidigen, verteidigen können und dürfen! Dafür braucht und erhält sie internationale Unterstützung auch von Deutschland: Humanitär, ökonomisch, auch militärisch..."
Und dann macht er sich zum Sprachrohr der faschistoiden, rechtsextremen Propaganda der israelischen Regierung, indem in Zusammenhang mit dem Genozid Israels an der palästinensischen Bevölkerung formuliert wird: "Wir verurteilen den terroristischen Überfall unter Führung der radikal islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Dieser völkerrechtswidrige grausame Terror kostete etwa 1200 Menschenleben und 239 Unschuldige wurden entführt... Der Angriff ist durch nichts zu rechtfertigen – durch nichts! Israel muss sich gegen terroristische Angriffe verteidigen – verteidigen dürfen und können. Gerade in Deutschland haben wir allen Grund festzustellen, dass die Sicherheit Israels gegen Terrorismus nicht verhandelbar ist..."
Es geht auch anders
Dass es in der Friedensbewegung auch anders – ohne Friedensdemagogie – geht, zeigt die Demonstration am 3. Oktober 2024 vor der CLAY-KASERNE in Wiesbaden-Erbenheim. Hier an einem wesentlichen Ort des Geschehens fordern die Initiatoren, die den friedlichen Widerstand stärken wollen, was in Berlin fehlt: "Schluss mit dem Schüren von Feindbildern zwischen den Völkern! Kündigung des Vertrags über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte [also des so genannten Truppenstationierungsvertrags]! Die NATO schützt uns nicht mehr – daher Austritt aus dieser eskalierenden statt friedensstiftenden Organisation!"
Veröffentlichung aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 50 (September 2024) – Grundsatzschrift über die Freiheit des Denkens – bissig – streitbar – schön und wahr und (manchmal) satirisch.
Mehr dazu und wie es sich bestellen lässt, hier: http://www.das-krokodil.com/
Siehe auch:
Full Spectrum Peace
Die Friedensbewegung befreien!
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 834 vom 14.08.2024
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