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Aktueller Online-Flyer vom 10. Februar 2025  

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Kultur und Wissen
Ein kurzer historiographischer Zwischenruf zu Parteienverbot und Grundgesetz in der Bundesrepublik Deutschland
Parteienprivileg mit Januskopf
Von Wilma Ruth Albrecht

Parteienverbote sind politische Entscheidungen. Sie hüllen sich jedoch in legal(istisch)e Gewänder, oder es werden solche schon präventiv angefertigt, um sie zur rechten Zeit anzulegen. Dies zeigte und zeigt sich speziell in der Bundesrepublik Deutschland (BRD). Entsprechend des Grundgesetzes gilt in der BRD ein Parteienprivileg mit Januskopf.

So bestimmt - in das Fassung von 1949 - Artikel 21:
  1. Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß den demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft geben.
  2. Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
  3. Das Nähere regeln Bundesgesetze. (1)
Dieser Artikel wie das gesamte Grundgesetz konnten nur in Kraft treten durch die am 12.05.1949 erfolgte Zustimmung der westlichen Militärgouverneure. Änderungen bedurften vor ihrem Inkrafttreten aufgrund des Besatzungsstatuts der „ausdrücklichen Genehmigung der Besatzungsbehörden“. (2)

Somit besaß die BRD keine staatliche Souveränität, und das Grundgesetz war auch keine souveräne Staatsverfassung. (3)

Insofern zeigt sich die Janusköpfigkeit des Parteienprivilegs in seiner dreifachen Abhängigkeit: einerseits von den Besatzungsmächten und andererseits von durch Parteienmehrheit verabschiedeten Gesetze sowie der parteipolitischen Prägung des Bundesverfassungsgerichts.

Bruch in der Verfassungssystematik

Nimmt man Artikel 21 in den Blick, zeigen sich weitere formale und inhaltliche Besonderheiten und Merkwürdigkeiten: Formaljuristisch gesehen durchbricht Artikel 21 die Systematik des Grundgesetzes, in dem Artikel 1-19 die „Grundrechte“ und Artikel 20 und 22-37 „Bund-Länder-Kompetenzen“ umfassen (4). Politische Parteien gelten jedoch nicht vorrangig als staatliche Institutionen; sondern gehören als politische Formationen zu den gesellschaftlichen Verbänden (5).

Im Gesamtzusammenhang des Grundgesetzes zeigt Artikel 21 (2) folgenden Widerspruch: Das Grundgesetz beinhaltet einerseits prinzipiell das Wiedervereinigungsgebot Deutschlands in der Präambel, Artikel 23 und 146 GG alte Fassung; damit wird eine Änderung des BRD-Staates angestrebt. Andererseits wird bzw. kann nach Artikel 21 (2) eine Partei, die den Bestand der BRD ändern will, als verfassungsfeindlich eingestuft werden. Eine Änderung des 1949 gebildeten Staates (BRD) beinhaltet aber auch die  Wiedervereinigung Deutschlands, wie es die KPD mit ihrem „Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands“ (6) vom 02.11.1952 mit der Forderung, eine gesamtdeutsche verfassungsgebende Nationalversammlung zu wählen, verfolgte. Aber auch die Angliederung des Saarlandes am 01.01.1959 nach der erfolgreichen Volksabstimmung gegen das von Bundeskanzler Adenauer bevorzugte Saarstatut II (1954) bedeutete faktisch eine Änderung der bestehenden BRD.

Prägung des Parteienartikels durch französische Besatzung

Artikel 21 GG, insbesondere Artikel 21 (2), gilt als Reaktion auf den nationalsozialistischen Staat. Der Artikel sei deshalb ins Grundgesetz aufgenommen worden, weil seinerzeit einige Juristen mit Nachdruck die Meinung vertraten, die Weimarer Republik sei an Verfassungsmängeln und insbesondere an so genannten extremistischen Parteien gescheitert (7). Dies war jedoch – so quellenkritisch-historische Hinweise - nicht ausschlaggebend; vielmehr war es der indirekte Einfluss von Gabriel Daty (sous préfet der französischen Besatzungsbehörde) auf die badische Verfassung, die eine wichtige Vorlage für Artikel 47 des Herrenchiemseer Entwurfs (HChE) war. Dieser Artikel 47 bildete nun wiederum die Vorlage für Art. 21 GG. (8) 

Exponierte Vertreter eines Parteienartikels waren bei der Abfassung des Entwurfs von Herrenchiemsee Hermann Brill, SPD (1895-1959) und Otto Suhr, SPD (1894-1957). Im Redaktionsausschuss des Parlamentarischen Rates - und damit auch an der endgültigen Abfassung des Artikel 21 beteiligt - wirkten mit die Volljuristen Heinrich von Brentano, CDU (1904-1964), Georg August Zinn, SPD (1901-1976) und Thomas Dehler FDP (1897-1967).
 
Am 8. Mai 1949 verabschiedete der Parlamentarische Rat das Grundgesetz mit folgendem Abstimmungsergebnis:

Von 65 Mitgliedern stimmten 53 für seine Annahme und 12 für seine Ablehnung (Christlich Soziale Union [CSU]: 6,  Deutsche Partei [DP]: 2; Zentrum: 2; Kommunistische Partei Deutschland [KPD]: 2) aus unterschiedlichen Gründen, hauptsächlich wegen zu geringer föderaler Rechte im Grundgesetz (CSU) bzw. wegen der mit der Verabschiedung des Grundgesetzes verbundenen Gründung eines westdeutschen Separatstaates und der damit verbundenen Teilung Deutschlands (KPD). Erst nach der Zustimmung der Militärgouverneure, die am 12. Mai 1949 erfolgte, konnte das Grundgesetz Gültigkeit erlangen und in Kraft treten.

Und es waren wiederum die westalliierten Militärs, die die Bundesregierung anwiesen, einen Verbotsantrag gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP, 1949-1952) als Nachfolgeorganisation der NSDAP aufgrund Artikel 139 des Grundgesetzes  zu stellen; wobei die Adenauer-Regierung entschied: wenn ein Verbotsantrag gegen die SRP, dann auch einen gegen die KPD. Der Verbotsantrag gegen die SRP datiert vom 19.11.1951, der gegen die KPD vom 22.11.1951. (9)

Und damit schließt sich der Kreis im  Sinne des quod-erat-demonstrandum-Grundsatzes: Parteienverbote sind politische Entscheidungen. Sie hüllen sich jedoch in legal(istisch)e Gewänder …


Fußnoten:


1) Bundesgesetzblatt Nr.1, Bonn 23.Mai 1949, S. 3, 2. Spalte
2) Besatzungsstatut, dem Parlamentarischen Rat in Bonn am 10.4.1949 übermittelt, am 12.5.1949 veröffentlicht, am 21.9.1949 in Kraft getreten. In: Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission für Deutschland, 1 (1949), S. 13-15
3) Vgl. den Beteiligten Carlo Schmid: Erinnerungen. Bern, München, Wien, (Scherz-Verlag) 1979, S. 318ff, bes. S.353
4) Deutscher Bundestag https://www.bundestag.de › gg-faksimile Jubiläumsausgabe des Grundgesetzes - Deutscher …
5) Vgl. H. v. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, 1927, S. 8
6) https://berufsverbote.de/tl_files/docs/KPDProgramm_NationaleWiedervereinigung1952.pdf
7) Gleichwohl gab es zahlreiche Parteienverbote in der Weimarer Republik, wenn auch nicht über Verfassungsnormen begründet. Vgl. Katrin Stein: Parteienverbote in der Weimarer Republik. Berlin (Duncker & Humblot) 1999. - Als nachdrückliche Vertreter des Parteienverbotsartikel 21 (2) galten Carl Spieker, Zentrum/CDU (1888-1953) und Rudolf Katz, SPD (1895-1961), ab 1951 Richter am Bundesverfassungsgericht und dort Vizepräsident
8) Eduardo Caterina: Die Ursprünge des Art. 21 GG: die Idee der Parteiregulierung in Verfassungsdebatten der Nachkriegszeit. In: Zeitschrift für Parteienwissenschaften, 25. Jg. 2019, S. 60-73
9) Josef Foschepoth: Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2017, S. 106-137

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