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Kultur und Wissen
"Wiedervereinigungs"-Stück von Anne Dorn in der "Scheune"
"rübergemacht"
Von Petra Datscha
"rübergemacht" heißt das Stück von Anne Dorn, dessen Uraufführung unter der Regie von Bettina Dorn am Wochenende in der ausverkauften "Scheune" des Altenberger Hofes in Köln-Nippes die Zuschauer atemlos und berührt zugleich verfolgten. Das Stück handelt von der Begegnung zweier Schwestern, die kurz nach der "Wende" im Westen aufeinander treffen.
Lena (Hildegard Lena Kuhlenberg) kommt aus der DDR und bricht - unangemeldet - in die fragile Familienstruktur ihrer im Westen lebenden Schwester Helen (Dorothea Neukirchen) ein. Sie will im Westen bleiben. Natürlich nicht bei ihrer Schwester. Das hätte sie nicht gewagt... Ihre Tochter Katja (Claudia Vanessa Dalchow) hat sich schon vor fünf Monaten, über die Botschaft in Prag, in den Westen "rübergemacht". Das war noch wie Auswandern....
Lena - kommt aus der DDR
Foto: Peter Meinard
Die Begegnung zwischen Mutter und Tochter, die damals ohne Abschied alles hinter sich gelassen hat - das Statement der Tochter: "Wir wollen doch nicht wiederholen, was du alles durchgemacht hast. Du bekommst eine eigene Bleibe..." Der Vorwurf von Helen: "Du kannst doch nicht alles im Stich lassen, das war auch mein Zuhause..." Die Wiedervereinigung der Familie, der 28 Jahre lang ersehnte Moment... "Etwas Fröhliches, Erlösendes hatte ich mir vorgestellt..." löst eine leidenschaftliche Konfrontation mit Erwartungen aneinander aus, schließt letztlich alle Familienmitglieder ein und bleibt nicht ohne ein Opfer...
Mit einer in Bildern und Schauspielerführung beeindruckenden und unter die Haut gehenden Inszenierung, stellt sich "rübergemacht" einem Thema, dem sich bis heute noch kein vergleichbares Bühnenstück gestellt hat.
Die Autorin, Anne Dorn, geboren 1925 in Wachau bei Dresden als Anna Christa Schlegel. Zog 1969 allein erziehend mit ihren vier Kindern als freie Schriftstellerin nach Köln, wo sie auch heute lebt. Sie ist Mitglied des P.E.N.-Zentrums Deutschland, des VS und der GEDOK.
Lena und Helen - wiedervereint
Foto: Peter Meinard
Die Regisseurin Bettina Dorn, Schauspielerin in Film und Fernsehen sowie auf verschiedenen in- und ausländischen Bühnen, zählt zu ihren wichtigsten Lehrern den argentinischen Regisseur Augusto Fernandes.
Gedanken von Bettina Dorn zur Inszenierung: Helen, die ihre Gegenwart nur mit Anstrengung managen kann, wird von der Wucht ihrer ungelebten Geschichte überrumpelt. Schmerzhaft wird ihr klar, dass die vertrauensvoll zu Hause gelassene Möglichkeit: "Ich könnte das auch alles ganz anders machen", mit einem Schlag unbarmherzige Historie ist. Alle schon lang verlorenen Dinge, die - zurückgelassen - scheinbar auf sie warteten, werden greifbar.
Lena fordert, mit ihrer Lebensgeschichte in einem erstickend engem Leben für und mit der Familie, endlich ihre Chance, ihr Leben selbst gestalten zu können, ein. Sie hat aber keine Möglichkeit gehabt, konkrete Vorstellungen für ein eigenes Leben zu sammeln. Unter ihrem Mut, alles hinter sich zu lassen, sitzt ein Brunnen der Angst und die Forderung, dass nun ein Anderer für sie ihr neues Leben regelt.
Katja nimmt ihre Chance wahr, sich von der Enge der Familiengeschichte zu befreien, und lässt nur begrenzt zu, dass die Anderen in ihrer Geschichte weiter mitspielen werden... Ihr desillusionierter Blick auf die Gesellschaft überträgt sich nicht auf ihren Traum, alles verlassen und ganz neu anfangen zu können...
Axel (Marc Zabinski) vermeidet jede Art von Bindung oder Verbindlichkeit. Er versucht, keine Geschichte zu bekommen, um nicht eines Tages dafür verantwortlich sein zu müssen.
Erich (Christian Ingomar), der seit Jahren versucht, seine Geschichte zu ertränken, ist sich bewusst, dass er sich nicht von ihr befreien kann. Inmitten der Sehnsucht nach einem Neuanfang wählt er die für ihn sichtbare Lösung.
Mit dem Erscheinen Lenas in Helens Leben wird eine jahrzehntelange, im wahrsten Sinne -betonierte - Regel zwischen den beiden deutsch-deutschen Schwestern gekippt. Die Wiedervereinten stehen erschrocken und verletzt auf unbekanntem Gebiet: einer Art emotionaler Wüste, in der beide nicht wissen, wie sie agieren sollen, da die Regeln fehlen. Es gibt für diese Situation keine Referenz - sie haben sie nicht "erproben" können. Beide Schwestern versuchen, sich an Dinge und Forderungen zu klammern, suchen nach Halt in dem nächsten möglichen Schritt und werden doch von dem nun immer bewussteren Verlust ihres ungelebten ersehnten und idealisierten Lebens umgerissen. Jede bisherige Regel oder Ordnung in ihrer gemeinsamen Beziehung - aber auch darüber hinaus - wird in Frage gestellt, angeklagt, aufgebrochen, revidiert und neue werden eingefordert. Jede will, braucht, muss - jetzt!
Begegnung zwischen Mutter Lena und Tochter Katja
Foto: Peter Meinard
Auch Lenas Tochter Katja weigert sich, alte Beziehungsregeln zwischen Mutter und Tochter mit in ihr neues Leben zu nehmen. Denn jetzt - mit dem Anbruch einer neuen Zeit, mit dem Abbruch der Mauer, die als Hindernis für alle fassbar war - scheint es plötzlich möglich, alles anders zu machen! Mit der Forderung nach dem Neuen, Ersehnten taucht das auf, was ist, was war. Jede wird auf ihre persönliche Geschichte zurückgeworfen. Jede muss, bevor die Karten neu gemischt werden, ihre ansehen und erfahren, welche sie im Leben der anderen spielt. Aber nicht alle spielen mit...
Die nächsten Aufführungen finden am 15. und 16. Dezember 20.30 Uhr statt. Über Termine im Januar informiert:
www.ruebergemacht.net
Online-Flyer Nr. 22 vom 14.12.2005
Druckversion
Kultur und Wissen
"Wiedervereinigungs"-Stück von Anne Dorn in der "Scheune"
"rübergemacht"
Von Petra Datscha
"rübergemacht" heißt das Stück von Anne Dorn, dessen Uraufführung unter der Regie von Bettina Dorn am Wochenende in der ausverkauften "Scheune" des Altenberger Hofes in Köln-Nippes die Zuschauer atemlos und berührt zugleich verfolgten. Das Stück handelt von der Begegnung zweier Schwestern, die kurz nach der "Wende" im Westen aufeinander treffen.
Lena (Hildegard Lena Kuhlenberg) kommt aus der DDR und bricht - unangemeldet - in die fragile Familienstruktur ihrer im Westen lebenden Schwester Helen (Dorothea Neukirchen) ein. Sie will im Westen bleiben. Natürlich nicht bei ihrer Schwester. Das hätte sie nicht gewagt... Ihre Tochter Katja (Claudia Vanessa Dalchow) hat sich schon vor fünf Monaten, über die Botschaft in Prag, in den Westen "rübergemacht". Das war noch wie Auswandern....
Lena - kommt aus der DDR
Foto: Peter Meinard
Die Begegnung zwischen Mutter und Tochter, die damals ohne Abschied alles hinter sich gelassen hat - das Statement der Tochter: "Wir wollen doch nicht wiederholen, was du alles durchgemacht hast. Du bekommst eine eigene Bleibe..." Der Vorwurf von Helen: "Du kannst doch nicht alles im Stich lassen, das war auch mein Zuhause..." Die Wiedervereinigung der Familie, der 28 Jahre lang ersehnte Moment... "Etwas Fröhliches, Erlösendes hatte ich mir vorgestellt..." löst eine leidenschaftliche Konfrontation mit Erwartungen aneinander aus, schließt letztlich alle Familienmitglieder ein und bleibt nicht ohne ein Opfer...
Mit einer in Bildern und Schauspielerführung beeindruckenden und unter die Haut gehenden Inszenierung, stellt sich "rübergemacht" einem Thema, dem sich bis heute noch kein vergleichbares Bühnenstück gestellt hat.
Die Autorin, Anne Dorn, geboren 1925 in Wachau bei Dresden als Anna Christa Schlegel. Zog 1969 allein erziehend mit ihren vier Kindern als freie Schriftstellerin nach Köln, wo sie auch heute lebt. Sie ist Mitglied des P.E.N.-Zentrums Deutschland, des VS und der GEDOK.
Lena und Helen - wiedervereint
Foto: Peter Meinard
Die Regisseurin Bettina Dorn, Schauspielerin in Film und Fernsehen sowie auf verschiedenen in- und ausländischen Bühnen, zählt zu ihren wichtigsten Lehrern den argentinischen Regisseur Augusto Fernandes.
Gedanken von Bettina Dorn zur Inszenierung: Helen, die ihre Gegenwart nur mit Anstrengung managen kann, wird von der Wucht ihrer ungelebten Geschichte überrumpelt. Schmerzhaft wird ihr klar, dass die vertrauensvoll zu Hause gelassene Möglichkeit: "Ich könnte das auch alles ganz anders machen", mit einem Schlag unbarmherzige Historie ist. Alle schon lang verlorenen Dinge, die - zurückgelassen - scheinbar auf sie warteten, werden greifbar.
Lena fordert, mit ihrer Lebensgeschichte in einem erstickend engem Leben für und mit der Familie, endlich ihre Chance, ihr Leben selbst gestalten zu können, ein. Sie hat aber keine Möglichkeit gehabt, konkrete Vorstellungen für ein eigenes Leben zu sammeln. Unter ihrem Mut, alles hinter sich zu lassen, sitzt ein Brunnen der Angst und die Forderung, dass nun ein Anderer für sie ihr neues Leben regelt.
Katja nimmt ihre Chance wahr, sich von der Enge der Familiengeschichte zu befreien, und lässt nur begrenzt zu, dass die Anderen in ihrer Geschichte weiter mitspielen werden... Ihr desillusionierter Blick auf die Gesellschaft überträgt sich nicht auf ihren Traum, alles verlassen und ganz neu anfangen zu können...
Axel (Marc Zabinski) vermeidet jede Art von Bindung oder Verbindlichkeit. Er versucht, keine Geschichte zu bekommen, um nicht eines Tages dafür verantwortlich sein zu müssen.
Erich (Christian Ingomar), der seit Jahren versucht, seine Geschichte zu ertränken, ist sich bewusst, dass er sich nicht von ihr befreien kann. Inmitten der Sehnsucht nach einem Neuanfang wählt er die für ihn sichtbare Lösung.
Mit dem Erscheinen Lenas in Helens Leben wird eine jahrzehntelange, im wahrsten Sinne -betonierte - Regel zwischen den beiden deutsch-deutschen Schwestern gekippt. Die Wiedervereinten stehen erschrocken und verletzt auf unbekanntem Gebiet: einer Art emotionaler Wüste, in der beide nicht wissen, wie sie agieren sollen, da die Regeln fehlen. Es gibt für diese Situation keine Referenz - sie haben sie nicht "erproben" können. Beide Schwestern versuchen, sich an Dinge und Forderungen zu klammern, suchen nach Halt in dem nächsten möglichen Schritt und werden doch von dem nun immer bewussteren Verlust ihres ungelebten ersehnten und idealisierten Lebens umgerissen. Jede bisherige Regel oder Ordnung in ihrer gemeinsamen Beziehung - aber auch darüber hinaus - wird in Frage gestellt, angeklagt, aufgebrochen, revidiert und neue werden eingefordert. Jede will, braucht, muss - jetzt!
Begegnung zwischen Mutter Lena und Tochter Katja
Foto: Peter Meinard
Auch Lenas Tochter Katja weigert sich, alte Beziehungsregeln zwischen Mutter und Tochter mit in ihr neues Leben zu nehmen. Denn jetzt - mit dem Anbruch einer neuen Zeit, mit dem Abbruch der Mauer, die als Hindernis für alle fassbar war - scheint es plötzlich möglich, alles anders zu machen! Mit der Forderung nach dem Neuen, Ersehnten taucht das auf, was ist, was war. Jede wird auf ihre persönliche Geschichte zurückgeworfen. Jede muss, bevor die Karten neu gemischt werden, ihre ansehen und erfahren, welche sie im Leben der anderen spielt. Aber nicht alle spielen mit...
Die nächsten Aufführungen finden am 15. und 16. Dezember 20.30 Uhr statt. Über Termine im Januar informiert:
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