Glossen
Über missionarische und totalitäre Züge einer Gesundheitskampagne
Freiheit aushusten
Von Hans-Detlev v. Kirchbach
Pauschales Rauchverbot in kölschen Kneipen?
Nicht nur in Köln raufen sich die Kneipenwirte die Haare. Bundesweit werden - je nach Land mehr oder minder rigide - Regelwerke in Kraft gesetzt, die dem Nichtraucherschutz im öffentlichen Raum, aber auch am Arbeitsplatz gelten sollen. Doch darüber hinaus hält es eine zu überzogenem Symbolismus neigende Gesetzgebung für angebracht, das Rauchen nun auch ausgerechnet in der Gastronomie pauschal zu verbieten, in der das Rauchen geradezu als soziale Verkehrsform eine mehr als hundertfünfzigjährige Tradition aufweist. VorkämpferInnen wie die ehemalige NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn von den Grünen drohen denn auch unverhüllt an, mit Regimentern entschlossener GesundheitspriesterInnen in irgendwelchen Kneipen einzufallen, die sie vorher nie im Leben betreten hätten, um sich anschließend über das dort stattgehabte Rauchen zu beschweren.
An sich sollte eigentlich auch das Kölsch- und sonstige Alkoholtrinken gleich mit verboten werden. Jedenfalls, soweit es nach dem ganz radikalen Neo-Apostolat einer nicht nur im Eigeninteresse gesunden, sondern vielmehr streng normierten, puritanisch leistungsorientierten, letztlich sittsamen und reinlichen Lebensführung ginge.
Ein Unverbesserlicher
Mittlerweile nimmt solcher Bereinigungseifer schon geradezu magische Formen an. Immer auf der Grundlage der unverrückbaren Überzeugung, daß vor allem Jugendliche Vorbildern aus Fernsehen und Medien nachfolgen. So solle im Fernsehen ganz und gar nicht mehr geraucht werden dürfen, fordern Kreuzzügler wie etwa die erwähnte Grünen-Politikerin Bärbel Höhn in der WDR-Sendereihe "Hart aber fair".
Da wird ihr Ex-Kanzler Helmut Schmidt, der weltberühmte 87jährige Kettenraucher, noch mit letzter Kraft was husten. Der ließ sich, Mitte Juli zu besichtigen im ZDF, auch im New York der Zero Tolerance nicht von dem Hinweis in einem Nobelrestaurant beeindrucken, hier sei Rauchen verboten. "Ach, wie interessant", befand der Tabakfreund desinteressiert und rauchte ungerührt weiter. Ein Helmut Schmidt kann sich das natürlich leisten, Meier und Müller aber dürfen demnächst Strafgeld zahlen, wenn sie außerhalb der Wohnung rauchen. Soweit sie nicht auch dort der Vermieter raus wirft.
Humphrey Bogart – künftig mit Karotte von Frau Höhn?
Foto: Yousuf Karsh, 1946
Don’t bogart your joint: Die Glotze als „moralische Anstalt“
Nun sollen, geht es nach den Missionaren der Reinheit, auch Serien oder Filme mit rauchenden Protagonisten nicht mehr gezeigt werden. Unter dieses Verdikt würden dann aber ganze Archivhallen voll kultureller und subkultureller Schätze fallen. Casablanca bliebe im Giftschrank, oder es würde sofort ausgeblendet, wenn Humphrey Bogart seine Kippe in den Mund steckt. Filmaufnahmen mit Frank Zappa, dem u.a. von Pierre Boulez hochgeschätzten Genie der Underground-Avantgarde, würden höchstens noch unter der Hand als Privatvideos oder auf Youtube kursieren, weil der Maestro sein Ensemble grundsätzlich mit dem Taktstock in der Hand und der qualmenden Kippe im Mund dirigierte. Auch die häufigen Szenen in den berühmten Paul-Temple-Hörspielen der 50er Jahre mit Texten wie "Zigarette, Sir Graham?" oder "Magst Du einen Whisky, Steve?" müßten herausgeschnitten werden.
Vielleicht ließe sich im Zeitalter unbegrenzter Computermanipulation virtuell einiges ins Reine bringen. Humphrey Bogart würde eine biologisch-dynamische Karotte statt der Filterlosen angehext, Frank Zappa vielleicht ein Lolli. Mit dem wurde einst ja auch der Serienstar Kojak berühmt - als Ersatzvornahme für die vorher unvermeidliche Zigarette des Hauptdarstellers Telly Savalas, weil sich der Hauptdarsteller Telly Savalas einfach selbst das Rauchen abgewöhnen wollte.
Puritanismus als Türöffner der Kontrollgesellschaft
Doch das war damals, in den 70er Jahren, einfach ein running gag, mit Selbstironie und Heiterkeit vorgetragen, und weit entfernt von jenem moralisch eifernden, kontrollsüchtigen Puritanismus, der die heutige Raucher- und Antiraucher-Debatte so unangenehm auszeichnet. Insbesondere auch deshalb, weil sie längst weit über das Thema des Nichtraucherschutzes hinaus expandiert und sich als Bestandteil destruktiver aktueller Tendenzen hin zur voll überwachten Kontrollgesellschaft erweist. Weil sie ihren spezifischen Beitrag zur autoritären Regression leistet, weil sie unter Anmaßung eines fast religiös verfochtenen moralischen Monopolanspruchs dem im Schily-Schäubleschen "Maßnahmenstaat" ohnehin angesagten polizeistaatlichen Übergriff in Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte Tür und Tor noch weiter öffnet.
Daß sich dabei nicht zuletzt grüne Politveteranen wie die erwähnte Ex-Ministerin Höhn hervortun, ist freilich kein Wunder. Und auch nicht die Intensität, mit der dieses vergleichsweise Nebenthema "bearbeitet" wird. Serienweise sind grüne Visionen zerplatzt. Wesentlich gravierendere gesellschaftliche Probleme als der vermeintliche Übelstand, daß in einer Traditionskneipe beim Skat oder Billard geraucht und Bier getrunken wird, haben die Weltverbesserer von einst offenbar ad acta gelegt. Daß der angebliche Atomausstieg lange Jahrzehnte in Anspruch nimmt, zum Beispiel. Oder daß gerade hierzulande gleichzeitig der Abbau der emissionsintensiven Braunkohle intensiviert wird. Oder daß landes- und bundesweit die Zeichen auf Flughafenausbau stehen, Ozonloch hin, Klimarisiko her. Und nicht zuletzt hätte vielleicht manches verhindert werden können, wenn sich die ExorzistInnen des Qualms vor Jahren genau so massiv gegen eine Zustimmung zu Kriegseinsätzen ins Zeug gelegt hätten wie heute gegen das Rauchen in Kneipen oder unter freiem Himmel.
Frank Zappa – lieber einen Lolli?
Quelle: www.lastfm.de
Autoritärer Gesellschaftsumbau statt rationaler Gesundheitspolitik
Um es klarzustellen: Der Autor dieses Beitrages selbst raucht nicht. Versuche einer cliquenangeleiteten Angewöhnung im Jugendalter scheiterten an massiver körperlicher Gegenreaktion. Gegen einen gesundheitspolitisch rationalen, sozial zweckorientierten Nichtraucherschutz unter unaufgeregter Anwendung normaler gesellschaftlicher Rücksichtsregeln soll hier auch keineswegs Stellung bezogen werden. Völlig überflüssig erscheint jedoch die monomanische Ideologisierung des Themas namentlich durch ein ansonsten weitgehend politisch gescheitertes Welterweckungsmilieu, das auf dieser Spielwiese ein unerschöpfliches Betätigungsfeld findet. Und alarmierend symptomatisch erscheint der durchgängige Impetus eifernder Intoleranz, in die Meinungsführer und letztlich schon Teile der Gesetzgebung verfallen.
Auch auf diesem Feld wird an einem Staatsmodell gebastelt, das mit Selbstbestimmung und so genannten mündigen Bürgern nicht viel mehr zu tun hat. Der im Grunde lebenslang erziehungsbedürftige Einwohner des totalen Kontrollstaates wird vielmehr, idealtypisch rund um die Uhr, mit Argusaugen überwacht, ist für jedes Tun und Unterlassen rechtfertigungspflichtig, wird ansonsten weitestgehend reglementiert und bis in die Sphäre der Intimität hinein entmündigt. Und von einer sich jetzt schon drohend positionierenden Kaste selbsternannter, vielleicht auch bald staatsermächtigter, Moralmissionare und Volkspädagogen beständig aufs Strengste angeleitet und erzogen.
Das alles aber hat mit sozialer Anteilnahme oder gar "Fürsorge" im besseren Sinn nichts mehr zu tun. Denn daß sich der für die Multi-Job- und Ein-Euro-Gesellschaft durch Dopeentzug und Disziplin fit gemachte Arbeitsnomade auspowern soll, bis er auf dem letzten Loch pfeift, das ist ja, vom blauen Dunst aller dekorativer Rhetorik befreit, ein Grunddogma des sozial dekonstruierten Neoliberalismus. Ganz dem Motto entsprechend, das kürzlich in einer dieser als exemplarische Demütigungsrituale inszenierten Castingshows verkündet wurde: "Ihr müßt bereit sein, alles zu geben, ohne etwas zurückzubekommen." Umso besser: Dann kann sich auch kaum noch jemand die letzte Zigarette leisten, die ohnehin verboten ist. (PK)
Online-Flyer Nr. 105 vom 25.07.2007
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