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Aktueller Online-Flyer vom 13. März 2025  

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Inland
Podiumsdiskussion in Trier über linken Antisemitismus
Wann darf ich Israel kritisieren?
Von Klaus Blees

„Linker Antisemitismus oder: Wann darf ich Israel kritisieren?“ Unter diesem Titel hatten AKTION 3.WELT SAAR und Arbeitsgemeinschaft Frieden Trier (AGF) in Zusammenarbeit mit der Heinrich Böll Stiftung Rheinland-Pfalz zu einer Podiumsdiskussion in das Trierer Kulturzentrum Tuchfabrik (Tufa) eingeladen. Mit etwa hundert Leuten übertraf die Besucherzahl deutlich die Erwartungen aller Beteiligten.
Unter der Moderation von Johannes Metzdorf-Schmithüsen, Evangelischer Studierendenpfarrer im Ruhestand, begann die Diskussion mit Eingangsstatements der Teilnehmer. Zunächst benannte Hannes Platz von der AKTION 3.WELT SAAR in einem kurzen Powerpointvortrag über linken Antisemitismus die Merkmale antisemitischer Aussagen. Dabei verwies er auf die Dimensionen antisemitischer so genannter „Israelkritik“, die sich in einer „3-D-Regel“ zusammenfassen ließen: Delegitimierung, Dämonisierung und Doppelstandards im Umgang mit Israel. Im Antizionismus sieht er erhebliche Schnittmengen zum Antisemitismus.

Israelische Kritiker Israels als Gewährsleute

Typisch für insbesondere linken Antisemitismus, so Hannes Platz, sei ein Disclaimer: Man führe jüdische und/oder israelische Kritiker Israels als Gewährsleute an und glaube, damit „aus dem Schneider" zu sein. Ein weiteres Kennzeichen sei ein personifizierender Antikapitalismus und die Trennung zwischen dem guten „eigenen“, nationalen und dem bösen „fremden“ Kapital. Deutlich sichtbar geworden sei dies in der von Franz Müntefering in die Welt gesetzten Heuschreckenmetapher und der Stechmückenkarikatur auf dem Cover der IG-Metall-Mitgliederzeitschrift vom Mai 2005. Platz illustrierte seine Feststellungen mit einschlägigen Fotos unter anderem von Demotransparenten.

Markus Pflüger von der Arbeitsgemeinschaft Frieden wollte seine Kritik an Israel als solidarische verstanden wissen. Er verurteilte das Vorgehen Israels in Palästina. Dieses stärke militante Islamisten. Gewalt, Militär und Krieg als Mittel der Politik lehnt er ab. Allerdings dürfe auch die Kritik an der palästinensischen Politik und von den Palästinensern selbst verantworteten Zuständen nicht vernachlässigt werden. In diesem Zusammenhang erwähnte er Pläne der AGF für eine Veranstaltung zur Todesstrafe in den
Autonomiegebieten. Er sah linken Antisemitismus als ernstzunehmendes Problem an, meinte aber, der neonazistische und der arabische Antisemitismus seien dringender zu bekämpfen.

„Allparteilichkeit“ statt einseitiger Parteinahme

Felix Koltermann, Fotograf und Journalist, der im Rahmen seines Studiums mehrere Monate in Israel und Palästina verbracht hatte, betonte, er suche eine andere Herangehensweise und halte es für geboten, das Problem der Gewalt im Nahen Osten zunächst einmal auf einer Metaebene anzugehen. Dazu gehöre erstens eine wissenschaftliche Konfliktanalyse und zweitens eine Lösungsorientierung. Wichtig sei dabei „Allparteilichkeit“ statt einseitiger Parteinahme. Dies gelte trotz der besonderen Beziehungen Deutschlands zu Israel. Verbrechen seien auf allen Seiten zu benennen.

Deutschland sei trotz allem keine Konfliktpartei, die im Nahen Osten stehe. Er kritisierte Waffenlieferungen an alle Parteien, ausdrücklich auch an die palästinensische Polizei.

Linker Antisemitismus
Demo in Frankfurt – kein linker Antisemitismus
Quelle:
indymedia

„Apartheidstaat Israel“?

In die anschließende Diskussion wurde das sich rege beteiligende Publikum einbezogen. Aus dem Saal kam der Hinweis, der Flüchtlingsstatus von Palästinensern werde „vererbt“. In Wirklichkeit seien die meisten so genannten „Flüchtlinge“ gar keine, sondern deren Nachkommen. Platz sah die von der AGF begleitete Aufführung des Filmes „Paradise Now“ in einem Trierer Kino als hochproblematisch an, ebenso den Veranstaltungstitel „Apartheidstaat Israel“, mit dem ein Vortrag der Palästinenserin Viola Raheb in Trier beworben worden war. Er wies auch auf den ursprünglichen Anlass zu dieser Podiumsdiskussion hin: den Versuch der ehemaligen Tufa-Geschäftsführerin, ein von der Jüdischen Kultusgemeinde Trier geplantes Konzert mit synagogalen Gesängen während der Zeit des Libanonkrieges im Sommer 2006 abzusagen, weil das nach ihrer Meinung als Parteinahme verstanden werden konnte. Ebenso brachte er antisemitische Ausfälle des Trierer attac-Aktivisten Wolfgang Schmitt zur Sprache, der nach wie vor im Lenkungsausschuss der Lokalen Agenda 21 sitze. Schmitt hatte unter anderem der Bundesregierung Unterwürfigkeit gegenüber dem Zentralrat der Juden vorgeworfen und seine Haltung wiederholt bekräftigt. Pflüger wies Antisemitismusvorwürfe gegenüber der Ex-Tufa-Chefin als überzogen zurück. Diese habe zwar antisemitische Stereotype gebraucht, aber ihren Fehler eingesehen und sich entschuldigt. Stereotype hätten wir alle, auch er selber, als von den Eltern übernommene in uns. Für ihn komme es darauf an, wie man damit umgehe.

Ermutigendes Fazit

Einer der Anwesenden kritisierte die Fragestellung des Veranstaltungstitels „Wann darf ich Israel kritisieren?“, denn diese laufe darauf hinaus, nach Wegen zu suchen, wie Israelkritik am besten verpackt werden könne. Stattdessen komme es für Linke vielmehr darauf an, sich mit Israel als dem Staat, der Zufluchtsmöglichkeit für alle Juden weltweit biete und Voraussetzung ihrer Emanzipation sei, zu solidarisieren. Dies schließe das Bekenntnis zur israelischen Armee einschließlich ihrer atomaren Zweitschlagskapazität ein. Platz stimmte der von Pflüger geäußerten Auffassung, Militär könne keine Konflikte lösen, zwar zu, schränkte aber ein, Konflikte könnten durch militärisches Vorgehen sehr wohl eingedämmt werden.

Von sehr vereinzelten aggressiv-antizionistischen Ausfällen im Auditorium abgesehen verlief die Veranstaltung zwar sehr kontrovers, aber sachlich. Israelsolidarische und mehr oder weniger israelkritische Stimmen waren etwa gleich stark vertreten. Die Teilnehmer zogen ein ermutigendes Fazit. Pflüger betonte, er sehe einen Ansatz für konstruktive Weiterarbeit. Koltermann fügte hinzu, wir müssten uns erst mal mit uns selbst beschäftigen. (PK)

Klaus Blees ist Mitarbeiter der Aktion 3. Welt Saar.

Online-Flyer Nr. 118  vom 24.10.2007

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