NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

zurück  
Druckversion

Glossen
„Sie sagen ja jetzt...“
Man sollte ja immer frisch klingen
Von Ulla Lessmann

Geben Sie Ihre Stimme ab – nein, nicht an der Wahlurne, nur am Telefon. Das reicht, um herauszufinden, was Sie für ein Mensch sind, oder wie Sie gerade „gestimmt“ sind, sagt Ulla Lessmann. Nun, ob das alles so stimmt? Bestimmt, also wir in der Redaktion stimmen ihr auf jeden Fall einstimmig zu – klingt ja auch stimmig. Die Redaktion.

Manche klingen ja lebenslang wie ein junges Mädchen. Wenn meine Großmutter sich am Telefon meldete, dachten alle, sie wäre ich. Aber singen konnte sie auch nicht mehr, das verliert sich im Alter, diese hohen Töne. Aber man muss ja auch nicht mehr so hoch singen, wenn man denn überhaupt noch singen will. Bei vielen erkennt man auch sofort, wie es ihnen ist. Die melden sich so leidend, dass man am liebsten gleich wieder auflegen möchte, obwohl man nicht so sein soll, wenn sie einem immerhin mit dieser Leidensstimme mitteilen, dass es ihnen ganz schlecht geht, aber irgendwie vergeht einem sofort die Lust zu fragen, ob sie mit ins Kino gehen, weil man schon an der Stimme hört, dass sie auf keinen Fall irgendwo hingehen werden.

Manche sagen nur „jaha?“, so hin gehaucht und irgendwie ersterbend, dass man denkt, warum gehen die überhaupt ans Telefon, wenn sie kaum noch sprechen können? Und wenn man dann doch nicht gleich wieder auflegt, was heutzutage sowieso nicht geht, weil sie ja alle diese Telefone haben, die einem die Nummern zeigen und wie steht man dann da, wenn man wieder auflegt und die rufen dann zurück und man kann doch nicht sagen, ich hab gleich wieder aufgelegt, weil du dich so leidend angehört hast, da hatte ich gar keine Lust, mit dir zu sprechen, das macht man dann doch nicht. Meine Cousine streitet das immer ab, wenn ich sage, na, deine Stimme klingt aber gar nicht gut, dann redet sie mit genau der gleichen schleppenden Grabesstimme weiter und behauptet, es wäre nichts.

Ich finde, man soll immer frisch klingen, egal, wie’s einem geht, denn man weiß doch nicht, wer dran ist, und die, die merken sollen, dass es einem schlecht geht, sind vielleicht gar nicht dran und dann sage ich leise und traurig, „ja, halloo???“, weil ich hoffe, es ist meine Nichte, die sich erschrickt und denkt, ich muß sofort besucht werden und nachher ist es dieser Mistkerl vom dritten Stock, der sich immer über meine Blumentöpfe im Treppenhaus beschwert, und mit dem spreche ich grundsätzlich tief und fest, das habe ich mal gelesen, tief und fest wirkt selbstbewusst, damit er merkt, er kann mir nichts und wenn ich „ja, halloo?“ hauche, denkt der womöglich, er kann mit mir den Molli machen.

Manche sind ja geschlagen mit diesen Piepsstimmen, da können die promoviert sein und einen hohen Posten haben und piepsen so aus dem Hals, dass man denkt, wie konnte mit dieser Stimme was aus denen werden? Im Radio gibt’s welche, da kann man hinschmelzen, das nennt man gute Mikrofonstimme und ist wohl angeboren. Aber damit kann man ja auch geschlagen sein, denn wenn’s denen privat mal schlecht geht, dann hört ihnen das ja kein Mensch an! (CH)



ulla lessmann Foto: Jürgen Seidel
     
Ulla Lessmann, geb. 1952 in Bremerhaven, Journalistin und Diplomvolkswirtin, lebt in Köln und Italien. Langjährige Chefredakteurin des „Vorwärts“, seit 1994 freie Autorin für Zeitschriften und Hörfunk. Literarische Veröffentlichungen seit 1987. Zwei Kriminalromane und ein Band mit Satiren erschienen im Fischer-Taschenbuchverlag, Kurzkrimis und Erzählungen erscheinen u.a. bei Ullstein, Scherz und Leporello, regelmäßige Satirereihe auf WDR 4.

Foto: Jürgen Seidel

Zuletzt erschienen: „Hacki und der Herd“ in: „Tödliche Torten“, hg. v. Ina Coelen, Leporello-Verlag 2005, „Der Riß im Balkon“ in: „Über den Dächern der Stadt“, hg. v. Unda Hörner, edition-ebersbach 2006, „Lange Annäherung“, in: „Hier ziehe ich die Schuhe aus/60 Jahre NRW“, hg. v. Amir Shaheen, Verlag Ralf Liebe 2006, „Lilien zur Erinnerung“, in: „Radieschen von unten“, hg. v. Ina Coelen, Leporello 2006.

Ulla Lessmann erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Satirepreis der Stadt Herne und EMMA-Journalistinnen-Preis. Sie ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller/innen (VS), im Syndikat und bei Sisters in Crime.
www.ulla-lessmann.de




Online-Flyer Nr. 125  vom 12.12.2007

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE