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Kultur und Wissen
GWUP-Auswertung der Wahrsager-„Prognosen“ für 2007 – Teil 2
Totalcrash der Sternendeuter
Von Hans-Detlev v. Kirchbach
Falsche Lebenshilfe im falschen Leben
Alles wird gut...
Foto (bearb.) Claudia
Hautumm | pixelio.de
Daher gibt es ungeachtet aller Fehlschläge immer noch ein glaubens- und aufnahmebereites Publikum für Wahrsagereien, die doch zumindest den Anschein erwecken, den Nebel der Ungewißheit über einem zunehmend angstbesetzten Morgen zu lichten. Manche, die derlei Schmarren konsumieren, lassen sich wohl tatsächlich nur mit Amüsement oder leichtem mystischen Kribbeln „unterhalten“. Das Spiel, das die selbsternannten Medien jedoch mit dem verunsicherten Anteil ihrer Klientel treiben, ist freilich, soweit sie nicht selbst an ihre okkulten Eingebungen glauben, nicht mehr als zynisch. Damit ist nicht nur die übliche Schönfärberei nach dem unsäglichen Nina-Ruge-Motto „Alles wird gut“ gemeint. Manchmal aber dient auch die sensationsträchtige Unheilsprophetie, neben der massen-medialen Aufwertung des seherischen „Mediums“ selbst, ähnlich wie in Psychosekten der Beherrschung der Glaubensgemeinschaft
durch den oder die „spirituelle FührerIn“. Ob nun irgendeine Telefon-„Beraterin“ einer Anruferin grob rät, sie solle sich von ihrem Liebhaber nur trennen, denn der passe von der Sternkonstellation schon mal gar nicht zu ihr, oder ob sensationssüchtige Nostradamus-Verschnitte Kometeneinschläge, UFO-Landungen oder gar den großen Krieg „vorhersagen“ – mindestens gelegentlich nutzen Okkult-PriesterInnen ihren fatalen Einfluß auf die subjektive Befindlichkeit ihrer Kundschaft schamlos, wenn nicht mit einem gewissen Maß an Sadismus, aus. Nicht nur damit erweist sich der gerade im Kult des „Wassermann-Zeitalters“ um und nach 1968 wieder zu Ehren und zu ganz neuen, „alternativen“, Konsumentenschichten gelangte astrologische (und sonstige esoterische) Okkultismus nicht etwa als „spirituelle“ oder „ganzheitliche“ Gegenwelt zum Terror der bestehenden Verhältnisse, sondern bloß als dessen obskur verdrehte Spiegelung. „Jene kleinen Weisen, die vor der Kristallkugel ihre Klienten terrorisieren, sind Spielzeugmodelle der großen, die das Schicksal der Menschheit in Händen halten“, erkannte Adorno in seinen „Thesen gegen den Okkultismus“ schon 1951.
Aus dem Paralleluniversum der Phantasie: Astro-Prognosen 2007
So wollen wir uns der aktuellen „Astro“- und „Wahrsager-Bilanz“ der GWUP anläßlich des Jahreswechsels zuwenden. Feder – oder auch – im Sinne der
„...vor der Kristallkugel Klienten
terrorisieren..." | Foto (bearb.)
Karina | pixelio.de
oben angedeuteten Aufräumarbeit- besenführend zuständig ist hierbei der Mainzer Mathematiker Michael Kunkel. Der ist alles andere als ein trockener Zahlendrescher, wenn man jedenfalls seine humorvoll aufgemachte und höchst informative Website betrachtet (www.wahrsagercheck.de). Kaum sonst im deutschen Sprachraum findet man eine derart vielfältige und konzentrierte Dokumentation astrologischer und „wahrsagerischer“ Fehlschläge. Deren Häufung beweist schon an und für sich durchschlagend, daß Fehler von astrologischen Vorhersagen keine bedauerlichen Einzelfälle darstellen, sondern als unvermeidliche Folge aus abergläubischen Hypothesensystemen und Prognosemethoden resultieren.
Belassen wir es aus Kunkels reichhaltiger Sammlung bei einigen „Highlights“ für 2007. Besonders hervorgetan hat sich nochmals unsere bereits zitierte begnadete Seherin aus Kanada, Nikki Pezaro: „war will break out between England and Ireland“, so lautete eine weitere ihrer hirngespinstigen Zukunftssichtungen für 2007, neben dem UFO in Washington, dem brennenden Kreml und King-Kong in Costa Rica. Wo der Amok-Affe ist, darf der (Problem-)Bär nicht fehlen; so sagte die Dame überdies voraus, ein Pandabär werde aus einem Zoo ausbrechen und „Angst und Schrecken“ verbreiten. „Bei nem Pandabären kann man sich das schlecht vorstellen, aber ich fand das sehr schön“, amüsierte sich Kunkel in einem Interview mit „Radio Berlin-Brandenburg“ über diese fehlgeschlagene Kuscheltier-Horrorprognose a la Stephen King.
Panda-Problembär – kurz vor dem Ausbruch aus Berliner Zoo?
Foto: Times CC | Quelle: wikipedia.de
Manche „Propheten“, vor allem solche, die mit einem gewissen „Gott“ in angeblich direkter Verbindung stehen, erwecken über parawissenschaftliches Gewese und kuriose Spinnerei hinaus schon gelegentlich den Eindruck einer akuten klinischen Problematik. Fachärztlich konsultationsbedürftig erscheint etwa der auch innerhalb der Republikanischen Partei und der religiösen Rechten der USA einflußreiche TV-Prediger Pat Robertson. Was Kunkel etwas rabiater formuliert: „War es wirklich der Herr, der zu Robertson gesprochen hat, oder doch eher eine schwere Meise?“ Nach intensiver Zwiesprache mit Gott, so bekundete der Religions-Millionär Anfang 2007, sehe er schwerste Anschläge auf die USA mit Millionen Toten voraus. „Der Herr sagte nicht, dass es etwas Nukleares sei. Aber ich denke, dass es etwas Derartiges sein wird“, dräute der rechte Prophet, verbunden mit der Tröstung an seine nach Millionen zählenden gläubigen Anhänger: „Wenn du gesprengt wirst oder so etwas, dann kommst du in den Himmel; das ist schon das Äußerste, was dir widerfahren könnte.“ Allerdings scheint der liebe Gott seinem Prediger Robertson ebenso unbegründete Schreckensbilder vorgegaukelt zu haben wie die Sterne ihrem deutschen Deuter Johann Höber. Dessen Vision war noch präziser als die Robertsons göttliche Eingebung: „Für 2007 sehe ich hier auch Militärschläge der USA (gegen Nordkorea), Nordkorea wird jedoch zurückschlagen und den Amerikanern Verluste bereiten.“
Methode Pythia
Da kann man Kunkel wirklich nicht als unfair schelten, wenn er bei Robertson „eine schwere Meise zwitschern“ hört. Solchen Spott verdient aber auch, wer die eigene Prophetie-Begabung nicht nur anderen weismacht, sondern auch noch selber ernstnimmt. Wirklichen Profis dürfte das einfach nicht passieren. Das müßte sich jeder „Astrologe“ und „Wahrsager“ beim klassischen Vorbild des Prophetie-Scharlantanismus abschauen: der Pythia von Delphi. Deren Spitzenleistung, dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot zufolge: Als sie von Krösos, dem König der Lydier, gefragt wurde, wie seine Aussichten im Krieg gegen den Perserkönig Kyros stünden, antwortete sie: Wenn du deine Truppen über den Halys führst, wirst du ein großes Reich zerstören. Er tat es und zerstörte damit sein eigenes Reich; die prophetische Gauklerin aber hätte in jedem, also auch im ungekehrten, Falle recht behalten.
So gesehen, ist auch der Göttinger Astrologe Hans Pieper (71) ein Weiser seiner Zunft, wie die Pythia oder Madame Buchela selig. Er nahm in einem Interview mit der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen (Kassel) am 12. Januar 2007 für sich in Anspruch, „für den Zeitraum von Ende August bis Mitte September 2001 eine extrem explosive Konstellation im Welthoroskop gesehen zu haben“. Allerdings: „Natürlich habe ich nicht gesehen, dass es am 11. September in New York sein würde. Solche Details sind nicht vorhersagbar.“ Genial daher auch Piepers Weissagung für 2007: „Wir leben in einer Zeit der ständig wechselnden Trends. Es gibt keine langfristigen Sicherheiten mehr.“
Astro-Prognosen im Stil der „Wirtschaftsweisen“
In Köhlers Weihnachts- oder Merkels Neujahrsrede hätten solche Sätze auch gepaßt. Ebenso wie die „höhere Erkenntnis“ der Astrologin Ruth Brummond: „Die Harmonie in Deutschland kommt von der Zufriedenheit des Volkes.“ Ohnehin finden sich gesundbeterisch-optimistische Allgemeinplätze a la Bertelsmann-Stiftung im Prognose-Repertoire mindestens so häufig wie die apokalyptischen Hirngespinste. So lesen wir etwa auf der Schweizer Astrologie-Seite „Astro-Uranus“: „Merkur holt sich bei der Sonne neue Kraft in der Konjunktion... Die Biotechnik und ähnliche orschungsbereiche dürften viele neue Impulse empfangen...“ Denn, auch ganz im Stil offizieller Neujahrsbotschaften: „Auf uns alle kommt es an, wie die Zukunft aussehen wird.“
Beherzigen wir also, statt zu fordern, zu demonstrieren und zu streiken, die Mahnung von Astrologe Michele DeVivo: „...den Neuerungen durch disziplinierte und fleißige Arbeit ein solides Fundament zu verleihen“, spätestens wenn „Saturn in die Jungfrau wechselt“. Wobei für kräftiges Wühlen unterhalb der Mindestlohngrenze auch der Umstand spricht, daß wir, zumindest dem chinesischen Horoskop zufolge, noch im „Jahr des Schweines“ leben (18.2.07 bis 6.2.08), was allerdings garantiert nicht systemkritisch gemeint ist.
Wenn der Hahn kräht auf dem Mist...
Naja, es geht halt immer irgendwo gut oder auch schlecht zu auf der Welt. Der Schweizer Sternenseher Peter Schmid weiß auch, warum: „Pluto ist in Schütze von 1996 bis Anfang 2008. Das bedeutet, dass weltweite (Schütze) Umwälzungen (Pluto) im Gange sind... Aber auch leidenschaftliche Auseinandersetzungen (Pluto) der institutionalisierten Religionen (Schütze) und erbitterter Kampf (Pluto) der weltlich-wirtschaftlichen Ideologien (Schütze) gegeneinander.“
Bush und Putin – beide schützen sich
gegenseitig...
Nicht lange wird es dauern, und astrologische Weltdeuter werden sich auch noch zugute halten, sie hätten sogar die Ermordung Benazir Bhuttos vorausgesehen. Irgendwie jedenfalls schon. Wenn's halt nicht ein Bush- oder Putin-Attentat war, dann war es eben das Bhutto-Attentat. Fängt ja auch mit „B“ an, wie „Beweis“. Bestimmt hatte wieder Pluto – obwohl im klassischen Astrologie-Schema nicht bekannt – seinen dämonischen Einfluß ausgeübt.
Astrologin Rosalind Haller (www.hellsehen.net) „vertagte“ übrigens vorsorglich im Januar 2007 das eigentlich schon „vorhergesehene Attentat auf Putin“ auf 2008, da er „gut bewacht wird“. Leider brach der Ätna trotz Frau Hallers Vorhersage nicht befehlsgemäß aus; dafür aber lag sie mit der Prognose warmer Sommertemperaturen durchaus richtig.
Mit gleicher Methode landete auch Astro-Kritiker Kunkel einen „Vorhersage-Treffer“. Er griff das Boulevard-Geschreibsel über die nervige Milliardenerbin Paris Hilton auf und „prophezeite“, die Exzeß-Selbstdarstellerin werde 2007 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. In der Tat: Das Partygirl kassierte 40 Tage Knast, die sie aber nicht absitzen mußte. Bingo - und das ganz ohne „Astrologie“ oder Kartenlegerei. Wie es in Wahrheit mutmaßlich auch die meisten „Astrologen“ und „Kartenleger“ machen, ganz einfach durch Auswertung banaler irdischer Information.
Prophetischer Glücksgriff bei Sternchen
Paris Hilton | Foto: Roger Casas-Alatriste
Damit behielt einmalig sogar die phantasiebegabte Kanadierin Nikki Pezaro „recht“. Denn neben ihren kuriosen Phantastereien über King-Kong reloaded und den rasenden Pandabären landete sie immerhin einen, traurigen, Treffer: Die „Vorhersage“ des Todes von Luciano Pavarotti. Doch über dessen Gesundheitszustand war schon länger öffentlich, im Feuilleton ebenso wie im Boulevard, spekuliert worden. Fidel Castro tat der Astrospekulantin allerdings nicht den Gefallen, wunschgemäß abzuleben.
So kann „Prophetie“ eben auch einmal, begünstigt vom puren Zufall, „erfolgreich“ sein, ganz nach der Grundmethode aller Wahrsagerei, die Meister Kunkel im RBB-Interview so definierte: „Wenn ich z.B. sage, es gibt Verkehrsprobleme im Jahr 2008, hab ich von vornherein recht.“ Dazu reicht es eben, mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben. Die Sterne jedoch ziehen unberührt von alldem ihre Bahn.
Online-Flyer Nr. 129 vom 16.01.2008
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Kultur und Wissen
GWUP-Auswertung der Wahrsager-„Prognosen“ für 2007 – Teil 2
Totalcrash der Sternendeuter
Von Hans-Detlev v. Kirchbach
Falsche Lebenshilfe im falschen Leben
Alles wird gut...
Foto (bearb.) Claudia
Hautumm | pixelio.de
durch den oder die „spirituelle FührerIn“. Ob nun irgendeine Telefon-„Beraterin“ einer Anruferin grob rät, sie solle sich von ihrem Liebhaber nur trennen, denn der passe von der Sternkonstellation schon mal gar nicht zu ihr, oder ob sensationssüchtige Nostradamus-Verschnitte Kometeneinschläge, UFO-Landungen oder gar den großen Krieg „vorhersagen“ – mindestens gelegentlich nutzen Okkult-PriesterInnen ihren fatalen Einfluß auf die subjektive Befindlichkeit ihrer Kundschaft schamlos, wenn nicht mit einem gewissen Maß an Sadismus, aus. Nicht nur damit erweist sich der gerade im Kult des „Wassermann-Zeitalters“ um und nach 1968 wieder zu Ehren und zu ganz neuen, „alternativen“, Konsumentenschichten gelangte astrologische (und sonstige esoterische) Okkultismus nicht etwa als „spirituelle“ oder „ganzheitliche“ Gegenwelt zum Terror der bestehenden Verhältnisse, sondern bloß als dessen obskur verdrehte Spiegelung. „Jene kleinen Weisen, die vor der Kristallkugel ihre Klienten terrorisieren, sind Spielzeugmodelle der großen, die das Schicksal der Menschheit in Händen halten“, erkannte Adorno in seinen „Thesen gegen den Okkultismus“ schon 1951.
Aus dem Paralleluniversum der Phantasie: Astro-Prognosen 2007
So wollen wir uns der aktuellen „Astro“- und „Wahrsager-Bilanz“ der GWUP anläßlich des Jahreswechsels zuwenden. Feder – oder auch – im Sinne der
„...vor der Kristallkugel Klienten
terrorisieren..." | Foto (bearb.)
Karina | pixelio.de
Belassen wir es aus Kunkels reichhaltiger Sammlung bei einigen „Highlights“ für 2007. Besonders hervorgetan hat sich nochmals unsere bereits zitierte begnadete Seherin aus Kanada, Nikki Pezaro: „war will break out between England and Ireland“, so lautete eine weitere ihrer hirngespinstigen Zukunftssichtungen für 2007, neben dem UFO in Washington, dem brennenden Kreml und King-Kong in Costa Rica. Wo der Amok-Affe ist, darf der (Problem-)Bär nicht fehlen; so sagte die Dame überdies voraus, ein Pandabär werde aus einem Zoo ausbrechen und „Angst und Schrecken“ verbreiten. „Bei nem Pandabären kann man sich das schlecht vorstellen, aber ich fand das sehr schön“, amüsierte sich Kunkel in einem Interview mit „Radio Berlin-Brandenburg“ über diese fehlgeschlagene Kuscheltier-Horrorprognose a la Stephen King.
Panda-Problembär – kurz vor dem Ausbruch aus Berliner Zoo?
Foto: Times CC | Quelle: wikipedia.de
Manche „Propheten“, vor allem solche, die mit einem gewissen „Gott“ in angeblich direkter Verbindung stehen, erwecken über parawissenschaftliches Gewese und kuriose Spinnerei hinaus schon gelegentlich den Eindruck einer akuten klinischen Problematik. Fachärztlich konsultationsbedürftig erscheint etwa der auch innerhalb der Republikanischen Partei und der religiösen Rechten der USA einflußreiche TV-Prediger Pat Robertson. Was Kunkel etwas rabiater formuliert: „War es wirklich der Herr, der zu Robertson gesprochen hat, oder doch eher eine schwere Meise?“ Nach intensiver Zwiesprache mit Gott, so bekundete der Religions-Millionär Anfang 2007, sehe er schwerste Anschläge auf die USA mit Millionen Toten voraus. „Der Herr sagte nicht, dass es etwas Nukleares sei. Aber ich denke, dass es etwas Derartiges sein wird“, dräute der rechte Prophet, verbunden mit der Tröstung an seine nach Millionen zählenden gläubigen Anhänger: „Wenn du gesprengt wirst oder so etwas, dann kommst du in den Himmel; das ist schon das Äußerste, was dir widerfahren könnte.“ Allerdings scheint der liebe Gott seinem Prediger Robertson ebenso unbegründete Schreckensbilder vorgegaukelt zu haben wie die Sterne ihrem deutschen Deuter Johann Höber. Dessen Vision war noch präziser als die Robertsons göttliche Eingebung: „Für 2007 sehe ich hier auch Militärschläge der USA (gegen Nordkorea), Nordkorea wird jedoch zurückschlagen und den Amerikanern Verluste bereiten.“
Methode Pythia
Da kann man Kunkel wirklich nicht als unfair schelten, wenn er bei Robertson „eine schwere Meise zwitschern“ hört. Solchen Spott verdient aber auch, wer die eigene Prophetie-Begabung nicht nur anderen weismacht, sondern auch noch selber ernstnimmt. Wirklichen Profis dürfte das einfach nicht passieren. Das müßte sich jeder „Astrologe“ und „Wahrsager“ beim klassischen Vorbild des Prophetie-Scharlantanismus abschauen: der Pythia von Delphi. Deren Spitzenleistung, dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot zufolge: Als sie von Krösos, dem König der Lydier, gefragt wurde, wie seine Aussichten im Krieg gegen den Perserkönig Kyros stünden, antwortete sie: Wenn du deine Truppen über den Halys führst, wirst du ein großes Reich zerstören. Er tat es und zerstörte damit sein eigenes Reich; die prophetische Gauklerin aber hätte in jedem, also auch im ungekehrten, Falle recht behalten.
So gesehen, ist auch der Göttinger Astrologe Hans Pieper (71) ein Weiser seiner Zunft, wie die Pythia oder Madame Buchela selig. Er nahm in einem Interview mit der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen (Kassel) am 12. Januar 2007 für sich in Anspruch, „für den Zeitraum von Ende August bis Mitte September 2001 eine extrem explosive Konstellation im Welthoroskop gesehen zu haben“. Allerdings: „Natürlich habe ich nicht gesehen, dass es am 11. September in New York sein würde. Solche Details sind nicht vorhersagbar.“ Genial daher auch Piepers Weissagung für 2007: „Wir leben in einer Zeit der ständig wechselnden Trends. Es gibt keine langfristigen Sicherheiten mehr.“
Astro-Prognosen im Stil der „Wirtschaftsweisen“
In Köhlers Weihnachts- oder Merkels Neujahrsrede hätten solche Sätze auch gepaßt. Ebenso wie die „höhere Erkenntnis“ der Astrologin Ruth Brummond: „Die Harmonie in Deutschland kommt von der Zufriedenheit des Volkes.“ Ohnehin finden sich gesundbeterisch-optimistische Allgemeinplätze a la Bertelsmann-Stiftung im Prognose-Repertoire mindestens so häufig wie die apokalyptischen Hirngespinste. So lesen wir etwa auf der Schweizer Astrologie-Seite „Astro-Uranus“: „Merkur holt sich bei der Sonne neue Kraft in der Konjunktion... Die Biotechnik und ähnliche orschungsbereiche dürften viele neue Impulse empfangen...“ Denn, auch ganz im Stil offizieller Neujahrsbotschaften: „Auf uns alle kommt es an, wie die Zukunft aussehen wird.“
Beherzigen wir also, statt zu fordern, zu demonstrieren und zu streiken, die Mahnung von Astrologe Michele DeVivo: „...den Neuerungen durch disziplinierte und fleißige Arbeit ein solides Fundament zu verleihen“, spätestens wenn „Saturn in die Jungfrau wechselt“. Wobei für kräftiges Wühlen unterhalb der Mindestlohngrenze auch der Umstand spricht, daß wir, zumindest dem chinesischen Horoskop zufolge, noch im „Jahr des Schweines“ leben (18.2.07 bis 6.2.08), was allerdings garantiert nicht systemkritisch gemeint ist.
Wenn der Hahn kräht auf dem Mist...
Naja, es geht halt immer irgendwo gut oder auch schlecht zu auf der Welt. Der Schweizer Sternenseher Peter Schmid weiß auch, warum: „Pluto ist in Schütze von 1996 bis Anfang 2008. Das bedeutet, dass weltweite (Schütze) Umwälzungen (Pluto) im Gange sind... Aber auch leidenschaftliche Auseinandersetzungen (Pluto) der institutionalisierten Religionen (Schütze) und erbitterter Kampf (Pluto) der weltlich-wirtschaftlichen Ideologien (Schütze) gegeneinander.“
Bush und Putin – beide schützen sich
gegenseitig...
Astrologin Rosalind Haller (www.hellsehen.net) „vertagte“ übrigens vorsorglich im Januar 2007 das eigentlich schon „vorhergesehene Attentat auf Putin“ auf 2008, da er „gut bewacht wird“. Leider brach der Ätna trotz Frau Hallers Vorhersage nicht befehlsgemäß aus; dafür aber lag sie mit der Prognose warmer Sommertemperaturen durchaus richtig.
Mit gleicher Methode landete auch Astro-Kritiker Kunkel einen „Vorhersage-Treffer“. Er griff das Boulevard-Geschreibsel über die nervige Milliardenerbin Paris Hilton auf und „prophezeite“, die Exzeß-Selbstdarstellerin werde 2007 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. In der Tat: Das Partygirl kassierte 40 Tage Knast, die sie aber nicht absitzen mußte. Bingo - und das ganz ohne „Astrologie“ oder Kartenlegerei. Wie es in Wahrheit mutmaßlich auch die meisten „Astrologen“ und „Kartenleger“ machen, ganz einfach durch Auswertung banaler irdischer Information.
Prophetischer Glücksgriff bei Sternchen
Paris Hilton | Foto: Roger Casas-Alatriste
So kann „Prophetie“ eben auch einmal, begünstigt vom puren Zufall, „erfolgreich“ sein, ganz nach der Grundmethode aller Wahrsagerei, die Meister Kunkel im RBB-Interview so definierte: „Wenn ich z.B. sage, es gibt Verkehrsprobleme im Jahr 2008, hab ich von vornherein recht.“ Dazu reicht es eben, mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben. Die Sterne jedoch ziehen unberührt von alldem ihre Bahn.
Online-Flyer Nr. 129 vom 16.01.2008
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