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Lokales
Warnstreiks im öffentlichen Dienst mit über 60.000 Beschäftigten in NRW
„Ihr streikt für das Allgemeinwohl“
Von Anneliese Fikentscher
Die Stimmung ist gut. Stefan und Rolly Brings schmettern „...wenn mir all zesamme stonn!“ ins Mikrophon auf der Bühne vor dem Kölner Energiever- sorger Rheinenergie. „Das will mir gar nicht über die Lippen kommen, früher hieß das einfach Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke“, sagt der Rolly. Und so wie alle Dinge heute vor allem einen schönen Namen tragen, so lohnt es sich auch, das vermeintliche Tarifangebot der öffentlichen Arbeitgeber näher anzusehen. Unterm Strich heißt es dort: „Mehr Lohn für längere Arbeits- zeiten“. „Aber wir brauchen das genaue Gegenteil“, stellt Ronald Laubrock, Betriebsrat der Dortmunder Stadtwerke, klar.
Motto: „Stand up and fight!“
Christa Nottebaum: „Die jungen Leute
brauchen eine Perspektive“
„Es geht um die Tarifrunde des öffent- lichen Dienstes, wo wir in der dritten Verhandlungsrunde mit den Arbeitge- bern des öffentlichen Dienstes noch kein Stück weitergekommen sind. Die Arbeitgeber des Öffentlichen Dienstes wollen – insbesondere die Beschäftigten im Bereich Gesund- heitswesen – vor den Kopf stoßen, weil sie sagen, sie wollen keine Gehaltserhöhung zahlen, sondern statt dessen noch eine Erhöhung der Arbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden. Die Beschäftigten sind aber in diesem Bereich schon dermaßen belastet, weil in den letzten Jahren erhebliche Personalabbaumaßnahmen stattgefunden haben“, ruft die Kölner ver.di-Geschäftsführerin Christa Nottebaum.
Streik - ein grundgesetzlich verbrieftes Recht
Und so zeigt sich in der vergangenen Woche eine überwältigende Bereitschaft zur Teilnahme an Warnstreiks, angefangen mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen, den Leiterinnen und Leitern und allen Beschäftigten der städtischen Kindertagesstätten, über die Beschäftigten der Kommunalver- waltung, der Bäder, Bühnen und Theater, der Bundesagentur für Arbeit und der ARGE, Energiever- und -entsorgung, der städtischen Verkehrsbetriebe und der Telekommunikation. Christa Nottebaum ist begeistert von den tausenden Beschäftigten, die bereit sind, für ihre Interessen in einen Arbeits- kampf einzutreten. Insbesondere auf die Auszubildenden ist sie stolz: „Ich bin begeistert, dass sich die Auszubildenden in einer Jugend- und Auszubilden- denversammlung entschieden haben, heute dabei zu sein, denn es gab eine Ansage, dass eine Klausur geschrieben werden sollte. Die Auszubildenden haben aber klar gesagt: Es geht um unsere eigenen Interessen, es geht um die Übernahme nach der Ausbildung. Wir brauchen eine Perspektive im Beruf. Ich finde es sehr schön, dass eine große Anzahl junger Leute heute dabei ist und sich für ihre eigenen Interessen engagiert.“
Tag der Kitas, 21. Februar
„Alles wird teurer“ – aber ein minus 3,75 Prozent-Angebot
Wie bei den Auszubildenden und Pflegeschülern im Gesundheitswesen wogt es vor der Bühne der Rheinenergie in Grün, der Farbe der ver.di-Jugend- Organisation. „Stand up and fight“ ist einer der neuen Slogans, die vor allem die Jugendlichen verstehen. Die Kampagne ist öffentlichkeitswirksam pfiffig eingetütet. Denn, und das versteht jeder – nicht nur die Beteiligten in der Tarifauseinandersetzung: „Alles wird teurer“ – nur die Löhne und Gehälter sollen stagnieren und damit den vielen im öffentlichen Dienst Beschäftigten, die zudem vielfach mit Schicht- und Sonntag-, Wochenend- und Nacht- diensten belastet sind, immer größere Löcher in die Tasche reißen. „Alles wird teurer“, steht auf den bedruckten T-Shirts geschrieben, und: „Bundestag um 9,4%“. Das ist der Satz, um den die Volksvertreter ihre Diäten erhöhten. Aber auch Milch (25,7%), Butter (46,0%) und Benzin, das bald ohnehin nur aus der Super-Zapfsäule kommt, schlägt durchschnittlich mit 10,3% zu Buche.
„In erster Linie sind wir jetzt angetreten für eine ordentliche Gehaltserhöhung, Lohnerhöhung und Ausbildungsvergütungserhöhung. – Für die Beschäftigten ist eine Mehrbelastung nicht zumutbar. Auf der anderen Seite würde (durch Arbeitszeitverlängerung) ein weiteres Mal eine Stellenabbauschraube in Bewegung gesetzt, die absolut nicht akzeptabel ist. Es gibt schon heute zu viele befristet Beschäftigte“, wehrt Nottebaum noch einmal das unakzeptable Angebot der Arbeitgeberseite ab. „Ich hoffe, dass die Arbeitgeber diese Signale verstehen. Das ist ja erst der Anfang. Sie haben die Chance, in zwei weiteren Tarifverhandlungen ein Angebot auf den Tisch zu legen, was auch als solches bezeichnet werden kann. Denn was sie bisher vorgelegt haben, ist ein Minusangebot. Rechnet man die Arbeitszeitverlängerung mit ein, würde es ein Minus von 3,75 Prozent für die Beschäftigten bedeuten.“
„Der OB müsste Euch eigentlich Dankschön sagen“
So, wie es im freien Wirtschaftsleben selbstverständlich ist, dass Qualität überall ihren Preis hat, sehen die Beschäftigten in den vielen sensiblen, bürgernahen Bereichen – in Kranken- und Altenpflege, bei Polizei und Feuerwehr – eine Gefährdung durch unqualifizierte Arbeit, die nicht
Wolfgang Uellenberg-van Dawen: „Wir
wollen keine Mogelpackung!“
hinnehm- bar sei. „Eure Arbeit verlangt Pro- fessionalität, Eure Arbeit verlangt Qualität, und die können diejenigen nicht bringen, die nicht die entsprech- ende Ausbildung haben. Daher hilft nur eines: gut ausgebildetes Personal, das gut bezahlt werden muss“, ermuntert der Kölner DGB- Vorsitzende Wolfgang Uellenberg van Dawen die mehrere hundert Warn- streikenden der Kindertagesstätten vor dem DGB-Haus. „Wer heute streikt, der streikt nicht gegen die Eltern... Aber wenn es Eltern gibt, die unter Kita nur verstehen: Kind morgens abgeben, Kind abends abholen, Klappe zu, wat interessiert uns dat, Hauptsache ist, die Öffnungszeiten stimmen, .. die haben nicht verstanden, was Ihr leistet. Und wenn die merken, dass Ihr mal nicht da seid, tut et denen ja mal janz jut. Aber diejenigen Väter und Mütter, die wissen, was Ihr leistet, die stehen an Eurer Seite, die wissen: Ihr streikt nicht nur für Euch, Ihr streikt für Eure Kinder in den Einrichtungen, Ihr streikt für die Eltern, Ihr streikt für das Allgemeinwohl, Ihr streikt für uns alle – und der Oberbürgermeister müsste Euch eigentlich Dankschön dafür sagen.“
Tag der Kitas, 21. Februar
„Darf es auch etwas mehr sein?“
Uellenberg erinnert an eine Sendung von Elke Heidenreich, die hieß: „Darf es auch etwas mehr sein?“ – „Jawohl,“ meint er, „liebe Kolleginnen und Kollegen, es darf auch etwas mehr sein auf dem Konto, als um nur leben zu können: Sichere Lebensverhältnisse, keine Befristungen, eine sichere Lebensperspek- tive und Geld, damit die Kinder auch human leben können.“ Das sei ja wohl ein Armutszeugnis einer der reichsten Städte des Landes, dass hier jedes vierte Kind von Sozialhilfe lebt und ohne Butterbrot in die Schule oder in den Kindergarten kommt.
Die Anfang der Woche in Potsdam wieder aufgenommenen Tarifverhandlungen unter Beteiligung des Kölner Gesamtpersonalratsvorsitzenden Friedel Giesen-Weirich haben gezeigt, dass die Beschäftigten für ihre besseren Argumente auch nächste Woche wieder mit Aktionen in die Öffentlichkeit gehen müssen. Schon am 21. Februar titelte das Kölner Unternehmerblatt Express mit „Streik-Chaos“. Am Tag darauf hatte ein pfiffiger ver.di-Youngster den Express-Kasten seiner Schlagzeile beraubt und den Spieß umgedreht: „Heute KVB-Streik“ hatte er auf sein T-Shirt getapt. „Schnell, schneller, Express.“ (PK)
Fotos: Arbeiterfotografie
Online-Flyer Nr. 135 vom 27.02.2008
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Lokales
Warnstreiks im öffentlichen Dienst mit über 60.000 Beschäftigten in NRW
„Ihr streikt für das Allgemeinwohl“
Von Anneliese Fikentscher
Die Stimmung ist gut. Stefan und Rolly Brings schmettern „...wenn mir all zesamme stonn!“ ins Mikrophon auf der Bühne vor dem Kölner Energiever- sorger Rheinenergie. „Das will mir gar nicht über die Lippen kommen, früher hieß das einfach Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke“, sagt der Rolly. Und so wie alle Dinge heute vor allem einen schönen Namen tragen, so lohnt es sich auch, das vermeintliche Tarifangebot der öffentlichen Arbeitgeber näher anzusehen. Unterm Strich heißt es dort: „Mehr Lohn für längere Arbeits- zeiten“. „Aber wir brauchen das genaue Gegenteil“, stellt Ronald Laubrock, Betriebsrat der Dortmunder Stadtwerke, klar.
Motto: „Stand up and fight!“
Christa Nottebaum: „Die jungen Leute
brauchen eine Perspektive“
Streik - ein grundgesetzlich verbrieftes Recht
Und so zeigt sich in der vergangenen Woche eine überwältigende Bereitschaft zur Teilnahme an Warnstreiks, angefangen mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen, den Leiterinnen und Leitern und allen Beschäftigten der städtischen Kindertagesstätten, über die Beschäftigten der Kommunalver- waltung, der Bäder, Bühnen und Theater, der Bundesagentur für Arbeit und der ARGE, Energiever- und -entsorgung, der städtischen Verkehrsbetriebe und der Telekommunikation. Christa Nottebaum ist begeistert von den tausenden Beschäftigten, die bereit sind, für ihre Interessen in einen Arbeits- kampf einzutreten. Insbesondere auf die Auszubildenden ist sie stolz: „Ich bin begeistert, dass sich die Auszubildenden in einer Jugend- und Auszubilden- denversammlung entschieden haben, heute dabei zu sein, denn es gab eine Ansage, dass eine Klausur geschrieben werden sollte. Die Auszubildenden haben aber klar gesagt: Es geht um unsere eigenen Interessen, es geht um die Übernahme nach der Ausbildung. Wir brauchen eine Perspektive im Beruf. Ich finde es sehr schön, dass eine große Anzahl junger Leute heute dabei ist und sich für ihre eigenen Interessen engagiert.“
Tag der Kitas, 21. Februar
„Alles wird teurer“ – aber ein minus 3,75 Prozent-Angebot
Wie bei den Auszubildenden und Pflegeschülern im Gesundheitswesen wogt es vor der Bühne der Rheinenergie in Grün, der Farbe der ver.di-Jugend- Organisation. „Stand up and fight“ ist einer der neuen Slogans, die vor allem die Jugendlichen verstehen. Die Kampagne ist öffentlichkeitswirksam pfiffig eingetütet. Denn, und das versteht jeder – nicht nur die Beteiligten in der Tarifauseinandersetzung: „Alles wird teurer“ – nur die Löhne und Gehälter sollen stagnieren und damit den vielen im öffentlichen Dienst Beschäftigten, die zudem vielfach mit Schicht- und Sonntag-, Wochenend- und Nacht- diensten belastet sind, immer größere Löcher in die Tasche reißen. „Alles wird teurer“, steht auf den bedruckten T-Shirts geschrieben, und: „Bundestag um 9,4%“. Das ist der Satz, um den die Volksvertreter ihre Diäten erhöhten. Aber auch Milch (25,7%), Butter (46,0%) und Benzin, das bald ohnehin nur aus der Super-Zapfsäule kommt, schlägt durchschnittlich mit 10,3% zu Buche.
„In erster Linie sind wir jetzt angetreten für eine ordentliche Gehaltserhöhung, Lohnerhöhung und Ausbildungsvergütungserhöhung. – Für die Beschäftigten ist eine Mehrbelastung nicht zumutbar. Auf der anderen Seite würde (durch Arbeitszeitverlängerung) ein weiteres Mal eine Stellenabbauschraube in Bewegung gesetzt, die absolut nicht akzeptabel ist. Es gibt schon heute zu viele befristet Beschäftigte“, wehrt Nottebaum noch einmal das unakzeptable Angebot der Arbeitgeberseite ab. „Ich hoffe, dass die Arbeitgeber diese Signale verstehen. Das ist ja erst der Anfang. Sie haben die Chance, in zwei weiteren Tarifverhandlungen ein Angebot auf den Tisch zu legen, was auch als solches bezeichnet werden kann. Denn was sie bisher vorgelegt haben, ist ein Minusangebot. Rechnet man die Arbeitszeitverlängerung mit ein, würde es ein Minus von 3,75 Prozent für die Beschäftigten bedeuten.“
„Der OB müsste Euch eigentlich Dankschön sagen“
So, wie es im freien Wirtschaftsleben selbstverständlich ist, dass Qualität überall ihren Preis hat, sehen die Beschäftigten in den vielen sensiblen, bürgernahen Bereichen – in Kranken- und Altenpflege, bei Polizei und Feuerwehr – eine Gefährdung durch unqualifizierte Arbeit, die nicht
Wolfgang Uellenberg-van Dawen: „Wir
wollen keine Mogelpackung!“
Tag der Kitas, 21. Februar
„Darf es auch etwas mehr sein?“
Uellenberg erinnert an eine Sendung von Elke Heidenreich, die hieß: „Darf es auch etwas mehr sein?“ – „Jawohl,“ meint er, „liebe Kolleginnen und Kollegen, es darf auch etwas mehr sein auf dem Konto, als um nur leben zu können: Sichere Lebensverhältnisse, keine Befristungen, eine sichere Lebensperspek- tive und Geld, damit die Kinder auch human leben können.“ Das sei ja wohl ein Armutszeugnis einer der reichsten Städte des Landes, dass hier jedes vierte Kind von Sozialhilfe lebt und ohne Butterbrot in die Schule oder in den Kindergarten kommt.
Die Anfang der Woche in Potsdam wieder aufgenommenen Tarifverhandlungen unter Beteiligung des Kölner Gesamtpersonalratsvorsitzenden Friedel Giesen-Weirich haben gezeigt, dass die Beschäftigten für ihre besseren Argumente auch nächste Woche wieder mit Aktionen in die Öffentlichkeit gehen müssen. Schon am 21. Februar titelte das Kölner Unternehmerblatt Express mit „Streik-Chaos“. Am Tag darauf hatte ein pfiffiger ver.di-Youngster den Express-Kasten seiner Schlagzeile beraubt und den Spieß umgedreht: „Heute KVB-Streik“ hatte er auf sein T-Shirt getapt. „Schnell, schneller, Express.“ (PK)
Fotos: Arbeiterfotografie
Online-Flyer Nr. 135 vom 27.02.2008
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