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Sport
Deutsche Wirtschaft erleichtert über Abflauen der Tibet-Kampagne
Olympia in Beijing
Von Hans Georg

Wenige Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele registrieren deutsche Wirtschaftskreise mit Erleichterung ein Abflauen der antichinesischen Tibet-Kampagne. Die Ressentiments, die im Frühjahr in Deutschland entfesselt worden seien, hätten die deutschen China-Geschäfte ernstlich gefährden können, heißt es in Unternehmensverbänden. Nun liegen erneut aktuelle Rekord-Ergebnisse vor, Einbrüche drohen allenfalls wegen Umweltschutzmaßnahmen der chinesischen Regierung.

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Quelle: NRhZ-Archiv

Während der frühere deutsche Kanzler Gerhard Schröder dafür plädiert, den deutschen Einfluss in der Volksrepublik durch die Einbindung Beijings auszuweiten, fordern transatlantische Kreise weiterhin eine stärkere Konfrontation. Hintergrund ist der rasante Aufstieg Chinas, dessen gewaltiges ökonomisches Potenzial bei ihnen Zweifel am Erfolg der Einbindungsstrategie weckt. Staatsfinanzierte Vorfeldorganisationen stützen dazu passend eine anhaltend antichinesische Stimmung in der Bevölkerung - unter Rückgriff auf die Tibet-Thematik. Auch die evangelische Kirche schließt sich dem an: Kirchenfunktionäre legen deutschen Sportlern nahe, Pressekonferenzen während der Olympiade zu medienwirksamen Bekenntnissen gegen die chinesische Politik zu nutzen.
 
Exportmarkt
 
Die inzwischen abgeflaute exzessive antichinesische Tibet-Kampagne, die von staatsfinanzierten Stiftungen unterstützt und von westlichen Medien mit Fälschungen aufgeheizt worden war (siehe z.B. „Deutschland Dalai-Land in NRhZ 148 bis 151 und gfp.com [1]) hatte spontane Proteste unter der chinesischen Bevölkerung sowie unter im Ausland lebenden Chinesen hervorgerufen. Auch die chinesische Regierung zog zeitweise Gegenmaßnahmen in Betracht. Dies hatte bei deutschen Unternehmern ernste Besorgnis ausgelöst. Die Volksrepublik ist schon seit Jahren ihr mit Abstand wichtigster außereuropäischer Exportmarkt nach den USA, aber auch Standort bedeutender deutscher Investitionen (Volumen: 15 Milliarden US-Dollar bis Ende 2007). Einbußen wiegen wegen der wachsenden Bedeutung der chinesischen Wirtschaft schwer. Zwar wird das Wirtschaftswachstum Chinas in diesem Jahr wohl auf knapp zehn Prozent fallen. Das ostasiatische Land dürfte dennoch 2008 oder spätestens 2009 Deutschland vom dritten Platz auf der globalen Rangliste des nationalen Bruttoinlandsprodukts verdrängen - und seinen Aufstieg weiter fortsetzen.
 
Spitzenwert
 
Tatsächlich flaute die Tibet-Kampagne nach massiven Interventionen der Wirtschaft [2] rechtzeitig ab, bevor es zu den befürchteten Einbrüchen kam. Die deutschen Exporte in die Volksrepublik nahmen in den ersten fünf Monaten des Jahres sogar stark um 35,1 Prozent zu. Damit stellten deutsche Lieferanten 4,8 Prozent der gesamten Importe Chinas. „Im asiatischen Vergleich ist dies ein Spitzenwert“, heißt es bei der Bundesagentur für Außenwirtschaft.[3] Neue Geschäfte stehen bereits in Aussicht.


„Deutschland und China - gemeinsam in Bewegung" in Chongqing
Quelle: german.china.org.cn


Der Ostasiatische Verein, ein Außenwirtschaftsverband, berichtet von einer „konstruktiven chinesisch-deutschen Stimmung“ auf einer PR-Veranstaltung der deutschen Industrie Mitte Mai in der zentralchinesischen Boom-Metropole Chongqing. Dort werden in nächster Zeit dreistellige Milliardensummen in die Infrastruktur investiert. Man hoffe jetzt auf „eine Sympathiewelle für China“ in Deutschland, die „manches Ressentiment der vergangenen Wochen wieder in einen ausbalancierten Kontext bringt“, schreibt der Ostasiatische Verein, der zur Sicherung deutscher Firmenaufträge neue antichinesische Kampagnen zu verhindern sucht.[4]
 
Luftverschmutzer
 
Kurzfristige Verluste drohen deutschen Unternehmen zurzeit allenfalls wegen Umweltschutzmaßnahmen der chinesischen Regierung. Beijing hat, um die Schadstoff-Emissionen zu verringern und den Smog zu bekämpfen, mehr als 80 Industriebetriebe in der Nähe der Hauptstadt für die Zeit vom 15. Juli bis Ende September zur Einstellung ihrer Produktion veranlasst. Darunter befanden sich fünf deutsche Unternehmen. Nach Intervention Berlins erhielten vier von ihnen jetzt Ausnahmegenehmigungen und dürfen - im Unterschied zu ihren chinesischen Konkurrenten - ihre Tätigkeit trotz Luftverschmutzung fortsetzen.[5]
 
Entree für Unternehmen
 
Neben diplomatischer Hilfe wird die Bundesregierung die China-Geschäfte deutscher Firmen auch weiterhin mit Geldern aus dem "Entwicklungs"-Etat unterstützen. Zwar hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) im Frühjahr die Gespräche mit Beijing wegen der Unruhen in Tibet unterbrochen. Doch werden die Verhandlungen voraussichtlich im Herbst wieder aufgenommen. Dass der "Rechtsstaatsdialog" zur Verbesserung der juristischen Rahmenbedingungen fortgeführt wird, hat das BMZ der Wirtschaft bereits signalisiert. Mit "Entwicklungs"-Geldern könne man nicht nur politischen Einfluss gewinnen, heißt es bei der SPD; man schaffe „damit auch ein Entree für deutsche Unternehmen“.[6] Deutschland ist - nach Japan - in China der zweitgrößte Zahler sogenannter Entwicklungshilfe.
 
„Den größten Einfluss“
 
Für eine Fortsetzung der Strategie, mit Beijing zu kooperieren und auf diese Weise die deutsche Stellung in der Volksrepublik zu stärken, plädiert der ehemalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder. „Deutschland könnte von allen europäischen Staaten den größten Einfluss in China haben“, schrieb der Sozialdemokrat in einem in der Zeit veröffentlichten Namensbeitrag.[7] Dafür sei allerdings „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ vonnöten. Schröders Plädoyer, die aufstrebende Volksrepublik durch ihre Einbindung unter Kontrolle zu halten, bleibt in Berlin nicht unwidersprochen. Vor allem transatlantische Kreise verlangen weiterhin eine schärfere Konfrontationspolitik gegenüber Beijing, dessen enormes ökonomisches Potenzial Zweifel am Erfolg der Einbindungs-Strategie weckt. Zu den Mitteln, mit denen China unter Druck gesetzt werden soll, gehört nach wie vor die Unterstützung tibetischer Sezessionisten. Sie wird begleitet vom Schüren einer antichinesischen Stimmung in der deutschen Bevölkerung wie durch die ARD-„Dokumentation“ über Doping in China vom 21. Juli.
 
Boykott
 
Dabei arbeitet Berlin auf mehreren Ebenen. Seit dem Deutschland-Besuch des Dalai Lama im Mai ist die Unterstützung für ihn wieder in die zweite Reihe gerückt; weder Bundeskanzlerin noch Bundespräsident standen dem "Gottkönig" für ein Gespräch zur Verfügung.[8] Staatsfinanzierte Vorfeldorganisationen der deutschen Außenpolitik arbeiten jedoch unverändert den tibetischen Exilpolitikern zu, insbesondere die Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP) und die Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen). Zwar wird der Bundesinnenminister die Olympischen Spiele besuchen, doch hat der Präsident des Europaparlaments - ein Parteikollege - symbolträchtig angekündigt, die Eröffnungsveranstaltung der Olympiade zu boykottieren. Große Wirkung wird von seinem Boykott allerdings nicht erwartet - er war überhaupt nicht eingeladen.[9]
 
Protest-Armbänder
 
Die antichinesische Stimmung in der deutschen Bevölkerung, die besonders seit der Tibet-Kampagne im Frühjahr deutlich zugenommen hat, wird inzwischen von zahlreichen Organisationen geschürt, darunter auch die evangelische Kirche. Wie Landesbischöfin Margot Käßmann berichtet, sind bei der Hannoverschen Kirche inzwischen mehr als 200.000 sogenannte Protest-Armbänder bestellt worden. Darauf abgedruckt ist ein Bibelzitat, das Empörung über die Verletzung von Menschenrechten durch China ausdrücken soll.[10] Ähnliche Proteste der evangelischen Kirche gegen westliche Kriegsverbrechen in Afghanistan oder gegen die stillschweigende Duldung von CIA-Verschleppungen und Folter seitens der Bundesregierung sind nicht bekannt. Der "Sportbeauftragte" der Evangelischen Kirche in Deutschland, Valentin Schmidt, weist darauf hin, dass die "Protest-Armbänder" zwar an olympischen Stätten in Beijing nicht getragen werden dürfen. Davon betroffen sei aber nicht das "Deutsche Haus", in dem ARD und ZDF ihre Studios einrichteten. Bei den dortigen Pressekonferenzen, erklärt Schmidt, dürften die Athleten durchaus "ihre eigene Meinung äußern" - eine kaum verhohlene Aufforderung zu Stellungnahmen gegen die Volksrepublik.[11]
 
Doppelstrategie
 
Die auf den ersten Blick widersprüchlichen Tendenzen in Berlin - Wirtschaftskooperation einerseits, auf der anderen Seite antichinesische Kampagnen - ähneln zusammengenommen der Doppelstrategie, die zur Zeit des Systemkonflikts gegen die realsozialistischen Staaten angewandt wurde. Während deutsche Unternehmen seit dem legendären "Erdgas-Röhren-Geschäft" immer enger mit den Ländern Osteuropas kooperierten, verschärfte der Westen - damals vor allem mit der Hochrüstung der 1980er Jahre - die Konfrontation, bis der östliche Gegner letztendlich kollabierte. Trotz aller Unterschiede zum damaligen Konflikt zeigt das heutige westliche Vorgehen eine Vielzahl von Ähnlichkeiten, die auf ein identisches Ziel verweisen: Wie damals geht es auch jetzt darum, eine konkurrierende Großmacht niederzuringen. (PK)

 
[1] s. dazu Die Fackellauf-Kampagne, Operationen gegen China, Besonders manipulativ und à la Südtirol
[2] s. dazu Flexiblere Strategien und Jederzeit mobilisierbar
[3] Außenhandel der VR China weiter dynamisch; www.bfai.de 14.07.2008
[4] China bewegt; OAV-Report 6/2008
[5] Deutsche Firmen dürfen weiter produzieren; Süddeutsche Zeitung 16.07.2008
[6] Deutschland ist Chinas zweitgrößter Geldgeber; Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.07.2008
[7] "Wir sollten dem Land Respekt zollen"; Die Zeit 17.07.2008
[8] s. dazu Jederzeit mobilisierbar
[9] EU-Parlamentspräsident in der Schusslinie; Der Westen 11.07.2008
[10], [11] Olympia-Protest: Mehr als 200.000 Armbänder bestellt; epd 16.07.2008

Online-Flyer Nr. 157  vom 30.07.2008

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