Filmclips
Gefeuert nach 31 Jahren
Von Hans-Dieter Hey
Massenhaft erreichten Emmely Postkarten und Unterschriftaktionen, viele Gewerkschafter stellten sich hinter sie. Denn durch die Gruppe Kaiser’s Tengelmann bekam sie eine „Verdachtskündigung“ wegen angeblich nicht korrekt eingelöster Pfandbons. Und das nach so vielen Jahren, in denen sie sich für ihren Arbeitgeber bis zum Letzten eingesetzt hatte. Das durchzuhalten schafft heute kaum noch jemand, weil die durchschnittliche Verweildauer in Betrieben inzwischen unter fünf Jahren liegt. Im Einzelhandel sind feste Jobs ohnehin die absolute Ausnahme. Während Emmely das Glück hatte, fest angestellt zu sein, landen die meisten KollegInnen nur in prekären Jobs, Teilzeit oder befristeten Tätigkeiten.
Der Vorfall erinnert an die Mitarbeiterin eines Restaurants einer bekannten Kaufhauskette, die nach Feierabend ein Stück Kuchen aus der Vitrine aß, das ohnehin hätte weggeworfen werden müssen. Sie flog damals fristlos raus – bestätigt durch das Bundesarbeitsgericht. Dieses Urteil ist nun 24 Jahre alt. Und obwohl Landesgerichte inzwischen diese überholte und altertümlich anmutende Rechtsprechung „von oberen Gnaden“ als längst überholt durchbrechen wollten, kassiert das Bundesarbeitsgericht deren Urteile regelmäßig wieder ein.
Der Kündigungsfall von Emmely erlaubt einen Blick in die Abgründe von Macht und Unterwerfung in dieser Gesellschaft, die zunehmend ihre sozialen und demokratischen Elemente zu verlieren droht. Inzwischen hat Deutschland auch eine neue Richtergeneration. Doch offenbar mangelt es diesen nach oben strebenden Neulingen an menschlicher Erfahrung und Reife, um eine faire Abwägung der Interessen vorzunehmen. Im Fall von Emmely hätte der junge Richter Schleusener durchaus zu ihren Gunsten sprechen können. Doch, so ihr Anwalt Benedikt Hopmann gegenüber der NRhZ, „der Richter ist regelrecht vernagelt gewesen.“
Richter sind in der Auswahl der Beweise frei. Und so kann es dann dazu kommen, dass gelegentlich die Auswahl der Beweise und deren Abwägung nicht zum erhofften Ergebnis für die Beschuldigten führt. So auch im Fall von Emmely. Bei ihr gab es nicht einmal die Überführung einer Straftat, sondern lediglich einen Verdacht, der sich bis zum Schluss nicht erhärten ließ. Vor allem mutet es merkwürdig an, dass der Richter Emmely entgegenkommen wäre, wenn sie die Tat, die sie nach wie vor bestreitet und die ihr nicht nachgewiesen werden kann, als „schlimm“ bezeichnet hätte. Das klingt nach Mittelalter: Wenn jemand unter entsprechendem Druck eine Tat gesteht, wird ihm Erleichterung zuteil, auch wenn er sie nicht begangen hat.
Doch wir sind nicht mehr im Mittelalter, sondern haben es mit der aktuellen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte zu tun. Dass die Menschen mit ihren Anliegen in der Arbeits- und Sozialrechtsprechung immer seltener bis zu den oberen Instanzen durchdringen können, erklärt das tiefe Misstrauen in den Rechtsstaat, das viele inzwischen spüren. Aber Emmely gibt nicht auf, der nächste Verhandlungstermin vor dem Landesarbeitsgericht wird voraussichtlich im Januar sein. Vielleicht werden dort ähnlich viele Menschen ihre Solidarität bekunden wie jetzt beim Kammertermin des Arbeitsgerichts. Dort erschienen ungefähr hundert UnterstützerInnen.
Vielleicht gibt es für Emmely dramatische Geschichte auch noch einen ganz anderen Hintergrund. Ihre Kündigung erfolgte nämlich ausgerechnet in der Zeit, als die Gewerkschaft ver.di eine tarifliche Auseinandersetzung und Streiks im Einzelhandel führte, an denen sie sich aktiv beteiligte. Und das passte möglicherweise einigen aus der Chefetage nicht. Emmely hatte nämlich trotz Einschüchterungsversuchen der District-Managerin von Kaiser’s weitergestreikt. Nach Meinung der Soziologin Gisela Notz, hat „die Geschäftsleitung ihr meiner Meinung nach die Sache mit den Pfandbons untergeschoben, um sie loszuwerden“, so in der taz vom 18. August. Doch ihre Geschichte mag Emmely im aktuellen Filmclip von KanalB, Berlin selbst erzählen. (HDH)
Unser Foto stammt von gesichter zei(ch/g)en
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