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Medien
Kein Riesenkaninchen fraß Britney Spears
Astrologen-Debakel – auch 2008
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

„Deutschland wird gestärkt aus diesem Reformprozess hervorgehen“, verkündete Bundespräsident Köhler beim Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps im Hinblick auf die Finanz- und Wirtschaftkrise. Ob der im besetzten Polen geborene Bauernsohn diese optimistische Vorhersage 20 Jahren Erfahrung in der Bankenwelt und in der Finanz- und Währungspolitik verdankt oder in den Sternen gelesen hat, sagte er nicht, wusste sich darin aber einig mit Angela Merkels Motto für 2009: „Wir wollen die Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise nicht einfach überstehen. Wir wollen stärker aus ihr herausgehen, als wir hineingekommen sind.“ Wahrsagern aus der Welt der Astrologie ist der folgende Artikel gewidmet. – Die Redaktion
Plejaden
Die Plejaden – Nymphen der griechischen Mythologie – spielen in der Astrologie kaum eine Rolle | Quelle: www.sternwarte-singen.de

"Lebendige Astrologie" - diese Selbstbenennung einer sterndeuterischen Website ließe sich im Hinblick auf die gesamte "Fakultät" der magischen Horoskopie, die freilich längst aus den Universitäten verbannt ist, auch umdeuten: Obsoleter Aberglauben, der nicht aussterben will.

Das trotzige Bekenntnis des Kirchenvaters Tertullian: Credo quia absurdum - ich glaube nicht obwohl, sondern weil es unsinnig ist -, umschreibt, was der psychologische Motor jeglicher Obskuranz ist, von der offiziellen Religion bis zum krudesten Okkultismus.
 
Überleber aller Aufklärung
 
Unverwüstlich, wie sie daher ist, wird auch der geschäftsmäßigen Astrologie sicher noch in Generationen das Überleben sicher sein. Daß sich erwartungsgemäß auch die Jahresprophetien der führenden Astrologen und Wahrsager für 2008, ebenso wie die aller Vorjahre, entweder als sinn-los oder sinn-widrig herausstellen, wird an der hartnäckigen Vitalität dieses spiritistischen Tingeltangels nicht viel ändern. Für solche Voraussicht bedarf es keiner höheren Eingebung, sondern nur der skeptischen Einsicht in die offenbar eng begrenzte Wirkmöglichkeit aller Aufklärung. Die scheint heute nicht nur im Kampf gegen traditionelle Hirnvernebelung, sondern vor allem angesichts des konzentrierten Angriffs postmoderner Medienverblödung auf prekärem Posten zu stehen. So können von der "lebendigen Astrologie" nach vorsichtigen Schätzungen etwa 2.000 hauptberufliche HoroskopistInnen mehr oder minder auskömmlich leben. Spitzenverdiener des Gewerbes begnügen sich allerdings nicht damit, Privatpersonen auf Anfrage "wissenschaftliche" Horoskope zu stellen, sondern entfalten eine nach allen Regeln der Vermarktung organisierte Medien- und Verkaufspräsenz. Nicht nur die Massenpresse und das kommerzielle Boulevardfernsehen gehen eine auflagen- und quotenoptimierende Geschäftsverbindung mit der Astro-Phantasterei ein, auch die angeblich seriöse bürgerliche Tagespresse mag überwiegend auf die Horoskopecke nicht verzichten.
 
Michael Kunkels Wahrsager-TÜV
 
Dabei dürften die Prognosen namentlich der geschäftstüchtigsten Astralschwadroneure und -schwadroneusen eigentlich nur auf der Humorseite Platz finden. Am besten läßt sich die Nichtsnutzigkeit jedweder astrologischer Prognose anhand der "Jahresvoraussagen" nachprüfen, die ihrem regelmäßigen Reinfall zum Trotz insbesondere von den "prominentesten" VertreterInnen der besternten Zunft unerschütterlich ausgegeben werden. Nun, wiederum am Ende eines Jahres, schlägt mit der Ritualhaftigkeit einer Jahresinventur die Stunde der Abrechnung. Dieser Aufgabe widmet sich seit eh und je, sozusagen als Rechnungshof der Obskuranz, die Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), personifiziert durch den Wuppertaler Mathematiker Michael Kunkel. Dessen "Bilanzprüfung" übersinnlicher und insbesondere astrologischer Prophetieleistungen für das Jahr 2007 durften wir zur letzten Jahreswende schon an dieser Stelle präsentieren (s. "Totalcrash der Sternendeuter", NRhZ 128/129, vom 9. und 16. 1. 2008). Diesmal, so müssen wir gleich vorab feststellen, ist der Weissage-Ertrag noch kläglicher als im Vorjahr.
 
Fehlanzeige Finanzkrise
 
Insbesondere scheinen weder die Sterne noch sonst irgendwelche überirdischen Visionsinstanzen irgendeine "connection" zur Realwelt der Börse und des Finanzkapitals zu haben. Die sogenannte Finanzkrise nämlich, diesen weltumspannenden brutalsten Rückschlag des Kapitalismus gegen die soziale Existenz Hunderter Millionen Menschen auf diesem Planeten, sah keine(r) der professionellen AstrohalluzinantInnen und Wahr-SchwaflerInnen voraus.
 
Einspruch!, rufen dagegen vielleicht mindestens die zwei Profi-Propheten Hennig P. Schäfer („Der DAX fällt im zweiten Halbjahr stark“) und namentlich Börsenastrologe Karsten Kröncke. Dieser hatte immerhin ein „Einbrechen des DAX im Januar“ angekündigt. Doch eben jener, so die GWUP-Jahresauswertung, "aus den Sternen gelesene" Treffer dürfte wohl eher ein rein verbaler, prognostisch völlig unverbindlicher Zufallshit gewesen sein. Denn die "wesentlich stärkeren Einbrüche im Jahresverlauf", wie die GWUP recht zurückhaltend formuliert, tauchen auch in Krönckes Annualprognose nicht auf. Und Schäfers allgemein-diffuse Prognostik, die im übrigen auch auf Lektüre halbwegs informierter Wirtschaftspresse basieren könnte, erscheint im Vergleich zur Dimension der "Finanzkrise" völlig substanzlos. Den Vogel, was den DAX betrifft, schoß freilich der Astro-Super-Star Winfried Noe ab: "2008 wird ein stabiles Börsenjahr, der DAX steigt bis Jahresende um fünf bis neun Prozent". War es ein Kapitalismus-Gesundbeter-Stern, der dem Himmelsschauer derartige Finanz-Luftschlösser vorgaukelte? Oder im Gegenteil vielleicht irgendein rotes Gestirn in antikapitalistischer Satire-Hinterlist?
 
Im Bund mit Himmelsmächten: Katastrophen-Rosalinde
 
Was das Thema des Jahres, den Kapital-Crash, angeht, lautet die Bilanz also: Vollkommene Pleite der Wahrsager-Branche. Das, obwohl, so Astro-Kritiker Kunkel, das Genre der Katastrophen-Prophetie seit eh und je einen "absolute(n) Klassiker" des Sterntaler-Business darstellt. Mit der Apokalypse stehen die Künder des Ungewissen ja auch auf der garantiert sicheren Seite, wie Michael Kunkel erläutert:
 
„Jedes Jahr sorgt der Monsun für Hochwasser in Indien und Bangladesh, Japan liegt bekanntlich in einer Region, in der die Erde sehr häufig bebt, und in Kalifornien gibt es alljährlich Waldbrände. Solches für das kommende Jahr vorherzusagen, ist so sinnvoll wie die Prophezeiung einer drohenden Dunkelheit in den Abendstunden.“
 
Geradezu in Katastrophen zu baden scheint beispielsweise die österreichische Astrologin Rosalinde Haller. „Deutschland: Stürme, Hochwasser; Indonesien: Erd/Seebeben; Japan, Chile, Los Angeles, San Francisco: Erdbeben; Südchinesischer Bereich, Indien, Bangladesch, Tansania: Hochwasser; Thailand, Malaysia/Sumatra: Tsunamigefahr.“ Grell und doch im Sinne der Kunkelschen Analyse letztlich sinnfrei.
 
Prognosen für imaginäre Welten
 
Stattdessen erschauten und erahnten die übersinnlichen Zukunftsseher lauter Ereignisse, die überhaupt nicht stattfanden - es sei denn, in irgendwelchen Paralleluniversen. Nicht anders, und vor allem nicht besser, als die vielen Millionen Fußball-"Experten" an deutschen Redaktionsschreib- und sonstigen Stammtischen prophezeiten sie frohgemut den Pokalgewinn von mindestens sechs Nationalelfen (Italien, Deutschland, Frankreich, Türkei...) bei der Fußball-EM. Wahrscheinlich je nach Geschmack der erkenntnisleitenden Sterne und wohl auch Auswertung der Sportpresse. Jedes Astro-Paralleluniversum hat ja auch Anspruch auf je einen eigenen Pokalgewinner.
 
Über solch verzeihliche Eigentore wollen wir freilich nur schmunzeln, können wir sie doch wackeren, aber eher ballfernen Astro-Prominenten wie Hans-Jürgen Butz, Monika Geiger, Rosalinde Haller und Sofia Sahir nicht strenger ankreiden als den "richtigen" Bolzologen wie etwa den kopfballbenommenen Sportredaktionen von Express und Bildzeitung. Sieger übrigens, falls schon vergessen: Spanien.
 
Irgendwelche scherzhaft aufgelegte Sternschnuppen gaukelten der Seherin Nikki Pezaro wie gewohnt ein paar besondere Skurrilitäten vor. Doch die Entdeckung eines "Riesenkaninchens" in der englischen Grafschaft Surrey blieb ebenso aus wie die Wahl eines Transvestiten zur Miss America. Da müssen die transzendenten Funkstationen wohl irgendetwas Mißverständliches übermittelt haben. Die Wahl eines Afroamerikaners zum US-Präsidenten sah Frau Pezaro jedenfalls ebenso wenig voraus wie der Rest ihrer übersinnlich begabten KollegInnen. Immerhin haben die meisten Astrologen das Resultat der US-Präsidentenwahl inzwischen schon zur Kenntnis genommen. Für 2009 prophezeiht denn auch Frau Brigitte Hamann auf "astrophoenix.de" seherisch-kühn: "Barack Obamas Motto 'Change' wird sich in vielfacher Hinsicht bewahrheiten." Immerhin gut nachgeplappert aus irgendeiner Mainstream-Kommentarspalte.
 
Promis widersetzen sich Promi-Astrologen
 
Doch damit läßt sich nicht mehr vertuschen, daß Obama den meisten Stern- und HellseherInnen entgangen ist, bis er nicht nur in den Sternen stand. Überhaupt richten sich namentlich die sogenannten Promis, mit denen die horoskopvermarktende Boulevardpresse einen weiteren Hauptbatzen ihrer Auflagen und Quoten erzielt, unverschämterweise höchst selten nach den Zukunftsanweisungen der Astro-Gurus und -Gurutesken.
 
Mit Rücksicht auf die Boulevard-Aversion der anspruchsvollen NRhZ-LeserInnen beschränken wir uns hier auf drei prägnante Versager. Agelina Jolie und Brad Pitt trennten sich, der Astro-Fürstin Elizabeth Tessier frech zum Hohne, nicht. Paul McCartney verweigerte der erwähnten Nikki Pezaro den Befehl und ging keine neue Ehe ein. Und das ausgediente Sangessternchen Britney Spears mochte trotz streng wissenschaftlicher Instruktion seitens des Promi-Astrologen Antonio Vazquez Alba nicht suizidal Hand an sich legen. Und da es doch nicht entdeckt ward, kann ihr nicht einmal Nikki Pezaros monströses "Riesenkaninchen" den Garaus machen. Daß auch die diversen Voraussagen eines Attentats auf den US-Präsidenten nicht von Erfolg gekrönt wurden, sei hier, geradezu als routinemäßiger running gag, nur ohne weitere Bewertung erwähnt.
 
"Spielzeugmodelle" realer Bedrohung
 
In Erklärungsnöte geraten die Astro- und Wahrsage-GauklerInnen trotz ihrer notorischen Selbstwiderlegung gleichwohl kaum. Ist doch ihr nebulöses Geschwafel genau auf das eskapistische Betäubungsbedürfnis unterschiedlichster Abnehmerkreise ausgerichtet, das sie mit ihrer Fabulierkunst bedienen. Auf Inhalte kommt es gar nicht an, sondern nur auf die vorgetäuschte Aura magischer Inschutznahme durch irgendwelche höheren Wirkmächte. Anders als kirchenamtliche KritikerInnen von Astrologie, Wahrsagerei und sonstigen Okkult-Umtrieben meint der Autor die Ursache für solche Bedürfnisse allerdings weniger in einer menschlichen Grundkonstitution zu sehen, der durch verstärkte Religiosität Rechnung zu tragen sei, sondern weit eher in der angsteinflößenden Qualität der herrschenden Verhältnisse. Die jedoch läßt sich nicht durch postmodernen Pseudo-Schamanismus austreiben, sondern nur rational bewußt durch politischen Widerstand bekämpfen. Unter solchem Aspekt erscheinen Ankündigungen in Weihnachts- und Neujahrsansprachen irgendwelcher MachtprotagonistInnen weitaus bedrohlicher als die düsterste astrologische Prognose. Die Astro-Spintisierer können nur "vorhersagen", was meist ohnehin nicht eintrifft. Eine Bundeskanzlerin etwa aber könnte aus, offenen oder versteckten, "Voraussagen" Wirklichkeit machen.
 
Sollte also Angela Merkel von weiteren "Reformen", zu Deutsch: Grundrechtsabbau und Sozialdemontage, raunen oder die Fortsetzung internationaler Kriegsunternehmen ankündigen, dann sind das keine vagen Prognosen mehr, sondern eher schon ernstzunehmende Drohungen. Jedenfalls einer oft zitierten, aber gerade wieder dringlich aktuellen Erkenntnis aus Adornos "Thesen gegen den Okkultismus" zufolge: „Jene kleinen Weisen, die vor der Kristallkugel ihre Klienten terrorisieren, sind Spielzeugmodelle der großen, die das Schicksal der Menschheit in Händen halten.“ (PK)
 
Weitere Informationen bei: www.wahrsagercheck.de (Michael Kunkel), www.gwup.org (Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften - GWUP)
 
„Ein Experte ist ein Mann, der hinterher genau sagen kann, warum seine Prognose nicht gestimmt hat." (Winston Churchill, zitiert bei Michael Kunkel)

Online-Flyer Nr. 179  vom 07.01.2009

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