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Lokales
OLG Köln entscheidet sich für Freiheit auch zu fragwürdigen Meinungen
Broder siegt – vorerst – im „Antisemitismus-Streit“
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

„Jeder kölsche Jeck mit zwei Promille im Blut würde sogar an Weiberfastnacht erkennen, dass Frau EHG eine hysterische, geltungsbedürftige Hausfrau ist, die für niemanden spricht außer für sich selbst und dabei auch nur Unsinn von sich gibt. Ihre Spezialität sind antisemitisch-antizionistische Statements, die zur Zeit mal wieder eine kurze Konjunktur haben“. Unter anderem um diesen Satz auf der Internetseite „Die Achse des Guten“ ging es am Dienstag vor dem Kölner Oberlandesgericht. Unser Kollege war dabei und hat über das Urteil nachgedacht. – Die Redaktion

Henryk M. Broder
Henryk M. Broder | Quelle: NTV

Unter dem Aspekt der Reichweite grundgesetzlich garantierter Meinungsfreiheit gesteht der 15. Zivilsenat des OLG dem Verfügungsbeklagten Henryk M. Broder zu, die Klägerin Evelyn Hecht-Galinski „antisemitischer Statements" zu zeihen. Vorausgesetzt allerdings, dieser pauschalierende Anwurf erfolge nicht als ausschließlich persönlich abzielende „Schmähung", sondern im „sachlichen Bezug zu der Diskussion über die Regierungspolitik Israels", also gegen die Kritik von Frau Hecht-Galinski an den derzeitigen militärischen Maßnahmen der israelischen Regierung. Dabei ließ das OLG durchaus erkennen, daß es diese gegen jede Kritik an israelischen Militärschlägen gerichtete Wertung Broders für „überzogen bis ausfällig", mithin von der Sache her unangemessen, hält. Von der verfassungsmäßigen „Zulässigkeit der freien Rede" in einer „die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage" her sah der Senat aber wohl keine alternative Urteilsmöglichkeit. - Das entgegenstehende Urteil des Landgerichts vom 3. September 2008 ist damit aufgehoben. 

Damit aber hebt sich überhaupt erst der Vorhang für den zweiten Akt des Prozeßdramoletts.  Denn am 18. Februar 2009 wird nach dem heutigen Abschluß des "Verfügungsverfahrens" das "Hauptsacheverfahren" beginnen. Anzunehmen ist, daß die ineinander verbissenen Streitparteien auch hier die Instanzen ausschöpfen werden. Eine irgendwie rationale Einigung der beiden Parteien ist jedenfalls nicht in Sicht. Aufgrund deren Einigungsunfähigkeit war der 15. Zivilsenat denn auch gegen seine ursprüngliche Absicht eines gütlichen Vergleichs (s. NRhZ Flyer Nr. 175 vom 3. 12. 2008: „Ist Israel-Kritik Antisemitismus") zu dieser  Beschlußverkündigung  gezwungen.

cartoon lurusa-gross
Cartoon: Lurusa Gross | Quelle: www.lurusa-gross.com

Der Vorsitzende und seine zwei Beisitzerinnen konnten mit dieser schwierigen Aufgabe am Dreikönigstag natürlich nicht mit den drei Weisen aus dem Morgenlande konkurrieren und es allen recht machen. Doch haben sie sich an ihrer kaum lösbaren Aufgabe immerhin redlich abgearbeitet. Nicht anders als fatal konnte das Ergebnis jeglicher Judikatur in diesem Falle gleichwohl nicht sein: Entweder ein Spruch, der die über Herrn Broder hinaus grundlegend verteidigenswerte Meinungsfreiheit beschränkt, oder der nun gefällte, der der Pauschalverrufung jeglicher Kritik an israelischen Bombardierungen als "antisemitisch" keinen wirklichen Einhalt gebieten konnte. Wer sich diesem Verruf entziehen will, der im politischen Diskurs schlicht das Aus bedeuten könnte, darf Herrn Broder besser nicht wídersprechen, wenn er etwa in einem Interview mit der Bildzeitung bekundet, „daß die Armee sich größte Mühe gibt, zivile Opfer zu vermeiden" und die Militärschläge ansonsten ohne Einschränkung gutheißt. Wer anderes meint, kann ab heute rechtlich noch risikoloser als bislang schon mit dem Stempel "antisemitischer Gesinnung" stigmatisiert werden. Das genau nämlich sah das Oberlandesgericht in den Ausfällen Broders gegen Hecht-Galinski verwirklicht, und auch beabsichtigt, nämlich „daß Frau Hecht-Galinski eine antisemitische Geisteshaltung unterstellt werden solle". Das hatte Broder im Verfahren im eigenen Rechtsinteresse bestritten und behauptet, seine Wertung beziehe sich nur auf die Kritik seiner Kontrahentin an der Politik Israels und meine nicht sie als Person im engeren Sinne. Dennoch: Im vorliegenden öffentlichen Meinungsstreit sei der Redefreiheit Broders der Vorrang vor dem Persönlichkeitsrecht der Klägerin einzuräumen.
 
Archimedischer Ausgleichspunkt

Um allfällig beliebten Verschwörungstheorien jedoch sogleich vorzubeugen: Der 15. Senat urteilte keinesfalls unter der Kuratel irgendeiner politischen "Anweisung". Insbesondere hatte er auch nicht zu bewerten, was er jenseits rechtlicher Abwägung berechtigter Interessen hinaus inhaltlich von den Streitpositionen Evelyn Hecht-Galinskis und namentlich Henryk M. Broders hält. Kaum eine Rechts-Balance ist in sich prekärer als die zwischen grundgesetzlich garantierter Meinungsfreiheit im öffentlichen Meinungsstreit und dem in diesem Verfahren einzig alternativ zur Debatte stehenden Persönlichkeitsrecht. Hier mußte das Gericht nun eben einen archimedischen Ausgleichspunkt finden, um die Meinungsfreiheit - die auch die Freiheit zu fragwürdigen Meinungen beinhaltet - zu garantieren, einen Umschlag in pure "Diffamierung der Person" aber irgendwie doch zu verhindern.

Ob das rein rechtstechnisch heute gelungen ist, mag dahinstehen. Als praktisches Resultat ist freilich jedenfalls zu erwarten, daß die Verrufung jeder noch so moderaten Kritik an der Politik der Regierung Olmert als mindestens implizit "antisemitisch" nun erst recht als publizistisches Kampfmittel eingesetzt werden dürfte - höchstwahrscheinlich nicht nur von Henryk M. Broder. Diese propagandistische Insinuation konveniert denn auch mit dem politischen Mainstream weit über den Kreis des Kampagnen-Maestros Broder hinaus. Sie kommt auch der von der Bundeskanzlerin ausgegebenen Grundlinie weitgehend unkritischer Unterstützung israelischer Militärschläge zupaß. Wer allerdings den schwerstwiegenden Vorwurf des "Antisemitismus" schon an jeder Kritik israelischer Regierungspolitik und Militärmaßnahmen ansetzt, entwertet den gerade in Deutschland kontinuierlich erforderlichen kritischen Antisemitismus-Diskurs auf die Ebene tagespolitischer Instrumentalisierung. Es kann dem realen Antisemitismus nur zugute kommen, wenn analytische und begriffliche Kriterien, die gegen Schwerstwiegendes wappnen sollten, ins beliebig Wesenlose diffundieren.
 
Pressemitteilung des OLG im Wortlaut:
 
Henryk M. Broder obsiegt im sog. Antisemitismus-Streit
 
Nach der heute verkündeten Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln darf der Journalist und Buchautor Henryk M. Broder weiter publizieren, Eva Hecht-Galinski, die Tochter des 1992 verstorbenen langjährigen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland,  Heinz Galinski, gebe antisemitische Statements ab, wenn dies im sachlichen Zusammenhang mit der Diskussion über israelkritische Äußerungen erfolgt. Der 15. Zivilsenat hob in zweiter Instanz ein anders lautendes Urteil des Landgerichts Köln vom
03.09.2008 auf, das die konkrete Äußerung per einstweiliger Verfügung verboten hatte (Aktenzeichen OLG Köln 15 U 174/08).

Der Publizist Broder hatte im Mai vergangenen Jahres auf der Internetseite „Die Achse des Guten“, die er mitbetreibt, einen offenen Brief an WDR-Intendantin Monika Piel sowie deren Antwortschreiben veröffentlicht. Er kritisierte, dass Evelyn Hecht-Galinski in die WDR-Radiosendung "Hallo Ü-Wagen" zum Thema "Reden über Israel" eingeladen worden war und schrieb dazu: "Jeder kölsche Jeck mit zwei Promille im Blut würde sogar an Weiberfastnacht erkennen, dass Frau EHG eine hysterische, geltungsbedürftige Hausfrau ist, die für niemanden spricht außer für sich selbst und dabei auch nur Unsinn von sich gibt. Ihre Spezialität sind antisemitisch-antizionistische Statements, die zur Zeit mal wieder eine kurze Konjunktur haben“. Bezogen auf das Attribut „antisemitisch“ hatte Hecht-Galinski den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen Broder
erwirkt.
 
Diese hob der Senat nun mit dem heute verkündeten Urteil auf. Zwar sei die angegriffene Äußerung ihrem Bedeutungsgehalt nach auch dahin zu verstehen, dass Frau Hecht-Galinski eine antisemitische Geisteshaltung unterstellt werden solle. Auch wenn die Äußerung ihrem Wortlaut nach die Begriffe „antisemitisch“ und „antizionistisch“ verknüpfe, könne ihr Aussagegehalt nicht darauf reduziert werden, dass nur die Kritik Hecht-Galinskis an der Politik Israels bewertet werden sollte, wie Broder gemeint hatte.
 
Gleichwohl hat der Zivilsenat im Antisemitismus-Vorwurf Broders keine unzulässige Schmähkritik gesehen, sondern die Äußerung letztlich vom Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit als gedeckt erachtet. Auch wenn hier alles dafür spreche, dass Broder eine überzogene bis ausfällige Kritik geäußert habe, könne von einer „Schmähung“ erst dann die Rede sein, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik – allein die Diffamierung der Person im
Vordergrund stehe. Die angegriffene Äußerung Broders lasse einen hinreichenden sachlichen Bezug zu der Diskussion über die Regierungspolitik Israels und zur Einordnung der u.a. von deutschen Juden hierzu geäußerten Kritik erkennen. Als Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage entferne sie sich daher von einer rein
persönlichen Diffamierung Hecht-Galinskis. Broder könne sich danach auf die Zulässigkeit der freien Rede berufen, der gegenüber das Persönlichkeitsrecht der Klägerin zurücktreten müsse. Der durchaus polemisierend und ausfällig zu nennende offene Brief Broders an die WDR-Intendantin lasse den erforderlichen sachlichen Bezug zwar nicht aus sich heraus erkennen. Das sei aber auch nicht zwingend erforderlich; es genüge, wenn auch außerhalb
des Briefes liegende Umstände den notwendigen Bezug zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage herstellten – hier zur öffentlichen Diskussion über die Regierungspolitik des Staates Israel und der dazu u.a. auch durch jüdische Deutsche geäußerten kritischen Standpunkte. Da Frau Hecht-Galinski sich im vorliegenden Falle auf die konkrete Veröffentlichung auf der Internetseite „achgut.com“ gewandt habe, müsse maßgeblich berücksichtigt werden, dass dort auch der Antwortbrief der WDR-Intendantin
Monika Piel an Henryk M. Broder mit veröffentlicht worden sei. Daraus gehe aber klar hervor, auf welchen sachlichen Anlass die angegriffene Äußerung Broders Bezug nehme. Auch wenn im genannten Brief keine im Verlauf der Sendung von Seiten Hecht-Galinskis gefallenen konkreten Aussagen wiedergegeben sind, werde dennoch erkennbar, worauf sich Broders Aussage beziehe, nämlich auf die öffentlich verlautbarte Kritik an der
Regierungspolitik des Staates Israel, deretwegen Frau Hecht-Galinski in die Sendung eingeladen worden war.
 
Ein weiteres Rechtsmittel gegen das Urteil, das im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangen ist, ist nicht gegeben. Der Streit zwischen den Parteien ist allerdings noch nicht beendet; beim Landgericht Köln ist bereits das Hauptsacheverfahren anhängig, in dem am 18.02.2009 Termin zur mündlichen Verhandlung ansteht (Az. 28 O 571/08).

Der Dezernent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
(Hubertus Nolte)
 
Nun warten wir gespannt auf das Hauptsacheverfahren Hecht-Galinski vs. Broder, um auch darüber zu berichten. (PK)

Online-Flyer Nr. 179  vom 07.01.2009

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